Europarecht

Marke, Kaufpreis, Fahrzeug, Berufung, Annahmeverzug, Pkw, Sittenwidrigkeit, betrug, Zeitpunkt, Kilometerstand, Feststellung, Grenzwerte, Kraftfahrt-Bundesamt, Betriebsuntersagung, Zug um Zug, wichtiger Umstand

Aktenzeichen  8 U 37/21

Datum:
14.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44004
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

23 O 701/20 2021-03-01 Endurteil LGSCHWEINFURT LG Schweinfurt

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 01.03.2021, Az. 23 O 701/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Endurteil des Landgerichts Schweinfurt sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf eines gebrauchten Fahrzeugs Marke Seat Ateca 2.0 TDI XCELLENCE 4Drive. Die Beklagte ist die Herstellerin des im Fahrzeug eingebauten Motors.
Der Kläger erwarb am 09.02.2018 den gebrauchten Pkw Marke Seat Ateca 2.0 TDI XCELLENCE 4Drive (FIN: …) beim Autohaus …. e.K. in …. Der Kaufpreis des Fahrzeugs betrug 30.600,- €. Zum Zeitpunkt des Kaufs hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 9.570 km. Die Erstzulassung des Pkw`s war am 14.11.2017. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 288 (EURO 6) ausgestattet. Für die Abgasnachbehandlung wird „AdBlue“ eingesetzt.
Die Beklagte war in den Vertragsschluss weder eingebunden noch hatte sie Kenntnis davon.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nahm auf Anfrage des Oberlandesgerichts Celle mit Schreiben vom 14.12.2020 zum „Dieselmotor EA 288“, verbaut in einem Pkw Marke VW Tiguan Highline 4Motion 2,0 l TDI, EURO 6, Erstzulassung 2017, Stellung. In diesem Schreiben führt das Kraftfahrt-Bundesamt u.a. nachfolgendes aus:
„Das KBA führte umfassende Untersuchungen durch an Fahrzeugen, in denen Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrags (EA) 288 verbaut wurden, im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, des Software-Updates Nationales Forum Diesel sowie spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten. (…) Im Fokus der KBA-Untersuchungen standen die Analyse des Abgasnachbehandlungssystems und seiner Komponenten sowie der Software der Motorsteuerung. Diese Untersuchungen zeigten, dass die Fahrzeuge die gesetzlichen Grenzwerte für Abgasschadstoffe einhielten und in der Software keine unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt werden konnten.
Mit Abschluss der Analyse der Funktionsweise des Emissionskontrollsystems und eingehaltener Grenzwerte gemäß der Verordnung (EG) 715/2007 Anhang I gelten die Untersuchungen an Fahrzeugen mit diesem Emissionskontrollsystem als abgeschlossen.“
Auf den weiteren Inhalt des Schreibens des Kraftfahrt-Bundesamtes an das Oberlandesgericht Celle vom 14.12.2020 (Anlage BE 22) wird Bezug genommen.
In einem weiteren Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) nahm dieses auf Anfrage des Landgerichts Berlin mit Schreiben vom 01.02.2021 erneut zum „Diesel-Motor-Typ EA 288“ Stellung (Anlage BE24). In diesem Schreiben heißt es u.a.:
„Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrags (EA) 288 durch. Es wurden weder bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtypen VW Golf (…) noch bei einem anderen Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufweist, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Es wurden daher weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen.
Die Fahrkurvenerkennung in der Motorsteuerung der Aggregate des Entwicklungsauftrags (EA) 288 wird nach Untersuchung des KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, so lange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird.“
Auf den weiteren Inhalt des Schreibens des Kraftfahrt-Bundesamtes an das Landgericht Berlin vom 01.02.2021 wird verwiesen.
Zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vom 14.07.2021 wies das Fahrzeug des Klägers einen Kilometerstand von 68.991 km auf.
Der Kläger behauptet, in seinem Fahrzeug sei ein Motor verbaut, der mit Hilfe einer illegalen Motorsteuerungssoftware den Ausstoß von Stickoxiden auf dem Prüfstand reduzieren würde. Auf den Rollenprüfstand werde ein anderes Motorprogramm in Gang gesetzt als im Normalbetrieb. Dies sei als unzulässige Abschalteinrichtung zu werten. Zudem sei in das Fahrzeug ein sog. „Thermofenster“ verbaut. Auch dieses sei als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewerten.
Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,
1.Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Seat mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … an die Klagepartei den Kaufpreis in Höhe von 30.600,- € abzüglich eines Nutzungsentschädigungsbetrags in Höhe von 4.575,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 26.024,17 € seit dem 16.07.2020 zu bezahlen.
2.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1. in Annahmeverzug befindet.
3.Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.
Die Beklagte führt aus, in das Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden. Eine Prüfstanderkennung bzw. eine Zykluserkennung wie beim Motor EA 189 sei nicht vorhanden. Das Kraftfahrtbundesamt habe den Motor EA 288 bereits im Jahr 2016 geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Abgasmanipulationen wie beim Motor EA 189 nicht betroffen sei. Auch habe es keinen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt gegeben. Auch sei das Fahrzeug nicht aufgrund anderer belastender Bescheide bzw. Rückrufe des Kraftfahrtbundesamtes mit einer Stilllegung bedroht gewesen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 01.03.2021 Bezug genommen. Weiter wird auf die gewechselten Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Parteien sowie die vorgelegten Anlagen verwiesen.
