Europarecht

Keine systemischen Mängel in Italien

Aktenzeichen  W 5 S 17.50056

Datum:
6.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 18, Art. 22 Abs. 3
EMRK EMRK Art. 3
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Der Rückführung eines Asylbewerbers nach Italien stehen derzeit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. Die Mängel des italienischen Aufnahme- und Versorgungssystems sind nicht derart flächendeckend und gravierend, dass von einem grundlegenden, systemischen Versagen Italiens ausgegangen werden müsste, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh führt. (Rn. 14 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1. Die Antragsteller, nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, pashtunischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens, reiste am 1. September 2016 ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 15. September 2016 einen Asylantrag.
Da nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) – Abgleich der Fingerabdrücke – Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EG) Nr. $ … (Dublin III-VO) vorlagen, stellte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 7. Oktober 2016 ein Übernahmeersuchen an Italien, das unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2017, dem Antragsteller ausweislich der Empfangsbestätigung am 26. Januar 2017 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund der illegalen Einreise gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nach Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Ebenso fehlten Gründe für eine Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 4 EU-Grundrechtecharta vorliege. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
2. Gegen den vorgenannten Bescheid erhob der Antragsteller zur Niederschrift des Gerichts am 2. Februar 2017 Klage (W 5 K 17.50055) und beantragte im hiesigen Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Wegen der Ausführungen der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt, die Akten im Verfahren W 5 K 17.50055, die beigezogenen Behördenakten sowie auf die Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
II.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit er sich auf die in Ziffer 4 des angegriffenen Bescheides enthaltene Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG bezieht. Dem Antragsteller fehlt insoweit das für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, denn mit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde die von der Antragsgegnerin getroffene Befristungsentscheidung suspendiert und folglich das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG kann daher die Rechtsstellung des betroffenen Ausländers nicht verbessern. Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Befristungsentscheidung ist regelmäßig nur durch eine auf die vorläufige (kürzere) Befristung der Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG oder auf die vorläufige Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 8 AufenthG gerichtete Regelungsanordnung im Verfahren nach § 123 VwGO zu erlangen (Nieders. OVG, B.v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – AuAS 2016, 29 m.w.N.).
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die vom Bundesamt in Ziffern 1 bis 3 des angegriffenen Bescheides enthaltene Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen sowie gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien ist nach § 34a AsylG zulässig, jedoch unbegründet.
2.1. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung ei-ner Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse überwiegt. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
2.2. Der in Ziffern 1 bis 3 des angegriffenen Bescheides enthaltene Ausspruch der Unzulässigkeit des Asylantrags, der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen sowie die Abschiebungsanordnung nach Italien sind bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Der am 15. September 2016 gestellte Asylantrag des Antragstellers ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG unzulässig. Denn Italien ist aufgrund der dort erfolgten illegalen Einreise für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß den Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. …4 … des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) zuständig.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO ist ein Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutzes zuständig, wenn auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. …3 … (Eurodac-VO) festgestellt wird, dass der Antragsteller aus einem Drittland kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat. Aufgrund des Eurodac-Treffers vom 2. September 2016 und der eigenen Angaben des Antragstellers gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken am 9. September 2016 steht mithin die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers fest. Die Zuständigkeit ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wegen Überschreitens der Zwölf-Monatsfrist beendet. Italien ist daher gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 Dublin III-VO aufzunehmen.
Die Voraussetzungen der vorgenannten Vorschriften über die Auf-nahmepflicht Italiens sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere wurde das Aufnahmegesuch am 7. Oktober 2016 und damit gemäß Art. 21 Abs. 1 Abs. 1 Dublin III-VO innerhalb von drei Monaten nach Erhalt der Eurodac-Treffermeldung (2. September 2016) an die italienischen Behörden gerichtet. Zwar haben die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmegesuch nicht geantwortet, gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO ist jedoch davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wurde, wenn – wie hier – innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO keine Antwort erteilt wird. Damit ist Italien gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs wieder aufzunehmen. Diese Frist, nach deren Ablauf die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), ist noch nicht abgelaufen.
2.3. Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta (GRCharta) ausgesetzt wären.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat für das in Deutschland – im Unterschied zu anderen Rechtssystemen – durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für die Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK die Überzeugungsgewissheit verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in einem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 -10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei – wie sich aus den Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (U.v. 21.12.2010 – C-411/10 u.a. – juris) – Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelmäßigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der vorgenannten Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Auf-nahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – und B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – beide juris).
