Europarecht

Marktuntersagung eines Wasserreinhaltungsprodukts wegen Störung des ökologischen Gleichgewichts

Aktenzeichen  B 2 K 17.491

Datum:
1.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21848
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 528/2012 Art. 3 Abs. 1 lit. a, Art. 17 Abs. 1, Art. 65 Abs. 1
ChemG § 21 Abs. 2 S. 1, § 23 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Wirkung auf oder gegen Schadorganismen iSd Art. 3 Abs. 1 lit. c Biozid-VO ist auch im Falle einer lediglich mittelbaren Wirkung gegeben. (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Untersagung der Bereitstellung eines Produktes auf dem Markt, solange für das Produkt eine Zulassung nach den Anforderungen der Biozid-VO nicht vorliegt, ist zur Beseitigung des Verstoßes gegen die Biozid-VO iSd § 23 Abs. 1 ChemG notwendig. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei dem Umstand, ob es sich bei einem Produkt um ein Biozidprodukt handelt, handelt es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung einer möglichen Anordnung nach § 23 Abs. 1 ChemG; wird der Tatbestand als nicht erfüllt angesehen, kann daher eine Ermessensausübung, die unter Umständen eine Selbstbindung auslösen kann, nicht erfolgen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da der Bescheid des Beklagten vom 24.05.2017, Az. …, rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 S. VwGO).
I.
Die Untersagungsverfügung in Ziffer 1 des Bescheides vom 24.05.2017 ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung ist § 23 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) – ChemG – i.V. m. § 21 Abs. 2 S. 1 ChemG i.V. m. Art. 65 Abs. 1 Biozid-VO. Bei der Biozid-VO handelt es sich um eine EU-Verordnung im Sinne des § 21 Abs. 2 S. 1 ChemG, da diese Verordnung Sachbereiche des ChemG betrifft (vgl. § 3 Nr. 11 ChemG) und die Überwachung ihrer Durchführung nach Art. 65 Abs. 1 S. 1 Biozid-VO den Mitgliedsstaaten obliegt.
Die Untersagungsverfügung ist formell rechtmäßig. Die Zuständigkeit des Gewerbeaufsichtsamtes der Regierung von Oberfranken zum Erlass der Untersagungsverfügung ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 der aufgrund von Art. 1 Abs. 2 des Zuständigkeitsgesetzes erlassenen Verordnung über gewerbeaufsichtliche Zuständigkeiten – ZustV-GA – i.V. m. Nr. 46 der Anlage zur ZustV-GA.
Die Untersagungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig.
Nach § 23 Abs. 1 ChemG kann die zuständige Landesbehörde im Einzelfall die Anordnungen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße gegen eine in § 21 Abs. 2 S. 1 genannte EU-Verordnung notwendig sind. Die Biozid-VO ist eine solche Verordnung (s. o.).
Es liegt mit dem Vertrieb von … ohne Zulassung nach der Biozid-VO ein Verstoß gegen die Biozid-VO vor. Denn nach Art. 17 Abs. 1 Biozid-VO dürfen Biozidprodukte nur auf dem Markt bereitgestellt oder verwendet werden, wenn sie nach der Biozid-VO zugelassen wurden. … bedarf hiernach der Zulassung, da es sich um ein Biozidprodukt handelt. Eine solche Zulassung liegt nicht vor.
Ein Biozidprodukt ist nach Art. 3 Abs. 1 lit. a 1. Gedankenstrich Biozid-VO jeglicher Stoff oder jegliches Gemisch in der Form, in der er/es zum Verwender gelangt, und der/das aus einem oder mehreren Wirkstoffen besteht, diese enthält oder erzeugt, der/das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen. Nach diesen Voraussetzungen handelt es sich bei … um ein Biozidprodukt.
1. Es handelt sich um ein Gemisch, da … mit den enthaltenen Bestandteilen Calciumperoxid, Calciumchlorid und Calciumdihydroxid aus mehreren Stoffen besteht. Es gelangt auch in dieser Form zum Verwender.
2. … enthält mit Calciumperoxid einen Wirkstoff. Ein Wirkstoff ist nach Art. 3 Abs. 1 lit. c Biozid-VO ein Stoff oder ein Mikroorganismus, der eine Wirkung auf oder gegen Schadorganismen entfaltet.
a) Algen sind Schadorganismen. Ein Schadorganismus ist nach Art. 3 Abs. 1 lit. g Biozid-VO ein Organismus, einschließlich Krankheitserreger, der für Menschen, für Tätigkeiten des Menschen oder für Produkte, die von Menschen verwendet oder hergestellt werden, oder für Tiere oder die Umwelt unerwünscht oder schädlich ist. Eine Alge ist ein Organismus, der sowohl für Produkte, die von Menschen verwendet werden als auch für die Umwelt unerwünscht ist. Denn sowohl in künstlichen Teichen als auch in natürlichen Gewässern ist eine übermäßige Algenpopulation nicht erwünscht.
b) Calciumperoxid entfaltet auf Algen eine Wirkung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. c Biozid-VO.
