Europarecht

Kostentragung bei Absturz eines US-Kampfjets

Aktenzeichen  B 1 K 17.930

Datum:
19.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21854
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
THWG § 6 Abs. 1 S. 1
NATO-TrStatVtrG Art. 8, Art. 59 Abs. 2 S. 1
BayFWG Art. 17 Abs. 3 S. 1
BayKSG Art. 11 Abs. 1

 

Leitsatz

Das Technische Hilfswerk als nicht rechtsfähige Bundesanstalt kann für seinen Einsatz bei Unglücksfällen von Nato-Truppen keine Kosten nach dem THWG von den Gemeinden erheben, weil diese Kosten nach dem Nato-Truppenstatut (Art. 8) zunächst – bis zu einem möglichen Regress gegen den Entsendestaat – von der Bundesrepublik Deutschland selbst zu tragen sind. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.Der Bescheid der Beklagten vom 25.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2017 wird aufgehoben.
2.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4.Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache Erfolg.
1. Der streitgegenständliche Bescheid des THW erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Bescheid vom 25.10.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 18.10.2017 sind daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Erhebung von Kosten durch das THW gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 THWG ist im vorliegenden Fall jedenfalls deswegen ausgeschlossen, weil die Kosten aus Unglücksfällen von NATO-Truppen – zumindest im Ergebnis – von der Bundesrepublik Deutschland selbst zu tragen sind bzw. von der Bundesrepublik Deutschland bei dem jeweiligen Entsendestaat – hier den USA – geltend zu machen sind. Damit kann das THW als nicht rechtsfähige Bundesanstalt keine aus einem derartigen Unglücksfall herrührenden Kosten vom Kläger verlangen.
a) Der in Rede stehende THW-Einsatz erfolgte wegen des Absturzes eines US-Militärflugzeugs, das sich im Rahmen des NATO-Verteidigungsbündnisses in Deutschland befand. Hierfür bestehen – auch völkerrechtliche – Spezialregelungen, die im vorliegenden Fall maßgeblich zu berücksichtigen sind. Die Rechtstellung der nach Deutschland entsandten NATO-Truppen ist im NATO-Truppenstatut (NATO-TS), einem völkerrechtlichen Vertrag, geregelt. Die Regelungen des NATO-TS sind durch dessen Annahme in Artikel 1 des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen (NATO-TrStatVtrG) gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in Deutschland aber auch Teil des Bundesrechts und haben Gesetzeskraft.
b) Spezielle Regelungen über die Regulierung von Schäden, die durch NATO-Truppen verursacht werden, sind in Art. 8 NATO-TS enthalten. Diese sehen im Ergebnis vor, dass der aufnehmende Staat – hier die Bundesrepublik – einen von einer anderen Vertragspartei – hier den USA – verursachten Schaden (zunächst) selbst zu tragen bzw. auszugleichen hat, und im Anschluss – je nach Fallkonstellation – einen (teilweisen) Kostenersatz vom schadensverursachenden Entsendestaat verlangen kann.
aa) Art. 8 Abs. 1 und 2 NATO-TS enthalten Bestimmungen darüber, welche Ansprüche bestehen, wenn Vermögenswerte einer Vertragspartei selbst betroffen sind. In diesen Fällen verzichtet die betroffene Vertragspartei entweder auf ihre Ansprüche gegen die schadensverursachende Vertragspartei (Art. 8 Abs. 1 NATO-TS) oder erhält von der schadensverursachenden Vertragspartei – regelmäßig durch Entscheidung eines Schiedsrichters – einen Schadensausgleich (Art. 8 Abs. 2 NATO-TS).
bb) Art. 8 Abs. 5 NATO-TS befasst sich dann mit den Ansprüchen Dritter – also von natürlichen und juristischen Personen, die nicht NATO-Vertragspartei sind – und hat folgenden Wortlaut:
„Ansprüche (ausgenommen vertragliche Ansprüche und Ansprüche, auf welche die Absätze (6) und (7) Anwendung finden), die sich daraus ergeben, dass durch Handlungen oder Unterlassungen von Mitgliedern einer Truppe oder eines zivilen Gefolges in Ausübung des Dienstes oder durch eine andere Handlung, Unterlassung oder Begebenheit, für die eine Truppe oder ein ziviles Gefolge rechtlich verantwortlich ist in dem Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates einem Dritten, mit Ausnahme einer der Vertragsparteien, ein Schaden zugefügt worden ist, werden von dem Aufnahmestaat nach folgenden Bestimmungen behandelt:
(a) Die Geltendmachung, Prüfung und außergerichtliche Regelung der Entschädigungsansprüche oder die gerichtliche Entscheidung über sie erfolgt gemäß den Gesetzen und Bestimmungen des Aufnahmestaates, die insoweit für seine eigenen Streitkräfte gelten.
(…).“
Damit ist der Regelung des Art. 8 Abs. 5 NATO-TS zu entnehmen, dass die Abwicklung eines von einem anderen NATO-Mitgliedsstaat verursachen Unfalls bzw. Schadens so erfolgen soll, als sei der Unfall von den Streitkräften des Aufnahmestaates, hier also von den deutschen Streitkräften verursacht worden. Die Bundesrepublik hat also zunächst für die Kosten aufzukommen. Im Anschluss kann die Bundesrepublik dann Regress beim Entsendestaat nehmen, wofür die Regelung über die anschließende Aufteilung der dem Aufnahmestaat entstanden Kosten zwischen den beteiligten NATO-Mitgliedsstaaten in Art. 8 Abs. 5 Unterabs. d bis f NATO-TS bestehen.
