Europarecht

Kommando Spezialkräfte, Bereich Ausbildung

Aktenzeichen  S 3 BLa 5/20

Datum:
10.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41965
Gerichtsart:
Truppendienstgericht Süd
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Dem Antrag wird stattgegeben.
2. Die am 16. März 2020 gegenüber dem Antragsteller durch den Kommandeur Kommando Spezialkräfte ergangenen Anordnungen des Verbots der Ausübung des Dienstes und des Uniformtrageverbots sowie der bestätigende Beschwerdebescheid des Kommandeurs Einsatz und Stellvertretenden Inspekteurs des Heeres vom 16. April 2020 (Az. 25-05-13/05/20) werden aufgehoben.
3. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Truppendienstgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten wird für notwendig erachtet.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Berufssoldat. Seine Dienstzeit wird mit dem Ablauf des 31. März 2028 enden. Er war im Bereich Ausbildung des Kommandos Spezialkräfte bis zu den gegen ihn durch den Kommandeur Kommando Spezialkräfte erstmalig am 2. Dezember 2019 und zuletzt am 13. März 2020 ausgesprochenen Anordnungen des Verbots der Ausübung des Dienstes sowie des Uniformtrageverbots eingesetzt. Gegen Letztere wendet er sich nunmehr über seinen Verfahrensbevollmächtigten mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
Mit Schreiben vom 29. November 2019 unterrichtete das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) die personalführende Stelle des Antragstellers erstmalig darüber, dass der Antragsteller als Verdachtsperson in der Bundeswehr geführt werde, da gegen ihn vorhaltbare Erkenntnisse mit Bezug zum Extremismus vorlägen. Auf der Grundlage dieser Mitteilung verfügte der Kommandeur Kommando Spezialkräfte gegen den Antragsteller erstmalig am 2. Dezember 2019 nach § 22 Soldatengesetz (SG) bis auf Weiteres das Verbot der Ausübung des Dienstes und des Tragens der Uniform. Dem hiergegen zuletzt gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Verfahrensbevollmächtigten vom 01. April 2020 gab die Kammer mit Beschluss vom 10. März 2021 (Az. S 3 BLa 03/20) statt.
Zwischenzeitlich hatte das BAMAD die personalführende Dienstelle mit Schreiben vom 4. Februar 2020 darüber ergänzend unterrichtet, dass nach weiteren Recherchen festgestellt worden sei, dass der Antragsteller ein „Facebook-Profil“ mit dem Namen „D“ besitze, welches „eine große Anzahl von „Likes“ bzw. Kommentierungen mit Bezügen zum Phänomenbereich Rechtsextremismus/Neue Rechte/Einwanderungsthematik sowie zur Reichsbürgerszene“ aufweise. Unter Verweis auf Screenshots der jeweils konkret in Bezug genommenen Beiträge aus den Jahren 2015 bis 2018 sei festzustellen, dass
– ausdrücklich herausgestellt werde, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat, sondern eine Verwaltung wäre, die der Antragsteller mit der Veröffentlichung dieser These unterstütze und verbreite,
– die Ablehnung der „GEZ-Gebühr“ als Zwangsabgabe eine typische Reichsbürgerdiktion darstelle, die der Antragsteller ebenfalls öffentlich verbreite,
– der Antragsteller öffentlich fälschlich herausstelle, dass die Zugehörigkeit zu einer Rasse identitätsstiftend sei. Damit negiere er die grundgesetzlich garantierte Gleichheit aller Menschen und verbreite Thesen, die der NS-Rassenlehre entsprächen.
Unter den vom Antragsteller bewerteten Publikationen befänden sich auch solche, die Verbindungen zu Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes aufwiesen. Dies untermauere die bisherige Auffassung, dass der Antragsteller der freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenstehende Ideologien unterstütze. Die Einschätzung vom 2. Dezember 2019 werde daher aufrechterhalten und der Antragsteller weiterhin als „Verdachtsperson mit Erkenntnissen über fehlende Verfassungstreue“ bewertet.
Nach schriftlicher Anhörung ordnete der Kommandeur Kommando Spezialkräfte am 16. März 2020 erneut gegen den Antragsteller gemäß § 22 SG bis auf Weiteres das Verbot der Ausübung des Dienstes an und untersagte ihm zugleich das Tragen der Uniform. Nach dem Inhalt der Datenübermittlung des BAMAD habe der Antragsteller über seinen Facebook-Account „D“ zwischen 2015 und 2018 Einträge mit einschlägigen Inhalten der Reichsbürgerszene, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus eingestellt, beziehungsweise geteilt. Dies betreffe insbesondere einen Beitrag, in dem durch Vergleich der Eintragung der Staatsangehörigkeit auf Ausweisdokumenten verschiedener Nationen darauf abgehoben werde, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat, sondern nur eine Verwaltung sei. Daneben habe der Antragsteller am 02. Oktober 2018 einen Beitrag über die „Chemtrailtheorie“ und am 26. November 2015 eine Seite eines „GEZ-Gegners“ mit „gefällt mir“ markiert. Am 09. Juni 2017 habe er einen Beitrag mit nachfolgendem Inhalt „eingestellt“:
„Deutschland aktuell: Ein Afghane ersticht ein Kind…Ein Rumäne erschlägt eine Joggerin…Ein Kameruner messert ein Mädchen…Zwei Syrer stechen einen Landsmann…Ein Bulgare tritt eine Frau die Treppe…Tunesier fährt mit LKW in…Ein Ghanaer vergewaltigt eine Frau…Ein Afghane killt eine junge Studentin…Was machen eigentlich die Deutschen? Arbeiten, um das zu finanzieren…“
Im weiteren Verlauf habe der Antragsteller am 15. Juli 2018 einen Beitrag geteilt, der einen Vergleich zwischen Beate Zschäpe und Dr. Angela Merkel mit den Worten, „wenn Beate lebenslänglich kriegt, weil sie von Morden wusste…wieviel Jahre kriegt dann Angela, weil sie wissentlich Mörder und Terroristen eingeladen hat“, illustriert.
