Europarecht

Ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung bei entsprechender Sprachkenntnis

Aktenzeichen  M 3 S 16.50241

Datum:
6.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a Abs. 2 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 60 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Rechtsbehelfsbelehrung in englischer Sprache gilt dann als ordnungsgemäß, wenn der Asylantragsteller bei der persönlichen Anhörung bestätigt hat, dass er der englischen Sprache mächtig ist. (redaktioneller Leitsatz)
Für sog. Dublin-Rückkehrer ist in Italien eine ausreichende medizinische Versorgung gesichert. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist eigener Angabe zufolge am … geboren, nigerianischer Staatsangehöriger, christlicher Religionszugehörigkeit.
Am 19. November stellte er bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Am selben Tag führte das Bundesamt mit dem Antragsteller ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens durch. Der Antragsteller gab dabei unter anderem an, er sei im November 2014 nach Italien gereist, wo er sich acht Monate aufgehalten habe. Er habe in Italien internationalen Schutz beantragt.
Bei der Eurodac-Recherche des Bundesamts ergab sich ein Treffer für Italien. Der Antragsteller hatte dort am 13. Januar 2015 Asyl beantragt.
Der Antragsteller wurde mit Schreiben des Bundesamts vom 8. Dezember 2015 unter der Anschrift … Str. …, …, zur Zweitbefragung am 22. Dezember 2015 geladen. Bei diesem Gespräch gab der Antragsteller an, er wolle nicht nach Italien überstellt werden, weil er dort nicht gut behandelt worden sei. Es habe nichts Gutes zu essen und keine medizinische Versorgung gegeben. Der Antragsteller gab auf Frage an, keine Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder eine Behinderung zu haben.
Aufgrund des Eurodac-Treffers stellte das Bundesamt am 18. Januar 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Nach Aktenlage blieb das Ersuchen unbeantwortet.
Mit Bescheid vom 24. März 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 2 des Bescheids). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei am 18. Januar 2016 ein Übernahmeersuchen nach der sog. Dublin III-VO an Italien gerichtet worden. Die italienischen Behörden hätten bislang auf das Gesuch nicht geantwortet. Damit sei gemäß Art. 22 Abs. 7/25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmeersuchen stattgegeben werde, was die Verpflichtung nach sich ziehe, die betreffende Person in Italien wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort gestellten Asylantrags gemäß Art.18 Abs. 1b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Das Vorbringen des Antragstellers sei nicht geeignet, um zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Gründe, die einer Überstellung nach Italien entgegenstehen könnten, seien weder vorgetragen worden noch sei derartiges aus der Akte ersichtlich. Daher würde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Italien als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens durch Italien oder der endgültigen negativen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder einer Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung habe, durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Der Bescheid enthält in englischer Sprache, in der auch die Gespräche vor dem Bundesamt geführt worden waren, eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung. Ausweislich der Postzustellungsurkunde versuchte der Zusteller am 4. April 2016, den Bescheid dem Antragsteller in der Gemeinschaftsunterkunft … Str. …, …, persönlich zu übergeben; weil er ihn nicht erreichte, übergab er den Bescheid dem Leiter der Gemeinschaftsunterkunft. Auch der Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthielt und den der Antragsteller bei Antragstellung in Kopie beigefügt hat, weist als Zustelldatum den 4. April 2016 aus.
Am …. April 2016 erhob der Antragsteller zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamts vom 24. März 2016 aufzuheben. Er beantragte außerdem am selben Tag,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Er beantragte außerdem, ihm hinsichtlich der Klage- und Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung trug er vor, dass er den Bescheid und insbesondere die Rechtsbehelfsbelehrung aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht ausreichend verstanden habe. Erst die Sozialberatung der Landeshauptstadt München habe ihn heute auf die Möglichkeit, Rechtsmittel einlegen zu können, hingewiesen.
Eine Rückkehr nach Italien sei ihm aufgrund seiner Lungenkrankheit nicht zumutbar. Die Versorgung von Asylbewerbern sei in Italien mangelhaft. Außerdem hätte er dort keine Unterkunft, da die italienischen Behörden hierbei nicht behilflich seien. Er legte einen Vordruck des Klinikums … (in englischer Sprache) vor, das eine Aufklärung hinsichtlich einer Bronchoskopie enthält, die Unterschrift eines Arztes vom 13. August 2015, jedoch an der im Vordruck für den Namen des Patienten vorgesehenen Stelle keine Angabe enthält; es sind eine Reihe von Beschwerden aufgeführt.
