Europarecht

Keine Verpflichtung zur Kennzeichnung eines Fleischprodukts als “Formfleisch”

Aktenzeichen  RO 5 K 16.2012

Datum:
15.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 33289
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 1169/2011 Art. 2 Abs. 2, Art. 7, Art. 17 Abs. 1
LFGB § 11 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 43

 

Leitsatz

1 Wird jemand durch die Verwaltungsbehörde einer Rechtsverletzung bezichtigt, ist es zur Bejahung des Feststellungsinteresses ausreichend, wenn allein die Möglichkeit besteht, sich strafbar zu machen oder eine Ordnungswidrigkeit zu begehen (Anschluss an VG Trier BeckRS 2004, 24769). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch wenn den Leitsätzen des deutschen Lebensmittelbuchs eine wichtige Funktion hinsichtlich der Beschreibung der Herstellung und der Merkmale und dem Schutz der Qualität der beschriebenen Erzeugnisse zukommt, besagt dies nichts darüber, ob diese Bezeichnungen auch vom Verbraucher ohne weitere Erläuterung akzeptiert werden. Dies bedarf vielmehr einer Beurteilung im Einzelfall. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Bezeichnung „Putenbraten, aus Fleischstücken zusammengefügt“ verstößt nicht gegen das Irreführungsverbot, da es sich dabei um eine nach europäischen Rechtsvorschriften zulässige Bezeichnung handelt, die den Verbraucher zutreffend, klar und leicht verständlich informiert. Die Bezeichnung ist daher auch nicht um den Zusatz „Formfleisch-“ zu ergänzen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Bezeichnung „Delikatess Putenbraten, aus Fleischstücken zusammengefügt“ für das von der Klägerin hergestellte Erzeugnis aus Putenfleisch, bei dem die eingesetzten Putenteilstücke entsprechend dem Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 04.08.2015 nach dem Füllen, aber noch vor dem Garen zu weniger als 80 Gewichtsprozent ein Gewicht von > 200g aufweisen, nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 LMIV i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB verstößt und nicht um den Zusatz „Formfleisch-“ zu ergänzen ist.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die von der Klägerin nach § 43 Abs. 1 VwGO erhobene Feststellungsklage ist zulässig und begründet.
I.
Die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO ist zulässig.
1. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem solchen Rechtsverhältnis ist die rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache zu verstehen (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 43 Rn. 11 m.w.N.).
Die Klägerin will festgestellt wissen, dass die Bezeichnung „Delikatess Putenbraten, aus Fleischstücken zusammengefügt“ für das von der Klägerin hergestellte Erzeugnis aus Putenfleisch, bei dem die eingesetzten Putenteilstücke entsprechend dem Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 04.08.2015 nach dem Füllen, aber noch vor dem Garen zu weniger als 80 Gewichtsprozent ein Gewicht von > 200g aufweisen, nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 LMIV i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB verstößt und nicht um den Zusatz „Formfleisch-“ zu ergänzen ist und zielt damit auf das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab.
2. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung.
Das Rechtsschutzinteresse für eine derartige Klage ist ausnahmsweise dann gegeben, wenn der Betroffene nicht in zumutbarerer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Hat die Verwaltungsbehörde die Klägerin – so wie vorliegend – aber einer Rechtsverletzung bezichtigt, ist es zur Bejahung des Feststellungsinteresses ausreichend, wenn allein die Möglichkeit besteht, sich strafbar zu machen oder eine Ordnungswidrigkeit zu begehen (vgl. VG Trier NVwZ-RR 2005, 33). Ob die entsprechenden Verfolgungsbehörden bereits ein Verfahren eingeleitet haben, ist unbeachtlich (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO § 43 Rn. 89, beck-online). Es ist ihr nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen „von der Anklagebank herab“ zu führen. In diesem Fall besteht ein als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse, den Verwaltungsrechtsweg als sachnähere und fachspezifische Rechtsschutzform einzuschlagen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. April 2003 – 1 BvR 2129/02; BVerwG, Beschluss vom 8. August 1988 – 3 B 91.87; Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 7 C 13.12; VGH BW, Urteil vom 11. Februar 2010 – 9 S 1130/08).
II.
Die Feststellungsklage ist darüber hinaus auch begründet.