Darüber hinaus habe er am 19. Juli 2017 die Seite „Konservative Revolution“ mit „gefällt mir“ markiert. Auf dieser Seite werde die These „Multikulturalismus baut auf dem Fehlschluss auf, alle Menschen und Menschengruppen seien von Natur aus gleich, obwohl das Gegenteil zutrifft“, vertreten. Im gleichen Themenfeld habe der Antragsteller schließlich am 22. Oktober 2018 die Seite „Deutsche Weltanschauung“ mit „gefällt mir“ markiert. Hierauf werde mit den einleitenden Worten, „Rasse ist ein wichtiger Aspekt der individuellen und kollektiven Identität“ die Theorie des „Rassenrealismus“ vertreten. Aus den aufgezeigten Beiträgen und markierten Seiten ließen sich begründete Zweifel an der Einstellung des Antragstellers zur verfassungsmäßigen Ordnung ableiten. Durch die benannten Anhaltspunkte, auch vor dem Hintergrund der andauernden Presseberichterstattung mit dem Fokus auf dem Kommando Spezialkräfte, bestehe die Gefahr der massiven Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr in der Öffentlichkeit. Dies stelle einen zwingenden Grund im Sinne des § 22 SG dar und mache es derzeit untragbar, den Antragsteller bis zur Klärung des Sachverhalts im Dienst zu belassen und ihm das Tragen der Uniform zu gestatten.
Mit Telefax vom 17. März 2020, beim Kommandeur Kommando Spezialkräfte am selben Tag eingegangen, legte der Antragsteller über seinen Verfahrensbevollmächtigten sowohl gegen die Anordnung des Verbots der Ausübung des Dienstes als auch gegen die Anordnung des Uniformtrageverbots Beschwerde ein, die er mit Schriftsatz vom 13. April 2020 begründete. Das Facebook-Konto des Antragstellers sei nur für verbundene und freigegebenen Freunde und Bekannte sichtbar, da er es von Anfang an auf „privat“ gestellt habe. Zusätzlich habe er den Namen „D“ gewählt, um sicherzustellen, dass kein Bezug zu ihm oder seinem Beruf als Soldat hergestellt werden könne. Lediglich einige wenige seiner Kameraden seien Mitglied seiner Freundesgruppe. Er habe sich stets kritisch mit politischen Themen auseinandergesetzt und Artikel, die er lesenswert oder skurril gefunden habe, geteilt. Beiträge, die durch ihn mit einem „Like“ versehen worden seien, bedeuteten nicht zwangsläufig die vollumfängliche Zustimmung zum gesamten Bericht. Oftmals beziehe sich der „Like“ auf eine Überschrift oder ein Foto oder sei nur Ausdruck des Respekts vor dem Verfasser, ein bestimmtes Thema aufgegriffen zu haben. In den meisten Fällen sei es ihm nur darum gegangen, weitere Informationen von diesen – als auch weiteren – Seiten zu erhalten. Er habe sich damit lediglich im Rahmen der ihm nach Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zustehenden Möglichkeiten bewegt, keine Beiträge selbst erstellt und lediglich Wissen geteilt. Die Ideen der sogenannten Reichsbürger lehne er ab und könne sie nicht ernst nehmen. Sein Eid gelte weiterhin dem souveränen Staat, der Bundesrepublik Deutschland. Insgesamt sei zu bemängeln, dass die Ausführungen des Kommandeurs Kommando Spezialkräfte in der angefochtenen Verbotsverfügung nicht ansatzweise konkret genug seien, um eine Pflichtverletzung des Antragstellers zu beschreiben, um sich sinnvoll dagegen zu verteidigen. Auch sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich eines in Betracht kommenden milderen Mittels als das Verbot der Ausübung des Dienstes den Akten nicht zu entnehmen. Diese seien im Übrigen nicht paginiert oder sonst gegen Manipulation geschützt.
Mit Bescheid vom 16. April 2020 (Az. 25-05-13/05/20), wies der Kommandeur Division Schnelle Kräfte die Beschwerde als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er – unter Darstellung von Bildaufnahmen diverser, sich unter dem Facebook-Account mit dem Namen „D“ befindlicher Beiträge – aus, der Antragsteller habe unter diesem Namen die im Folgenden bezeichnete Artikel „geliked“, sich damit ihren Inhalt zu eigen gemacht und dadurch an Dritte weitergeleitet. Der Antragsteller stelle nicht in Abrede, jenes Profil unterhalten zu haben, was auch durch eine Zeugenaussage bestätigt werde. Er stehe im Verdacht, zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls zwischen dem 14. Oktober 2015 und dem 06. Februar 2020 den abgebildeten Beitrag (Bild Nr. 1), der Staatsangehörigkeitsbezeichnungen in amtlichen Ausweisen vergleiche und zu dem Schluss komme, die Bundesrepublik Deutschland sei kein Staat, sondern nur eine Verwaltung, „geliked“ zu haben. Damit habe er sich mutmaßlich die Argumentation der sogenannten Reichsbürgerbewegung, welche die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugne, zu eigen gemacht. Jedenfalls habe er einen solchen Anschein erweckt, anstatt sich eindeutig von dieser Aussage zu distanzieren. Damit habe er es unterlassen, für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetztes einzutreten, was er zumindest hätte wissen müssen und können. Dafür spreche auch, dass er andere reichsbürgertypische Äußerungen befürwortet habe. So stehe er ebenfalls in Verdacht, am 02. Oktober 2018 einen Artikel über die sogenannten Chemtrails (Bild Nr. 2), wonach giftige Substanzen in die Abgase von Flugzeugen beigemischt würden und am 26. November 2015 einen Beitrag über GEZ-Gebühren (Bild Nr. 3), der sich kritisch mit Rundfunkgebühren auseinandersetze und diese als Zwangsabgaben bezeichne, jeweils „geliked“ zu haben. Dieser Befürwortung der Artikelinhalte stehe der pauschale Vortrag, die Ideen der Reichsbürger abzulehnen, geradezu entgegen. Ein „Like“ bei Facebook stelle nicht nur eine bloße Befürwortung dar. Er führe auch dazu, dass diejenigen, die in dem jeweiligen User-Profil als „Freunde“ geführt seien, vom dem „Like“ informiert würden. Damit habe der Antragsteller die jeweiligen Beiträge auch verbreitet. Anderen Soldaten sei bekannt gewesen, wer sich hinter dem Namen „D“ verberge. Dies habe der Antragsteller selbst eingeräumt und es sei durch eine Zeugenaussage belegt. Außerdem seien die vom Antragsteller mit einem „Like“ versehenen Beiträge auf den nicht auf „privat“ gestellten Facebook-Seiten seiner dortigen „Freunde“ erschienen. Damit sei das Verhalten des Antragstellers auf Facebook auch „öffentlich“ geworden. Der Verdacht des „Likens“ des Beitrags „Deutschland