Europarecht

Leistungen, Honorar, Pauschalpreis, Abrechnung, Anwendung, Klage, Hinweisbeschluss, Verpflichtung, EuGH, Einstufung, KG, Vereinbarung, Einzelrichter, Beweisbeschluss, Urteil des EuGH, Gelegenheit zur Stellungnahme, getroffene Vereinbarung

Aktenzeichen  8 O 1866/13

Datum:
31.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1959
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klagepartei macht abweichend von dem ursprünglich vereinbarten Pauschalpreis die Mindestsätze der HOAI geltend. Das vereinbarte Honorar entspräche lediglich 65 % der Mindestsätze nach der Honorartafel § 54 Abs. 1 Technische Ausrüstung HOAI. Die Klagepartei hat in der Klage daher eine Abrechnung auf Basis der Mindestsätze vorgenommen. Das Gericht hat dementsprechend am 20.12.2018 einen Beweisbeschluss dahingehend erlassen, ob die Honorarschlussrechnung des Klägers im Hinblick auf Leistungsumfang, Baukosten, Aufteilung der geplanten Anlagen und Einstufung der Leistungen aus technischer Sicht korrekt nach dem Mindesthonorar gem. § 54 HOAI 2009 abgerechnet worden sei.
2. Mit Urteil vom 04.07.2019 hat der EuGH (C-377/17) festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtung aus Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. g und Abs. 3 der RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, indem sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. Der Umstand, dass in Deutschland Planungsleistungen von Dienstleistern erbracht werden können, die nicht ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben, lasse im Hinblick auf das von der BRD mit den Mindestsätzen verfolgte Ziel, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu erhalten, eine Inkohärenz in der deutschen Regelung erkennen. Die deutsche Regelung sei zur Erreichung einer Qualitätssicherung daher nicht geeignet.
3. Bezüglich der Folgen der EuGH-Entscheidung für die Anwendung der Mindestsätze der HOAI im laufenden Rechtsstreitigkeiten werden bislang unterschiedliche Ansichten vertreten: Während das OLG Celle (Urt. v. 17.07.2019, Az. 14 U 188/18) und das OLG Düsseldorf (Urt. v. 17.09.2019, Az. I-23 U 155/18) die Mindestsätze der HOAI für unanwendbar hielten, sprachen sich das OLG Hamm (Urt. v. 23.07.2019, Az. 21 U 24/18) und das KG Berlin (Hinweisbeschl. v. 19.08.2019, Az. 21 U 20/19, anders aber: KG Berlin, Urt. v. 13.09.2019 – 7 U 87/18, vgl. IBR 2/2020, S. 75) für eine weitere Anwendung des § 7 Abs. 3 und 5 HOAI aus. Mit Hinweisbeschluss vom 08.10.2019, Az. 20 U 94/19 vertrat nun auch das OLG München die Auffassung, wonach auch nach dem Urteil des EuGH die HOAI einschließlich ihrer Regeln zu Mindest- und Höchstsätzen weiterhin anwendbar sei.
Der BGH hat für den 14.05.2020 einen Verhandlungstermin bestimmt, bei dem die Folgen des EuGH-Urteils für die Anwendung der HOAI-Mindestsätze Gegenstand sein sollen (BGH, VII ZR 174/19, Vorinstanz OLG Hamm).
4. Der zuständige Einzelrichter ist der Auffassung, dass das Mindestpreisrecht der HOAI angesichts des festgestellten Verstoßes gegen die Dienstleistungsrichtlinie keine Anwendung mehr finden kann. Denn aus § 260 Abs. 1 AEUV folgt für den Staat die Pflicht, den festgestellten Verstoß zu beenden. Diese Verpflichtung trifft alle staatlichen Stellen, zu denen auch die Gerichte gehören (Ehricke in Streinz, Art. 260 AEUV Rn. 6).
a) Zwar gelten Richtlinien grundsätzlich nicht unmittelbar. Nach der Rechtsprechung des EuGH können aber auch Richtlinien unmittelbare Geltung erhalten. Voraussetzungen einer solchen unmittelbaren Wirkung sind Ablauf der Umsetzungsfrist, Verstoß gegen die Umsetzungspflicht und eine Durchgriffseignung der Richtlinie. Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie gegeben. Die Umsetzungsfrist ist am 28.12.2009 abgelaufen, der Verstoß festgestellt und die Vorschrift ist auch hinreichend bestimmt und enthält eine unbedingte Verpflichtung.