Die Bezeichnung „Delikatess Putenbraten, aus Fleischstücken zusammengefügt“ für das von der Klägerin hergestellte Erzeugnis aus Putenfleisch, bei dem die eingesetzten Putenteilstücke entsprechend dem Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 04.08.2015 nach dem Füllen, aber noch vor dem Garen zu weniger als 80 Gewichtsprozent ein Gewicht von > 200g aufweisen, verstößt nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 LMIV i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB und ist nicht um den Zusatz „Formfleisch-“ zu ergänzen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH muss das nationale Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob eine Etikettierung den Käufer irreführen kann, hauptsächlich auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstellen, die dieser in Bezug auf den Ursprung, die Herkunft und die Qualität des Lebensmittels hegt, wobei es hauptsächlich darauf ankommt, dass der Verbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat (EuGH, Urteil vom 04.06.2015, C-195/14, Rn. 36). Es kommt also darauf an, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird. Maßgeblich für die Irreführungsgefahr ist damit die Verkehrsauffassung. Diese kann vom Gericht in eigener Sachkunde beurteilt werden, wenn es sich um einen Begriff handelt, dessen Verständnis in einem bestimmten Sinn einfach und naheliegend ist, die Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und sich die Angabe auf Gegenstände des allgemeinen Bedarfs bezieht (BGH, Urteil vom 10. August 2000 – I ZR 126/98 – NJW-RR 2000; 1640, BayVGH, Urteil vom 11. Mai 2017 – 20 B 16.203 -, Rn. 44, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. September 2013 – 8 A 10219/13.OVG – LKRZ 2013, 524 sowie DÖV 2014, 45).
Vor diesem Hintergrund verneint die erkennende Kammer einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot aus Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, soweit die Bezeichnung „Delikatess Putenbraten, aus Fleischstücken zusammengefügt“ für das von der Klägerin hergestellte Erzeugnis aus Putenfleisch, bei dem die eingesetzten Putenteilstücke nach dem Füllen, aber noch vor dem Garen zu weniger als 80 Gewichtsprozent ein Gewicht von > 200g aufweisen, verwendet wird.
Gem. Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (im Folgenden: LMIV) wird ein Lebensmittel mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnet. Fehlt eine solche, so wird das Lebensmittel mit seiner verkehrsüblichen Bezeichnung oder, falls es keine verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, mit einer beschreibenden Bezeichnung bezeichnet. Gem. Art. 17 Abs. 5 LMIV enthält der Anhang VI spezielle Vorschriften für die Bezeichnung eines Lebensmittels und die Angaben, die dazu zu machen sind. In Anhang VI (Bezeichnung des Lebensmittels und spezielle zusätzliche Angaben) heißt es unter Nr. 7 Teil A (Verpflichtende Angaben zur Ergänzung der Bezeichnung des Lebensmittels) wie folgt:
„Fleischerzeugnisse, Fleischzubereitungen und Fischereierzeugnisse, die den Anschein erwecken könnten, dass es sich um ein gewachsenes Stück Fleisch oder Fisch handelt, die jedoch tatsächlich aus verschiedenen Stücken bestehen, die durch andere Zutaten, einschließlich Lebensmittelzusatzstoffe und Enzyme, oder durch andere Mittel zusammengefügt sind, tragen den folgenden Hinweis:
auf Deutsch: „aus Fleischstücken zusammengefügt“ und „aus Fischstücken zusammengefügt“; “
Wenn der Beklagte nun ausführt, dass das Signalwort „Formfleisch“ bei derartigen Erzeugnissen mittlerweile fester Bestandteil der Verkehrsbezeichnung und somit auch weiterhin zur ausreichenden Kennzeichnung derartiger Erzeugnisse im Sinne der „verkehrsüblichen Bezeichnung“ gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) der LMIV notwendig sei, mit der Folge, dass diese (verkehrsübliche) Bezeichnung gem. Art. 17 Abs. 1 und 5 i.V.m. Anhang VI Teil A Nr. 7 durch den Zusatz „aus Fleischstücken zusammengefügt“ ergänzt werden müsse, so kann dem nicht gefolgt werden.
Die Definition, was unter einer verkehrsüblichen Bezeichnung zu verstehen ist, ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV. Verkehrsüblich ist danach „eine Bezeichnung, die von den Verbrauchern in dem Mitgliedstaat, in dem das Lebensmittel verkauft wird, als Bezeichnung dieses Lebensmittels akzeptiert wird, ohne dass eine weitere Erläuterung notwendig wäre“. Eine wichtige Auslegungshilfe bei der Feststellung der Verkehrsauffassung über ein bestimmtes Lebensmittel stellen grundsätzlich die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches dar, in denen auf der Grundlage des § 15 LFGB Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln, die für die Verkehrsfähigkeit der Lebensmittel von Bedeutung sind, beschrieben werden (vgl. Voit/Grube/Grube LMIV Art. 17 Rn. 73, beck-online). Zwar führen die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse unter ihrer Nr. 2.19 aus, dass bei Formfleischerzeugnissen zur Vermeidung einer Verwechslung von Formfleischerzeugnissen mit vergleichbaren Erzeugnissen aus gewachsenem Fleisch in der Bezeichnung des Lebensmittels das Wort „Formfleisch-“ vorangestellt und außerdem in unmittelbarer Verbindung mit der Bezeichnung des Lebensmittels und in gleicher Schriftgröße darauf hingewiesen wird, dass Fleischstücke zusammengesetzt sind (z. B. Formfleisch-Schinken, aus Fleischstücken zusammengefügt, Formfleisch-Roulade, aus Fleischstücken zusammengefügt, Formfleisch-Gulasch, aus Fleischstücken zusammengefügt).