aktuell…“ (Bild Nr. 4) am 09. Juni 2017 wiege schwer, da es sich um einen fremdenfeindlichen Inhalt handele. Er suggeriere, dass in Deutschland Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit schwere Straftaten begingen, die die Bundesregierung beziehungsweise die Landesregierungen tolerieren würden. Aus dem Kontext des Beitrags ergebe sich, dass mit der Formulierung „Arbeiten, um das zu finanzieren“, die Einwanderungspolitik Deutschlands und die (finanzielle) Unterstützung von Asylsuchenden durch den deutschen Staat gemeint sei. Die undifferenzierte Darstellung und Beschuldigung nichtdeutscher Personen als Straftäter stigmatisiere diese, was potentiell dazu geeignet sei, gegen Ausländer zu undifferenzierter Hetze anzustacheln. Da der Inhalt des Beitrags weder mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar noch von der allgemeinen Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG gedeckt sei, bestünden durch das undifferenzierte Befürworten und damit auch das Verbreiten seines Inhalts schwerwiegende Zweifel an der Bereitschaft des Antragstellers, jederzeit uneingeschränkt für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Weiterhin sei der Antragsteller verdächtig, am 15. Juli 2018 einen vergleichenden Beitrag zwischen Beate Zschäpe und Dr. Angela Merkel und den Worten, „wenn Beate lebenslänglich kriegt, weil sie von Morden wusste…wieviel Jahre kriegt dann Angela, weil sie wissentlich Mörder und Terroristen eingeladen hat“, der mit den Worten „Revolution 2.0 – schließt Euch an dem Deutschen Widerstand“ (Bild Nr. 5) unterzeichnet sei, „geliked“ zu haben. Ferner solle der Antragsteller die Worte, „und absolut zutreffend“ hinzugefügt haben. Hierdurch habe der Antragsteller den nationalsozialistisch motivierten Terror der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verharmlost, statt sich von ihr zu distanzieren und es damit ebenfalls unterlassen, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Die Behauptung im Beitrag, dass die Bundeskanzlerin „Mörder und Terroristen“ nach Deutschland einlade, habe keinen sachlichen Inhalt mehr und diene ausschließlich der Diffamierung der Bundeskanzlerin. Selbst wenn das Handeln des Antragstellers noch unter die freie Meinungsfreiheit fiele, sei es mit seiner Zurückhaltungspflicht als Vorgesetzter gemäß § 10 Abs. 6 SG unvereinbar. Schließlich stehe der Antragsteller im Verdacht, am 19. Juli 2018 den Inhalt eines Beitrags der „Konservative Revolution“ mit Foto und Zitat von H.P. Lovecraft (Bild Nr. 6), „nur ein verdammter Narr kann erwarten, dass ein Volk einer Tradition sich wohl dabei fühlt, wenn sein Land mit Scharen von Fremden geflutet wird, die – seien sie nun gleichwertig oder biologisch höherwertig oder minderwertig – so entgegengesetzt sind in ihrer physischen, emotionalen und intellektuellen Zusammensetzung, sodass ein harmonisches Zusammenwachsen nahezu unmöglich gemacht wird“; befürwortet und somit auch verteilt zu haben. Dies, obwohl er zumindest hätte wissen müssen und können, dass bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung „Konservative Revolution“ antidemokratische Denker aktiv gewesen seien, auf die sich insbesondere die seit den 1970iger Jahren die geistige Strömung der sogenannten Neuen Rechten berufe. Jene wiederum setzten sich für eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus und die Beseitigung, zumindest Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates ein. Aufgrund der dargestellten Erkenntnisse habe der Kommandeur Kommando Spezialkräfte zu Recht zu der begründeten Überzeugung gelangen dürfen, dass dienstliche Gründe im Sinne des § 22 SG es zwingend erforderten, dem Antragsteller die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform zu verbieten. Bereits der hinreichende Verdacht, Anhänger der Reichsbürgerideologie zu sein, trage diese Entscheidung. Kein Soldat der Bundeswehr könne der Aussage zustimmen, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat, sondern eine Verwaltung sei, ohne dass damit zugleich schwerwiegende Zweifel an seiner uneingeschränkten Loyalität gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 8 SG bestünden. Jene werde vielmehr mit dem Leugnen der Existenz der Bundesrepublik Deutschland absolut infrage gestellt. Von dieser Aussage habe sich der Antragsteller auch nicht anlässlich der Konfrontation mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen oder in der Beschwerdebegründung distanziert oder sie in glaubhafter Weise relativiert. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Bundeswehr einen Soldaten auch nur vorläufig akzeptiere, der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehne. Es sei daher weder dem Dienstherrn noch seinen Kameraden zuzumuten, dass der Antragsteller bis zur Aufklärung der Vorwürfe Dienst in der Bundeswehr leiste. Dies würde auch das Ansehen der Bundeswehr erheblich beeinträchtigen. Es könne der Eindruck in der Öffentlichkeit entstehen, die Bundeswehr dulde es, wenn ihre Soldaten die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht anerkennen würden. Dies wäre nicht nur für die Öffentlichkeit ein untragbarer Zustand, sondern auch für die Vorgesetzten und Kameraden eine Zumutung, da man sich der Loyalität des Antragstellers nicht gewiss sein könne. Andere, weniger belastende Maßnahmen, als das Verbot der Ausübung des Dienstes seien nicht erfolgsversprechend und auch nicht geeignet, um das Ansehen der Bundeswehr zu wahren und einen störungsfreien Ablauf des Dienstbetriebes zu gewährleiten. Denn es könne insoweit keinen Unterschied machen, in welcher Funktion oder in welcher Einheit der Antragsteller tätig sei. Mit Fortgang der disziplinaren Ermittlungen und dem damit einhergehenden Erkenntnisgewinn seien die gegenüber dem Antragsteller ergangenen Anordnungen weiterhin dahingehend zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Verfügung stehe, was derzeit nicht der Fall sei. Im Übrigen ergebe sich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen auch daraus, dass der Antragsteller weiterhin seine Dienstbezüge erhielte und die Zeit des Verbots der Dienstausübung auf die ruhegehaltsfähige Dienstzeit angerechnet werden.
