Europarecht

Keine Urheberrechtsverletzung durch Radionutzung im Atelier eines Goldschmieds

Aktenzeichen  19 C 4226/15

Datum:
22.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2016, 116630
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UrhG § 15 Abs. 3 S. 1, § 97
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2
RL 92/100/EWG Art. 8 Abs. 2
RL 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke der Musik stellt es nicht dar, wenn in einem nicht zum Verkausfraum bestimmten Atelier eines Goldschmieds und Bildhauers gelegentlich das Radio läuft und etwa anwesende Personen die Radiomusik daher nur zufällig wahrnehmen können. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin wird verurteilt, an den Beklagten vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 70,20 Euro zu zahlen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Widerklage ist zulässig und begründet.
I.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von 174,11 Euro aufgrund Urheberrechtsverletzung gem. § 97 UrhG oder aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zu.
Aufgrund der Beweisaufnahme ist das Gericht der Überzeugung, dass die Voraussetzung des § 15 Abs. 3 UrhG nicht vorliegen. Danach ist die Wiedergabe eines Werkes öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.
Bei dem Beklagten handelt es sich um einen Goldschmied und Bildhauer, der Schmuck produziert. Der Beklagte hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung angegeben, dass es sich bei dem „…“ um keinen Verkaufsraum handele. Deshalb seien an den ausgestellten Werken auch keine Preisschilder angebracht. Er vertreibe seinen Schmuck ausschließlich über Galerien. Des weiteren gab der Beklagte an, dass zu ihm nur ca. ein bis zwei Personen im Monat kämen, die vor allem wegen der Holzskulpturen auf sein Atelier aufmerksam geworden sind. Die anderen Personen, die in sein Atelier kommen, seien Nachbarn, die Pakete abholen wollen oder Kurierdienstfahrer.
Er habe zwar an seiner Tür handschriftlich Öffnungszeiten angeschrieben, wonach er drei Tage in der Woche für drei Stunden da sei, diese könnten sich aber wegen seiner Dozententätigkeit ständig verändern.
Der Beklagte gab an, ein analoges Radio zu haben und während der Arbeit Bayern 2 oder den Deutschlandfunk zu hören. Wenn Personen kämen, mache er das Radio manchmal aus, manchmal laufe es auch weiter. Als der Kontrolleur, der Zeuge … bei ihm gewesen sei, seien keine anderen Personen da gewesen.
Es ist bereits fraglich, ob das Merkmal „Mehrzahl von Mitgliedern“ im Sinne von § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG erfüllt ist. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an, da der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen ist (BGH, Urteil vom 18.06.2015, Az. I ZR 14/14, Beck RS 2015, 10857, Rn. 21). Aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.03.2012 in der Sache „…“, hat sich die bis dahin bestehende Rechtsprechung geändert. Der EuGH hat in dieser Entscheidung Kriterien aufgestellt, welche für den vorliegenden Fall heranzuziehen sind.
Danach setzt eine „öffentliche Wiedergabe“ zum einen voraus, dass der Nutzer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig werde, um Dritten einen Zugang zum geschützten Werk zu verschaffen, den diese ohne sein Tätigwerden nicht hätten (vgl. EuGH, GRUR 2012, 593, Rn. 82 – SCF/Del Corso; BGH, a.a.O., Rn. 30).
Zweitens sei der Begriff „Öffentlichkeit“ nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt (EuGH, GRUR 2012, 593, Rn. 84; BGH, a.a.O., Rn. 31).
Drittens sei es nicht unerheblich, ob die betreffende Nutzungshandlung Erwerbszwecken diene (vgl. EuGH; GRUR 2012, 593, Rn. 88; BGH, a.a.O., Rn. 32).
Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Gerichts im Fall des Ateliers des Beklagten nicht erfüllt. Es ist äußerst fraglich, ob der Beklagte tätig wurde, um Dritten einen Zugang zum geschützten Werk zu verschaffen. Der Beklagte hat angegeben, dass er das Radio teilweise ausschalte, wenn interessierte Personen kämen, um sich mit ihm zu unterhalten und ihm bei der Arbeit zu zusehen. Auf jeden Fall fehlt es am Merkmal der unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen.