b) Entgegen der Ansicht des OLG Hamm wird durch das Außerachtlassen des § 7 Abs. 3 HOAI auch nicht in das horizontale Verhältnis zwischen Privaten eingegriffen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Gericht würde durch Anwendung der Mindestsätze der HOAI in die zwischen den Parteien individuell vereinbarten Preise eingreifen.
Der EuGH hat bereits ins seiner Unilever-Entscheidung (Urt. v. 26.09.2000, C-443/98, Celex-Nr. 61998CJ0443) die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien für den Fall entschieden, dass die Richtlinie nicht den materiellen Gehalt der Rechtsnorm festlegt, auf deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat (Rn. 51).
Vorliegend geht es um die Anwendung des § 7 Abs. 3 HOAI als Verbotsnorm, durch die die Pauschalpreisabrede der Vertragsparteien korrigiert wird. Diese Konstellation ist vergleichbar mit dem der Unilever-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt. Nicht die Dienstleistungsrichtlinie bestimmt das materielle Recht, sondern die Parteivereinbarung. Demjenigen, der sich bislang auf die Mindestpreise der HOAI berufen konnte, wird durch die Nichtanwendung der Mindestsätze keine subjektive Rechtsposition genommen. Es gilt weiterhin der vereinbarte Pauschalpreis. Dadurch, dass das Gericht die gegen EU-Recht verstoßende Verbotsnorm unangewendet lässt, greift das Gericht vielmehr nicht in den Rechtsstreit ein.
c) Zwar hat der EuGH in einer neueren Entscheidung ausgeführt, dass das Unionsrecht, insbesondere Art. 288 AEUV, dahin auszulegen sei, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen Privaten befasstes nationales Gericht, das sich außerstande sieht, Vorschriften seines innerstaatlichen Rechts, die einer Richtlinienbestimmung, die alle Voraussetzungen erfüllt, um unmittelbare Wirkung zu entfalten, zuwiderlaufen, in einer mit dieser Bestimmung im Einklang stehenden Weise auszulegen, nicht allein auf der Grundlage des Unionsrechts verpflichtet sei, die innerstaatlichen Vorschriften sowie eine mit ihnen im Einklang stehende Klausel in einem Versicherungsvertrag unangewendet zu lassen.
(EuGH, Urteil vom 07. August 2018 – C-122/17 –, juris)
In diesem Fall ging es um einen Versicherungsvertrag, der einen Ausschluss des Versicherungsschutzes für Mitfahrer eines Lieferwagens enthielt, die auf keinen fest installierten Sitzplatz mitfuhren. Dieser Ausschluss der Versicherungspflicht entsprach dem damaligen geltend nationalen (irischen) Recht, widersprach jedoch EU-Recht.
Damit betrifft diese Entscheidung aber gerade den Fall, in dem die Anwendung der Richtlinie dazu führen würde, dass das Gericht in eine privatautonom getroffene Vereinbarung, die dem nationalen Recht entspricht, eingriffe und an deren Stelle eine Rechtsposition unmittelbar aus der Richtlinie herleiten würde. Wie bereits ausgeführt führt die Nichtanwendung der Mindestpreisregelung der HOAI aber nicht dazu, dass die eigentlich nicht unmittelbar anwendbare Richtlinie eine subjektive Rechtsposition schafft, die an Stelle des vertraglich Vereinbarten tritt. Aus Sicht des Einzelrichters folgt daher aus dem Urteil des EuGH vom 07.08.2018 keine Abkehr vom Anwendungsvorrang in der streitgegenständlichen Konstellation (anders dagegen OLG München, a.a.O. S. 2).
5. Diese Auffassung zugrunde gelegt, kann sich die Klage nicht auf eine Abrechnung auf Basis der Mindestsätze nach HOAI stützen.
6. Die Klagepartei kann binnen 6 Wochen ihren Klagevortrag entsprechend der Rechtsauffassung des Gerichts anpassen. Die Beklagtenpartei erhält im Anschluss Gelegenheit zur Stellungnahme auf den geänderten Sachvortrag.
7. Das Gericht rät den Parteien angesichts der bestehenden Unsicherheiten, insbesondere im Bezug auf künftige höchstrichterliche Entscheidungen, zu der Aufnahme von Vergleichsverhandlungen. Angesichts der in der Rechtsprechung bestehenden unterschiedlichen Rechtsauffassungen besteht für beide Seiten das Risiko, dass der Rechtsstreit auf absehbare Zeit nicht beendet werden kann und weitere Kosten entstehen.

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