Mit Schreiben vom 22. April 2020, beim Kommandeur Einsatz und Stellvertretenden Kommandeur Heer spätestens am 23. April 2020 eingegangen, legte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers weitere Beschwerde ein. Unter Bezugnahme auf die Beschwerdebegründung vom 13. April 2020 führte er aus, die „Gefällt mir“-Markierung von Reichsbürgerthesen ergebe sich nicht aus den Akten. Gleiches gelte für den Vorwurf, dass der Antragsteller das entsprechende Bild Nr. 1 weitergeleitet habe. Richtig sei lediglich, dass dieses Foto auf der Seite „Freiheit durch Wissen“ gespeichert sei. Soweit ihm vorgeworfen werde, der „Chemtrailtheorie“ zu folgen, habe er nur eine naturwissenschaftliche Theorie weitergeleitet, was ihm durch Art. 5 Abs. 1 GG ausdrücklich gestattet sei und nichts über seine Einstellung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung aussage. Wegen des Vorwurfs des „Liken“ einer Seite eines GEZ-Gegners werde auf die Ausführungen im Beschwerdebescheid Bezug genommen. Allein das Festhalten an dieser Begründung sage mehr über das „Demokratieverständnis“ des Kommandeurs Division Schnelle Kräfte, als über das des Antragstellers aus. Der Antragsteller habe das Bild Nr. 4 geteilt, in dem individuelle kriminelle Handlungen ausländischer Staatsbürger, die sich nach 2015 ereignet hätten, benannt würden. In der benannten Darstellung werde kein Plural zur Stigmatisierung ganzer Ethnien verwendet. Wenn überhaupt, drücke der Antragsteller mit dem Weiterleiten des nicht von ihm erstellten Bildes vorsichtige Kritik am subjektiv wahrgenommenen Zustand der inneren Sicherheit nach der Öffnung der Grenzen in Deutschland aus. Wenn ein führender CSU-Politiker am 04. Januar 2018 öffentlich erkläre, er unterstütze eine konservative Revolution, könne eine derartige Ansicht weder verfassungsfeindlich sein noch das Weiterleiten des Bildes (Nr. 6) durch den Antragsteller ein Indiz für eine die freiheitlich demokratische Grundordnung negierende Weltanschauung sein. Bezogen auf das Bild Nr. 5 sei der Akte weder ein „Liken“ noch ein befürwortender Kommentar des Antragstellers zu entnehmen. Er habe dieses lediglich in seinem privaten, recht kleinen virtuellen Freundeskreis weitergeleitet. Das Bild Nr. 7 zeige nichts weiter als zwölf Gesichter. Es sei weder erkennbar, was daran vorwerfbar sein solle noch, dass ein Weiterleiten dieses Bildes ein Indiz für eine negative Einstellung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung sein solle.
Nachdem über die weitere Beschwerde nicht entschieden worden ist, stellte der Verfahrensbevollmächtigte mit Schreiben vom 30. Mai 2020, welches am selben Tag vorab per Telefax beim Truppendienstgericht Süd eingegangen ist, Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen führt er an, soweit ein Beitrag vom Antragsteller nicht als „gefällt mir“ blau hinterlegt worden sei, sei er auch nicht von ihm „geliked“ oder weitergeleitet worden, so auch nicht das Bild Nr. 1 bezüglich Reichsbürgerthesen. Die Bilder Nr. 2 bis Nr. 7 habe er ausschließlich und kommentarlos weitergeleitet. Der Kommentar „absolut zutreffend“ betreffend das Bild Nr. 5 (Vergleichsbild ZschäpeMerkel) stamme nicht von ihm. Abgesehen davon sei im Rahmen des Bildes auch eine Pro- und Contra-Diskussion über die Einschlägigkeit des Vergleichs weitergeleitet worden. Das Bild Nr. 7 (zwölf Gesichter) sei erstmals im Beschwerdebescheid aufgetaucht. Das Weiterleiten dieses Bildes sei unverfänglich. In Art. 3 Abs. 1 GG hieße es, „alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ und eben nicht, dass alle Menschen gleich seien oder zu sein hätten. Es werde daher beantragt,
„1. sowohl die mit Schreiben des Kommandeurs Kommando Spezialkräfte vom 16.03.2020 ausgesprochene Anordnung des Verbots der Ausübung des Dienstes als auch die Anordnung des Uniformtrageverbots sowie den hierzu ergangenen bestätigenden Beschwerdebescheid des Kommandeurs der Division Schnelle Kräfte vom 16.04.2020 gegenüber dem Antragsteller aufzuheben,
2. dem Antragsteller die ihm zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten.“
Zwischenzeitlich hatte der Kommandeur Division Schnelle Kräfte gegen den Antragsteller mit Verfügung vom 28. Mai 2020 (Az. 25-01-30 D 19/2020), dem Antragsteller ausgehändigt am 15. Juni 2020, gemäß § 93 Abs. 1 WDO ein sachgleiches gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet, in dem im Wesentlichen die Vorwürfe in der Verbotsverfügung des Kommandeurs Kommando Spezialkräfte vom 16. März 2020 konkretisiert worden sind. Die Vorwürfe, am 02. Oktober 2018 einen Artikel über die sogenannten Chemtrails (Bild Nr. 2), am 26. November 2015 einen Beitrag über GEZ-Gebühren (Bild Nr. 3) und am 22. Oktober 2018 die Seite „Deutsche Weltanschauung“ (Bild Nr. 7) jeweils mit „gefällt mir“ markiert zu haben, finden in der Einleitungsverfügung keine Erwähnung mehr. Folgende Tatvorwürfe wurden als Grund für die Einleitung angegeben:
„1. Sie befürworteten durch Anklicken der >>gefällt mir>like>DEUTSCH>FALSCH…und das steht auf dem ´Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland´. Seit wann ist Deutsch eine Bezeichnung für eine Staatsangehörigkeit? Wenn, dann müsste es Bundesrepublik Deutschland heißen! Dennoch, eine Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat, nur eine Verwaltung!!!>liken>gefällt mir<< bewertet haben, zumindest an die Personen weiterverbreitet, die Sie als Facebook-Freunde geführt haben.