Das Landgericht Schweinfurt hat mit Endurteil vom 01.03.2021 die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Landgericht Schweinfurt aus, es stehe nicht fest, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Insoweit seien keine Indizien erkennbar. Es habe weder einen Rückruf noch Beanstandungen der zuständigen Behörden gegeben. Ein Sachverständigengutachten sei nicht einzuholen gewesen, da die Klägerseite lediglich Vermutungen „ins Blaue hinein“ aufgestellt habe. Der Kläger konnte nicht darlegen, wie er zu seinen aufgestellten Behauptungen gekommen sei. Zum „Thermofenster“ würden jegliche Ausführungen fehlen. Auch eine Täuschung durch die Beklagten sei nicht belegt. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf die Entscheidungsgründe des Endurteils des Landgerichts Schweinfurt vom 01.03.2021 verwiesen.
Gegen das den Klägervertretern am 01.03.2021 zugestellte Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 01.03.2021 hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 30.03.2021, eingegangen bei dem Oberlandesgericht Bamberg am gleichen Tag, Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit Berufungsbegründung vom 17.05.2021 fristgerecht begründet.
In seiner Berufungsbegründung führt der Kläger aus, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB sei gegeben. Im Fahrzeug wären mehrere illegale Abschalteinrichtungen verbaut. Hierbei würde es sich um ein „Thermofenster“, eine „Zykluserkennung“ und das „On-Board-Diagnose-System“ (OBD) handeln. Auf einen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt komme es bei der Bewertung einer Abschalteinrichtung als illegal nicht an. Im Übrigen würde die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast treffen.
In der Berufungsinstanz beantragt der Kläger:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Seat mit der FIN: … an die Klagepartei den Kaufpreis in Höhe von 30.600,- € abzüglich eines Nutzungsentschädigungsbetrags in Höhe von 4.575,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 26.024,17 € seit dem 16.07.2020 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1. in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.
Zur Begründung ihres Antrags führt die Beklagte aus, es existiere kein Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes für das streitgegenständliche Fahrzeug wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Auch wurde hinsichtlich des Motors EA 288 kein verpflichtendes Software-Update angeordnet. Das Kraftfahrtbundesamt habe diesen Motor mehrfach geprüft, ohne eine unzulässige Abschalteinrichtung festzustellen. Auch sei das OBD-System nicht manipuliert. Dieses System überwache nur die abgasbeeinflussenden Systeme. Die Nichtanzeige eines bestimmten Wertes würde zu keiner unzulässigen Abschalteinrichtung führen. Auch sei in das System nicht in der Weise eingegriffen worden, um Fehlermeldungen zu verhindern. Das von der Klägerseite monierte „Thermofenster“ stelle ebenfalls keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Im Übrigen wird auf die vielfältigen amtlichen Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamtes verwiesen.
Zur Ergänzung wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen im Berufungsverfahren sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 14.07.2021 Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
2. a. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB ist nicht erkennbar.
Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, welches an seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Daher genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 15, NJW 2020, 1962, 1963). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15, Rdnr. 16, NJW 2017, 250, 252). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen, kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 07.05.2019, Az.: VI ZR 512/17, Rdnr. 8, NJW 2019, 2164, 2165).
Als objektiv sittenwidrig wäre das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger insbesondere dann zu qualifizieren, wenn die Beklagte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes systematisch, langjährig Motoren in den Verkehr gebracht hätte, obwohl dessen Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 25, NJW 2020, 1962, 1965). Durch die Verwendung eines derartigen Motors ginge in dieser Konstellation nicht nur eine erhöhte Belastung der Umwelt einher, sondern auch die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung für die betroffenen Fahrzeuge eine Betriebsbeschränkung oder eine Betriebsuntersagung drohen würde. Ein solches Verhalten wäre im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwerben würde, verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.
b. Im vorliegenden Fall konnte der Kläger weder nachweisen, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung drohte bzw. droht.
Durch das Kraftfahrt-Bundesamt wurde sowohl gegenüber dem Oberlandesgericht Celle in der amtlichen Auskunft vom 14.12.2020 als auch gegenüber dem Landgericht Berlin in der amtlichen Auskunft vom 01.02.2021 dargelegt, dass trotz einer umfassenden Untersuchung an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrags (EA) 288 in diesen Aggregaten keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt werden konnten. Weiter bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt, dass weder Nebenbestimmungen angeordnet noch ein behördlicher Rückruf ergangen sei. Durch den Kläger wurden auch keine konkreten Umstände vorgebracht, die diese Einschätzungen des Kraftfahrt-Bundesamtes erschüttern könnten.
