Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Tschechien

Aktenzeichen  W 8 S 17.50333

Datum:
23.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Das tschechische Asylsystem leidet nicht unter systemischen Mängeln. Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei möglichen Gefahren durch Dritte wird durch die dortigen Sicherheitskräfte bzw. Polizei bei Bedarf der nötige Schutz gewährt. Erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen in Tschechien nicht. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Er reiste am 3. April 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. April 2017 einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 26. April 2017 erklärten die tschechischen Behörden mit Schreiben vom 25. Mai 2017 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 12. Juni 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Tschechien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 20. Juni 2017 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 17.50332 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tag gegen die Abschiebungsanordnung im angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 2017 wird angeordnet, § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen vorbringen: Der Antragsteller habe aufgrund von Vorkommnissen in seinem Heimatland keinerlei Vertrauen in die behördliche Strukturen des ehemaligen Ostblocks. Er befürchte, dass er bei Durchführung des Asylverfahrens in Tschechien von den Verfolgern (aus Armenien) aufgegriffen und bestraft würde. Tschechien könnte dem Antragsteller keinen wirklichen Schutz bieten. Der Aufenthalt in Tschechien sei für den Antragsteller unzumutbar. Tschechien werde nunmehr sogar mit einem Bestrafungsverfahren durch die Europäische Union überzogen, weil es nicht bereit sei, genügend Flüchtlinge aufzunehmen. Aus dieser Tatsache allein könne herausgelesen werden, dass Tschechien kein faires Asylverfahren biete und dass die Belange des Antragstellers auf keinen Fall so berücksichtigt würden, dass er mit einem fairen Verfahren rechnen könne.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 17.50332) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 12. Juni 2017 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerseite führt zu keiner anderen Beurteilung.
Tschechien ist für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Tschechiens ergibt sich vorliegend aus Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das tschechische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta (GRCharta) ausgesetzt wären. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im tschechischen Asylsystem (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50111 – juris sowie etwa VG Düsseldorf, B.v. 29.5.2017 – 12 L 1477/17.A – juris, jeweils m.w.N.). Vielmehr existiert in der Tschechischen Republik ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren (vgl. nur BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tschechische Republik vom 16.8.2016, S. 6 und 7 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund erkennt das Gericht keine Anhaltspunkte, die Anlass gäben, an einem fairen Asylverfahren in Tschechien zu zweifeln. Außerdem geht das Gericht davon aus, dass dem Antragsteller in Tschechien bei möglichen Gefahren durch Dritte – wie generell in jedem EU-Land – im erforderlichen Umfang durch die dortigen Sicherheitskräfte bzw. Polizei bei Bedarf der nötige Schutz gewährt wird. Auch der Hinweis der Antragstellerseite auf die mögliche Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission rechtfertigt keine andere Beurteilung, da es dort um die Aufnahme von innerhalb der EU umverteilten Flüchtlingen geht, aber nicht um sonstige Asylbewerber bzw. Dublin-Rückkehrer.
Vor diesem Hintergrund fehlt es auch an greifbaren Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll danach nur abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Antragsteller solche Gefahren in Tschechien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, zumal wie ausgeführt in Tschechien ausreichender Schutz vor strafbaren Handlungen durch Dritte gewährleistet ist.
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin sonst ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gemacht hat.
Konkret sind keine gewichtigen Erkrankungen ersichtlich, die in der Tschechischen Republik nicht behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten.
Schließlich bestehen auch keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte. Insbesondere eine Reise- oder Transportunfähigkeit wurde von Antragstellerseite nicht substanziiert geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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