2. Sie befürworteten durch Anklicken der „gefällt mir“ – Schaltfläche (sog. >>like<<) am 9. Juni 2017 auf Ihrem Facebook-Profil, das Sie unter dem Namen „D“ führten, einen Beitrag mit dem Wortlaut:
>>Deutschland aktuell: Ein Afghane ersticht ein Kind… Ein Kameruner messert ein Mädchen… Zwei Syrer stechen einen Landsmann… Ein Bulgare tritt eine Frau die Treppe… Tunesier fährt mit einem Lkw in… Ein Ghanaer vergewaltigt eine Frau …
Ein Afghane killt eine junge Studentin… Was machen eigentlich die Deutschen? Arbeiten, um das zu finanzieren…<<,
wobei Sie wussten, jedenfalls aber hätten wissen können und müssen, dass es sich dabei um fremdenfeindlichen, zu Hass und undifferenzierter Hetze gegenüber nichtdeutschen Personen anstachelndem Inhalt handelt, jedenfalls aber dieser so verstanden werden kann. Dadurch wurde zugleich der Beitrag zusammen mit dem Hinweis, dass Sie diesen mit >>gefällt mir<< bewertet haben, zumindest an die Personen weiterverbreitet, die Sie als FacebookFreunde geführt haben.
3. Sie befürworteten durch Anklicken der >>gefällt mir>like>D>Wenn Beate lebenslänglich kriegt, weil sie von Morden wusste…wieviel Jahre kriegt dann Angela, weil sie wissentlich Mörder und Terroristen eingeladen hat?>Revolution 2.0 – schließt Euch an dem Deutschen Widerstand>…und absolut zutreffend>gefällt mir<< bewertet haben, zumindest an die Personen weiterverbreitet, die Sie als Facebook-Freunde geführt haben.
4. Sie befürworteten durch Anklicken der >>gefällt mir>like>D>Konservative Revolution>Nur ein verdammter Narr kann erwarten, dass ein Volk einer Tradition sich wohl dabei fühlt, wenn sein Land mit Scharen von Fremden geflutet wird, die – seien sie nun gleichwertig oder biologisch höherwertig oder minderwertig – so entgegengesetzt sind in ihrer physischen, emotionalen und intellektuellen Zusammensetzung, sodass ein harmonisches zusammenwachsen nahezu unmöglich gemacht wird.>Konservative Revolution>Neuen Rechten>Konservativen Revolution>gefällt mir<< bewertet haben, zumindest an die Personen weiterverbreitet, die Sie als Facebook-Freunde geführt haben.
Dienstvergehen gem. § 23 Absatz 1 Soldatengesetz (SG) in Verbindung mit §§ 8, 10 Abs. 6 und 17 Absatz 2 Satz 2. Alt. 2 SG (a.F.) bzw. 17 Absatz 2 Satz 3 SG.“
Der Leitende Rechtsberater Kommando Heer regt mit seiner ausführlichen Stellungnahme vom 28. August 2020 gegenüber der Kammer an, den Antrag auf Entscheidung des Truppendienstgerichts zurückzuweisen. Das in der Verfügung des Kommandeurs Kommando Spezialkräfte vom 16. März 2020 und in der Entscheidung des Kommandeurs Division Schnelle Kräfte vom 16. April 2020 aufgeführte „Liken“ von Beiträgen werde zur Begründung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung nicht mehr herangezogen. Das BAMAD habe in seiner weiteren Stellungnahme vom 02. September 2020 klargestellt, dass die Feststellung von „Likes“ der Bilder Nr. 1 bis 7 durch den Antragsteller in der Datenübermittlung vom 05. Februar 2020 unzutreffend gewesen sei, da sie dem Antragsteller nicht hätten zugeordnet werden können. Das Fehlen von „Likes“ des Antragstellers zu den Bildern 1 bis 7 ändere im Ergebnis aber nicht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verbotsverfügung. Der Antragsteller habe alle Beiträge geteilt und dadurch in der Chronik seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Hierdurch seien die Beiträge im sogenannten Newsfeed seiner Facebook-Freunde erschienen und an diese verteilt worden. Unter den Facebook-Freunden des Antragstellers befänden sich neben anderen Personen auch einige Kameraden des Antragstellers. Ausreichend sei, dass er den von ihm verteilten Beiträgen, die sich als Angriffe auf die Menschenwürde und fundamentalen Grundwerte des Grundgesetztes darstellten, nicht mit Nachdruck und seinem ganzen Verhalten entgegengetreten sei, sich distanziert habe und sich dadurch auf die Seite der freiheitlich demokratischen Rechtsordnung gestellt habe. Dies begründe den Verdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens nach § 23 Abs. 1 SG in Verbindung mit §§ 8, 10 Abs. 6 und 17 Absatz 2 Satz 2 Alternative 2 SG beziehungsweise § 17 Abs. 2 Satz 3 SG. Obwohl die mit dem Verbot der Ausübung des Dienstes verbundenen Einschränkungen für den Antragsteller gewichtig seien, stelle es vorliegend nach wie vor das mildeste Mittel zur Verfolgung des Zwecks dar und sei auch im Hinblick auf den Ausgang des gerichtlichen Verfahrens geboten. Die Vorbehalte des Verfahrensbevollmächtigten hinsichtlich der Erhebung der Beiträge griffen nicht. Sie seien zulässig mit nachrichtendienstlichen Mitteln auf der Grundlage von § 4 Absatz 1 Satz 1, 1. Halbsatz MAD-Gesetz (MADG) in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und § 5 Nr. 1 MADG in Verbindung mit § 9 BVerfSchG erhoben worden. Bei nochmaliger Abwägung sämtlicher für und gegen das Verbot der Dienstausübung sprechender Umstände unter Einstellung aller für eine Fortsetzung der Dienstleistung durch den Antragsteller sprechender Gründe sowie unter besonderer Berücksichtigung der Dauer des Verbots und seiner Auswirkungen bis heute, aber auch in Ansehung der Äußerungen des Antragstellers im laufenden Verfahren, wögen die Gründe für das Verbot noch immer schwerer als die Nachteile für den Antragsteller. Entgegen des Vortrags des Verfahrensbevollmächtigten hätten Anhaltspunkte für die Vorenthaltung von Aktenteilen oder unvollständige Akten nicht erkannt werden können.
