Europarecht

Patentauslegung – Widerspruch zwischen Anspruch und Beschreibung

Aktenzeichen  21 O 12927/20

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 41224
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EPÜ Art. 64, Art. 69
PatG § 139 Abs. 1 und 2, § 140a Abs. 1 und 2, § 140b Abs. 1 und 2
BGB § 242, § 259

 

Leitsatz

1. Im Rahmen der Auslegung ist die patentierte Erfindung einheitlich zu erfassen. Die Patentschrift ist folglich in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ihr Gesamtinhalt im Zweifel so zu verstehen, dass sich Widersprüche nicht ergeben (Anschluss an BGH GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge). (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bestehen gleichwohl unauflösbare Widersprüche zwischen der technischen Lehre der Beschreibung und derjenigen der Schutzansprüche, ist der Patentanspruch maßgeblich (Anschluss an BGH GRUR 2011, 701, 703 – Okklussionsvorrichtung). (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Zahlung einer Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Das Urteil ist gegen Zahlung einer Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Auf der Grundlage der Ausführungen der Klägerin vermag die Kammer eine Verletzung des Klagepatents nicht zu bejahen.
I. 1. Das Klagepatent betrifft ein zweiteiliges Getränkeherstellungssystem, beste hend aus einer Getränkezubereitungsmaschine und einer die Inhaltsstoffe desgewünschten Getränks, typischerweise Kaffeepulver, enthaltenden Kapsel. Entsprechende Kapselmaschinen und dazu passende Kapseln waren in dem zum Prioritätszeitpunkt maßgeblichen Stand der Technik bereits seit langem bekannt. Unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 11.06.1980 wurde etwa bereits am 09.06.1981 eine Getränkezubereitungsmaschine zur Gewinnung eines Getränkes unter Verwendung austauschbarer Kapseln unter der Nummer EP 0 041 931 beim Europäischen Patentamt angemeldet (Anlagenkonvolut B5, D29). Die dementsprechend patentgemäße Maschine sah bereits das grundlegende technische Prinzip vor, wonach eine die Getränkeinhaltsstoffe wie Kaffee enthaltende Kapsel in die Maschine eingelegt wird, um sodann unter Druck stehendes Wasser in die Kapsel einfließen zu lassen, bis der unter zunehmenden Druck gesetzte Kapseldeckel reißt und sodann das gewünschte Getränk extrahiert werden kann.
Entsprechende Maschinen und dazugehörige Kapseln wurden im Fortfolgenden in bestimmten Einzelaspekten technisch weiterentwickelt. Eine zentrales Problem bestand im Rahmen verschiedenster fortentwickelter Lösungsvorschläge darin, dass ein unerwünschter Bypass-Fluss an Wasser vermieden werden muss. Hierbei handelt es sich in technischer Hinsicht um eine grundlegende Problematik, da unerwünschter Wasseraustritt nicht nur zu Verschmutzungen in der Maschine führen, sondern insbesondere ein möglicher Druckverlust damit einhergehen kann, infolgedessen die Qualität der Getränkeextraktion nachteilig beeinflusst werden kann. Dass ein hinreichender Druck für die Qualität des extrahierten Getränks entscheidend ist, war dem Fachmann im Stand der Technik bereits bewusst (vgl. etwa S. 2 Z. 34 bis S. 3 Z. 5, DE 692 00 472 T2, Anlagenkonvolut B5, D20). Dementsprechend wurde auch im Stand der Technik die Frage, wie die notwendige Abdichtung zwischen dem eine Kapsel umschließenden Element einer Getränkezubereitungsmaschine und der gleichfalls in der Maschine enthaltenen Halterung der Kaffeekapsel bewirkt wird, bereits diskutiert und auf unterschiedliche Weise gelöst.
Aus der im Klagepatent explizit als Stand der Technik zitierten europäischen Patentanmeldung EP 1 700 548 A1 (Anlagenkonvolut B5, D5; nachfolgend nur EP‘548 dort: Abs. [0012]) wusste der Fachmann insoweit, dass eine Verbesserung der abdichtenden Wirkung beispielsweise maschinenseitig dadurch bewirkt werden kann, dass die Innenseite des umschließenden Elements mit gummielastischem Material ausgekleidet wird. Als vorteilhaft erachtet es die Offenbarungsschrift EP‘548 indes, das abdichtende Element an der Kapsel selbst auszubilden (dort: Abs. [0014]). Das Verschließen wird dabei dem entsprechenden Stand der Technik zu Folge dadurch bewirkt, dass sich infolge des in die Kapsel einfließenden Wassers im Kapselinneren ein Druck aufbaut, der einen selbstverstärkenden Dichtungseffekt zwischen der Kapsel und der Getränkezubereitungsmaschine zur Folge hat (EP‘548, Abs. [0044] und [0046]).
Eine Weiterentwicklung hierzu ist dem Fachmann aus der Patentanmeldung WO 2013/136209 A1 (WO‘209, Anlagenkonvolut B5, D1) bekannt. Mit dem Ziel einer effektiveren abdichtenden Wirkung bei zugleich reduziertem Maß an erforderlicher Fertigungspräzision ist demzufolge ein an dem Kapselrand ausgebildeter, ringförmiger Zahn vorgesehen, der von einem entsprechend eingekerbten Gegenstück des umschließenden Elements so aufgenommen wird, dass das an dem oberen Rand des umschließenden Elements hervorstehende ringförmige Element in die an der Kapsel ausgebildete ringförmige Rille eingreift und sich so ein abgedichteter Kontakt mit wenigstens einer der inneren Seitenflächen der ringförmigen Rille der Kapsel bildet.
An diesen Stand der Technik knüpft das Klagepatent gemäß Abs. [0002] und Abs. [0004] an. Eine konkrete technische Problemstellung wird indes nicht benannt. Gemäß Abs. [0003] der Klagepatentschrift ist es das Ziel der streitgegenständlichen Erfindung, eine alternative Kapselgestaltung bereitzustellen, die als Teil eines Getränkezubereitungssystems verwendet werden kann. Eine entsprechende Kapsel soll in der Herstellung wirtschaftlich vorteilhaft sein und während ihres Gebrauchs eine effektive Abdichtung ermöglichen.
2. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des dem Klagepatent zu Grunde liegenden Standes der Technik ist es als erfindungsgemäße Aufgabe anzusehen, eine gegenüber dem Stand der Technik fortentwickelte, zur industriellen Fertigung geeignete Kapselgestaltung bereitzustellen, die eine verbesserte Abdichtung beim Gebrauch einer Getränkezubereitungsmaschine ermöglicht.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent gemäß dem mit der Klage geltend gemachten Vorrichtungsanspruch 1 ein zweiteiliges, aus einer Getränkezubereitungsmaschine und einer die Inhaltsstoffe des gewünschten Getränks wie typischerweise Kaffeepulver enthaltenden Kapsel bestehendes Getränkeherstellungssystem vor, das sich wie nachfolgend dargestellt gliedern lässt. Die Kammer nimmt dabei Bezug auf die Merkmalsgliederung der Klägerin, da diese der Reihenfolge des für die Auslegung primär maßgeblichen Anspruchswortlauts folgt:
1
Getränkeherstellungssystem, umfassend:
1.1
eine Kapsel, welche Getränkezutaten enthält; und
1.2
eine Getränkezubereitungsmaschine
1.2.1
wobei die Getränkezubereitungsmaschine ein umschließendes Element aufweist, welches dafür angepasst ist, selektiv bewegbar zu sein zwischen einer offenen Position, um ein Einsetzen
der Kapsel in die Getränkezubereitungsmaschine zuzulassen, und einer geschlossenen Position, in welcher das umschließende Element abdichtend mit der Kapsel in Eingriff tritt;
1.3
wobei die Kapsel einen becherförmigen Körper und einen Deckel umfasst;
1.3.1
wobei der becherförmige Körper eine Basis und eine Seitenwand aufweist
1.3.2
und der Deckel mit dem becherförmigen Körper abgedichtet ist;
1.4
wobei die Kapsel zum Einsetzen in die Getränkezubereitungsmaschine ausgelegt ist, um zuzulassen, dass eine unter Druck stehende Flüssigkeit durch die Kapsel strömt, um durch eine Wechselwirkung mit den Getränkezutaten ein Getränk herzustellen;
1.5
wobei vor einem Einsetzen die Seitenwand umfasst:
1.5.1
– eine ringförmige Mulde, welche derart dimensioniert ist, dass sie das umschließende Element bei einer Bewegung des umschließenden Elements in die geschlossene Position aufnimmt;
1.5.2
– einen ersten Seitenwandabschnitt, welcher sich zwischen der Basis und der ringförmigen Mulde erstreckt; und
1.5.3
– einen zweiten Seitenwandabschnitt, welcher sich zwischen der ringförmigen Mulde und einem Rand der Kapsel erstreckt;
1.6
wobei die Seitenwand dafür angepasst ist, während eines Schließens des umschließenden Elements eine plastische Verformung zu erfahren,
1.7
wobei die ringförmige Mulde
1.7.1
dafür angepasst ist, eine Dichtungsanlagefläche mit einem vorderen Rand des umschließenden Elements zu bilden,
1.7.2
vor einem Einsetzen die ringförmige Mulde eine innere Wand, eine äußere Wand und einen Boden umfasst,
1.8
wobei der Rand
1.8.1
integral mit dem becherförmigen Körper gebildet ist,
1.8.2
durch einen umgestülpten Abschnitt der Seitenwand gebildet ist,
1.9
wobei der becherförmige Körper
1.9.1
aus Aluminium oder einer Aluminiumlegierung gebildet ist,
1.9.2
aus einem einzelnen integralen Materialstück gebildet ist,
1.9.3
eine Dicke im Bereich von 80 bis 120 Mikrometer aufweist.
Darüber hinaus beansprucht das Klagepatent in den abhängigen Unteransprüchen 2 bis 16 weitere, besondere Ausgestaltungen des erfindungsgemäßen Getränkezubereitungssystems. Ungeachtet der in den verschiedenen Unteransprüchen gesondert beanspruchten Teilmerkmale zeichnen sich sämtliche Ansprüche 1 bis 16 des Klagepatents dadurch aus, dass diese – ebenso wie der unabhängige Hauptanspruch 1 – ein zweiteiliges, aus Getränkezubereitungsmaschine und Kapsel bestehende Getränkezubereitungssystem beanspruchen, das sich durch jeweils drei Aspekte auszeichnet. In Abs. [0006] wird das aus Maschine und Kapsel bestehende System also solches betont und klargestellt, dass die Kapsel vor dem Einsetzen in die Maschine in erfindungsgemäßer Weise ausgestaltet sein muss. Abs. [0007] beschreibt die Kapsel als eigenständiges Produkt. Die anspruchsgemäße Funktionsweise des als solchen beanspruchten Getränkezubereitungssystems wird in Abs. [0008] dargestellt.
Gemäß Abs. [0008] der Klagepatentschrift ist das umschließende Element der Getränkezubereitungsmaschine in einem ersten Schritt in eine geöffnete Position zu bewegen. In einem zweiten Schritt wird die Kapsel eingesetzt und das umschließende Element geschlossen, um so einen abdichtenden Eingriff zwischen umschließendem Element und Kapsel herzustellen. Daraufhin wird in einem nächsten Schritt unter Druck stehendes Wasser in die Kapsel eingeleitet, um sodann in Interaktion mit der Getränkezubereitungsmaschine das Getränk zum Verzehr zu extrahieren.
In funktionaler Hinsicht erläutert Sp. 3 Z. 21/23 zudem den patentgemäßen Schließvorgang dahingehend näher, dass mit dem Schließen des umschließenden Elements dieses so in Eingriff mit der an der Kapsel ausgebildeten Ringmulde treten soll, dass hierdurch die Seitenwand der Kapsel deformiert wird. Durch diese Deformation muss sich zumindest eine Dichtungsschnittstelle („sealing interface“) zwischen dem umschließenden Element und der Seitenwand der Kapsel ergeben.
Dieser funktionalen Vorgabe entsprechend ausgestaltete Kapseln sind in den nachfolgend verkleinert dargestellten Figuren 1 und 2 abgebildet, wobei Figur 2 eine vergrößerte Darstellung des kreisförmig markierten Bereichs der in Figur 1 in einer Gesamtansicht abgebildeten, patentgemäßen Getränkekapsel zeigt:
Weitere, alternativ mögliche Gestaltungen des Kapselrandes ergeben sich aus den nachfolgend ebenfalls verkleinert dargestellten Figuren 8 und 14:
Sämtliche patentgemäße Gestaltungsformen zeichnen sich dadurch aus, dass an der im Bereich der gegenüber der Kapselbasis (42) liegenden Seitenwand (43) eine ringförmige Mulde (60) ausgebildet ist. Diese ringförmige Mulde wird seitlich durch eine innere Wand (65) und eine äußere Wand (66) sowie nach unten durch einen Boden (64) begrenzt. Die äußere Wand (68) verläuft über eine Spitze (67) nach außen gerichtet abwärts und bildet so einen zweiten Seitenwandabschnitt (62). Dieser zwischen dem als gerolltem Teil der Seitenwand (48) gestalteten Kapselrand (47) und der ringförmigen Mulde verlaufende, zweite Seitenwandabschnitt (62) kann je nach konkreter Ausführungsform geradlinig (so die Abbildung in Figur 2), wellenförmig (so die Abbildung in Figur 8) oder gestuft (so die Abbildung in Figur 14) gestaltet sein.