Da auch mehr als vier Jahre nach dem Bekanntwerden von „Abgasmanipulationen“ bei anderen Motoren kein Rückruf für Fahrzeuge mit einem Motor vom Typ EA 288 erfolgt ist, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser in Zukunft droht, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung für das Fahrzeug des Klägers. Daher fehlt ein wichtiger Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten beim Motor des Typs EA 189 im Falle des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründet wurde (OLG Bamberg, Urteil vom 17.03.2021, Az.: 8 U 163/20; OLG Bamberg, Urteil vom 26.05.2021, Az.: 8 U 139/20).
c. Auch liegt keine Vergleichbarkeit mit der Konstellation der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Motoren des Typs EA 189 vor, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 ff.) zugrunde lagen.
In den dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 zugrunde liegenden Fall wurde die grundlegende strategische Entscheidung getroffen, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von der Einhaltung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und das Kraftfahrt-Bundesamt zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens für diesen Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig eine Einhaltung der Grenzwerte durch die speziell ausgerüsteten Dieselfahrzeuge vorzutäuschen. In diesen Fällen war die Software bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden. Dieses Verhalten zielte auf eine arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde ab (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 17, NJW 2021, 921, 923).
Bei dem Einsatz von Motorprogrammierungen wie einem sog. „Thermofenster“, einem sog. „Warmlaufprogramm“ und dem „On-Board-Diagnose-System“ (OBD) fehlt es aber an einem derartigen arglistigen Verhalten, welches die Qualifikation des Verhaltens des Motorherstellers als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 18, NJW 2021, 921, 923). Derartige Softwareprogrammierungen weisen keine Funktionen auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktivieren und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduzieren. Vielmehr wird sowohl im Normalbetrieb als auch im Prüfstandbetrieb in gleicher Weise gearbeitet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, wäre bei dieser Konstellation der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur dann gerechtfertigt, wenn zusätzliche weitere Umstände hinzuträten, die neben einem Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az: VI ZR 889/20, Rdnr. 28, BeckRS 2021, 4148; BGH, Urteil vom 13.07.2021, Az.: VI ZR 128/20). Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung derartiger Softwareelemente in dem Bewusstsein agierten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Konkrete Anhaltspunkte für derartige Umstände wurden vom Kläger nicht schlüssig dargelegt.
d. Der Senat vermag auch keine Anhaltspunkte für die zu fordernden weiteren Umstände zur Begründung der besonderen Verwerflichkeit erkennen.
Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen hat nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchssteller zu tragen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, NJW 2021, 921, 923). Seitens des Klägers wurde nicht schlüssig dargetan, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung arglistig getäuscht haben könnte. Aufgrund der Stellungnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber dem Oberlandesgericht Celle und dem Landgericht Berlin erscheint dem erkennenden Senat eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes fernliegend.
3. a. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers folgt auch nicht aus anderen deliktischen Anspruchsgrundlagen.
Zur Überzeugung des Senats sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein betrügerisches Verhalten im Sinne von § 263 StGB erkennbar. So fehlen insbesondere bereits nähere Darlegungen, welcher Irrtum beim Kläger kausal erregt worden sein soll und welche subjektiven Vorstellungen er bei Vertragsschluss gehabt habe.
b. Auch steht dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 zu. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Weder die §§ 6 und 27 EG-FGV noch Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 dienen dem Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit. Selbst wenn diese Vorschriften vorliegend durch Verwendung einer Motorsteuerungssoftware verletzt sein sollten, so könnte dieser Umstand allein einen Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers nicht begründen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 73 f., NJW 2020, 1962, 1671). Vielmehr verfolgen die Normen gesamtgesellschaftliche Ziele, wie die Weiterentwicklung des Binnenmarktes sowie die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus (OLG Bamberg, Urteil vom 26.05.2021, Az.: 8 U 139/20; OLG Bamberg, Urteil vom 30.06.2021, Az.: 8 U 257/20).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die zugrunde liegenden Rechtsfragen durch zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, denen der Senat gefolgt ist, geklärt sind.


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