Mit Anschuldigungsschrift vom 07. Oktober 2020 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft das Verfahren, unter anderem unter Aufrechterhaltung und Abänderung der in der Einleitungsverfügung erhobenen Vorwürfe 2 bis 4 bei Gericht angeschuldigt.
Der Verfahrensbevollmächtige hält in seiner abschließenden Stellungnahme vom 26. Oktober 2020 an seinen bisherigen Ausführungen fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie den beigezogenen Akten des Truppendienstgerichts Süd (S 3 BLa 3/20 und S 3 VL 57/20) sowie der Beschwerdeakte des Kommandos Heer (LRB Kdo H 25-05-12 201.20) Bezug genommen, die bei der Beratung vorgelegen haben.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten ist gegeben. Bei den angefochtenen Verboten der Dienstausübung und des Tragens der Uniform handelt es sich um dienstliche Maßnahmen in Form von Befehlen des Vorgesetzten, die ihren Ursprung im militärischen Über- und Unterordnungsverhältnis haben. § 22 SG gehört zu den Vorschriften, bei deren Verletzung Soldatinnen und Soldaten die Wehrdienstgerichte anrufen können (§§ 17, 21 Wehrbeschwerdeordnung [WBO]; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 19. November 1998 – 1 WB 36-98 -, juris Rn. 2 m.w.N.).
b) Die weitere Beschwerde vom 22. April 2020, über die der Kommandeur Einsatz und Stellvertretenden Kommandeur X als nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter gemäß § 16 Abs. 3 WBO zu entscheiden hatte, ist dort spätestens am 23. April 2020 eingegangen. Nachdem über sie innerhalb eines Monats nicht entschieden worden war, konnte der Antragsteller nach § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO die Entscheidung des Truppendienstgerichts beantragen.
2. Der Antrag hat in der Sache ebenfalls Erfolg. Die angefochtene Verbotsverfügung ist – jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Kammer – rechtwidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
a) Die Anordnungen des Kommandeurs Kommando Spezialkräfte vom 16. März 2020, mit denen dem Antragsteller bis auf Weiteres die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform verboten wurden, sind formell ordnungsgemäß ergangen.
Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 22 Satz 1 SG. Danach kann der Bundesminister der Verteidigung oder die von ihm bestimmte Stelle einem Soldaten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Ausübung des Dienstes verbieten. Durch Nr. 1167 2. Punktaufzählung ZDv 2160/6 hat der Bundesminister der Verteidigung die nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten mit mindestens der Disziplinarbefugnis einer Bataillonskommandeurin oder eines Bataillonskommandeurs für die ihnen unterstellen Unteroffiziere zum Erlass einer solchen Maßnahme ermächtigt, mithin vorliegend auch den Kommandeur Kommando Spezialkräfte als nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers. Dem nach Nr. 1169 ZDv 2160/6 vorherigen Anhörungsgebot des Antragstellers, unter Aufnahme einer entsprechenden Niederschrift, wurde durch den Kommandeur Spezialkräfte am 16. März 2020 Rechnung getragen.
b) Da innerhalb der in § 22 Satz 2 SG benannten Dreimonatsfrist mit Aushändigung der Einleitungsverfügung am 15. Juni 2020 gegen den Antragsteller wirksam ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist, ist das gegen ihn am 16. März 2020 ausgesprochene Verbot der Ausübung des Dienstes jedenfalls nicht durch Zeitablauf erloschen.
c) Im vorliegenden Verfahren bedarf es allerdings keiner Entscheidung, ob die Voraussetzungen des Verbots der Ausübung des Dienstes im Zeitpunkt seines Erlasses am 16. März 2020 vorlagen. Denn jedenfalls erweist sich die Verfügung bei summarischer Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer als offensichtlich rechtswidrig.
In welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 22 Satz 1 SG vorliegen müssen, ergibt sich – wie die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage selbst – aus materiellem Recht.