Die ringförmige Mulde ist dabei erfindungsgemäß so zu bemessen, dass diese in der geschlossenen Position des umschließenden Elements dessen vorderes Ende ganz oder teilweise aufnehmen kann (Abs. [0009]). Figuren 3 und 4 illustrieren das umschließende Element vor dessen Aufnahme durch die ringförmige Mulde. Bei Figur 4 handelt es sich um eine ausschnittsweise Vergrößerung des von der Ringmulde (60) aufzunehmenden vorderen Endes (23) des umschließenden Elements (2):
Das umschließende Element (2) ist dabei in Bezug auf den Kapselhalter (20) wahlweise zwischen einer offenen und einer geschlossenen Position beweglich.
In der offenen Position kann die Kapsel (1) eingesetzt werden. In der geschlossenen Position ist gemäß Abs. [0050] und [0070] der Klagepatentschrift erfindungsgemäß ein abdichtender Eingriff zwischen der Kapsel und dem Kapselhalter hergestellt.
Figuren 5 und 6 illustrieren das umschließende Element in der geschlossenen Position:
Figur 6 stellt dabei eine ausschnittsweise Vergrößerung des von der ringförmigen Mulde in der geschlossenen Position aufgenommenen, vorderen Endes (23) des umschließenden Elements (2) dar. Entsprechende Illustrationen der geschlossenen Position des umschließenden Elements finden sich in Figuren 12 und 18 der Klagepatentschrift für Kapselgestaltungen gemäß den oben abgebildeten Figuren 8 und 14.
Das umschließende Element kann dabei gemäß Abs. [0051] der Klagepatentschrift zwischen offener und geschlossener Position mittels aus dem Stand der Technik bekannter, gängiger Mechanismen bewegt werden. Als Beispiele nennt das Klagepatent mechanische Schließbewegungen wie einen manuell zu bedienenden Hebel oder einen automatischen oder halbautomatischen Mechanismus, bei dem die Bewegung von einem Motor vorgenommen wird. Wahlweise können insoweit das umschließende Element (2) beweglich und der Kapselhalter (20) stationär oder beide Elemente beweglich konzipiert sein.
Befindet sich das umschließende Element (2) in geschlossener Position, bildet sich ein Behältnis (3), in dem sich während des Extrahierens des Getränks die Kapsel befindet (Abs. [0052]).
Weiter ist gemäß Abs. [0070], [0071] vorgesehen, dass nach dem Schließen Wasser unter Einfluss von Druck in die Kapsel einfließt. Infolge des sich in der Kapsel zunehmend aufbauenden Wasserdrucks wird gemäß Abs. [0055], [0071] der Kapseldeckel zum Zerreißen gebracht, sodass schlussendlich Wasser in Interaktion mit den entsprechenden Inhaltsstoffen durch die Kapsel fließen und das gewünschte Getränk extrahiert werden kann (Abs. [0072]).
Gleiches ist hinsichtlich der in Figuren 8 und 14 gezeigten, alternativen Ausführungsformen vorgesehen (Abs. [0082] bis [0087] sowie Abs. [0094] bis [0099]).
3. Näher erläuterungsbedürftig sind vorliegend die zwischen den Parteien umstrit tenen Merkmalsgruppen 1.2 / 1.2.1 und 1.5 / 1.5.1 sowie das Merkmal 1.6 und die Merkmalsgruppe 1.7. / 1.7.1. Dabei steht merkmalsübergreifend die im vorliegenden Fall zentrale Frage in Streit, wie der klagepatentgemäße Schließmechanismus ausgestaltet sein muss. Während die Klägerin meint, dass jede Relativbewegung des umschließenden Elements in Bezug auf den Kapselhalter ein anspruchsgemäßes Schließen darstellt und dieses daher auch durch den während des Brühvorgangs aufgebauten Fluiddruck bewirkt werden kann, ist die Beklagte der Ansicht, dass der patentgemäß notwendige abdichtende Eingriff zwischen umschließendem Element und Kapsel mit dem mechanischen Schließen bewirkt werden muss.
a. In rechtlicher Hinsicht gilt für die Auslegung folgender Maßstab: Ziel der Ausle gung des Patentanspruchs ist es, dessen Sinngehalt zu ermitteln. Maßgebend ist der Offenbarungsgehalt der Patentansprüche und ergänzend – im Sinne einer Auslegungshilfe – der Offenbarungsgehalt der Patentschrift, soweit dieser in den Patentansprüchen Niederschlag gefunden hat. Die Patentschrift ist dabei maßgebend für das Verstehen der Erfindung. Sie legt den Inhalt der darin verwendeten Begriffe fest und stellt damit „gleichsam ihr eigenes Lexikon“ dar (st. Rspr.; statt vieler: BGH, NJW-RR 2000, 259, 261 – Spannschraube).
Die zur Ermittlung des Offenbarungsgehalts eines Patentanspruchs notwendige Auslegung dient dazu, die technische Lehre des Klagepatents zu erfassen, wie sie aus fachmännischer Sicht – d.h. unter Berücksichtigung des Vorverständnisses, das sich aus dem Fachwissen und Fachkönnen des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ergibt – mit dem Wortlaut des Anspruchs zum Ausdruck gebracht wird. Entscheidend ist damit eine funktionale Auslegung der Schutzansprüche und der darin verwendeten Begriffe, um deren technischen Sinn unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Klagepatent ergeben, zu bestimmen (BGH, BeckRS 2015, 19864, Rn. 16 – Luftkappensystem). Maßgeblich sind insoweit der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der geschützten Erfindung beitragen. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (BGH, a.a.O.; GRUR 2012, 1124, 1126, Rn. 27 – Polymerschaum). Der Patentanspruch bildet eine Einheit, so dass die technischen Merkmale nicht rein isoliert betrachtet und unabhängig voneinander ausgelegt werden dürfen (BGH, GRUR 2011, 129, 131, Rn. 29 – Fentanyl-TTS). Daher gilt es, im Rahmen der Auslegung die patentierte Erfindung einheitlich zu erfassen (BGH, GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Die Patentschrift ist folglich in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ihr Gesamtinhalt im Zweifel so zu verstehen, dass sich Widersprüche nicht ergeben (BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 – Kreuzgestänge; GRUR 2015, 159, 161, Rn. 31 – Zugriffsrechte; GRUR 2011, 701, 703, Rn. 24 – Okklusionsvorrichtung).