Eine Wirkung auf oder gegen Schadorganismen ist auch im Falle einer lediglich mittelbaren Wirkung gegeben. Eine Einschränkung der Wirkstoffdefinition auf eine unmittelbare Wirkung ist dem Wortlaut des Art 3 Abs. 1 Lit. c Biozid-VO, wonach „eine Wirkung“ gefordert ist, nicht zu entnehmen. Eine Auslegung dahingehend, dass auch eine mittelbare Wirkung genügt, ergibt sich aus dem dritten Erwägungsgrund der Biozid-VO. Danach ist Zweck der Biozid-VO ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu gewährleisten. Ein hohes Schutzniveau würde infrage gestellt, wenn ein Wirkstoff lediglich bei Vorliegen einer unmittelbaren Wirkung auf den Schadorganismus angenommen würde. Denn auch ein Stoff, der lediglich eine mittelbare Wirkung auf Schadorganismen entfaltet, kann eine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier oder für die Umwelt darstellen.
Diese Auslegung wird auch gestützt durch die vom Beklagten angeführte Entscheidung des EuGH zur Auslegung der Biozid-Produktedefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Biozid-RL. Zwar bezieht diese sich nicht auf die Auslegung des Wirkstoffbegriffs der Biozid-RL, da dieser nicht Gegenstand im Vorabentscheidungsverfahren des EuGH war, jedoch hatte der EuGH zu entscheiden, ob eine mittelbare Wirkung eines Produktes genügte oder ob eine unmittelbare Wirkung nach der Biozid-RL zur Erfüllung der Biozid-Produktedefinition erforderlich war. Aufgrund des geforderten hohen Schutzniveaus der Biozid-RL genügte eine mittelbare Wirkung (EuGH, U. v. 01.03.2012, Az. C-420/10 – juris Rn. 27).
Vorliegend ist eine mittelbare Wirkung gegeben, indem Algen aufgrund des durch die Bindung von Phosphat, durch das in … enthaltene Calciumperoxid, geringeren Nährstoffgehalts eines Gewässers weniger Nährstoffe zur Verfügung stehen und Algen damit weniger Biomasse aufbauen sowie vorhandene Algen zunächst auf von ihnen eingelagerte Nährstoffreserven zurückgreifen müssen und anschließend absterben soweit sie sich aus dem Gewässer nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgen können.
3. … ist auch gem. Art 3 Abs. 1 lit. a Biozid-VO dazu bestimmt, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen in anderer Weise zu bekämpfen.
Bei dieser Voraussetzung handelt es sich um ein subjektives Merkmal („dazu bestimmt“), das die Definition von Biozidprodukten auf solche Produkte eingrenzt, bei denen die Wirkung auf Schadorganismen (s. o.) zu deren Bestimmung gehört und bei denen die Wirkung nicht in bloßer physikalischer oder mechanischer Einwirkung bestehen soll und darauf gerichtet ist, die Schadorganismen zu bekämpfen.
Eine solche Bestimmung ist bei … gegeben. Nach dem Produktnamen und der Produktbeschreibung auf der Verpackung soll … Algen bekämpfen. Denn danach handle es sich um den stärksten Phosphatbinder der Welt, der den Phosphatgehalt unter den von Alten verwertbaren Wert von 0,035 mg/l absenke und so einem massenhaften Algenwachstum effektiv vorbeuge. Zur permanenten Algenvorbeugung sei das Produkt alle 6 Wochen nachzudosieren. Diese Bestimmung wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass die langfristige Nährstoffreduktion sich auf bestehende Algen aufgrund von eingelagerten Reserven erst nach mehreren Tagen auswirkt.
… ist auch nicht dazu bestimmt, durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Algen in anderer Weise zu bekämpfen. Denn die Bindung des Phosphats erfolgt mittels einer chemischen Reaktion und nicht durch eine bloß physikalische Bindung des Phosphats. Die bezweckte Wirkung auf die Alge ist nicht bloß physikalischer Natur, denn bei der fehlenden Möglichkeit der Algen, das gebundene Phosphat zu verstoffwechseln, handelt es sich um eine biologische Folge der chemischen Bindung. Damit ist die Wirkweise auch nicht vergleichbar mit der Substanz, die der Durchführungsbeschluss der Kommission (EU) Nr. 2015/655 vom 23.04.2015 (s. o.) zum Gegenstand hat. Die sich dort auf der Wasserfläche bildende Silikonschicht wirkt auf die Mücken physikalisch ein, denn die Mücken werden abgehalten oder gehen aufgrund der geringeren Oberflächenspannung des Wassers unter.