Aus dem, insbesondere in § 22 Satz 2 SG zum Ausdruck kommenden Zweck des Verbots der Ausübung des Dienstes, das den Charakter einer vorübergehenden Eilmaßnahme zur Sicherung des Dienstbetriebes und der Ermittlungen im Vorfeld, insbesondere eines etwaigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens trägt (vgl. für die im Beamtenrecht vglb. Regelung des § 38 BBG: Weiß in Fürst GKÖD II, Teil 5, M § 38 Rn. 15; VG Düsseldorf Beschluss vom 22. Oktober 2010 – 26 L 1562/10 – juris Rn. 12) ergibt sich, dass die Rechtmäßigkeit des Verbots der Ausübung des Dienstes während seiner gesamten Geltungsdauer nach der jeweiligen Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist. Für eine solche Auslegung spricht vorliegend insbesondere auch, dass die Einleitungsbehörde in ihrer Einleitungsverfügung vom 28. Mai 2020 an einem Teil der ursprünglich in der Verbotsverfügung des Kommandeurs Kommando Spezialkräfte vom 16. März 2020 gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe nicht festgehalten hat, weil aus ihrer Sicht ein hinreichender Tatverdacht insoweit nicht (mehr) festzustellen war.
Die angefochtene Verbotsverfügung vom 16. März 2020 erging ganz vorrangig aus disziplinaren Gründen. Zwar stellt sie in ihrer Begründung maßgeblich auf eine, durch das vorgeworfene Verhalten des Antragstellers, begründete „Gefahr der massiven Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr in der Öffentlichkeit“ ab. Zugleich stellt sie jedoch deutlich heraus, dass die „aufgezeigten Beiträge und markierten Seiten […] einen deutlichen Bezug zur Reichsbürgerszene, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus“ erkennen ließen, die daraus ableitend „begründete Zweifel“ an der Einstellung des Antragstellers zur verfassungsmäßigen Ordnung zuließen. Letzteres stellt auch den Schwerpunkt der Begründung im Beschwerdebescheid des Kommandeurs Division Schnelle Kräfte vom 16. April 2020 dar, der daraus den Verdacht des Verstoßes des Antragstellers gegen seine soldatischen Pflichten aus §§ 8, 10 Abs. 6 und 17 Abs. 2 SG ableitet.
Wird das Verbot nach § 22 SG aus disziplinaren Gründen ausgesprochen, darf dies nach Auffassung der Kammer nur bis zur Einleitung des sachgleichen gerichtlichen Disziplinarverfahrens geschehen; nach der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens kann wegen der zugrundeliegenden Pflichtwidrigkeiten nur die vorläufige Dienstenthebung nach § 126 WDO ausgesprochen werden.
Dem könnte entgegenzuhalten sein, dass nach dem Wortlaut des § 22 Satz 2 SG auch angenommen werden könnte, dass das Verbot der Ausübung des Dienstes bei Einleitung eines Disziplinarverfahrens uneingeschränkt fortgelte. Dies hätte zur Folge, dass ein solches Verbot grundsätzlich vor oder während eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens, eines Strafverfahrens oder eines Entlassungsverfahrens verfügt werden könnte (str., zum Meinungsstand Vogelgesang in Fürst GKÖD Bd. I, Yk § 22 Rn. 2; grds. bejahend Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG, 10. Aufl., § 22 Rn. 5; a. A. Eichen/Metzger/Sohm, SG, 10. Aufl., § 22 Rn. 19; Dau/Schütz, WDO, 7.Aufl., § 126 Rn. 11).
Diese Auffassung ließe sich damit begründen, dass dem Dienstherrn mit § 22 SG und § 126 WDO grundsätzlich zwei sich ergänzende Eingriffsnormen selbstständig nebeneinander zur Verfügung stehen, die unterschiedliche Zweckrichtungen verfolgen und an unterschiedliche Voraussetzungen gebunden sind (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschlüsse vom 17. Juli 1979 – 1 WB 67/78-, juris Rn. 39 und vom 12. April 1978 – 1 WB 159/76, 5/77-= NJW 1978, 1597 f. = NZWehrr 1978, 144; im Hinblick auf verglb. Regelungen im Beamtenrecht: VG Arnsberg, Urteil vom 22. Mai 2013 – 2 K 2083/12 -, juris m.w.N.; VG München, Beschluss vom 19. Februar 2019 – M 5 S 19.115 -, juris Rn. 30).
Während § 126 WDO die vorläufige Dienstenthebung eines Soldaten während eines gegen ihn eingeleiteten disziplinargerichtlichen Verfahrens durch Anordnung der Einleitungsbehörde regelt, räumt § 22 SG den näher bestimmten Stellen ganz allgemein die Befugnis ein, einem Soldaten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Ausübung des Dienstes zu verbieten. Der militärische Vorgesetzte soll so in die Lage versetzt werden, Gefahren schlechthin abzuwehren, die in der Dienstleistung eines Soldaten begründet sind oder sich aus ihr ergeben können. Anders als bei der vorläufigen Dienstenthebung im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Disziplinarverfahren wird dabei nicht auf ein vorwerfbares Fehlverhalten des Soldaten abgestellt, sondern auf die objektive Gefährdung des Dienstes, was allerdings nicht ausschließt, dass gegenüber dem Soldaten zugleich ein Schuldvorwurf begründet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 12. April 1978, a.a.O., Rn. 39).
Gegen die uneingeschränkte Fortgeltung des Verbots der Ausübung des Dienstes über den Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens spricht aber schon, dass für den Fall des Vorwurfs eines Dienstvergehens die grundsätzliche Selbstständigkeit des § 22 SG und des § 126 WDO zulasten des Fortbestands einer möglichen Anordnung nach § 22 SG beschnitten wird, sofern die Einleitungsbehörde den Soldaten (mit oder nach Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens) gemäß § 126 WDO vorläufig des Dienstes enthebt. Für diesen Fall eines ausdrücklichen Konkurrenzfalls der beiden Eingriffsnormen zueinander regelt Nr. 1162 ZDv 2160/6 ausdrücklich, dass das Verbot nach § 22 SG gegenstandslos wird (vgl. auch BVerwG, a.a.O., Rn. 10) und zwar schon deshalb, weil dem Soldaten nur einmal die Dienstausübung verwehrt werden kann (vgl. insofern auch für das Beamtenrecht: Weiß in Fürst GKÖD, a.a.O, M § 38 Rn. 16).