Ergeben sich indes unauflösbare Widersprüche zwischen der technischen Lehre der Beschreibung und der technischen Lehre der Schutzansprüche, ist der Patentanspruch maßgeblich (BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 – Kreuzgestänge; GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. – Okklusionsvorrichtung). Im Rahmen der Auslegung dürfen Beschreibung und Zeichnungen zudem weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Schutzgegenstandes führen (BGH, GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. – Okklusionsvorrichtung; GRUR 2010, 602, 605, Rn. 27 – Gelenkanordnung). Soweit sich indes die Beschreibung als Erläuterung des Gegenstands des Patentanspruchs lesen lässt, ist sie zur Bestimmung des Schutzbereichs eines Patents zu berücksichtigen (BGH, GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. – Okklusionsvorrichtung).
Als übergreifenden Gesichtspunkt hat die Auslegung schließlich neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung das gleichgewichtig danebenstehende Gebot der Rechtssicherheit zu beachten (BGH, GRUR 2007, 1059, 1062, Rn. 25 – Zerfallszeitmessgerät; vgl. auch GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
Auslegung Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 b. Gemäß Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 ist eine Getränkezubereitungsmaschine vo rausgesetzt, die ein umschließendes Element aufweist, welches dafür angepasst ist, selektiv bewegbar zu sein zwischen einer offenen Position, um ein Einsetzen der Kapsel in die Getränkezubereitungsmaschine zuzulassen, und einer geschlossenen Position, in welcher das umschließende Element abdichtend mit der Kapsel in Eingriff tritt.
aa. Mit diesen Merkmalen beschreibt das Klagepatent die in einem anspruchsgemäß ausgestalteten Getränkezubereitungssystem geräteseitig notwendigen Voraussetzungen zur Vorbereitung des auf den Schließvorgang folgenden Brühvorgangs. Nach Überzeugung der Kammer versteht der angesprochene Fachmann, hier ein Ingenieur (Diplom- oder Masterabsolvent einer Fachhochschule) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Getränke- und Kaffeekapseln und dazu gehörigen Getränkezubereitungssystemen, das patentgemäße Schließen als mechanischen Schließvorgang, mit dessen Vollendung der abdichtende Eingriff hergestellt sein muss. Ein Schließen des umschließenden Elements durch Einströmen von Wasser und Aufbau entsprechenden Brühdrucks stellt dagegen kein patentgemäßes Schließen dar.
bb. Ausgehend vom Wortlaut der Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 spricht hierfür bereits die im Anspruch selbst gewählte Formulierung eines selektiv bewegbaren umschließenden Elements, das alternativ eine offene bzw. geschlossene „Position“ ermöglicht. Dies indiziert, dass es zwei definierte Gerätestellungen gibt, in welchen – unabhängig von sonstigen Einflüssen – das umschließende Element entweder „offen“ oder „geschlossen“ ist.
cc. Insbesondere aber definiert die Beschreibung des Klagepatents den Schließvorgang nach Ansicht der Kammer eindeutig dahingehend, dass es sich bei dem patentgemäßen Schließvorgang um einen von dem Brühvorgang gesonderten, diesem vorgelagerten Funktionsschritt handelt.
(1) Gemäß Abs. [0008] der Klagepatentschrift ist das umschließende Element zunächst in eine offene Position zu bewegen, bevor sodann die Kapsel eingesetzt wird. In einem nächsten Schritt ist es erfindungsgemäß vorgesehen, dass das umschließende Element geschlossen wird, um bereits hiermit einen abdichtenden Eingriff zwischen Kapsel und umschließendem Element herzustellen. Erst in einem darauffolgenden Schritt erfolgt das Einströmen unter Druck stehenden Wassers.
Dass Abs. [0008], worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung – jedoch ohne nähere Begründung – hingewiesen hat, im Rahmen der Auslegung keine Berücksichtigung finden dürfe, überzeugt nach dem Dafürhalten der Kammer nicht. Abs. [0008] bezeichnet einen der ab Abs. [0006] der Klagepatentschrift beschriebenen, für ein erfindungsgemäßes Getränkezubereitungssystem maßgeblichen Aspekte. Es leuchtet insoweit bereits nicht ein, warum Abs. [0006] und [0007] sowie Abs. [0009], der nach Ansicht der Klägerin im Rahmen der Auslegung der Merkmalsgruppe 1.5 / 1.5.1 herangezogen wird, relevant sein sollen, während dies für Abs. [0008] hingegen nicht der Fall sein soll. Soweit man zu Gunsten der Klägerin das Argument dahingehend verstünde, dass sich Abs. [0008] in der Sache auf einen Verfahrensanspruch bezieht, der als solches gar nicht Gegenstand der patentgemäßen Ansprüche ist, da letztlich ausschließlich Systemansprüche zum Gegenstand des Klagepatents gemacht wurden, würde auch dies im Ergebnis nicht überzeugen. Zum einen ist nach den zur Auslegung maßgeblichen höchstrichterlichen Vorgaben die Patentschrift als einheitliches Ganzes zu lesen. Abs. [0008] beschreibt aber gerade unmittelbar die Getränkezubereitung als solche unter Verwendung eines anspruchsgemäßen Getränkezubereitungssystems. Zum anderen entspricht die Beschreibung in Abs. [0008] dem einheitlichen Gesamtverständnis der Klagepatentschrift und fügt sich widerspruchsfrei in die Gesamtlehre der streitgegenständlichen Erfindung ein. Denn ausdrücklich heißt es in der Beschreibung des Klagepatents weiter:
[0069] In use of the beverage preparation system the enclosing member 2 is first moved into the open position and the capsule 1 is inserted into a location in between the capsule holder 20 and the enclosing member 2. (…)
[0070] The enclosing member 2 is then closed so as to sealingly engage the enclosing member 2 with the capsule 1. During this step the base 42 of the capsule 1 may be pierced by the perforation elements of the enclosing member 2.
[0071] Pressurised aqueous medium (which may be heated, at ambient temperature or chilled) is then flowed into the capsule 1 to produce a beverage from interaction with the beverage ingredients. During this step internal pressurisation of the beverage ingredient chamber 50 causes the lid 41 to be deformed outwardly against the relief elements 21 of the capsule holder 20 resulting in at least partial tearing of the lid 41 which opens up an exit path from the capsule 1 for the beverage.