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, es bestehe keine zielgerichtete Wirkung gegen Algen, sondern eine allgemeine, lediglich regulierende Wirkung auf den Nährstoffbestand des Gewässers, die sich gleichermaßen auf alle Organismen im Gewässer auswirke, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Wollte die Klägerin unter diesem Gesichtspunkt eine Einordnung des Produktes als Biozidprodukt vermeiden, müsste das Produkt auch lediglich mit dieser Bestimmung vermarktet werden.
Die Untersagung der Bereitstellung des Produktes … auf dem Markt, solange für das Produkt eine Zulassung nach den Anforderungen der Biozid-VO nicht vorliegt, ist zur Beseitigung des Verstoßes gegen die Biozid-VO im Sinne des § 23 Abs. 1 ChemG notwendig. Denn solange eine Zulassung nach der Biozid-VO für das Produkt nicht vorliegt, verstößt dessen Bereitstellung auf dem Markt gegen die Biozid-VO (s. o.).
Die Untersagung ist auch frei von Ermessensfehlern (§ 114 S. 1 VwGO) erfolgt. Der Beklagte hat das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Biozid-VO, deren Zulassungsverfahren sicherstellen soll, dass Herstellung und Bereitstellung auf dem Markt von Biozidprodukten keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben, gegen das Interesse der Klägerin abgewogen, … unverändert am Markt bereitzustellen, ohne ein mit Kosten verbundenes Zulassungsverfahren durchlaufen zu müssen.
Der Beklagte hat mit der Untersagung nicht gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung verstoßen. Danach darf eine Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung von ihrer ständigen Verwaltungspraxis, gleichgelagerte Sachverhalte regelmäßig in gleicher Weise zu entscheiden, nicht ohne Grund abweichen, da dies einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten würde. Der geltend gemachte Umstand, dass der Beklagte in Kläranlagen eingesetzte Produkte nicht als Biozidprodukte betrachtet habe, kann eine Selbstbindung des Beklagten nicht auslösen. Denn bei dem Umstand, ob es sich bei einem Produkt um ein Biozidprodukt handelt, handelt es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung einer möglichen Anordnung nach § 23 Abs. 1 ChemG (vgl. oben). Wird der Tatbestand als nicht erfüllt angesehen, kann eine Ermessensausübung, die unter Umständen eine Selbstbindung auslösen kann, nicht erfolgen.
Die Annahme der Klägerin, vor der Einordnung von … als Biozidprodukt durch den Beklagten sei eine konkrete Risikoanalyse erforderlich gewesen, die die konkret zu erwartende Gefahr, die vom Produkt ausgeht, analysiert und bewertet, um dann eine Risikominderungsmaßnahme zu treffen, ist nicht zutreffend. Vielmehr löst die Erfüllung der Merkmale der Definition für Biozidprodukte (Art. 3 Abs. 1 lit. a Biozid-VO, s. o.) die Zulassungsbedürftigkeit von … nach Art. 17 Abs. 1 Biozid-VO aus. Mögliche Gefahren, die von dem Produkt ausgehen, sind dann erst im Rahmen des Zulassungsverfahrens zu prüfen (vgl. Art. 19 ff. Biozid-VO). Es ist im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 23 Abs. 1 ChemG nicht erforderlich, dass der Beklagte inhaltlich durch eine Risikoanalyse die erst im Rahmen des bisher nicht erfolgten Zulassungsverfahrens erheblichen Fragen vorwegnimmt, zumal dadurch der Verstoß gegen die Biozid-RL, der gerade auf der Bereitstellung des Produktes ohne Zulassung beruht, aufrechterhalten bliebe.
II.
Die Gebührenfestsetzung in Ziffer 2 des Bescheides vom 24.05.2017 beruht auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2, Art. 6 und Art. 10 des Kostengesetztes – KG – i.V. m. Nr. 7.II.9/1.4 des Kostenverzeichnisses – KVz.
Da die Untersagungsverfügung (Ziffer 1) und die Kostenentscheidung (Ziffer 2) des Bescheides vom 24.05.2017 rechtmäßig sind, ist die Klägerin durch diese nicht in ihren Rechten verletzt und die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung – ZPO.


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