Europarecht

Konkludenter Ausschluss von Kostenerstattungsansprüchen anlässlich geschlossener städtebaulicher Verträge

Aktenzeichen  15 B 17.2006

Datum:
12.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30657
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 11 Abs. 2 S. 1, § 154, § 155 Abs. 6
BayVwVfG Art. 60

 

Leitsatz

Ist in einem städtebaulichen Vertrag vereinbart, dass der Vertragspartner der Gemeinde die von ihm übernommenen Erschließungsmaßnahmen auf eigene Kosten und für eigene Rechnung ausführt und sind andere Ordnungsmaßnahmen oder Baumaßnahmen, deren Gegenstand die Errichtung oder Änderung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen betreffen, dem Vertragspartner nicht übertragen worden, sind Erstattungsansprüche gegen die Gemeinde nach Maßgabe des § 155 Abs. 6 BauGB konkludent ausgeschlossen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AU 5 K 10.2044 2014-01-30 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten, die anlässlich des Vollzugs der von der Firma F. mit der Beklagten am 7. Februar 2000 bzw. 30. November 2000 geschlossenen städtebaulichen Verträge entstanden sind. Die vertraglich vereinbarten Leistungen sind den gesamten Umständen nach angemessen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Vereinbarung, dass der Ausgleichsbetrag (§ 154 Abs. 1 und 3 BauGB) nicht von der Firma F., sondern von der Bundesrepublik Deutschland zu entrichten und eine Kostenerstattung im Sinne von § 155 Abs. 6 BauGB – ausdrücklich bzw. konkludent – ausgeschlossen ist. Da die Verträge weder ganz noch teilweise unwirksam oder ergänzungsbedürftig sind, stehen dem Kläger auch weder unmittelbar noch mittelbar (etwa infolge des hilfsweise geltend gemachten Anspruchs auf Vertragsanpassung) vertragliche oder sonstige (gesetzliche) Ansprüche gegenüber der Beklagten auf Kostenerstattung zu.
a) Die Firma F. und die Beklagte haben am 7. Februar 2000 bzw. 30. November 2000 sogenannte „hinkende Austauschverträge“ geschlossen (vgl. hierzu z.B. Bonk/Neumann/Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 56 Rn. 14 m.w.N.). Die Vertragsparteien waren sich dabei darüber einig, dass innerhalb des Sanierungsgebietes durch die Beklagte jeweils mittels eines aufzustellenden Bebauungsplans die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung der städtebaulich erwünschten Sanierungsmaßnahmen herbeigeführt werden und die Beklagte dabei die Bebauungsplanverfahren in eigener Zuständigkeit und auf eigene Kosten durchführt sowie den Käufern der Firma F., die als Bauwerberin die im Sanierungsgebiet gelegenen Immobilien aufteilen und an Kapitalanleger und Eigennutzer veräußern will, steuerrechtliche Bescheinigungen für die Inanspruchnahme von erhöhten Absetzungen (Kapitalanlegern) oder Sonderausgabenabzug (Eigennutzern) für Herstellungskosten oder Anschaffungskosten bei Gebäuden in Sanierungsgebieten ausstellt, soweit die rechtlichen Voraussetzungen hierzu vorliegen (§§ 7h, § 10f EStG). Die Verträge regeln hauptsächlich jedoch die der Firma F. auf deren Kosten auferlegten – zwischen den Vertragsparteien ausgehandelten und vereinbarten – Verpflichtungen zur Vorbereitung und Durchführung im Einzelnen genannter städtebaulicher (Sanierungs- und Erschließungs-)Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BauGB). Kostenerstattungsansprüche der Firma F. gegenüber der Beklagten sehen die Verträge nicht vor. Die Firma F. sollte vielmehr das unternehmerische Risiko im Hinblick auf den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Projekte und der von ihr zu diesem Zweck geschlossenen Verträge allein tragen.
Anhaltspunkte, dass die Firma F. bei Abschluss der Verträge von der Beklagten „übervorteilt“ worden ist, gibt es nicht. Sie werden vom Kläger im gerichtlichen Verfahren auch nicht geltend gemacht. Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Verträge auch nicht deshalb unangemessen (geworden), weil die Firma F. „doppelt belastet“ sei, nachdem sie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einen (zu) hohen Kaufpreis gezahlt habe, der bereits die durch die Sanierung bedingte Erhöhung des Bodenwerts beinhalte, und die Firma F. im Verhältnis zur Beklagten gleichwohl verpflichtet sei, die Kosten für die ihr obliegenden Bau- und Ordnungsmaßnahmen zu tragen, ohne diese auf den Ausgleichsbetrag „anrechnen“ (§§ 154, 155 BauGB) zu können.