Zu Deutsch:
[0069] Während des Gebrauchs des Getränkezubereitungssystems wird das umschließende Element 2 zuerst in eine offene Position bewegt und die Kapsel 1 wird in einen Bereich zwischen dem Kapselhalter 20 und dem umschließenden Element 2 eingefügt (…).
[0070] Das umschließende Element 2 wird dann geschlossen, um das umschließende Element 2 in abdichtenden Eingriff mit der Kapsel 1 zu bringen. Während dieses Schritts kann die Basis 42 der Kapsel 1 von Perforationselementen des umschließenden Elements 2 durchgestochen werden.
[0071] Unter Druck gesetzte Flüssigkeit (die erhitzt sein, Raumtemperatur haben oder gekühlt sein kann) wird sodann in die Kapsel 1 eingeleitet, um in Zusammenwirken mit den Getränkeinhaltsstoffen ein Getränk herzustellen. Während dieses Schritts führt der Druckaufbau in der Kammer 50, in der sich die Getränkeinhaltsstoffe befinden, dazu, dass sich der Deckel 41 nach außen gegen die Reliefbestandteile 21 des Kapselhalters 20 verformt, was zu einem zumindest teilweisen Reißen des Deckels 41 führt, so dass sich für das Getränk ein Austrittsweg aus der Kapsel 1 öffnet.
Damit definiert die Beschreibung des Klagepatents den Schließvorgang dahingehend, dass das umschließende Element der erfindungsgemäßen Lehre nach zuerst in die geschlossene Position gebracht werden muss, um dieses bereits hierdurch in abdichtenden Eingriff mit der Kapsel zu bringen. Erfindungsgemäß erfolgt erst im Anschluss daran der Brühvorgang und wird dementsprechend Wasserdruck aufgebaut.
(2) Die genannten Beschreibungsstellen sind auch nicht nur auf ein bestimmtes Ausführungsbeispiel beschränkt. Vielmehr handelt es sich bei den genannten Textstellen der Beschreibung um explizite Erläuterungen des patentgemäßen Schließens, das damit den höchstrichterlichen Vorgaben des BGH in Sachen Okklusionsvorrichtung entsprechend für die Bestimmung des Schutzbereichs des Klagepatents auch zu berücksichtigen ist (BGH, GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E.).
Hinsichtlich der weiteren Ausführungsbeispiele finden sich in Abs. [0082] bis Abs. [0087] sowie in Abs. [0094] bis Abs. [0099] den Abs. [0008], [0069] bis [0071] entsprechende Vorgaben dahingehend, dass zuerst die den erfindungsgemäßen abdichtenden Eingriff bewirkende geschlossene Position herzustellen ist, bevor sodann Wasser eingeleitet und der Brühvorgang durchgeführt wird. Ein dem Brühvorgang vorgelagertes Schließen des umschließenden Elements entspricht damit der nach den Vorgaben des BGH gebotenen Betrachtung der Klagepatentschrift in einem sinnvollen und widerspruchsfreien Zusammenhang (vgl. BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 – Kreuzgestänge; GRUR 2015, 159, 161, Rn. 31 – Zugriffsrechte; GRUR 2011, 701, 703, Rn. 24 – Okklusionsvorrichtung).
(3) Dazu kommt, dass sich – anders als im Ursprungsverfahren mit dem Az. 21 O 12764/19 – in der Beschreibung des Klagepatents keinerlei Anhaltspunkt dafür findet, wonach sich die der Erfindung zu Grunde liegende technische Lehre den Fluiddruck zum Zwecke des Schließens des umschließenden Elements zu Nutze machen kann. Das im Ursprungsverfahren streitgegenständliche Gebrauchsmuster DE‘171 lehrt den angesprochenen Fachmann in Abs. [0070] der entsprechenden Gebrauchsmusterschrift ausdrücklich, dass das freie Ende des einschließenden Elements während des Aufbrühens eine Kraft auf das Dichtungselement der Kapsel ausübt, um einen fluiddichten Kontakt zwischen dem sich nach außen erstreckenden Flansch der Kapsel und dem einschließenden Element bereitzustellen, wobei sich das freie Kontaktende des einschließenden Elements relativ zur Extraktionsplatte unter dem Effekt des Fluiddrucks zur Extraktionsplatte hinbewegen kann. Ausdrücklich heißt es in der Gebrauchsmusterschrift weiter, dass diese Bewegung während der Verwendung, also insbesondere am Beginn und während des Aufbrühens erfolgen kann. Die technische Lehre des Gebrauchsmusters DE‘171 geht folglich explizit dahin, dass der Schließvorgang gerade auch durch den Einfluss des Fluiddrucks bewirkt werden kann.
Dagegen wählt das Klagepatent erfindungsgemäß einen anderen Weg: Der fluiddichte Kontakt soll hier bereits durch den mechanischen Schließvorgang bewirkt werden. Gemäß Abs. [0051] der Klagepatentschrift wird der Wechsel zwischen offener und geschlossener Position dahingehend näher konkretisiert, dass hierfür im Stand der Technik gängige Mechanismen eingesetzt werden können. Dem kann die Klägerin nun nicht entgegenhalten, dass die Nutzbarmachung des Fluiddrucks ein solcher gängiger Mechanismus sei. Die Klagepatentschrift verweist in Abs. [0051] zur Veranschaulichung des Wechsels zwischen offener und geschlossener Position ausschließlich auf mögliche mechanische Verschlussmethoden, indem als mögliche Alternativen per Hand zu betätigende Hebel und automatische oder halbautomatische motorgetriebene Verschlussmechanismen genannt werden.
Eine dem Verschließen dienende Nutzung des Fluiddrucks wird hingegen nicht erwähnt, obwohl diese, dem Grunde nach mögliche technische Lösung dem Fachmann aus dem in Bezug genommenen Stand der Technik gemäß EP‘548 bekannt war. Soweit der Fluiddruck im Klagepatent erwähnt wird, erfolgt dies hingegen zur Verfolgung eines anderen technischen Zwecks. Der dem Klagepatent zu Grunde liegenden technischen Lehre zu Folge hat der Fluiddruck die – insoweit auch ausdrücklich erwähnte – erfindungsgemäße Wirkung, dass der den Kapselinhalt verschließende Deckel mit Erreichen eines hinreichend starken Drucks zum Zerreißen gebracht wird (Abs. [0055] und [0071]).