Auf Grundlage dieses Maßstabs ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon auszugehen, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln im vorstehend dargestellten Sinne leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta oder des Art. 3 EMRK ausgesetzt wären (VG Würzburg, B.v. 31.1.2017 – W 2 S. 17.50031; s.a. VG Gelsenkirchen, B.v. 17.12.2014 – 6a L 1837/14.A; B.v. 25.11.2014 – 6a K 3256/14.A; VG Augsburg, B.v. 29.10.2014 – Au 7 S. 14.50263; VG Magdeburg, B.v. 12.8.2014 – 1 B 894/14; VG Greifswald, B.v. 18.11.2016 – 4 B 1472/16 As HGW, VG München, B. v. 3.1.2017 – M 8 S. 16.51189 – alle juris; a.A. VG Darmstadt B.v. 7.5.2014 – 4 L 597/14.DA.A – juris). Selbst wenn sich die Situation in Italien für den Antragsteller schlechter und unsicherer als in der Bundesrepublik Deutschland darstellen sollte, bedeutet dies nicht, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass er in Italien kein der Grundrechtecharta und den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention genügendes Asylverfahren durchlaufen werde. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Asylbewerbern die Durchführung des Asylverfahrens in Italien nicht in rechtsstaatlicher Weise möglich wäre. Dies erweist sich daher auch nicht als systemischer Mangel.
Zwar verzeichnet Italien weiterhin einen hohen Zustrom an Schutzsuchenden und die Zahl der in Italien gestellten Asylgesuche ist gestiegen (vgl. aida, Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 12; Bundesamt, Prognosemitteilung v. 7.5.2015, S. 3; UNHCR, Update Italy – Sea Arrivals – January 2016 – vom 26.2.2016). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass nicht alle in Italien ankommenden Asylbegehrenden tatsächlich in Italien bleiben und dort um Asyl nachsuchen (vgl. VG Potsdam, B.v. 17.6.2015 – 6L 712/15.A – juris). Darüber hinaus wurden in Italien bereits im Jahr 2008 in Abwendung von der früheren zentralen Bearbeitung der Asylverfahren und Vornahme aller Anhörungen in Rom zehn Territorialkommissionen, die dauerhaft für bestimmte Regionen oder Provinzen zuständig sind, geschaffen, um das Asylverfahren effizienter zu gestalten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Leitfaden Italien, aktualisierte Fassung vom Oktober 2014, S. 6). Bis zum Ende des Jahres 2014 wurde die Zahl der Territorialkommissionen, die die Anträge auf internationalen Schutz prüfen, auf 20 erhöht mit der Möglichkeit der Einrichtung weiterer 30 Subkommissionen in ganz Italien (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 12 unter Verweis auf Law Decree no. 119/2014; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Leitfaden Italien, aktualisierte Fassung vom Oktober 2014, S. 7). Auch wurden Anstrengungen unternommen, das Registrierungsverfahren für Asylanträge durch ein neues Onlinesystem und interne Anweisungen zu beschleunigen, die Bearbeitung von Einzelfällen im gesamten Verfahren zu verbessern, die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung zu überwachen und Verzögerungen entgegenzuwirken (UNHCR, Empfehlung zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, Juli 2013, S. 6, Schweizer Flüchtlingshilfe v. 23.4.2015 an VG Schwerin). Darüber hinaus wurde das italienische Asylverfahrensrecht dahingehend geändert, dass nunmehr Anhörungen von Asylbewerbern regelmäßig durch nur einen Befrager stattfinden, um das Verfahren zu beschleunigen (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 12 unter Verweis auf Law Decree no. 119/2014, das am 23.08.2014 in Kraft getreten ist). Auch die Zahl der Unterbringungsplätze wurde erhöht (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 53). Dies zeigt, dass Italien (und die EU) Maßnahmen ergriffen haben, um dem Anstieg der Asylbewerberzahlen in Italien zu begegnen. Auch wenn es in Einzelfällen Verzögerungen und Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren in Italien geben mag, sind daher systemische Mängel nicht ernsthaft zu befürchten.
Hinzu kommt, dass zwischen Asylsuchenden, die aus einem nicht zur Europäischen Union gehörenden Drittstaat nach Italien einreisen, und Dublin-Rückkehrern zu unterscheiden ist. Personen, die im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Italien reisen bzw. überstellt werden und in Italien noch kein Asylgesuch gestellt haben, können ein solches wie jeder andere Asylbewerber auch stellen (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 30). Dublin-Rückkehrer kommen in der Regel an einem der italienischen Hauptflughäfen wie Rom oder Mailand an. Am Flughafen erhalten sie von der Grenzpolizei ein Einladungsschreiben („verbale di invito“), das die zuständige Questura ausweist, bei der sich der Asylsuchende zu melden hat (aida, Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 40). Nach Meldung bei der zuständigen Questura wird ihr Verfahren wieder aufgenommen bzw. sie können, falls sie noch keinen Asylantrag gestellt haben, diesen offiziell registrieren lassen („verbalizzazione“), wobei dieselben Wartezeiten gelten wie für andere Asylsuchende (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13).
