Europarecht

Löschung einer polizeilichen Eintragung als “festgestellter Reichsbürger”

Aktenzeichen  Au 8 K 19.127

Datum:
19.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31209
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPAG Art. 54 Abs. 1, Art. 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. Aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgt grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung der über eine Person gespeicherten Polizeidaten, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht auf gesetzlicher Grundlage gerechtfertigt ist. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kann eine Polizeibehörde nicht darlegen, für die Erfüllung welcher polizeilichen Aufgaben die fortdauernde Speicherung einer an mehrere Jahre zurückliegende Vorfälle anknüpfenden Eintragung von Nutzen sein kann, ist die Eintragung einer Person als „festgestellter Reichsbürger“ nicht mehr erforderlich und daher zu löschen, selbst wenn die zehnjährige Überprüfungsfrist noch nicht abgelaufen ist. (Rn. 18 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Verhaltensweisen, die typischerweise der Reichsbürgerbewegung zugeordnet werden, sind grundsätzlich geeignet, den Arbeitsablauf bei Ämtern und Behörden massiv zu beeinträchtigen und können eine Gefahr i.S.d. Art. 2 Abs. 1 BayPAG hervorrufen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, die Eintragung des Klägers als „festgestellter Reichsbürger“ im Informationssystem Polizei (INPOL) zu löschen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Löschung der in Bezug auf seine Person erfolgten Eintragung als „festgestellter Reichsbürger“ im Informationssystem Polizei (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Anspruch des Klägers auf Löschung ergibt sich aus Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS. 1 BayPAG.
a) Aus dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgt grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung der über ihn gespeicherten Polizeidaten, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht auf gesetzlicher Grundlage gerechtfertigt ist. Diesen im Verfassungsrecht wurzelnden Rechtsanspruch hat der bayerische Gesetzgeber einfach-rechtlich für den Bereich der Polizeidaten allgemein in Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG ausgestaltet. Danach sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war (Nr. 1), sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen (Nr. 2) oder bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist (Nr. 3).
Die in Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS. 1 PAG genannten Überprüfungsfristen und -termine betragen in der Regel bei Erwachsenen zehn Jahre (vgl. Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS. 2 i.V.m. Art. 54 Abs. 2 Satz 3 BayPAG). Werden aber Daten für die polizeiliche Aufgabenerfüllung aller Voraussicht nach nicht mehr benötigt, gebietet es nicht nur der Wortlaut des Gesetzes, sondern auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den mit der Speicherung personenbezogener Daten verbundenen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung sofort und nicht erst nach Ablauf einer bestimmten Frist zu löschen (BayVGH, U.v. 21.1.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 36).
b) Im Fall des Klägers ist die zehnjährige Überprüfungsfrist zwar noch nicht abgelaufen. Jedoch ist die Eintragung des Klägers als „festgestellter Reichsbürger“ nicht mehr erforderlich und daher zu löschen.
Die Zulässigkeit der polizeilichen Speicherung personenbezogener Daten richtet sich grundsätzlich nach Art. 54 Abs. 1 BayPAG. Danach kann die Polizei personenbezogene Daten in Akten oder Dateien speichern oder anderweitig verarbeiten, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben, zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist.
Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie (EU) 2016/680 definiert personenbezogene Daten als alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Dies trifft auf den Fall des Klägers zu.
Welche Aufgaben die Polizei zu erfüllen hat, richtet sich nach Art. 2 Abs. 1 BayPAG. Danach hat die Polizei die allgemein oder im Einzelfall bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Zur öffentlichen Sicherheit gehört auch der Bestand und das Funktionieren des Staates, seiner Rechtsordnung und seiner grundlegenden Einrichtungen (Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, BayPAG, 4. Aufl. 2014, Art. 2 Rn. 15).
