Europarecht

Keine systemischen Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen in Griechenland

Aktenzeichen  M 5 S 19.50682

Datum:
23.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21961
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a

 

Leitsatz

In Griechenland läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im griechischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er reiste am … Mai 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am … Mai 2019 stellte er einen Asylantrag. Für den Ausländer ergab sich ein EURODAC-Treffer für Griechenland. Die griechischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 24. Juni 2019 ihre Zuständigkeit für das vorliegende Asylverfahren.
Mit Bescheid vom … Juni 2019 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am … Juni 2019 über die Aufnahmeeinrichtung zugestellt.
Am 1. Juli 2019 hat die Antragstellerpartei Klage erhoben und beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Griechenland ist als Mitgliedstaat, über dessen Grenze der Antragsteller aus einem Drittstaat illegal eingereist ist, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen o-der Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO).
Die griechischen Behörden haben auf das Rückübernahmeersuchen der deutschen Behörden mit Schreiben vom 24. Juni 2019 die Zuständigkeit für das vorliegende Verfahren ausdrücklich anerkannt (Bl. 115 der Akte). Damit ging die Zuständigkeit auf Griechenland als für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat über.
2. Nach dem vom Bundesverfassungsgericht zur Drittstaatenregelung entwickelten „Konzept der normativen Vergewisserung“ ist davon auszugehen, dass in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – sichergestellt ist (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris Rn. 181). Dieses vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Konzept steht im Einklang mit dem der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems zugrundeliegenden Prinzips des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – Rs. C-411/10 und C-493/10 – juris). Unter diesen Bedingungen muss die nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung gelten, dass die Behandlung eines Asylbewerbers bzw. als schutzberechtigt anerkannten Ausländers in jedem einzelnen dieser Staaten im Einklang mit den genannten Rechten steht.
Hiervon kann nur dann nicht ausgegangen werden, wenn sich auf Grund bestimmter Tatsachen aufdrängt, der Ausländer sei von einem Sonderfall betroffen, der von dem Konzept der normativen Vergewisserung bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens nicht aufgefangen wird (vgl. EuGH, U.v. 10.12.2013 – Rs. C-394/12 – juris, BVerfG, U.v. 14.5.1996 a.a.O.). Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Personen implizieren (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGrdRCh bzw. Art. 3 EMRK droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m.w.N., B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – juris). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d.h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Dies zugrunde gelegt, ist in Bezug auf Griechenland nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung dorthin eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, dass in Griechenland systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen vorliegen. Das ergibt sich im Allgemeinen aus der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 8. Dezember 2016 an die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Überstellung nach Griechenland gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013. Die Überstellung von Personen nach Griechenland im Rahmen von Dublin-Rückführungen wurde 2011 von den Mitgliedstaaten zunächst weitgehend ausgesetzt, nachdem in den Urteilen des EGMR vom 21.1.2011 (30696/09, M.S.S./Belgien u. Griechenland a.a.O.) und des EuGH vom 21.12.2011 (C-411/10 und C-493/10 – juris) festgestellt worden war, dass das griechische Asylsystem systemische Mängel aufweise, aufgrund der Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, bei einer Überstellung nach Griechenland der Gefahr einer Verletzung ihrer Menschenrechte ausgesetzt wären. Seitdem verfolgt das Ministerkomitee des Europarats die Lage in Griechenland auf der Grundlage von Fortschrittsberichten, die Griechenland als Nachweis dafür vorlegen muss, dass es dem Urteil Folge leistet, und auf der Grundlage von Informationen von in Griechenland tätigen Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisationen. In der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 8. Dezember 2016 an die Mitgliedstaaten