Europarecht

Landesrechtliche Einschränkungen für Spielhallen in Berlin

Aktenzeichen  8 C 7/15

Datum:
16.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:161216U8C7.15.0
Normen:
Art 3 Abs 1 GG
Art 12 Abs 1 GG
Art 14 Abs 1 GG
Art 14 Abs 3 GG
Art 20 Abs 3 GG
Art 74 Abs 1 Nr 11 GG
§ 33c GewO
§ 33d GewO
§ 33f GewO
§ 33h GewO
§ 33i GewO
§ 3 SpielV
§ 3a SpielV
§ 4 SpielV
§ 137 Abs 2 VwGO
§ 43 Abs 1 VwGO
§ 43 Abs 2 VwGO
Art 8 Abs 1 EGRL 34/98
Art 1 Nr 4 EGRL 34/98
§ 2 SpielhG BE
§ 7 Abs 1 MindAbstUmsG BE
Spruchkörper:
8. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 11. Juni 2015, Az: OVG 1 B 13.13, Urteilvorgehend VG Berlin, 12. April 2013, Az: 4 K 24.13, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen gesetzliche Regelungen des Landes Berlin, die den Betrieb ihrer Spielhalle in der E.-Straße … in Berlin negativ betreffen.
2
Für diese Spielhalle war ihr am 25. April 2007 eine Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden. Nachdem am 2. Juni 2011 das Spielhallengesetz Berlin (SpielhG BE) in Kraft getreten war, wies das Bezirksamt … von Berlin die Klägerin auf die danach einzuhaltenden Anforderungen an den Betrieb von Spielhallen hin. Bei nicht fristgerechter Einhaltung sei das Ordnungsamt gehalten, Widerrufsverfahren einzuleiten. Nachfolgend erging gegen den Geschäftsführer der Klägerin ein Bußgeldbescheid wegen Nichteinhaltens des vorgeschriebenen Mindestabstandes und Sichtschutzes zwischen den Spielgeräten und wegen unzulässiger Abgabe von Speisen und Getränken. Die von der Klägerin am 22. Januar 2013 erhobene Klage auf Feststellung, dass sie den Einschränkungen des Spielhallengesetzes Berlin zur Höchstzahl und Aufstellweise der Spielgeräte und der Abgabe von Speisen und Getränken nicht unterliege, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. April 2013 abgewiesen.
3
Die Berufung hiergegen hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Juni 2015 zurückgewiesen. Die Feststellungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Das Land Berlin sei nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zum Erlass der angegriffenen Bestimmungen befugt gewesen. Diese schränkten die Berufsausübungsfreiheit zum Zwecke der Bekämpfung und Prävention von Spielsucht in verhältnismäßiger Weise ein. Die Annahme des Gesetzgebers, durch Reduzierung von Geldspielgeräten in Spielhallen würden Spielanreize verringert, sei nicht offensichtlich fehlsam. Die von der Klägerin befürchteten Umsatzeinbußen seien wegen der hohen Bedeutung des Schutzgutes der Suchtprävention hinzunehmen. Die 24-monatige Übergangsfrist zur Einhaltung der abgesenkten Gerätehöchstzahlen sei angemessen. Die angegriffenen Regelungen benachteiligten die Klägerin weder gleichheitswidrig gegenüber Gaststätten oder der Spielbank Berlin noch verletzten sie ihr Grundrecht auf Eigentum. Sie seien auch nicht wegen Verstoßes gegen die Informationspflicht gegenüber der Europäischen Kommission nach der Richtlinie 98/34/EG unanwendbar, da sie keine technischen Vorschriften darstellten.
4
Zur Begründung ihrer am 23. Juli 2015 hiergegen eingelegten Revision macht die Klägerin geltend, die von ihr angegriffenen Regelungen seien formell und materiell verfassungswidrig. Den Ländern komme insoweit keine Gesetzgebungskompetenz zu. Durch die Föderalismusreform 2006 sei ihnen mit dem “Recht der Spielhallen” im Wege der normativen Rezeption lediglich die Zuständigkeit für den eingeschränkten Regelungsbereich des § 33i GewO übertragen worden. Regelungen über die Anzahl und Aufstellung von Spielgeräten seien dem Spielgeräterecht zuzuordnen, für das der Bund weiterhin regelungsbefugt sei. Die Einschränkungen griffen in verfassungswidriger Weise in die Berufsfreiheit, die Eigentumsfreiheit der Klägerin und in das Gleichbehandlungsgebot ein. Sie stellten Spielhallen ohne hinreichenden Grund schlechter als Gaststätten mit Spielautomaten und als Spielbanken, in denen eine ungleich höhere Anzahl zudem gefährlicherer Automaten aufgestellt sei. Im Zusammen wirken mit anderen Vorschriften wie den Mindestabstandsgeboten, der Sperrzeitenregelung und der Vergnügungsteuer gefährdeten sie die wirtschaftliche Existenz von Spielhallenbetreibern. Die zweijährige Übergangsfrist für ihre Einhaltung sei unzureichend. Außerdem sei das Spielhallengesetz wegen einer Verletzung der Notifizierungspflicht aus der Richtlinie 98/34/EG unanwendbar.
5
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Juni 2015 und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. April 2013 zu ändern und festzustellen,
1. dass die Klägerin auch seit dem 2. Juni 2013 dazu berechtigt ist, in ihrem Spielhallenobjekt in der E.-Straße …, … Berlin entgegen § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Spielhallengesetz Berlin bis zu zwölf Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit aufzustellen und
2. dass die Klägerin dazu berechtigt ist, in ihrem Spielhallenobjekt in der E.-Straße …, … Berlin gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 SpielV und entgegen § 4 Abs. 2 Satz 3 Spielhallengesetz Berlin Geldspielgeräte in Zweiergruppen aufzustellen sowie alkoholfreie Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle zu verabreichen, ohne der Beschränkung der Geräteanzahl nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Spielhallengesetz Berlin zu unterliegen.
6
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
Er verteidigt das Berufungsurteil. Mit den angegriffenen Regelungen habe der Gesetzgeber auf den sprunghaften Anstieg der Anzahl von Spielhallen und der in ihnen aufgestellten Spielgeräten vor allem in den Innenstadtbezirken Berlins reagiert, um der herausragenden Suchtgefahr des Geldautomatenspiels entgegenzuwirken. Insoweit verfüge der Gesetzgeber über einen legislativen Einschätzungsspielraum, der hier auch ausweislich neuester Studien über Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland nicht überschritten sei. Die Länder seien zum Erlass der angegriffenen Regelungen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG befugt. Diese stellten zur Spielsuchtbekämpfung und -prävention geeignete, erforderliche und zumutbare Berufsausübungsregelungen dar. Sie tangierten nicht die Eigentumsfreiheit. Der Landesgesetzgeber habe Spielhallen gegenüber dem Automatenspiel in Gaststätten und in Spielbanken unterschiedlich behandeln dürfen. Unionsrecht stehe der Anwendung der Regelungen nicht entgegen. Insbesondere seien sie keine notifizierungspflichtigen technischen Vorschriften im Sinne der Richtlinie 98/34/EG.
8
Der Vertreter des Bundesinteresses hält die Länder nicht für befugt, Gerätehöchstzahlbegrenzungen und Regelungen über Beschränkungen bei Abgabe von Speisen oder Getränken in einer Spielhalle zu erlassen.


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