Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Dänemark

Aktenzeichen  M 8 S 16.51203

Datum:
29.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 26a, § 29, § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Im Rahmen des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens und dem Konzept der normativen Vergewisserung obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte entspricht, widerlegt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Dänemark läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im dänischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach seinen Angaben gegenüber der Antragsgegnerin am … Januar 1996 geboren und afghanischer Staatsangehöriger, stellte, nachdem er nach seinen Behauptungen am 1. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, am 24. August 2016 Asylantrag.
In der hierauf folgenden Anhörung gab er gegenüber dem Bundesamt für … (Bundesamt) an, er sei Mitte November 2015 aus Afghanistan ausgereist und habe sich über den Iran, die Türkei und Griechenland und ihm unbekannte Länder in die Bundesrepublik Deutschland begeben.
Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung am 1. Januar 2016 gab der Antragsteller gegenüber der Bundespolizei … als Staatsangehörigkeit pakistanisch, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung am 24. August 2016 afghanisch an.
Da nach den Erkenntnissen des Bundesamts aufgrund des Abgleichs von Fingerabdrücken Anhaltspunkte für die Zuständigkeit von Dänemark gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) vorlagen, wurde am 24. Oktober 2016 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO an Dänemark gerichtet. Die dänischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 1. November 2016 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 20 Abs. 5 Dublin-III-VO. In dem Schreiben wurde mitgeteilt, dass der Antragsteller in Dänemark unter dem Namen …, geb. am …1988, männlich, Alias …, geb. am …1996, Asylantrag gestellt habe.
Nachdem der Antragsteller einen Termin für die Zweitbefragung unentschuldigt nicht wahrgenommen hatte, lehnte das Bundesamt seinen im Bundesgebiet gestellten Asylantrag mit Bescheid vom 15. November 2016 (Az: …*) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Dänemark an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Der Bescheid vom 15. November 2016 wurde dem Antragsteller mit Postzustellungsurkunde am 30. November 2016 zugestellt.
Mit einem am 7. Dezember 2016 beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Schreiben vom gleichen Tage erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers Klage (M 8 K 16.51204) und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, mit dem beantragt wurde,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller bestreite, in Dänemark ein Asylverfahren durchgeführt zu haben. Er sei in Deutschland gewesen und habe mit dem Zug nach Hamburg fahren wollen, sei dort aus Unwissenheit nicht ausgestiegen und dann mit dem Zug nach Dänemark gefahren; beim Verlassen des Zuges seien dort seine Fingerabdrücke registriert worden.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Dänemark aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die dänischen Behörden haben sich mit Schreiben vom 1. November 2016 zur Aufnahme des Antragstellers bereit erklärt, nachdem ein Abgleich der Fingerabdrücke ergeben hat, dass der Antragsteller zunächst nach Dänemark eingereist ist.
Die Behauptung im Schriftsatz vom 7. Dezember 2016, der Antragsteller sei, nachdem er bereits nach Deutschland eingereist war, irrtümlich mit einem Zug nach Dänemark gefahren, wobei er, nachdem er den Zug in Dänemark verlassen habe, mit Fingerabdrücken registriert worden sei, ist in keiner Weise glaubwürdig. Zum einen ist diese Behauptung per se äußerst lebensfremd und wurde auch ohne jegliche Zeitangabe gemacht, so dass nicht nachvollzogen werden kann, wann der Antragsteller nach Dänemark gereist sein will. Auch wurden für dieses Vorbringen keinerlei Nachweise wie beispielsweise ein Zugticket nach Hamburg und ein Rückfahrtticket nach Deutschland vorgelegt. Auch geben die verschiedenen Angaben des Antragstellers zu seiner Staatsangehörigkeit bei seiner Einreise bzw. der ersten und zweiten erkennungsdienstlichen Behandlung erheblichen Anlass, am Wahrheitsgehalt der Aussagen der Antragspartei zu zweifeln. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Dänemark durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Dänemark ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Dänemark aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Dänemark über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss.
Einer Rückführung des Antragstellers nach Dänemark stehen auch keine zu prüfenden inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse im Sinne des § 34 a Abs. 1 AsylG entgegen, da solche weder ersichtlich sind noch behauptet wurden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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