Europarecht

Maximal 10-jährige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Dieselabgasskandal

Aktenzeichen  21 U 6009/19

Datum:
23.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2933
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2, § 540 Abs. 1 Nr. 1, § 546
BGB § 199 Abs. 3 Nr. 1, § 826

 

Leitsatz

1. Schadensersatzansprüche des Käufers eines am 30.06.2008 erworbenen Audi TT Coupé 2.0 TDI quattro, der mit dem Dieselmotortyp EA 189 (EU 5) ausgestattet ist, gegen die Fahrzeugherstellerin verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an (§ 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB; hier: im Juli 2018). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der gesamte Schaden, der auf einem bestimmten einheitlichen Verhalten beruht, gilt bereits mit der ersten Vermögenseinbuße als eingetreten (und setzt damit insgesamt die Verjährungsfrist in Gang). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

44 O 2150/18 2019-09-12 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 12.09.2019, Az. 44 O 2150/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 27.02.2020.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt aus Deliktsrecht im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug, das mit dem Dieselmotortyp EA 189 (EU 5) ausgestattet ist.
Der Kläger erwarb am 30.06.2008 das streitgegenständliche Fahrzeug, einen Audi TT Coupé 2.0 TDI quattro, von dem Autohaus M. GmbH, vgl. verbindliche Audi Bestellung, Anlage K 1. Dieses Fahrzeug enthielt eine unzulässige Abschalteinrichtung und war deshalb Gegenstand eines Rückrufs durch das Kraftfahrtbundesamt. Im Prüfstand, der mit Hilfe einer Software erkannt wurde, wurde eine erhöhte Rückführung und Verbrennung von Abgasen vorgenommen, im normalen Fahrbetrieb war die Abgasrückführungsrate deutlich geringer. Im Februar 2016 wurde der Kläger über den Einbau der Abschalteinrichtung informiert, hinter Anlage K 10.
Erstmals mit Schreiben vom 06.12.2018, Anlage K 10, machte der Kläger bei der Beklagten Ansprüche geltend. Diese wurde aufgefordert, den Kaufpreis für das Fahrzeug Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu erstatten.
Mit Schriftsatz vom 06.12.2018, bei Gericht eingegangen am 17.12.2018, wurde gegen die Beklagte Klage erhoben.
Die Beklagte hält die gegen sie erhobenen Ansprüche für unbegründet und beruft sich auf Verjährung. Der Kläger hingegen ist der Auffassung, dass er seine Ansprüche noch durchsetzen könne.
Wegen der weiteren festgestellten Tatsachen und Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage wegen absoluter Verjährung abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Kläger eingelegte Berufung, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter verfolgt. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 19.12.2019 Bezug genommen.
II.
Der Senat beabsichtigt, sein eingeschränktes Ermessen (“soll“) dahingehend auszuüben, dass er die Berufung des Klägers durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch nicht geboten ist, § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.
Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Berufungsbegründung hat nicht aufzeigen können, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht, § 546 ZPO. Auch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen keine andere Entscheidung. Das Landgericht hat die Klage ohne Rechtsfehler zutreffend wegen Verjährung abgewiesen.
Im Hinblick auf die Berufungsbegründung sind noch folgende Ausführungen veranlasst:
1. Nach der hier zutreffend vom Landgericht herangezogenen Vorschrift, § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB, verjährt der vom Kläger geltend gemachte deliktische Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an. Voraussetzung ist damit lediglich, dass der Anspruch (objektiv) entstanden ist, nicht aber, dass der Kläger von der Existenz eines eventuellen Anspruchs wusste oder hätte wissen müssen. Der Anspruch ist hier mit dem vom Kläger behaupteten Schadenseintritt entstanden, vgl. auch Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, Rn. 24 und 53 zu § 199 BGB. Dieser liegt nach seinem eigenen Vortrag in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit, nämlich der verbindlichen Neuwagenbestellung am 30.06.2008. Die Berechnung erfolgt taggenau nach § 187 BGB, vgl. Palandt, BGB, 79. Aufl., Rn. 43 zu § 199 BGB.
Keine notwendige Voraussetzung für den Eintritt der Verjährung ist, dass der Kläger – wie er meint – im Zeitpunkt des Schadenseintritts von der illegalen Manipulation des Fahrzeugs gewusst haben muss. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift (“ohne Rücksicht auf die Kenntnis…“). Gleichwohl war aber der Anspruch grundsätzlich hinsichtlich Gläubiger, Schuldner und Inhalt bestimmbar, was für die Entstehung eines Anspruchs erforderlich, aber auch ausreichend ist, vgl. BGH, Urteil vom 16.04.2014, Az. IV ZR 153/13.
Das Ergebnis, dass eine Kenntnis des Gläubigers von der Existenz eines eventuellen Anspruchs nicht erforderlich ist, ist auch sachgerecht, weil im Konflikt zwischen Gläubigerschutz einerseits und Schuldnerschutz sowie Rechtsfrieden andererseits, letzterem der Vorrang einzuräumen ist,
vgl. Palandt, 79. Auflage 2020, Überblick vor § 194 Rdnr. 10.
Im vorliegenden Fall hätte der Kläger auch im Hinblick auf das Bekanntwerden des Dieselskandals ab Mitte Oktober 2015 und dem an ihn gerichteten Schreiben vom Februar 2016, hinter Anlage K 10, auch die Chance gehabt, seine Ansprüche rechtzeitig gegen die Beklagte geltend zu machen.
2. Soweit der Kläger darauf verweist, dass der Schaden hier nicht nur in der Eingehung einer nicht gewollten Verbindlichkeit liege, sondern auch durch verschiedene weitere Schädigungshandlungen der Beklagten begründet sei, so übersieht der Kläger den im Schadensersatzrecht geltenden Grundsatz der Schadenseinheit. Danach gilt der gesamte Schaden, der auf einem bestimmten einheitlichen Verhalten beruht, bereits mit der ersten Vermögenseinbuße als eingetreten, vgl. Münchener Kommentar, aaO, Rdnr.9 zu § 199 BGB. Im Übrigen kann der Kläger seinen Anspruch, die Rückabwicklung des Kaufvertrages, auch nicht auf spätere Handlungen der Beklagten stützen, weil diese für den Vertragsabschluss nicht kausal geworden sein können.
3. Zur Vermeidung weiterer Kosten, empfiehlt der Senat dem Kläger, die offensichtlich aussichtslose Berufung zurückzunehmen. Auf Ziffer 1222 des Kostenverzeichnisses wird hingewiesen.


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