Europarecht

Nutzungsänderungsgenehmigung, vorhergehende bestandskräftige Nutzungsuntersagung, faktisches Mischgebiet (verneint), Gemengelage

Aktenzeichen  9 ZB 21.2287

Datum:
16.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12070
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 6

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 5 K 19.1336 2021-07-08 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen als Gesamtschuldnerinnen die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerinnen wenden sich als Miteigentümerin bzw. Wohnungseigentümergemeinschaft gegen eine dem Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Nutzungsänderung eines Baustoffhandels in eine landwirtschaftliche Maschinenabstellhalle sowie die Errichtung von Saatgut-Containern und Silos auf dessen benachbartem Grundstück. Das Verwaltungsgericht hat ihre entsprechende Klage abgewiesen. Der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 5. September 1919 stehe weder eine bereits mit Bescheid vom 19. Oktober 2017 an den Beigeladenen gerichtete, bestandskräftige Nutzungsuntersagung entgegen, noch könnten sich die Klägerinnen mit Erfolg auf eine Verletzung des sogenannten Gebietserhaltungsanspruchs oder des Gebots der Rücksichtnahme berufen.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie sind der Auffassung, die Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung unterliege ernstlichen Zweifeln hinsichtlich ihrer Richtigkeit und weiche von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab. Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – verteidigt dagegen mit ausführlicher Begründung das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie des vorgelegten Behördenakts verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Zunächst bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). In rechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, die mit Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2017 ausgesprochene und bestandskräftige Nutzungsuntersagung hindere nicht den Erlass der streitgegenständlichen Nutzungsänderungsgenehmigung vom 5. September 2019. Vor dem Hintergrund des von ihm durchgeführten Augenscheins hat es außerdem mit nachvollziehbarer Begründung festgestellt, den Klägerinnen stehe kein Gebietserhaltungsanspruch zur Seite, weil die nähere Umgebung des Baugrundstücks keinem der in der Baunutzungsverordnung genannten Baugebiete entspreche, sondern eine nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Gemengelage bilde. Und das Vorhaben erweise sich schließlich auch nicht als rücksichtslos, weil die zu erwartenden Emissionen nicht das zulässige Maß überstiegen und die in dem streitgegenständlichen Bescheid verfügten Auflagen den schutzwürdigen Interessen der Klägerinnen insoweit Rechnung trügen. Der Senat nimmt zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf diese zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen folgendes zu bemerken:
Soweit die Klägerinnen unter Berufung auf eine Entscheidung des 1. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 23.11.2015 – 1 ZB 15.1978 – juris) geltend machen, das Verwaltungsgericht habe „verkannt“, dass der Nutzungsuntersagungsbescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2017 der streitgegenständlichen Genehmigung entgegenstehe, weil jener die damalige Nutzung des Baugrundstücks durch den Beigeladenen ausdrücklich als formell und materiell illegal bewertet habe, verhilft dies ihrem Zulassungsbegehren nicht zum Erfolg. Abgesehen davon, dass die zitierte Entscheidung – anders als hier – einen nach einer bestandskräftigen Beseitigungsanordnung (Art. 76 Satz 1 BayBO) eingereichten und von dem ursprünglichen Bauantrag offenbar nicht abweichenden Antrag auf Erteilung einer Tekturgenehmigung zum Gegenstand hatte, wurde dort wörtlich ausgeführt, „sowohl ein bestandskräftiger Ablehnungsbescheid als auch eine bestandskräftige Beseitigungsanordnung stünden bei unveränderter Sach- und Rechtslage der positiven Verbescheidung eines erneuten Bauantrags in gleicher Sache entgegen“ (aaO. – juris Rn. 7). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die erstmals beantragte, streitgegenständliche Nutzungsänderungsgenehmigung nach erfolgter, fachkundiger Begutachtung des Vorhabens und unter diversen Auflagen erteilt worden ist und damit weder eine unveränderte Sach- und Rechtslage, noch ein erneuter Bauantrag in gleicher Sache vorliegen. Dass die Klägerinnen vor allem die verfügten Auflagen nicht für ausreichend erachten, ändert daran nichts. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, es teile die in der zitierten Entscheidung zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht, sondern schließe sich einer anderslautenden Rechtsmeinung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 6.6.1975 – 4 C 15.73 – juris Rn. 13 ff; vgl. UA S. 17) an. Hierzu verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht.
Der weitere Vortrag der Klägerinnen, das Vorhaben liege entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts in einem faktischen Mischgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO, weswegen ihnen ein Nachbarschutz vermittelnder Gebietserhaltungsanspruch zur Seite stehe, führt ebenfalls nicht zu der begehrten Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht hat eingehend begründet, dass sich in dem streitgegenständlichen Gebiet vorhandene Wohnnutzung und nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe nicht annähernd gleichgewichtig gegenüberstünden, ein Umstand, der die Einordnung als Mischgebiet hindere (UA S. 24 f.). Gegen eine solche Einordnung spreche auch das Vorhandensein störender Gewerbebetriebe, die in einem Mischgebiet weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig wären. Diese Einschätzung ist aus zulassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden und u.a. auch anhand der anlässlich des gerichtlichen Augenscheins gefertigten Fotos (Bl. 61 ff. des VG-Akts) nachvollziehbar. Die Bilder bestätigen den Eindruck des Verwaltungsgerichts, es handele sich um ein Gebiet mit mehr oder weniger engem Nebeneinander von unterschiedlichen Nutzungen, die sich – in der einen oder anderen Beziehung – gegenseitig beeinträchtigen bzw. behindern; mithin eine nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Gemengelage.
Und schließlich rechtfertigt auch das Vorbringen der Klägerinnen, es werde entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme verletzt, nicht die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Ihre Befürchtung, es entstehe eine Geräuschbelastung, die die angeordneten Auflagen nicht auszugleichen vermöchten, welche im Übrigen auch behördlich kaum überprüfbar seien, hat das Verwaltungsgericht nicht geteilt. Es hat vielmehr ausführlich und unter Berufung auf eine gutachterliche Schallimmissionsprognose sowie eine immissionsschutzfachliche Stellungnahme dargelegt (UA S. 27 ff.), dass insbesondere die Vorgaben der TA Lärm eingehalten würden und die angeordneten behördlichen Maßgaben praktikabel, vollziehbar und sanktionierbar seien. Die geäußerte gegenteilige Auffassung der Klägerinnen ist nicht geeignet, diese Feststellungen substantiiert in Zweifel zu ziehen.
2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ist der Sachverhalt geklärt und die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich ohne weiteres anhand der gesetzlichen Vorschriften im Zulassungsverfahren beantworten. Der „außergewöhnliche Begründungsumfang des angefochtenen Urteils des Erstgerichts mit 37 Seiten“ allein ist – entgegen der Ansicht der Klägerinnen – kein „unübersehbarer Hinweis auf die Komplexität und Schwierigkeit der zu würdigenden Rechtssache“, sondern trägt vor allem auch einem ebenfalls ausführlichen Klagevorbringen Rechnung.
3. Und schließlich liegt auch der Zulassungsgrund der Divergenz (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist schon deshalb nicht von einschlägiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 23.11.2015 – 1 ZB 15.1978 – juris) abgewichen, weil der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt, wie oben ausgeführt, mit dem hiesigen nicht vergleichbar ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Der Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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