Des Weiteren sind in den letzten Jahren temporäre Aufnahmesysteme installiert worden, um Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung nach Italien vorübergehend unterzubringen. Es handelt sich hierbei um Unterkünfte, die aus dem European Refugee Fund (ERF) finanziert werden (aida, Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 63 f.). Dublin-Rückkehrer können während ihres Asylverfahrens (so lange ihnen also noch kein Schutzstatus zuerkannt wurde) auch kapazitätsabhängig in einem CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo) untergebracht werden (aida, Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 63; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13). Ferner ist eine Unterbringung auch im SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) und in Gemeindeunterkünften möglich, wobei diese auch Personen mit Schutzstatus offen stehen; nicht möglich ist dagegen eine Unterbringung in Erstaufnahmezentren CPSA und CDA für Bootsflüchtlinge (aida, Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 63 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Auf-nahmebedingungen, Oktober 2013, S. 15).
Es kommt zwar vor, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung mehre-re Tage am Flughafen (ohne Schlafplätze) verbringen müssen, bis sie in ei-ner Unterkunft untergebracht werden können (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 14; vgl. auch aida, Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 64). Dies ist jedoch nur manchmal der Fall, also nicht die Regel, sondern die Ausnahme (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 14 m.w.N.). Solche punktuellen Befunde rechtfertigen nicht die Feststellung, dass systemische Mängel bei der Aufnahme von Asylbewerbern in Italien bestehen, die Asylsuchende regelmäßig einer unmenschlichen Behandlung aussetzen. So ist festzustellen, dass die Anzahl der Unterbringungsplätze im Jahr 2015 erhöht wurde und auch alternative Unterbringungsmöglichkeiten zu CARA, CPSA und SPRAR eingerichtet und ausgebaut wurden, um den steigenden Flüchtlingsstrom aufzunehmen. So sind in verschiedenen Regionen Italiens zusätzliche Aufnahmezentren (CAS – temporary or emergency accommodation system) geschaffen worden, auf die die Flüchtlinge nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden und in denen Ende Dezember 2014 fast 35.000 Asylsuchende untergebracht waren (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 12, 61). Im Oktober 2015 standen in den Aufnahmeeinrichtungen CPSA, CDA, CARA, CAS und SPRAR insgesamt 100.022 Plätze zur Verfügung (aida, Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 66). Hinzu kommt ein Netzwerk an privaten Unterbringungsmöglichkeiten, welches nicht Teil des staatlichen Aufnahmesystems ist, und über das keine Zahlen vorliegen (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 62 und Country Report Italy, Stand Dezember 2015, S. 66). Auch wenn der Presseberichterstattung eine in den vergangenen Jahren steigende Anzahl von auf dem See Weg nach Italien gelangenden Migranten zu entnehmen ist, führt dies nach alledem nicht zu einer abweichenden Bewertung der insgesamt unionsrechtskonformen Verhältnisse in Italien. Hieraus lässt nicht auf systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmesystem Italiens, etwa eine systemische Überforderung der Aufnahmekapazitäten, schließen, zumal ein großer Teil dieser Migranten in andere Mitgliedstaaten weiter wandert (vgl. VG Potsdam, B.v. 17.6.2015 – 6 L 712/15.A – juris).
Auch aus der Entscheidung des EGMR vom 4. November 2014 – Tarakhel ./. Schweiz, Nr. … – ergibt sich nichts anderes. Zwar wird in dieser Entscheidung ausgeführt, dass die Anzahl und die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen Italiens Befürchtungen zulassen, dass im Einzelfall Asylbewerber ohne Unterkunft bleiben bzw. in überfüllten Einrichtungen untergebracht werden. Der EGMR kam aber ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Struktur und die Gesamtsituation des Aufnahmesystems in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen.
Ausgehend von diesen rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten ist nicht erkennbar, dass die italienische Asylverfahrenspraxis systematisch die Grenzen des europäischen Rechts überschreiten würde. Des Weiteren ist weder substantiiert dargelegt worden noch sonst erkennbar, dass gerade der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen würde. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der Antragsteller in Italien – soweit ersichtlich – weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen kann. Jedenfalls wenn er sich dem Asylsystem in Italien unterwirft, hat er im Falle einer Überstellung nach Italien als Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung und Verpflegung, dessen Erfüllung – wie bereits ausgeführt – auch zur Überzeugung des Gerichts hinreichend gesichert ist, um systemische Mängel im italienischen Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylsuchende wie den Antragsteller sowie eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Antragstellers auszuschließen.
2.4. Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin im Verfahren nach § 34a AsylG selbst zu berücksichtigen hat, weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere hat der Antragsteller keine Reiseunfähigkeit geltend gemacht.
Der Antrag war daher abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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