Die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches sind jedoch keine Rechtsnormen, weil sie weder Gesetz noch Rechtsverordnung sind (vgl. Voit/Grube/Grube LMIV Art. 17 Rn. 73, beck-online). Anderenfalls wären die darin geregelten Bezeichnungen auch die „rechtlichen Bezeichnungen“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 S. 1 LMIV. Die Leitsätze begründen aber grundsätzlich eine (widerlegliche) Vermutungswirkung dafür, was der Verbraucher von einem in den Leitsätzen beschriebenen Lebensmittel erwartet (BVerwG, LRE 22, 35; VG Arnsberg, LMRR 2009, 61 und Voit/Grube/Grube LMIV Art. 17 Rn. 73, beck-online). Die Leitsätze können zwar als sachverständige Beschreibung der für die Verkehrsfähigkeit bedeutsamen Herstellung, Beschaffenheit und sonstigen Merkmale von Lebensmitteln unter Umständen entsprechende bestehende oder künftig herauszubildende Erwartungen der Verbraucher nahelegen, sind aber nicht in jedem Fall zuverlässige Abbilder des aktuellen Verbraucherverständnisses (vgl. OLG Köln, Urteil vom 18. November 2011 – I-6 U 119/11 -, Rn. 6, juris), sodass sich die Leitsätze bei ihrer Anwendung im Einzelfall einer Überprüfung durch das Gericht zu unterziehen haben (vgl. Zipfel/Rathke LebensmittelR/Rathke LFGB § 15 Rn. 26, beck-online). Beschränkt sich das Gericht nämlich darauf, den Inhalt eines Leitsatzes ohne eigene Prüfung in die Entscheidung zu übernehmen, erhält dieser Leitsatz eine quasi-normative Bedeutung, die im Hinblick auf die Harmonisierung der Irreführungsverbote durch die Richtlinie 2000/13/EG gemeinschaftsrechtlich nicht akzeptabel ist (vgl. Zipfel/Rathke LebensmittelR/Rathke LFGB § 15 Rn. 6a, beck-online). So hat auch der EuGH in seinem Urteil vom 09. Februar 1999 (Az.: C-383/97, Rn. 41 und 42, juris) die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse im Ergebnis nicht berücksichtigt. Den Leitsätzen des deutschen Lebensmittelbuchs kommt demnach eine wichtige Funktion hinsichtlich der Beschreibung der Herstellung und der Merkmale und dem Schutz der Qualität der beschriebenen Erzeugnisse zu. Dies besagt aber nichts darüber, ob diese Bezeichnungen auch vom Verbraucher ohne weitere Erläuterung akzeptiert werden. Dies bedarf jeweils einer Beurteilung im Einzelfall (vgl. Zipfel/Rathke LebensmittelR/Meisterernst LMIV Art. 2 Rn. 113, beck-online).
Nach dieser durchzuführenden Einzelfall-Beurteilung kann nicht davon ausgegangen werden, dass „Formfleisch-Putenbraten“ die verkehrsübliche Bezeichnung i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV für das streitgegenständliche Produkt ist. Eine verkehrsübliche Bezeichnung muss nämlich so gefasst sein, dass der Verbraucher sich eine konkrete Vorstellung von der Beschaffenheit des Lebensmittels machen kann, ohne dass eine weitere Erläuterung notwendig wäre (vgl. Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV und Voit/Grube/Grube LMIV Art. 17 Rn. 75, beck-online). Ebenso wenig verstößt die Bezeichnung „Putenbraten, aus Fleischstücken zusammengefügt“ gegen das Irreführungsverbot aus Art. 7 Abs. 1 LMIV, da es sich dabei um eine nach europäischen Rechtsvorschriften zulässige Bezeichnung handelt und der Verbraucher durch diese Bezeichnung zutreffend, klar und für den Verbraucher leicht verständlich informiert wird. Die Bezeichnung ist daher auch nicht um den Zusatz „Formfleisch-“ zu ergänzen.