Angesichts der eindeutigen und klaren Beschreibung des patentgemäßen Schließvorgangs insbesondere in den Abs. [0008], [0051] und [0069] bis [0071] und der Tatsache, dass die funktionale Relevanz des Fluiddruck in Abs. [0055] ausdrücklich in Bezug auf das Zerreißen des Kapseldeckels erwähnt wird, kann der Fachmann die klagepatentgemäße Lehre letztlich nur dahingehend verstehen, dass ein patentgemäßes Schließen vor dem Einsetzen des Brühdrucks und damit mechanisch zu erfolgen hat.
dd. Dieses aus dem Gesamtinhalt der Offenbarung des Klagepatents gewonnene Auslegungsergebnis ist darüber hinaus auch mit Blick auf die funktionalen Vorgaben der streitgegenständlichen Erfindung geboten.
Ein in einem ersten Schritt erforderliches Schließen und damit einhergehendes Herstellen eines abdichtenden Eingriffs führt in technisch vorteilhafter Weise dazu, dass der abdichtende Eingriff vor Beginn des eigentlichen Brühvorgangs bewirkt wird und so die bei der Konstruktion von Kapselmaschinen zentrale und – wie ausgeführt – auch von dem Klagepatent gestellte Aufgabe, unerwünschten Wasseraustritt und damit einhergehenden Druckverlust zu verhindern, möglichst frühzeitig im Rahmen der Zubereitung eines Getränks gelöst wird. Denn wenn – wie es die klagepatentgemäße Lehre vorsieht – ein dichtender Eingriff bereits vor dem durch Einfließen von Wasser erfolgenden Aufbau eines Brühdrucks hergestellt wird, reduziert sich die Gefahr unerwünschten Wasseraustritts in vorteilhafter Weise weiter und ein unerwünschter Wasseraustritt wird von Anbeginn des Gebrauchs des erfindungsgemäßen Getränkezubereitungssystems unabhängig von dem Brühvorgang vermieden. Dies erscheint umso mehr vorteilhaft, als dem relevanten Fachmann aus dem Stand der Technik bewusst ist, dass der Brühdruck insbesondere bei Kaffeeprodukten ein entscheidender, maßgeblicher Faktor für die Qualität des zu extrahierenden Getränkes ist.
ee. Nichts anderes ergibt sich überdies aus dem Argument der Klägerin, wonach ein patentgemäßes Schließen auch unter Nutzung des für den Brühvorgang notwendigen Wasserdrucks erfolgen könne, weil dies dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt aus der Patentschrift EP‘548 bekannt sei. Diese Argumentation überzeugt bereits aus dem Grund nicht, weil die Klagepatentschrift neben der EP‘548 auch auf die Patentschrift WO’209 verweist, die sich ihrerseits dadurch von dem Dichtungsprinzip der EP‘548 abzugrenzen sucht, das die Abhängigkeit von einem auf ein Dichtungsmittel ausgebübten, axialen Druck reduziert wird (WO‘209, S. 2 Z. 1/5; S. 2 Z. 24; S. 3 Z. 20/24). Dabei wird – ähnlich dem Klagepatent – eine Lösung vorgeschlagen, wonach eine am Kapselrand ausgebildete ringförmige Vertiefung und eine im Bereich des Kapselrandes verlaufende Spitze eine Abdichtung mit dem umschließenden Element herstellt (WO‘209, S. 14 Z. 12/18 sowie Figur 2). Ob damit aber auch die WO‘209 bereits ein dem Aufbau von Wasserdruck und damit einhergehendem Einleiten von Wasser in die Kapsel vorangehendes Schließen voraussetzt, muss an dieser Stelle nicht abschließend entschieden werden. Das Klagepatent ist als eigenständiges Schutzrecht aus sich selbst heraus auszulegen und so die diesem zu Grunde liegende technische Lehre zu ermitteln. Diese Auslegung hat aber – wie gesehen – gerade ergeben, dass patentgemäß zunächst in der geschlossenen Position eine Abdichtung bewirkt werden muss und erst im Anschluss der Wasserdruck aufgebaut und der Brühvorgang durchgeführt wird.
ff. Schließlich kann auch das in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite vor gebrachte Argument, wonach etwa die in Unteranspruch 3, Abs. [0003] und Abs. [103] der Klagepatentschrift erfolgten Formulierungen „in use“ und „during use“ zeigen, dass dem Klagepatent eine rein funktionale Betrachtung des Schließvorgangs zu Grunde liege und daher auch ein fluiddruckbedingtes Schließen anspruchsgemäß sei, nach Ansicht der Kammer nicht durchgreifen. Bei den Formulierungen „in use“ und „during use“ handelt es sich um generische Bezugnahmen auf den Gebrauch eines erfindungsgemäßen Getränkezubereitungssystems an sich. Die wie von der Klägerin behauptete Beschränkung des Begriffs „use“ auf den Brühvorgang und das damit verbundene Einströmen von Wasser kann dem Klagepatent nicht entnommen werden. Im Gegenteil zeigt die nach höchstrichterlichen Vorgaben gebotene Gesamtbetrachtung des Klagepatents, dass der Begriff „use“ in abstrakter Weise zur Bezugnahme auf den Gesamtvorgang der Nutzung einer Kapselmaschine mit dem Ziel der Herstellung eines Getränks verwendet wird. Beispielhaft sei auf die Formulierungen in Abs. [0069], [0082] und [0094] verwiesen, die – wie ausgeführt – gerade die erfindungsgemäße Lehre dahingehend erläutern, dass bei Gebrauch („in use“) des Getränkezubereitungssystems das umschließende Element zuerst geschlossen wird, um einen abdichtenden Eingriff mit der Kapsel herzustellen und sodann in einem darauffolgenden Schritt Wasser in die Kapsel zu leiten und den Brühvorgang durchzuführen.
Auslegung Merkmalsgruppe 1.5 / 1.5.1 c. Merkmalsgruppe 1.5 / 1.5.1 konkretisiert die Anforderungen an die an einer pa tentgemäßen Kapsel ausgebildete Seitenwand dahingehend, dass diese vor einem Einsetzen der Kapsel eine ringförmige Mulde umfasst, die derart dimensioniert ist, dass sie das umschließende Element bei einer Bewegung des umschließenden Elements in die geschlossene Position aufnimmt. Während die Beklagte der Meinung ist, dass das umschließende Element von der ringförmigen Mulde vollständig aufgenommen werden muss, ist die Klägerin der Ansicht, dass eine teilweise Aufnahme genügt.
Nach Ansicht der Kammer genügt insoweit eine dahingehend teilweise Aufnahme des umschließenden Elements, die in funktionaler Hinsicht eine Abdichtung zwischen umschließendem Element und Kapsel ermöglicht. Hierfür spricht bereits, dass es, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, technisch nicht vorstellbar ist, eine ringförmige Mulde in einer Getränkezubereitungsmaschine so auszugestalten, um das gesamte umschließende Element aufnehmen zu können.
