Europarecht

Lebensbedingungen für in Rumänien anerkannte Schutzberechtigte

Aktenzeichen  Au 5 K 17.35711

Datum:
26.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5552
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Die Lebensbedingungen in Rumänien für dort als international schutzberechtigt anerkannte Ausländer verletzen nicht Art. 3 EMRK. International Schutzberechtigte haben denselben freien Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung wie rumänische Staatsangehörige. (Rn. 23 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Kläger verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2018 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Kläger und Beklagte sind zur mündlichen Verhandlung vom 26. März 2018 form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage der Kläger erweist sich als unbegründet. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 19. Dezember 2017 ist rechtmäßig und nicht geeignet, die Kläger in ihren Rechten zu verletzen. Insbesondere bleibt die Ablehnung der Anträge der Kläger als unzulässig (Nr. 1 des Bescheids) unbeanstandet. Auch haben die Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Die Asylanträge der Kläger sind zu Recht als unzulässig abgelehnt worden. Die Entscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 35, 36 AsylG, nachdem den Klägern nach Aktenlage in Rumänien internationaler Schutz zuerkannt worden ist. Insbesondere kann sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat, vor allem aus einem der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (§ 26a Abs. 2 AsylG) oder aus der Schweiz und Norwegen eingereist ist, nicht auf den Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) berufen und daher nicht als Asylberechtigter anerkannt werden. Die Republik Rumänien wurde 2007 in die Europäische Union aufgenommen und gehört seither in dem Sinne kraft Verfassungsrechts zu diesen „sicheren Drittstaaten“. Dass dem zugrundeliegende Konzept der „normativen Vergewisserung“ der Sicherheit der Betroffenen bereits in dem sicheren Drittstaat geht davon aus, dass dieser Staat einem Flüchtling, der sein Territorium erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt, so dass das Bedürfnis entfällt, ihm Schutz zusätzlich auch noch einmal in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren.
Dem trägt die Entscheidung der Beklagten Rechnung, die in Deutschland gestellten danach „zusätzlichen“ Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ohne sachliche Prüfung als „unzulässig“ abzulehnen. Hiermit wird die sich bereits aus Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 AsylG sich ergebende Rechtsfolge ohne sachliche Prüfung des individuellen Anerkennungsbegehrens deklaratorisch festgestellt. Eine Sachprüfung hinsichtlich des Bestehens eines internationalen Schutzanspruches (§§ 3, 4 AsylG) soll nach dem klaren Konzept der §§ 26a Abs. 1 AsylG, 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG, abgesehen von den hier erkennbar nicht vorliegenden und auch nicht geltend gemachten Tatbeständen im Sinne des § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylG oder den Vorgaben des § 71a AsylG, nach dem eindeutigen Willen des nationalen Gesetzgebers nicht erfolgen.
Nach diesen Grundsätzen sind die Asylanträge der Kläger zu Recht als unzulässig abgelehnt worden. Hinsichtlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen bleibt festzuhalten, dass nach der Auskunftslage Rumänien schutzberechtigten Migranten prinzipiell Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung (vgl. Das Gesundheitssystem in Rumänien, www.aok.-bv.de), zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung gewährt. Insbesondere bestehen bei einer aktuellen Gesamtwürdigung der zu Rumänien vorliegenden Berichte und Stellungnahmen vor allem von Nichtregierungsorganisationen, denen ein besonderes Gewicht zukommt, keine Anhaltspunkte für eine Verletzung von Art. 3 EMRK i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG. Der Rechtsprechung des EGMR zur Reichweite des Art. 3 EMRK im Asyl- und Flüchtlingsrecht kommt dabei eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. BVerfG, B.v. 18.8.2013 – 2 BvR 1380/08 – juris Rn. 28). Danach können sich auch die – staatlich verantworteten – allgemeinen Lebensverhältnisse als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Allerdings verpflichtet diese Norm nicht, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen oder sie finanziell zu unterstützen, um ihr einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande – ZAR 2013, 336; U.v. 21.1.2011 – 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland – NVwZ 2011, 413 ff.). Auch gewährt sie von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedsstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer und anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bei einer Überstellung bedeutend geschmälert würden, begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Vorschrift (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013, a.a.O.). Bei der Prüfung einer Überstellung kommt es nicht nur auf die generellen Verhältnisse im Zielstaat an, sondern auch auf die individuellen Umstände des konkret Betroffenen.