Kommt ein durchschnittlich informierter, verständiger und aufmerksamer Verbraucher mit einem Fleischerzeugnis, das mit dem Zusatz „Formfleisch-“ versehen ist, in Berührung, so hat er vielfach keine konkrete und insbesondere häufig keine korrekte Vorstellung über die tatsächliche Beschaffenheit des Produkts. Dem durchschnittlich informierten Verbraucher mag durch den Zusatz „Formfleisch-“ vielleicht noch signalisiert werden, dass es sich um ein Fleischerzeugnis handelt, das aus mehreren Fleischstücken zusammengesetzt ist. Eine Vorstellung darüber, wie groß die einzelnen Fleischstücke sind oder sein müssen, damit das Signalwort „Formfleisch-“ vorangestellt werden muss, hat der Durschnittsverbraucher dagegen nicht. Aber selbst, wenn sich der Verbraucher Gedanken über die einzelnen Stückgrößen macht, so hat er in aller Regel keine Kenntnis von dem ALTS-Beschluss zu TOP 27 der 71. Arbeitstagung 2013, wonach die Stückgrößen für Slicer-/Darmware 80 Gew.-% > 100 g für Hähnchenbrust bzw. 80 Gew.-% > 200 g für Putenbrust festgelegt wurden und Produkte, die diese Stückgrößenanforderungen erfüllen ohne ergänzenden Bezeichnung in Bezug auf das Zusammenfügen verkehrsfähig sind und kann sich unter dieser Stückgrößen-Angabe nichts vorstellen. Der durchschnittlich informierte Verbraucher geht vielmehr (fälschlicherweise) regelmäßig davon aus, dass es sich bei „Formfleisch“ um Fleischabfälle, kein „echtes“ Fleisch oder gewolftes, gekuttertes oder in ähnlicher Weise zerkleinertes Fleisch handelt. Gewolftes, gekuttertes oder in ähnlicher Weise zerkleinertes Fleisch darf für sog. „Formfleisch“ nach den Leitsätzen jedoch gerade nicht verwendet werden (vgl. Nr. 2.19 der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse). Insofern führt gerade die Bezeichnung „Formfleisch“ den Verbraucher häufig in die Irre, da er aufgrund des Zusatzes „Formfleisch“ vielfach falsche Vorstellungen über die Eigenschaften der Fleischerzeugnisse hat, sodass sich der Verbraucher auch keine konkrete Vorstellung von der Beschaffenheit des Lebensmittels machen kann, ohne dass eine weitere Erläuterung notwendig wäre. Damit entspricht der vorangestellte Zusatz „Formfleisch-“ auch nicht den Anforderungen an eine verkehrsübliche Bezeichnung i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV. Im Übrigen ist der vorangestellte Zusatz von „Formfleisch“ auch nicht mit Art. 7 Abs. 2 LMIV in Einklang zu bringen, wonach Informationen über Lebensmittel zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein müssen. Für den Verbraucher viel klarer und verständlicher ist dagegen (allein) der zutreffende Zusatz „aus Fleischstücken zusammengefügt“, so wie ihn nun auch Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Teil A Nr. 7 LMIV verpflichtend vorschreibt. Der vorangestellte Zusatz „Formfleisch-“ bringt für den Durchschnittsverbraucher hingegen keine weitergehenden Erkenntnisse in Bezug auf die Eigenschaft des Fleischerzeugnisses.
Das Gericht ist der Auffassung, dass der EU-Gesetzgeber mit Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Teil A Nr. 7 LMIV eine Regelung geschaffen hat, die zum Ausdruck bringt, dass er die Kennzeichnung von sog. „Formfleisch“ durch den wörtlich vorgeschriebenen Hinweis „aus Fleischstücken zusammengefügt“ als ausreichend und für den Verbraucher verständlich kenntlich gemacht ansieht. Der EU-Gesetzgeber hat insoweit den zu verwendenden Wortlaut vorgeschrieben, wenn die Regelung eingreift, d. h. wenn es sich um ein Fleischerzeugnis handelt, das den Anschein erwecken könnte, dass es sich um ein gewachsenes Stück Fleisch handelt, das jedoch tatsächlich aus verschiedenen Stücken besteht, die durch andere Zutaten oder durch andere Mittel zusammengefügt sind (vgl. auch Voit/Grube/Grube LMIV Art. 17 Rn. 223, beck-online).
Da eine nach europäischen Rechtsvorschriften zulässige Bezeichnung nicht gegen das Irreführungverbot aus Art. 7 Abs. 1 LMIV verstoßen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992 – 3 C 33/89 -, Rn.52, juris) und der zutreffende Zusatz „aus Fleischstücken zusammengefügt“ den Verbraucher im Hinblick auf die Eigenschaft des Fleischerzeugnisses als nicht gewachsenes Stück Fleisch zutreffend klar und verständlich informiert, war der Klage somit stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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