aa) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Bundesrepublik Deutschland die – seinerzeit bereits erschlossenen und bebauten – Grundstücke zu einem möglichst hohen Preis verkaufen wollte und gefordert hat, dass das Kaufangebot „als Gesamtangebot einschließlich des Ablösungsbetrages“ abgegeben werden und sich somit zusammensetzen solle „aus dem sanierungsbedingten Bodenwert und dem Gebäudewertanteil“. Im Gegenzug hat sich die Bundesrepublik Deutschland bereit erklärt, den Käufer (die Firma F.) gegenüber der Beklagten von der Verpflichtung zur Zahlung des Ausgleichsbetrags freizustellen. Aus welchen Gründen die Firma F. dieser Vertragsgestaltung zugestimmt hat, kann offenbleiben. Der Kläger hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, er sei (als damaliger Geschäftsführer der Firma F.) bei dem Vertragsabschluss mit der Bundesrepublik Deutschland davon ausgegangen, dass die Firma F. einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die sanierungsbedingten Aufwendungen der Firma F. haben werde. Diese Vorstellung der Firma F. hat allerdings – wie die Zivilgerichte im Rechtsstreit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Firma F. abschließend entschieden haben – keinen Eingang in die Regelungen des Kaufvertrags gefunden. Der Firma F. steht damit gegen die Bundesrepublik Deutschland kein Kostenerstattungsanspruch im Hinblick auf die sanierungsbedingten Aufwendungen der Firma F. zu.
bb) Entgegen der Ansicht des Klägers obliegt es jedoch der Beklagten nicht – anstelle der Bundesrepublik Deutschland -, der Firma F. nachträglich einen derartigen Kostenerstattungsanspruch nunmehr gegenüber der Beklagten zuzubilligen. Die Beklagte hat im Rahmen der städtebaulichen Verträge ihre eigenen Interessen zu wahren und einen Kostenerstattungsanspruch der Firma F. im Hinblick auf deren sanierungsbedingte Aufwendungen ausdrücklich bzw. konkludent ausgeschlossen. Die Firma F. hat vereinbart, die vertraglich geregelten städtebaulichen (Sanierungs- und Erschließungs-)Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BauGB) auf eigene Kosten zu erfüllen. Dies ist auch nicht unbillig, weil die Firma F. im Gegenzug von der grundsätzlich den Grundstückseigentümer treffenden Verpflichtung zur Zahlung des Ausgleichsbetrags (§ 154 BauGB) freigestellt ist. Die vom Kläger in den städtebaulichen Verträgen vermisste Anrechnungsmöglichkeit der Aufwendungen der Firma F. auf den Ausgleichsbetrag (§ 155 Abs. 1 BauGB) ist auf diese Weise bereits in vollem Umfang erfüllt worden. Der vom Kläger gerügte „Verstoß“ gegen die Anrechnungsmöglichkeit des § 155 Abs. 1 BauGB liegt somit nicht vor.
cc) Der vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch im Hinblick auf Ordnungsmaßnahmen oder Kosten für die Errichtung oder Änderung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen nach Maßgabe des § 155 Abs. 6 BauGB ist ebenso vertraglich ausgeschlossen. Dies ist im Vertrag 2 (Gebiet C.) ausdrücklich (Abschnitt D. § 3 Nr. 4 Satz 2) und im Vertrag 1 (Gebiet S.) konkludent erfolgt. Im Vertrag 1 ist vereinbart, dass die Firma F. die von ihr übernommenen Erschließungsmaßnahmen auf eigene Kosten und für eigene Rechnung ausführt (Abschnitt C. § 4 Nr. 1). Andere Ordnungsmaßnahmen oder Baumaßnahmen, deren Gegenstand die Errichtung oder Änderung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen betreffen, sind der Firma F. nicht übertragen worden. Aufgrund der eindeutigen vertraglichen Kostenregelung sind somit Erstattungsansprüche nach Maßgabe des § 155 Abs. 6 BauGB konkludent ausgeschlossen. Zur genannten vertraglichen Kostenregelung steht nicht die Erklärung des Bauwerbers (= Firma F.) in Abschnitt C. § 2 Nr. 8 des Vertrags in Widerspruch, wonach „Ordnungsmaßnahmen (einschließlich Erschließungsmaßnahmen) in erster Linie über sanierungsrechtliche Ausgleichsbeträge“ zu finanzieren und diese von der Bundesrepublik Deutschland aufzubringen sind, denn hierbei handelt es sich lediglich um eine einseitige Erklärung, die ersichtlich die Erwartung der Firma F. zur Verwendung des von der Bundesrepublik Deutschland zu zahlenden Ausgleichsbetrags widergibt, nicht jedoch um eine vertragliche Vereinbarung, dass der Firma F. Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Beklagten zustehen sollen.
