Europarecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für eine ivorische Staatsangehörige

Aktenzeichen  W 2 K 18.30510

Datum:
20.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34065
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die drohende Gefahr der Tötung durch den ehemaligen Arbeitgeber, der in kriminelle Machenschaften verstrickt war, knüpft nicht an einen flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG an. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die gem. § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit der Beteiligten verhandelt werden konnte, ist hinsichtlich des im Hauptantrag erhobenen Begehrens auf Neuverbescheidung bereits unzulässig. Da die verfahrensgegenständlichen Ansprüche keine Ermessensansprüche sind und die Klägerinnen bereits das gesamte Asylverfahren beim Bundesamt durchlaufen hat, verbleibt kein Raum für eine Verpflichtung zur Neuverbescheidung. Die Klage ist insoweit bereits unstatthaft.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 16. Februar 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerinnen haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Anerkennung als Asylberechtigte oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Es liegen keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind rechtmäßig.
1.1 Eine Anerkennung der Klägerinnen als Asylberichtigte ist bereits aufgrund seiner Einreise auf dem Landweg gemäß Art. 16a Abs. 1 GG i.V.m. § 26a Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Anlage I zum AsylG ausgeschlossen. Denn jede Einreise auf dem Landweg erfolgt zwingend über einen sicheren Drittstaat.
1.2 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gemäß § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gem. Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig ist, oder die gem. Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen haben die Klägerinnen eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung in der Elfenbeinküste nicht glaubhaft gemacht. Aufgrund ihres Fernbleibens der mündlichen Verhandlung, zu der sie ordnungsgemäß geladen waren, kann das Gericht dabei lediglich die Einlassungen der Klägerin zu 1) beim Bundesamt würdigen, wie sie in den Protokollen in der beigezogenen Behördenakte dokumentiert sind. Diese lassen bereits erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der geschilderten Bedrohung durch den ehemaligen Chef der Klägerin zu 1) aufkommen. Im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kann die Glaubhaftigkeit ihres Sachvortrags jedoch dahinstehen, da auch bei Wahrunterstellung eine Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrechtlich relevantes Merkmal im Sinne von § 3b AsylG nicht in Betracht kommt. Die Klägerin zu 1) macht lediglich geltend, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber sie habe töten lassen wollen, weil sie in seinem Haushalt einen Behälter mit zerstückelten Leichenteilen geöffnet habe. Damit stellt sich die behauptete Gefahr allenfalls als kriminelles Unrecht dar. Einen überindividuellen Verfolgungsgrund, wie er im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung notwendig ist, macht die Klägerin nicht geltend.
Ein eigenständiger Fluchtgrund wurde für die Klägerin zu 2) weder geltend gemacht, noch ist ein solcher ersichtlich.
Damit scheidet ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Klägerinnen aus.
1.3 Sie haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Weder die Vollstreckung noch Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht.
Auch im Hinblick auf die behauptete Bedrohung durch den ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin zu 1) besteht zur Überzeugung des Gerichts für die Klägerinnen nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung. Auch in diesem Zusammenhang kann der Wahrheitsgehalt der wenig schlüssigen, oft widersprüchlichen und zudem sehr oberflächlichen Einlassungen der Klägerin zu 1) beim Bundesamt letztlich offen bleiben. Denn schon nach eigenem Vortrag hat sich die Klägerin nicht an die bei einer Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure gemäß § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorrangig zuständigen Sicherheitsbehörden der Elfenbeinküste gewandt. Allein der pauschale Hinweis, es bringe in Afrika nichts gegen solche hochsituierten Menschen vorzugehen, enthebt die Klägerin nicht der Obliegenheit, sich zunächst innerhalb des Landes an die eigenen Sicherheitskräfte zu wenden. So bestehen nach aktueller Erkenntnislage auch keine Hinweise dafür, dass die Polizei und Justiz der Elfenbeinküste generell nicht fähig oder nicht willens wären, gegen kriminelles Unrecht seitens privater Dritter einzuschreiten. Im Übrigen stand und stehen der Klägerin zu 1), die über eine vierjährige Schulbildung, eine Ausbildung als Friseurin sowie Erfahrungen im haushaltsnahen Dienstleistungsgewerbe verfügt, zahlreiche Fluchtalternativen in den Ballungszentren innerhalb der Elfenbeinküste zur Verfügung. Denn gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m § 3e AsylG wird dem Ausländer der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht und er legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Mit den für die Flucht aufgewandten 80.000 CFA Franc hätten sie zudem ein bescheidenes Startkapital gehabt, mit dem sie sich zumutbar in einem der zahlreichen Ballungsräume der Elfenbeinküste hätten niederlassen können, ohne dass ihr ehemalige Arbeitgeber sie hätte aufspüren können.
Mithin steht den Klägerinnen kein Anspruch auf den subsidiären Schutzstatus zu.
1.4 Es liegen auch keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24. Mai 2000 – 9 C 34/99 – juris Rn. 11).
Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Antragstellers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Antragstellers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v 27. Mai 2008 – 26565/05, U.v. 28. Juni 2011 – 8319/07). Solche Umstände liegen in der Person der Klägerinnen auch unter Berücksichtigung der besonderen Vulnerabilität der Klägerin zu 2 als Kleinkind nicht vor. Für die allgemein wirtschaftliche und soziale Lage wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bundesamtsbescheid wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Ergänzend wird ausgeführt, dass die Klägerinnen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes auch auf Unterhaltsleistungen des Ehemanns und Vaters (Kläger im Verfahren W 2 K 18.30349) werden zurückgreifen können – sei es durch eine Erwerbs- und Lebensgemeinschaft in der Elfenbeinküste, sei es durch finanzielle Unterhalts- und Unterstützungsleistungen gegebenenfalls aus dem Ausland. Im Übrigen besteht entsprechend der Gratuité Ciblée für die Klägerin zu 2) als Kind unter fünf Jahren ein kostenloser Zugang zur Gesundheitsversorgung (vgl. zur Gratuité Ciblée: Auskunft der Schweizer Flüchtlingshilfe zur Medizinischen Versorgung in der Elfenbeinküste, 7. September 2012, S. 2).
Gesundheitliche Einschränkungen im für § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevanten Schweregrad sind weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
1.5 Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind.
1.6 Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG


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