stellt diese fest, dass Griechenland seitdem beträchtliche Fortschritte bei der Schaffung der grundlegenden institutionellen und rechtlichen Strukturen erzielt hat, die für ein ordnungsgemäß funktionierendes Asylsystem erforderlich sind. Die Aussichten seien gut, dass das Land in naher Zukunft über ein voll funktionierendes Asylsystem verfügen werde, sobald die verbliebenen Unzulänglichkeiten in Bezug auf die Aufnahmebedingungen und die Behandlung Schutzbedürftiger, vor allem unbegleiteter Minderjähriger, beseitigt worden seien. Aus diesem Grund sei es angebracht, eine allmähliche Wiederaufnahme der Überstellungen auf der Grundlage von Einzelfallzusicherungen zu empfehlen, wobei die Kapazitäten zur Aufnahme von Asylbewerbern und zur EUrechtskonformen Bearbeitung ihrer Anträge und die gegenwärtig unzulängliche Behandlung bestimmter Personenkategorien (Schutzbedürftige, einschließlich unbegleiteter Minderjähriger) berücksichtigt werden sollten. Damit Griechenland nicht übermäßig belastet werde, sollten diese Überstellungen sich nur auf Asylbewerber erstrecken, die ab dem 15. März 2017 irregulär über eine Außengrenze nach Griechenland gelangten, oder für die Griechenland aufgrund anderer als der in Kapitel III Artikel 13 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Kriterien ab diesem Zeitpunkt zuständig sei (vgl. VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris Rn. 22).
Zwar wird in der Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten, dass das griechische Asylsystem auch aktuell noch systemische Schwachstellen aufweise (VG Düsseldorf, U.v. 19.12.2017 – 12 K 15680/17.A – juris Rn. 22 ff.; VG Dresden, B.v. 16.11.2017 – 6 L 1187/17.A – juris Rn. 22 f.). Die erkennende Kammer teilt diese Auffassung jedoch nicht. Sie schließt sich unter Verweis auf deren ausführliche Begründungen der Auffassung in den aktuelleren Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Regensburg (U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris Rn. 15 ff), des Verwaltungsgerichts Ansbach (U.v. 20.9.2018 – AN 14 K 18.50495 – juris Rn. 23 ff.) und des Verwaltungsgerichts Köln (B.v. 19.2.2018 – 14 L 4188/17.A – juris Rn. 27 ff.) an, weil keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass sich die Situation in Griechenland seit der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 8. Dezember 2016 – der erhebliches Gewicht zukommt – systemisch wieder signifikant verschlechtert hätte (vgl. zum Ganzen auch: VG München, B.v 9.5.2019 – M 5 E 19.50027 – juris Rn 58 ff.).
Was den Antragsteller im Besonderen betrifft, zeigt sich im Rahmen der summarischen Prüfung anhand seines eigenen Vortrags, dass er konkret und individuell auch nicht von systemischen Schwachstellen betroffen ist.
Denn er hat bei seiner Anhörung am 11. Juni 2019 (Blatt 91 ff. der Akten) vorgetragen, dass man sich in Griechenland nicht so gut um ihn gekümmert habe, es habe immer Streit gegeben, auf der Straße sei es auch unsicher gewesen. Das sind äußerst vage und allgemein gehaltene Beschwerden. Daraus folgen keinerlei Anhaltspunkte, dass er persönlich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren hat bzw. dass dem Ausländer bei einer Rückkehr nach Griechenland eine solche drohen könnte.
Soweit die Antragstellerpartei mit Schriftsatz vom 19. Juli 2019 vorträgt, der Antragsteller sei mehrere Monate in Griechenland inhaftiert gewesen, nach seiner Entlassung ohne jede Unterstützungsunterkunft gewesen und ihm seien zwangsweise Fingerabdrücke genommen worden, ist dieser Vortrag als gesteigert und damit unglaubhaft zu bewerten. Denn diese Darstellung steht in keiner Weise in Einklang mit dem, was der Ausländer bei seinen Anhörungen am 11. Juni 2019 (sowohl hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wie auch seiner Asylgründe nach § 25 AsylG) angegeben hat. Dort ist insbesondere von einer Inhaftierung keine Rede, auch nicht davon, dass er ohne jede Unterstützungsunterkunft gewesen sei.
3. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, liegen nicht vor.
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass ein Großvater mütterlicherseits in Deutschland wohne sowie ein Onkel mütterlicherseits und Cousinen und Cousins, stellt das nicht die Kernfamilie des Ausländers dar. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass mit diesen Personen eine herausragende familiäre Verbundenheit bestehen würde. Es liegen daher keine außergewöhnlichen humanitären Gründe vor, die aus Gründen des Schutzes der Familie die Ausübung des Selbsteintrittsrechts erforderlich machen würden.
4. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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