Gemessen an diesen Maßstäben lässt sich anhand der hinreichend verlässlichen Erkenntnislage in Bezug auf anerkannte Schutzberechtigte in Rumänien eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht feststellen. Zwar teilen die Schutzberechtigten die prekäre Lage weiter Teile der rumänischen Bevölkerung, was aber unionsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die derzeitige Auskunftslage gebietet auch vor dem Hintergrund der sehr niedrigen Flüchtlingszahlen keine ernst zu nehmende Möglichkeit der Verelendung wegen Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit und fehlender staatlicher Unterstützung, die potenziell die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK begründen könnte. Die Lebensbedingungen für Personen mit internationalen Schutzstatus mögen zwar sehr schwierig sein, zumal sie – anders als die rumänische Bevölkerung – in der Regel nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen. Es herrschen allerdings nicht derart handgreiflich eklatante Mischstände, die den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und den Klägern müsste unabweisbar Schutz in der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden (vgl. VG Berlin, B.v. 12.7.2017 – 23 L 293.17 A – juris Rn. 13; VG Aachen, B.v. 5.3.2015 – 8 L 739/14.A – juris Rn. 22; VG Ansbach, U.v. 12.4.2016 – AN 3 K 16.50013 – juris Rn. 33 ff., VG des Saarlandes, B.v. 20.12.2016 – 3 L 2673/16 – juris Rn. 12).
Anerkannt Schutzberechtigte in Rumänien haben denselben freien Zugang zur Bildung, Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zu Sozialversicherung wie rumänische Staatsangehörige. Die schlechteren Versorgungsbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Rumänien als in wohlhabenderen EU-Mitgliedsstaaten sind dabei nicht Ausdruck behördlicher Gleichgültigkeit, behördlichen Versagens oder gar mutwilliger Verweigerung von Unterstützungsleistungen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die typischerweise für die Mehrheit der Bevölkerung geltenden Standards in Rumänien deutlich niedriger sind als in Deutschland. Anerkannte Schutzberechtigte müssen sich aber auf den dort für alle rumänischen Staatsangehörigen vorhandenen Lebensstandard verweisen lassen. Denn aus Art. 3 EMRK lässt sich keine Bevorzugung gegenüber der einheimischen Bevölkerung herleiten. Auch unterschiedliche Niveaus staatlicher Sozial- und Integrationsleistungen begründen keinen Verstoß gegen diese Norm (vgl. VG Hamburg, U.v. 9.1.2017 – 16 A 5546/14 – juris Rn. 51).
Darüber hinaus lässt sich den vorliegenden Erkenntnissen entnehmen, dass anerkannte Schutzberechtigte diese ihnen formal zustehenden Rechte auch tatsächlich durchsetzen können. Rumänien hat den speziellen Integrationsplan und mit dem nationalen Integrationsbüro sowie mehreren Regionalzentren auch entsprechende behördliche Verwaltungseinheiten geschaffen. Das Funktionieren dieser staatlichen Strukturen wird dadurch belegt, dass Rumänien aktiv an dem Europäischen Relocation-Programm gemäß dem Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zu Gunsten von Italien und Griechenland (ABl. L 248/80) teilnimmt.
Darüber hinaus leisten Nichtregierungsorganisationen konkrete Integrationsarbeit durch Beratungen, der Begleitung bei Behördengängen sowie durch die Bereitstellung von Bildungsangeboten. Die anerkannten Schutzberechtigten werden hierdurch insgesamt in einer Art. 3 EMRK genügenden Weise in die Lage versetzt, sich über die ihnen zustehenden Rechte zu informieren und diese auch einzufordern. Für die Kläger ist damit bei Inanspruchnahme der entsprechend angebotenen Hilfen sichergestellt, dass sie jedenfalls die elementaren Bedürfnisse (Wohnraum, Nahrungsmittel und Zugang zu sanitären Einrichtungen) für die erste Zeit befriedigen können.
Dass dies den Klägern unmöglich sei, ist im Verfahren bereits nicht vorgetragen. Überdies hat der Kläger zu 1 im Verfahren geltend gemacht, sein vormals vorhandenes Anwesen im Irak (*) für einen Erlös von 45.000 US-Dollar veräußert zu haben. Dass die Kläger damit über keinerlei Geldmittel verfügen, ist für das Gericht nicht erkennbar. Sonstige individuelle Umstände, die ein anderes Ergebnis begründen könnten, sind ebenfalls weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich (vgl. zu einem derartigen Sonderfall, VG Würzburg, B.v. 6.4.2017 – W 2 S 17.30970 – juris).
Auf die von den Klägern vorgetragene schlechtere wirtschaftliche Lage in Rumänien kommt es rechtlich gesehen nicht an, ebenso wenig ist der bei der Anhörung beim Bundesamt geäußerte Wunsch der Kläger zu 1 und 2 maßgeblich, für ihre Kinder ein besseres Leben in Deutschland zu erhoffen. Entscheidend ist ausgehend vom Ziel einer Schutzgewährung, dass die Kläger in Rumänien nicht befürchten müssen, in den Irak zurückgeführt zu werden. Dies stellt Nr. 3 des mit der Klage angegriffenen Bescheides sicher.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des mit der Klage angegriffenen Bescheids des Bundesamtes vom 19. Dezember 2017 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war demnach vollumfänglich abzuweisen.
Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner gemäß §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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