dd) Die vom Kläger gerügte „doppelte Belastung“ der Firma F. liegt möglicherweise in der Zahlung eines „zu hohen“ Kaufpreises im Verhältnis der Firma F. zur Bundesrepublik Deutschland. Die Kaufpreisverhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland lagen jedoch allein im Verantwortungsbereich der Firma F. und wirken sich auf das Verhältnis der Firma F. zur Beklagten nicht aus. Die Firma F. kann nicht erwarten, dass ein Versäumnis der Firma F. während der Kaufpreisverhandlungen und des Abschlusses des Kaufvertrags mit der Bundesrepublik Deutschland nunmehr durch die Beklagte im Rahmen der städtebaulichen Verträge korrigiert wird. Entgegen der Ansicht des Klägers durfte die Beklagte den Kaufvertrag pflichtgemäß sanierungsrechtlich genehmigen, weil ein „zu hoher“ Kaufpreis keine wesentliche Erschwerung der Sanierung darstellt, wenn für den Käufer keine Verpflichtung zur Entrichtung des Ausgleichsbetrags besteht, weil der Verkäufer diese Verpflichtung gegenüber der Beklagten übernommen hat (vgl. hierzu auch § 153 Abs. 2 BauGB). Auf die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Beklagten eine aus Sicht des Klägers zu geringe Ablösung auf den Ausgleichsbetrag (§ 154 Abs. 3 Satz 2 BauGB) gezahlt hat, kommt es dabei nicht an. Eine „ungerechtfertigte Bereicherung“ der Beklagten liegt in dem Umstand, dass anstelle der Firma F. die Bundesrepublik Deutschland die Verpflichtung zur Zahlung des Ausgleichsbetrags übernommen hat, jedenfalls nicht.
ee) Auf die Frage, ob die von der Bundesrepublik Deutschland an die Beklagte im Rahmen der Ablösung gezahlten Ausgleichsbeträge (§ 154 Abs. 3 BauGB) tatsächlich (ausschließlich) für Sanierungszwecke im Sanierungsgebiet verwendet worden sind, kommt es im Übrigen für die gerichtliche Entscheidung nicht an. Denn die bei der Vorbereitung und Durchführung der städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen erzielten Einnahmen der Beklagten sind erst nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen und nur im Falle eines Überschusses der Einnahmen über die hierfür getätigten Ausgaben auf die Eigentümer der im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke zu verteilen (§ 156a BauGB). Bei der Forderung nach Ausschüttung eines etwaigen Überschusses handelt es sich um einen vollständig anderen Streitgegenstand als den vorliegend von der Firma F. geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch.
ee) Den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung bedingt gestellten Beweisanträgen musste das Gericht nicht nachkommen. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht geboten. Denn auf die Frage, ob die von der Firma F. an die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Kaufvertrags vom 12. Januar 2000 gezahlten Kaufpreise dem „Endwert nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen“ entsprechen, kommt es für die gerichtliche Entscheidung nicht an. Ebenso ist unerheblich, ob die Bodenwertsteigerung infolge der von der Firma F. durchgeführten Maßnahmen mindestens der Klagesumme entspricht oder nicht.
b) Der Firma F. als Vertragspartei ist nach alledem das unveränderte Festhalten an den vertraglichen Regelungen zuzumuten, sodass auch ein Anspruch auf Vertragsanpassung nach Maßgabe des Art. 60 BayVwVfG nicht in Betracht kommt. Ebenso wenig bestehen andere (gesetzliche) Ansprüche auf Kostenerstattung.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, weil er keinen Sachantrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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