Die Regelung des Art. 8 Abs. 5 NATO-TS dürfte nach Auffassung des erkennenden Gerichts im vorliegenden Fall auch zur Anwendung kommen. Durch den Absturz des US-Militärflugzeugs wurden nämlich zumindest unmittelbar keine eigenen Vermögenswerte der Bundesrepublik Deutschland als NATO-Vertragspartei zerstört, so dass keine Fallgruppe des Art. 8 Abs. 1 oder 2 NATO-TS gegeben sein dürfte, sondern die in Art. 8 Abs. 5 NATO-TS geregelte Konstellation vorliegt.
cc) Letztlich kann aber die Frage, welche der einzelnen Fallgruppen des Art. 8 NATO-TS hier zur Anwendung kommt, offen bleiben, da es hierauf nicht in streitentscheidender Weise ankommt. Entscheidend ist für das erkennende Gericht das in Art. 8 NATO-TS generell zum Ausdruck kommende Regelungsziel, dass Kosten, die der Bundesrepublik oder einem Dritten in Deutschland durch Streitkräfte eines anderen NATO-Mitgliedstaats verursacht werden, zunächst von der Bundesrepublik Deutschland selbst zu tragen sind, und diese dann ggf. den Entsendestaat – hier die USA – in Regress nehmen kann. Für die Geltendmachung derartiger Ansprüche durch Dritte gegen die Bundesrepublik Deutschland ist auch in Art. 6 ff. des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen (NATOTrStatVtrG) ein entsprechendes Regulierungsverfahren normiert. Zuständig ist die Verteidigungslastenverwaltung, die in bundeseigener Verwaltung geführt wird (vgl. Art. 8 NATOTrStatVtrG).
Dabei ist es auch – anders als die Beklagte meint – nach Auffassung des Gerichts unschädlich, dass in Art. 8 NATO-TS von „Schaden“ gesprochen wird, im vorliegenden Fall aber „Aufwendungen“ des THW im Streit stehen. Bei der Auslegung von Formulierungen in völkerrechtlichen Verträgen kann nicht davonausgegangen werden, dass diese der Terminologie des deutschen (Zivil-)Rechts immer entsprechen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass von Art. 8 NATO-TS alle Kosten umfasst sein sollen, die durch den Unfall einer NATO-Truppe verursacht werden.
c) Eine Erhebung von Auslagen durch das THW gemäß § 6 Abs. 1 THWG ist damit im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Das THW ist als nicht selbstständige Bundesanstalt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 THWG) ebenfalls der juristischen Person der Bundesrepublik Deutschland zuzuordnen, so dass eine Abwälzung von Kosten auf den Kläger – zumindest im Ergebnis – ausscheidet, zumal das Grundgesetz dem Bund die ausschließliche Zuständigkeit für die Verteidigung zuweist (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 1, Art. 87a und Art. 87b GG).
Auf Grund der dargestellten Spezialregelungen im NATO-TS und den zu dessen Ausführung ergangenen deutschen Gesetzen ist die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 THWG für eine Kostenerhebung durch das THW im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Aber auch wenn man den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 THWG als anwendbar und erfüllt ansehen würde, käme jedenfalls der aus dem Zivilrecht herrührende Rechtsgrundsatz der „dolo-agit-Regel“ zum Tragen, wonach nichts gefordert werden kann, was sogleich wieder zurück zu geben wäre. Denn dann stünde dem Kläger der grundsätzliche Erstattungsanspruch für diese Kosten gemäß Art. 8 Abs. 5 NATO-TS gegen die Bundesrepublik Deutschland zu, weil diese zunächst für die Regulierung des Schadens aufzukommen hätte. Auch zum jetzigen Zeitpunkt erscheint ein solcher Anspruch noch möglich, weil die Geltendmachung des Schadens auch nach zwei Jahren nach dem schädigenden Ereignis noch möglich ist, wenn der Schaden vorher nicht erkennbar war (Art. 6 Abs. 1 und 4 NATOTrStatVtrG), und auch zum jetzigen Zeitpunkt noch keine rechtskräftige Entscheidung gegenüber dem Kläger vorliegt, wonach dieser dem THW Auslagenersatz zu leisten hätte. Damit könnte in dieser Konstellation nach dem Grundsatz der „dolo-agit-Regel“ das THW als nicht rechtsfähige Anstalt der Beklagten keinen Auslagenersatz vom Kläger verlangen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegende Beteiligte hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
4. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen (§ 124 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Soweit ersichtlich ist die vorliegende Frage, ob eine Berechtigung des THW als nicht rechtsfähige Anstalt der Bundesrepublik Deutschland besteht, auch Aufwendungs- und Auslagenersatz für technische Hilfeleistungen bei Unglücksfällen von NATO-Truppen zu verlangen, in der Rechtsprechung noch nicht behandelt worden.


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