Am … April 2016 legte der Antragsteller ergänzend in Kopie eine „Verordnung von Krankenhausbehandlung“, ausgestellt am 19. April 2016 vor, in der es unter Diagnose heißt: „ Lungentuberkulose, Einleitung einer 4-fach-Therapie 08/2015 ….“ und unter Untersuchungsergebnisse: „Unauffälliges Atemgeräusch, Herztöne unauffällig, Puls regelmäßig, keine Beinödeme, vergrößerter cervikaler Lymphknoten rechts, klinisch erneut Husten und Nachtschweiß“.
Im nachgereichten Bericht der … Klinik … vom 4. Mai 2016 nach dortiger stationärer Behandlung heißt es zusammenfassend, die Untersuchungsergebnisse von Sputum und Bronchialsekret hätten keinen Nachweis von Tuberkuloseerregern ergeben. Aufgrund der langen Therapieunterbrechung sei am 2. Mai 2015 erneut eine Therapie eingeleitet worden.
Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 12. April 2014 die Akte vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung ist unzulässig, da er die Frist des 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht einhält.
Gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 4. April 2016 bekanntgegeben. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Antragsteller am 4. April 2016 in der Gemeinschaftsunterkunft … Str. …, …, zugestellt, indem der Bescheid dem Leiter der Unterkunft übergeben wurde. Diese Ersatzzustellung ist gemäß § 10 Abs. 5 AsylG i. V. m. § 3 Abs. 2 VwZG, § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zulässig. Gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann das Schriftstück dann, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen wird, das Schriftstück durch Übergabe an den Leiter der Einrichtung zugestellt werden. Es ist unstreitig, dass der Antragsteller in dieser Gemeinschaftsunterkunft seinen Wohnsitz zu nehmen hatte.
Der streitgegenständliche Bescheid enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung, und zwar auch in englischer Sprache, deren Beherrschung der Antragsteller bei den persönliche Anhörungen am 19. November 2015 und am 22. Dezember 2015 versichert hatte.
Damit gilt die Bekanntgabe durch die Zustellung am 4. April 2016 als bewirkt, ohne dass es darauf ankäme, wann der Leiter der Gemeinschaftsunterkunft dem Antragsteller das an ihn gerichtete Schriftstück übergeben hat und wann dieser davon Kenntnis genommen hat (vgl. VG Bayreuth, U. v. 6.7.2015 – B 3 K 14.30335 – juris Rn. 27, VG Osnabrück, B. v. 21.10.2009 – 5 B 1010/09).
Nach § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB begann die (Wochen-)Frist am 5. April 2016 zu laufen und endete nach § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB am 11. Juli 2016 (einem Montag). Der am 12. Juli 2016 gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist daher verfristet.
Dem Antragsteller war auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuzuerkennen. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 VwGO); die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (Satz 2).
Der vom Antragsteller genannte Grund mangelnder Sprachkenntnisse, aufgrund derer er die Rechtsbehelfsbelehrung nicht ausreichend verstanden habe, kann einen Anspruch auf Wiedereinsetzung nicht begründen. Die Rechtsbehelfsbelehrung war in englischer Sprache abgefasst, das Bundesamt hat beide persönlichen Anhörungen des Antragstellers, am 19. November 2015 und am 22. Dezember 2015, mithilfe eines Sprachmittlers in englischer Sprache durchgeführt, wobei der Antragsteller jeweils zu Beginn des Gesprächs bestätigt hat, sich mit dem Sprachmittler verständigen zu können.
Abgesehen davon würden auch die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen zu seiner Behandlung dem gestellten Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar hat das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, als auch der Abschiebung entgegenstehende Vollzugshindernisse zu prüfen (vgl. BayVGH, B. v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris). Den vorgelegten Attesten lässt sich kein inlandsbezogenes Vollzugshindernis entnehmen. Die Reisefähigkeit des Antragstellers ist nicht beeinträchtigt. Es besteht auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis. Nach der Auskunftslage ist insbesondere für sog. Dublin-Rückkehrer in Italien eine ausreichende, medizinische Versorgung für Asylbewerber gesichert, danach ist sogar eine – wie sie beim Antragsteller gerade nicht festgestellt wurde – aktive Lungentuberkulose in Italien behandelbar (vgl. VG München, B. v. 14.10.2015 – M 12 S 15.50779 – juris Rn. 53 ff). Der Antragsteller hat bei Aufnahme in die stationäre Behandlung am 20. April 2016 (vgl. Bericht v. …5.2016) keine Beschwerden angegeben, weder Husten, noch Fieber, noch Gewichtsverlust. Die Untersuchungsergebnisse ergaben keinen Nachweis von Tuberkuloseerregern; die erneute Therapie wurde vielmehr eingeleitet, weil der Antragsteller die bereits im August 2015 eingeleitete Therapie vorzeitig abgebrochen hatte und erst am 19. April 2016, also nach Einleitung der gerichtlichen Verfahren, erneut einen Arzt aufgesucht hat.
Nach allem war der gestellte Antrag bereits wegen Verfristung abzulehnen.
Nach § 154 Abs. 1 VwGO trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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