Europarecht

Keine unmenschliche Behandlung von Asysuchenden in Österreich

Aktenzeichen  M 1 S 16.50385

Datum:
7.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b

 

Leitsatz

Selbst eine aktuell bestehende und ausreichend nachgewiesene psychische Erkrankung stellt nicht ohne Weiteres einen das Selbsteintrittsrecht rechtfertigenden individuellen, außergewöhnlichen humanitären Grund dar, da – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Österreich über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt – keine Gründe dafür ersichtlich sind, die ausnahmsweise zur Annahme einer individuellen Gefahr für den Antragsteller führen könnten, in Österreich einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben iranischer Staatsangehöriger, reiste am 4. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte hier am 6. Juni 2016 die Anerkennung als Asylberechtigter.
Ein Abgleich der Fingerabdrücke des Antragstellers ergab einen EURODAC-Treffer (Nr. AT1…) für die Republik Österreich. Nach den dort hinterlegten Erkenntnissen der österreichischen Behörden hat er am 3. Dezember 2015 in Österreich einen Asylantrag gestellt. Die Republik Österreich hat dem Gesuch um Wiederaufnahme des Antragstellers, das die Antragsgegnerin durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 11. März 2016 gestellt hatte, mit Schreiben vom 22. März 2016 entsprochen.
Mit streitbefangenem Bescheid vom 8. Juni 2016, der dem Antragsteller am 14. Juni 2016 zugestellt wurde, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung nach Österreich an (Nr. 2 des Bescheides). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei aufgrund des bereits in Österreich gestellten Asylantrags nach § 27a des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig. Zuständig für die Behandlung des Asylantrags sei daher die Republik Österreich. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO), auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die Anordnung der Abschiebung nach Österreich beruhe auf § 34a Abs. 1 AsylG.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit Schreiben vom …. Juni 2016, bei Gericht eingegangen am selben Tag, beim Verwaltungsgericht München Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Gleichzeitig beantragt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO),
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 8. Juni 2016 anzuordnen.
Zur Begründung führt der Antragsteller aus, er habe in Österreich keinen Asylantrag gestellt, sondern sei dort nur vier Tage auf der Durchreise gewesen. Dabei sei er von der Polizei aufgegriffen worden, die ihm sodann auch Fingerabdrücke abgenommen und Fotos gefertigt habe. In schwierigen Situationen und unter psychischem Druck verletze er sich selbst. Seit er in Deutschland sei, fühle er sich sicher und habe damit aufgehört. Er besitze ein stabiles soziales Umfeld und Freunde, die ihm Sicherheit geben würden, so dass er nicht mehr unter Druck stehe und sich selbst verletze.
Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom 21. Juni 2016 die Verfahrensakte vor, stellt aber keinen Sachantrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens im Übrigen wird auf die Gerichtsakten dieses und des Hauptsacheverfahrens Az. M 1 K 16.50384 sowie die vorgelegte Verfahrensakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 und § 75 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, über den nach § 77 Abs. 4 Satz 1 AsylG vorliegend vom Einzelrichter entschieden wird, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Da sich der angegriffene Bescheid des Bundesamts nach summarische Prüfung als rechtmäßig erweist, führt die vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 27a AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
1. Die Republik Österreich hat dem auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestützten Ersuchen der Antragsgegnerin vom 11. März 2016, den Antragsteller wieder aufzunehmen, mit Schreiben vom 22. März 2016 entsprochen und sich bereit erklärt, den Asylbewerber zu übernehmen und die Prüfung des Asylantrags durchzuführen.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist vorliegend Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend von den Erkenntnissen aus dem Asylverfahren und der Antragsbegründung vom …. Juni 2016 ist der Antragsteller im Dezember 2015 über Österreich nach Deutschland eingereist. Nach den Angaben der österreichischen Behörden hat er dort am 3. Dezember 2015 einen Asylantrag gestellt. Dies ergibt sich aus dem bei einer EURODAC-Abfrage für den Antragsteller erzielten Treffer mit der Kennzeichnung „AT1“ (vgl. Art. 24 Abs. 4 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 – EURODAC-VO -). Anhaltspunkte dafür, dass diese Daten unzutreffend sind, bestehen nicht, zumal nach Art. 23 Abs. 1 lit. c EURODAC-VO sogar eine normative Richtigkeitsgewähr hinsichtlich der von den Mitgliedsstaaten erhobenen und an das Zentralsystem übermittelten Daten besteht. Die Zuständigkeit Österreichs ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Dublin III-VO erloschen, da zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in Österreich am 3. Dezember 2015 (vgl. Art. 7 Abs. 2 der Dublin III-VO) der illegale Grenzübertritt noch nicht länger als zwölf Monate zurücklag.
Damit ist die Republik Österreich gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 der Dublin III-VO wieder aufzunehmen. Mit ihrer Zustimmung vom 22. März 2016 zum Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 11. März 2016 hat sie dies auch ausdrücklich anerkannt.
2. Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO, auch i. V. m. Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO, begründen würden, sind wieder vorgetragen noch ersichtlich.
Soweit sich der Antragsteller allein auf seinen labilen psychischen Zustand und eine damit im Zusammenhang stehenden Selbstverletzungsneigung beruft, wird damit weder das Bestehen einer Erkrankung belegt noch vorgetragen, dass eine solche gegebenenfalls derzeit behandlungsbedürftig sei.
Zudem würde selbst eine aktuell bestehende und ausreichend nachgewiesene psychische Erkrankung des Antragstellers nicht ohne weiteres einen individuellen, außergewöhnlichen humanitären Grund darstellen und die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 und Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen. Denn es sind keine Gründe dafür ersichtlich, die ausnahmsweise zur Annahme einer individuellen Gefahr für den Antragsteller führen könnten, in Österreich einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Österreich über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die österreichischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Traumatisierte Flüchtlinge erhalten psychologische und psychiatrische Behandlung. Für das Gericht besteht daher kein Anlass zu Zweifeln daran, dass die vom Antragsteller unbelegt geltend gemachten psychischen Belastungen im Bedarfsfalle auch in Österreich als einem Mitgliedstaat der Europäischen Union mit hohem medizinischen Standard behandelt werden können und dass entsprechende Behandlungsmöglichkeiten auch Asylsuchenden offenstehen (vgl. dazu aktuell beispielsweise VG München, U.v. 6.5.2016 – M 12 K 15.50793 – juris Rn. 41).
3. Ein der Abschiebung nach Österreich entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) hat der Antragsteller ebenfalls nicht substantiiert dargetan.
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Dies ist von Seiten des Antragstellers nicht erfolgt.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG)


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