Aber auch außerhalb dieses ausdrücklichen Konkurrenzverhältnisses der beiden Normen ist zumindest dann von einem Vorrang der vorläufigen Dienstenthebung nach § 126 WDO auszugehen, wenn dem Soldaten wegen des Verdachts eines Dienstvergehens die Ausübung des Dienstes verboten wird, das zugleich Gegenstand des später gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens ist.
Grundsätzlich ist in diesem Fall ein Verbot der Ausübung des Dienstes nicht mehr geboten, weil insoweit die vorläufige Dienstenthebung sachnäher ist, und die im Rahmen des gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu erwartende Maßnahme besser beurteilt werden kann als dies bei einem Verbot der Dienstausübung der Fall ist. Dem Vorrang der Maßnahmen gemäß § 126 WDO steht es nicht entgegen, dass sich ihre Voraussetzungen teilweise mit den Erfordernissen des § 22 SG überschneiden. Eine solche Überschneidung ist vielmehr typisch für das Verhältnis der speziellen zu einer generellen Ermächtigungsgrundlage. Andernfalls würden die speziell für die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung nach § 126 Abs. 1 WDO im Wege der behördlichen Einzelfallprüfung auf der ersten Stufe der vom 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Zweistufentheorie, die neben der Störung oder in besonderem Maße Gefährdung des Dienstbetriebes bei Verbleib des Soldaten im Dienst, die Prognose der Verhängung zumindest einer Dienstgradherabsetzung im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussetzt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 WDB 2.19 -, juris Rn. 11), durch den Fortbestand einer Verbotsverfügung nach § 22 SG über den Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens hinaus, systemwidrig unterlaufen (im Ergebnis ohne Begründung Dau/Schütz, a.a.O.; letztlich offengelassen Vogelgesang in Fürst GKÖD, a.a.O.) Zudem ermöglicht § 126 Abs. 2 WDO unter bestimmten Voraussetzungen – als speziell auf das Disziplinarverfahren bezogene, gegenüber § 22 SG schärfere Rechtsfolge – neben der vorläufigen Dienstenthebung die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge beziehungsweise des Ruhegehalts anzuordnen. Demgegenüber beschränkt sich der Zweck des Verbots der Ausübung des Dienstes nach § 22 SG darauf, im Vorfeld eines etwaigen Disziplinarverfahrens eine Gefährdung des Dienstbetriebes und der Ermittlungen abzuwenden. Ab der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens wird dieser Zweck durch die vorläufige Dienstenthebung nach § 126 WDO gewährleistet.
Da die Einleitungsbehörde mit Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen den Antragsteller nicht zugleich seine vorläufige Dienstenthebung angeordnet hatte, die die Verbotsverfügung vom 13. März 2020 hätte gegenstandlos werden lassen, war der Kommandeur Kommando Spezielle Kräfte beziehungsweise der Kommandeur Division Schnelle Kräfte in der Eigenschaft als dessen nächsthöherer Disziplinarvorgesetzte gehalten, unverzüglich nach Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens das Verbot der Ausübung des Dienstes aufzuheben. Insofern bestand keine Wahlfreiheit zwischen dem Verbot der Ausübung des Dienstes und der vorläufigen Dienstenthebung. Daher folgt die Kammer auch der in seiner Stellungnahme vertretenen Auffassung des Rechtsberaters des Kommandos Heer nicht, das Verbot der Dienstausübung sei auch im Hinblick auf den Ausgang des gerichtlichen Disziplinarverfahrens geboten, denn diese Erwägung ist gerade bei der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung nach § 126 WDO anzustellen.
Gemessen an den dargestellten Grundsätzen erweist sich das Verbot der Dienstausübung vom 16. März 2020 bei summarischer Prüfung jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer als offensichtlich rechtswidrig, da die Einleitungsbehörde seit Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit Verfügung vom 28. Mai 2020, das heißt seit über sieben Monaten, nicht über eine vorläufige Dienstenthebung nach § 126 WDO entschieden und damit der zeitliche Rahmen, innerhalb dessen ein zuvor verfügtes Verbot der Ausübung des Dienstes Geltung beanspruchen kann, deutlich überschritten ist.
Nach alledem kann die gegenüber dem Antragsteller getroffene Anordnung des Kommandeurs Kommando Spezielle Kräfte vom 13. März 2020 des Verbots der Ausübung des Dienstes keinen Bestand mehr haben und ist daher aufzuheben. Folglich gilt dies auch für das daraus abgeleitete Verbot des Tragens der Uniform. Der dieser Entscheidung entgegenstehende Beschwerdebescheid des Kommandeurs Division Schnelle Kräfte vom 16. April 2020 ist deshalb ebenfalls aufzuheben.
d) Auf die vom Verfahrensbevollmächtigen darüber hinaus gerügten etwaigen Verfahrensverstöße kommt es nicht mehr an.
III.
Da der Antrag in vollem Umfang Erfolg hatte, sind die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Truppendienstgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO dem Bund aufzuerlegen.
IV.
Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil aufgrund der in einem eventuellen Rechtsbeschwerdeverfahren zu klärenden Rechtsfrage
„Kann das Verbot der Ausübung des Dienstes sowie das Verbot Uniform zu tragen, gemäß § 22 SG, nach Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen den betroffenen Soldaten aufrechterhalten bleiben, oder ist von einem Vorrang der vorläufigen Dienstenthebung, gemäß § 126 WDO, auszugehen, wenn dem Soldaten wegen des Verdachts eines Dienstvergehens die Ausübung des Dienstes verboten wurde, das zugleich Gegenstand des gegen ihn eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahrens ist“
die in § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO genannte Voraussetzung der grundsätzlichen Bedeutung der Beschwerdesache vorliegt, da es sich um eine Rechtsfrage handelt, die der höchstrichterlichen Klärung bedarf und deren Klärung im zugelassenen Rechtsbeschwerdeverfahren eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über diesen Einzelfall hinaus erwarten lässt (BVerwG 1 WBN 2.20).


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