Das Merkmal ist aus Sicht des angesprochenen Fachmanns zudem funktional zu verstehen. Der Anspruchswortlaut verlangt eine Aufnahme des umschließenden Elements, ist aber nicht dahingehend festgelegt, in welchem Umfang das umschließende Element von der ringförmigen Mulde aufgenommen werden muss. Aus der Beschreibung, worauf sich die Klägerin ausdrücklich beruft, ergibt sich gemäß Abs. [0009] überdies ausdrücklich, dass auch eine „teilweise“ Aufnahme des umschließenden Elements patentgemäß ist. Inwieweit hierin – wie die Beklagte meint – eine unzulässige Erweiterung liegt, kann an dieser Stelle dahinstehen. Für die Kammer ist das Klagepatent in der erteilten Fassung maßgeblich und verbindlich. Auf eine Rechtsbestandsprognose kommt es im vorliegend Fall mangels Erheblichkeit der Frage der Aussetzung letztlich nicht an.
Eine teilweise Aufnahme entspricht auch dem funktionalen Sinn und Zweck der Merkmalsgruppe 1.5 / 1.5.1. Demzufolge muss die ringförmige Mulde so dimensioniert sein, dass das umschließende Element bei dessen Bewegung in die geschlossene Position aufgenommen wird. Zweck der geschlossenen Position ist aber, wie sich aus Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 ergibt, dass das umschließende Element die Kapsel in abdichtenden Eingriff nimmt. Der entsprechend abdichtende Eingriff dient wiederum dem Zweck, unerwünschten Austritt von Wasser zu verhindern, um so den für die Getränkezubereitung notwendigen Brühdruck vorhalten zu können. In technischer Hinsicht ist es dazu notwendig, aber auch ausreichend, dass ein Teil des vorderen Bereichs des umschließenden Elements eine hinreichend dichte Schnittstelle mit der Kapsel bildet.
Auslegung Merkmal 1.6 d. Gemäß Merkmal 1.6 setzt eine patentgemäß ausgestaltete Kapsel voraus, dass deren Seitenwand dafür angepasst ist, während eines Schließens des umschließenden Elements eine plastische Verformung zu erfahren. Die Klägerin vertritt insoweit die Auffassung, dass eine während des Brühvorgangs eintretende plastische Verformung das Merkmal wortsinngemäß verwirklicht, während die Beklagte auf dem Standpunkt steht, dass es – wie bereits zu Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 ausgeführt – auf ein mechanisches Schließen des umschließenden Elements ankommt und erst während des Brühvorgangs eintretende Verformungen außer Betracht zu bleiben haben.
Der Wortlaut des Merkmals 1.6 ist aus Sicht der Kammer jedenfalls insoweit eindeutig, als die verlangte plastische Verformung während des Schließvorgangs erfolgen muss. Dabei ist im Sinne der gebotenen einheitlichen und widerspruchsfreien Betrachtung des geltend gemachten Patentanspruchs das Erfordernis des „Schließens“ übereinstimmend mit der Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 zu verstehen. Bereits im Ansatz verfehlt wäre dagegen eine Auslegung, die das Merkmal „Schließen“ im Rahmen des Merkmals 1.6 weiter verstehen wollte, weil insofern nur von „einem“ Schließen die Rede ist.
Überdies ist auch für die Auslegung von Merkmal 1.6 eine funktionale Betrachtung entscheidend. Der patentgemäße Schließvorgang dient – wie sich aus Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 ergibt – dazu, einen abdichtenden Eingriff zwischen umschließendem Element und Kapsel herzustellen. Eine entsprechende funktionale Zielsetzung des Merkmals 1.6 folgt auch aus Abs. [0008] der Klagepatentschrift. Demzufolge soll das umschließende Elemente die ringförmige Mulde gerade mit dem Schließen so in Eingriff nehmen, dass die Seitenwand der Kapsel verformt und hierdurch eine Dichtungsschnittstelle zwischen dem umschließenden Element und der Seitenwand hergestellt wird. Dabei kann mit Blick auf die technische Aufgabenstellung, unerwünschten Wasseraustritt zu verhindern, eine punktuelle Verformung nicht ausreichend sein. Wie die Beklagte auf Seite 20 der Klageerwiderung vom 15.01.2021 (Bl. 50 d. Akte) überzeugend ausführt, ist in funktionaler Hinsicht daher eine kreisförmige, den gesamten Umfang der Kapsel umfassenden Abdichtungswirkung notwendig.
Hierfür spricht auch die Beschreibung der Klagepatentschrift gemäß deren Abs. [0073] und Abs. [0104]. In Abs. [0073] wird detailliert beschrieben, dass beim Schließen des umschließenden Elements die Seitenwand der Kapsel durch das umschließende Element kontaktiert und verformt wird. Abs. [0104] weist darauf hin, dass die Verformung typischerweise dazu führt, dass sich die Höhe der Kapsel im Vergleich zu deren Ausgangshöhe vor Einsetzen der Kapsel verringert. Überdies zeigen insbesondere die Figuren 3, 4, 5 und 6 der Klagepatentschrift, dass Kapselplatte und umschließendes Element parallel zueinander ausgerichtet sind, so dass der Fachmann eine patentgemäße plastische Verformung unter Berücksichtigung der kreisförmigen Gestaltung des umschließenden Elements und der darin befindlichen Kapsel so versteht, dass eine im Ergebnis kreisförmig eintretende Verformung verlangt ist.
Auslegung Merkmalsgruppe 1.7 / 1.7.1 e. Gemäß Merkmalsgruppe 1.7 / 1.7.1 ist eine anspruchsgemäße ringförmige Mulde dafür angepasst, eine Dichtungsanlagefläche mit einem vorderen Rand des umschließenden Elements zu bilden. Die Beklagte vertritt insoweit die Ansicht, dass eine bloße Dichtungsschnittstelle nicht genüge. Vielmehr zeige insbesondere Figur 6, dass sich ein flächiger Überschneidungsbereich zwischen umschließendem Element und ringförmiger Mulde ergeben müsse. Die Klägerin ist dagegen der Ansicht, dass eine Dichtungsschnittstelle genüge.