Der Zeuge … hat in seiner Vernehmung angegeben, dass bei seinen beiden Kontrollbesuchen keine weiteren Personen anwesend waren. Das Gericht folgt dem Beklagten dahingehend, dass nur ganz sporadisch an seinen Werken interessierte Personen in sein Atelier kommen. Auch die vom Beklagten vorgelegten Lichtbilder zeigen, dass der Raum nicht für eine größere Anzahl von Personen bestimmt ist. Unstreitig hat das Atelier nur ca. 40 qm. Dort stellt der Beklagte seine Schmuckstücke her.
Der EuGH hat in der oben genannten Entscheidung für die Wiedergabe von Hintergrundmusik im Wartezimmer eines Zahnarztes ausgeführt, dass der Kreis der gleichzeitig in dessen Praxis anwesenden Personen im allgemeinen sehr begrenzt sei und aufeinanderfolgende Patienten in aller Regel nicht Hörer der selben Tonträger seien, insbesondere wenn diese über Rundfunk wiedergegeben würden (vgl. EuGH, GRUR 2012, 593, Rn. 95 und 96; BGH, a.a.O., Rn. 35). Dies ist auch beim Atelier des Beklagten der Fall, in das nur ganz vereinzelt Personen kommen und dann – aufgrund der beengten Platzverhältnisse – auch nur ganz wenige. Aus diesem Grund können nie „recht viele Personen“ gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Hörer des selben Musikstücks sein – anders als bei einem Betreiber eines Hotels oder dem Inhaber einer Gastwirtschaft, wo im Rundfunk gesendete Werke über einen Fernsehbildschirm und Lautsprecher für die Gäste wiedergegeben werden (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 45).
Die Wiedergabe der Musik aus dem Radiogerät des Beklagten dient auch nicht seinen Erwerbszwecken. Das setzt voraus, dass sich der Nutzer gezielt an das Publikum wendet, für das die Wiedergabe vorgenommen wird und dieses für die Wiedergabe aufnahmebereit ist und nicht nur zufällig erreicht wird (vgl. EuGH, GRUR 2012, 593, Rn. 91; BGH, a.a.O., Rn. 32). Zwar ist dies kein zwingendes Kriterium für eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG, jedoch zur Beurteilung heranzuziehen.
Aufgrund der Aussagen des Beklagten und des Zeugen …, der auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck machte, sieht das Gericht das Kriterium der „öffentlichen Wiedergabe“ nicht als erfüllt an. Dabei ist festzustellen, dass sich die Angaben des Beklagten und des Zeugen … sogar im wesentlichen decken.
Das Gericht konnte keine Anhaltspunkte finden, dass die Radiowiedergabe irgendeinem Erwerbszweck des Beklagten dient. Dies zeigt sich auch aufgrund der Würdigung der Aussage des Zeugen … Für ihn habe sich das Atelier als Kombination zwischen Verkaufsraum und Werkstatt dargestellt. Der Zeuge konnte nicht mehr sagen, ob an den Werken Preisschilder vorhanden waren oder nicht. Der Zeuge … gab an, dass es kein reiner Verkaufsraum sei, wo es nur um das Verkaufen von Gegenständen geht. Auch legte der Zeuge Fotos vor, die die Türe und das Atelierfenster des Ateliers des Beklagten zeigen. Im Schaufenster sind nur ganz vereinzelt Schmuckstücke ohne Preisschilder zu sehen. Das Schild mit den Öffnungszeiten ist klein und handgeschrieben und kann nur bei näherem Herantreten an die Türe gelesen werden. Die typischen, für das Geschäft werbenden Gestaltungselemente von Eingangstür und Schaufenster, wie dies bei einem reinen Verkaufsgeschäft der Fall ist, fehlen hier.
Vielmehr können im Atelier des Beklagten anwesende Personen die Radiomusik nur zufällig wahrnehmen, so dass von einem „Bestimmtsein“ im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG nicht gesprochen werden kann. Insoweit ist der Fall auch vergleichbar mit der Musikwiedergabe in einem Nebenraum (Werkstatt eines Fahrradladens), der nicht der Öffentlichkeit zugänglich ist und die Musik auch für Kunden im Verkaufsraum hörbar ist (AG Erfurt, Urteil vom 25.01.2002, Az. 28 C 3559/01, NJW-RR 2002, 773). Die Auffassung, wonach dem Tatbestandsmerkmal „bestimmt für eine Mehrzahl von Personen“, allein eine objektive Bestimmung innewohnt (so LG Frankfurt a.M., Urteil vom 26.01.2005, Az. 2-06 S5/04, NJW-RR 2005, 1070), kann nach der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr gefolgt werden. Vielmehr hat das Tatbestandsmerkmal eindeutig ein subjektives Element.
Aus diesem Grund ist der Beklagte nicht zur Zahlung verpflichtet.
II.
Der Beklagte hat Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus Schadensersatzgesichtspunkten wegen der unberechtigten Inanspruchnahme im Hinblick auf die geltend gemachte Forderung gem. §§ 249 ff. BGB in Höhe von 70,20 Euro.
Aus diesem Grund war der Widerklage stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.


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