Grundsätzlich sind Verhaltensweisen, die typischerweise der Reichsbürgerbewegung zugeordnet werden, geeignet, den Arbeitsablauf bei Ämtern und Behörden massiv zu beeinträchtigen und damit eine Gefahr i.S.d. Art. 2 Abs. 1 BayPAG hervorzurufen. „Reichsbürger“ bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und sind der Auffassung, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen. Ausgehend von dieser Annahme beantragen sie häufig einen Staatsangehörigkeitsausweis (sog. „gelber Schein“), von dem sie sich u.a. den „Ausstieg aus der Firma BRD“ erhoffen. Zu den typischen Verhaltensweisen gegenüber Justiz und Behörden zählt das Überziehen dieser mit querulatorischen Schreiben, in denen der öffentlichen Verwaltung und der Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz abgesprochen wird. Zum Teil verfolgen „Reichsbürger“ damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z. B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeld- oder Verwaltungsverfahren zu entziehen. In umfangreichen Briefen werden z. B. Beamte und Richter belehrt und beleidigt oder gegen sie haltlose Schadensersatzforderungen erhoben (vgl. zum Ganzen: Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 179 ff.).
Der Kläger hat im Dezember 2013 bzw. Juli 2016 Mahnbescheide gegen den Freistaat Bayern in Höhe von 360 Millionen Euro bzw. 40 Millionen Euro beim AG * beantragt. Am 28. April 2014 machte er bei der Staatsanwaltschaft * einen Strafentschädigungsanspruch nach dem StrEG sowie einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 360 Millionen Euro geltend. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim für ihn zuständigen Finanzamt Ende 2016 wiederholte der Kläger mehrfach monoton, dass das Finanzamt nicht zur Pfändung seines Mobiltelefons sowie eines Geldbetrags berechtigt sei und stellte dessen Existenz infrage. Die Aussage des in der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2019 zu diesem Gespräch als Zeuge vernommenen Amtsleiters bewertet das Gericht als glaubhaft.
Mit diesen aus den vorgelegten Akten und aufgrund der Zeugenaussage nachvollziehbaren Verhaltensweisen erfüllte der Kläger mehrere Kriterien, die typischerweise mit der Reichsbürgerbewegung in Verbindung gebracht werden. Dass der Beklagte den Kläger zum damaligen Zeitpunkt der Reichsbürgerbewegung zugeordnet hat, ist somit nicht zu beanstanden.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung liegen jedoch keine Anhaltspunkte mehr dafür vor, dass die Eintragung des Klägers als „festgestellter Reichsbürger“ zur Aufgabenerfüllung i.S.d. Art. 2 Abs. 1 BayPAG noch erforderlich ist.
Der letzte Vorfall, der eine Zuordnung des Klägers zur Reichsbürgerbewegung zuließ, hat sich Ende 2016 ereignet. Seitdem ist nichts mehr vorgefallen, was eine derartige Beurteilung noch rechtfertigen könnte. Dies hat der Vertreter des Beklagten auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt. Es gibt keine aktuellen Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger auch in jüngerer Vergangenheit der Ideologie der „Reichsbürger“ entsprechend verhalten hätte. Insbesondere besteht kein Grund für die Annahme, dass er seine Staatsangehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland in Abrede stellt oder den sogenannten „gelben Schein“ beantragt hätte. Der Klägerbevollmächtigte wies in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass der Kläger auf Nachfrage nicht einmal wusste, um was es sich dabei handelt.
Es mag sein, dass der Kläger in völliger Verkennung der Rechtslage vom Bestehen der von ihm geltend gemachten Millionenforderungen überzeugt ist und dies auch nach außen hin vertritt. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um den Kläger nach wie vor unter der Eintragung „festgestellter Reichsbürger“ in INPOL zu führen. Der Beklagte hat weder in der mündlichen Verhandlung noch schriftlich darlegen können, für die Erfüllung welcher polizeilichen Aufgaben die fortdauernde Speicherung dieser an mehrere Jahre zurückliegende Vorfälle anknüpfenden Eintragung von Nutzen sein kann. Ohne das Hinzutreten weiterer Vorfälle ist auch sonst nicht ersichtlich, inwieweit der Beklagte die Eintragung zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Angesichts der Tatsache, dass auf INPOL gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 BKAG neben den Landespolizeidienststellen auch das Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, die Bundespolizei, die Polizei beim Deutschen Bundestag, Zollbehörden, Zollfahndungsämter und das Zollkriminalamt Zugriff haben, steht dem Kläger zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein Anspruch auf Löschung der Eintragung zu. Auch aus dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) ergibt sich ein Anspruch des Klägers auf Löschung, da die weitere Speicherung der Eintragung wie dargelegt nicht mehr durch eine gesetzliche Grundlage gerechtfertigt ist (BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 22).
Ein Abwarten der Überprüfungsfrist i.S.d. Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS. 1 BayPAG ist dem Kläger ebenfalls nicht zumutbar, da diese nach Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS. 2 i.V.m. 54 Abs. 2 Satz 3 BayPAG in der Regel zehn Jahre beträgt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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