Nach Ansicht der Kammer ist es bereits mit Blick auf die maßgebliche englische Sprachfassung („interface“) nicht überzeugend, dass das Klagepatent zwingend einen flächigen Überschneidungsbereich voraussetzt. Der Begriff „interface“ wird herkömmlich mit „Schnittstelle“, „Nahtstelle“ oder „Berührungsfläche“ übersetzt. Begrifflich ist damit das Patent nicht auf eine Dichtungsanlagefläche beschränkt. Vielmehr ist das Merkmal funktional zu verstehen. Auch insoweit stellt die Dichtungswirkung den von dem Merkmal verfolgten Zweck dar. Eine Dichtungswirkung setzt aber eine Dichtungsanlagefläche nicht notwendig voraus. Entscheidend ist bei funktionaler Betrachtung vielmehr, dass – wie bereits zu Merkmal 1.6 ausgeführt – kreisförmig eine Dichtung zwischen umschließendem Element und Kapsel erreicht wird, um unerwünschten Wasseraustritt im gesamten Bereich der in eine Getränkezubereitungsmaschine eingelegten Kapsel zu verhindern.
4. Vor dem Hintergrund dieser Auslegung machen die angegriffenen Kaffeekap seln von Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 sowie Merkmal 1.6 keinen Gebrauch. Auf die Verwirklichung der übrigen Merkmale kommt es bei dieser Sachlage daher nicht weiter an:
a. Auf der Grundlage des Verletzungsvortrags der Klägerin kann eine Verwirkli chung der Voraussetzungen der Merkmalsgruppe 1.2 / 1.2.1 durch die von der Beklagten vertriebenen, angegriffenen Kaffeekapseln nicht bejaht werden. Ein patentgemäßer, abdichtender Eingriff zwischen umschließendem Element und Kapsel ist nur während des Brühvorgangs und während des Aufbaus von Wasserdruck dargelegt (siehe Seite 18 der Klageerweiterung vom 02.10.2020, Bl. 10 d. Akte). Dass in einer patentgemäß mechanisch bewirkten, geschlossenen Position der zu Testzwecken verwendeten Getränkezubereitungsmaschine des Modelltyps „I“ der notwendige abdichtende Eingriff mit der eingelegten streitgegenständlichen Kapsel hergestellt ist, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
b. Weiter ist nach der Überzeugung der Kammer auch eine Verwirklichung von Merkmal 1.6 auf Basis der von der Klägerseite vorgetragenen Argumente nicht anzunehmen. Die anspruchsgemäß vorausgesetzte plastische Verformung ist zwar dem Ergebnis nach mit den von der Klägerin durchgeführten Tests belegt. Allerdings geht die von der Klägerin dargelegte plastische Verformung ausschließlich auf den während des Brühvorgangs aufgebauten Wasserdruck zurück. Nach der eigenen Darlegung der Klägerin auf Seite 13 der Klageerweiterung vom 02.10.2020 (Bl. 13 Rückseite d. Akte) soll das Schließen dadurch erfolgen, dass das umschließende Element mit zunehmendem Fluiddruck in Richtung des Kapselhalters abgesenkt wird. Bei einem Wasserdruck von 0 Bar ist hingegen, wie aus der von der Klägerin abgebildeten grafischen Illustration des von ihr durchgeführten Testergebnisses ersichtlich ist, nicht festzustellen:
Ein anderes Bild mit entsprechend ersichtlicher plastischer Verformung zeigt sich der Klägerin zufolge erst mit zunehmendem Fluiddruck. Die Klägerin blendete insoweit exemplarisch eine Illustration des von ihr gemessenen Testergebnisses bei einem Fluiddruck von 10 Bar ein:
Diesen Vortrag vertiefte die Klägerin auf Seite 14 f. der Replik vom 26.02.2021 (Bl. 127/128 d. Akte) mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass das umschließende Element mit zunehmendem Fluiddruck in seine geschlossene Position gedrückt und dabei die Seitenwand der angegriffenen Kapsel plastisch verformt wird. Damit ist aber – was patentgemäß indes erforderlich wäre – nicht dargelegt, dass bereits mit dem mechanisch erfolgten Herstellen der geschlossenen Position ein abdichtender Eingriff zwischen umschließendem Element und der Kapsel erfolgt. Auf die zwischen den Parteien im Einzelnen streitig diskutierte Frage betreffend die Methodik der von der Klägerin durchgeführten Tests und die in diesem Rahmen verwendeten, unterschiedlichen Abstufungen des in die Kapsel zu Testzwecken einfließenden Wasserdrucks kommt es vor diesem Hintergrund nicht weiter an.
Eine patentgemäße plastische Verformung ist überdies auch dem auf Seite 26 der Replik vom 26.02.2021 (Bl. 139 d. Akte) gezeigten Bild nicht entnehmen. Die Klägerin beruft sich hier auf ein grafisch illustriertes Resultat eines Tests, den die Beklagte ergänzend als Anlage B4 vorgelegt hat, um nach ihrer Behauptung darzulegen, dass selbst während des Brühvorgangs keine plastische Verformung der Seitenwand der angegriffenen Kaffeekapseln stattfindet. Vor dem Hintergrund der oben ausgeführten Auslegung kann auch für den von der Beklagten durchgeführten Test nichts anderes gelten. Auch insoweit ist das entsprechende Testergebnis für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Mögliche während des Brühvorgangs erfolgende Deformationen sind bereits deswegen unerheblich, weil der patentgemäß notwendige Schließvorgang samt dem damit verbundenen abdichtenden Eingriff vor Durchführung des Brühvorgangs stattgefunden haben muss. Auch in diesem Zusammenhang kommt es folglich auf die – insoweit seitens der Klägerin erfolgte – Beanstandung der Testmethodik nicht an.
Nichts anderes gilt im Ergebnis mit Blick auf die Abbildung auf Seite 17 des von der Beklagten als Anlage B2 vorgelegten Gutachtens. Die Abbildung zeigt eine computertomografisch vermessene, angegriffene Kaffeekapsel im Zustand „eingesetzt & ausgeworfen“, d.h. ohne dem Einfluss eines Brühvorgangs ausgesetzt gewesen zu sein. Die hier im linken unteren Randbereich sichtbare, punktuelle Verformung betrifft indes nicht wie gemäß Merkmal 1.6 vorausgesetzt die Seitenwand (43), sondern den gerollten Rand (47). Dabei kann dahinstehen, ob der gerollte Rand (47) insoweit als Teil der Seitenwand (43) im Sinne der Klagepatentschrift anzusehen ist. Denn jedenfalls genügt, wie dargelegt, eine nur punktuelle Verformung nicht dem patentgemäß vorausgesetzten funktionalen Zweck eines abdichtenden Eingriffs, der nur im gesamten Kreisumfang der gesamten Kapsel unerwünschten Wasseraustritt vermeiden kann.
II. Die Nebenentscheidungen über die Kosten sowie die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 709 Satz 1 ZPO. Ein Fall des § 708 Nr. 11 ZPO liegt nicht vor, da die Kosten des Rechtsstreits einen Betrag in Höhe von 1.500,00 € offensichtlich übersteigen.


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