Europarecht

Patentdurchsetzung bei marktbeherrschender Stellung

Aktenzeichen  7 O 14461/17

Datum:
31.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 706
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO Nr. 1/2003 (EG) Art. 16 Abs. 1
AEUV Art. 102, Art. 278
EPÜ Art. 69
ZPO § 156 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Auch eine marktbeherrschende Stellung auf einem abgeschlossenen Markt darf einen Patentinhaber nicht daran hindern, ihre Patente durchzusetzen. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Anspruch auf Lizenzerteilung kommt nur unter engen Voraussetzungen bei standardessentiellen Patenten in Betracht; eine Ausweitung auf nicht standardessentielle Patente kommt allenfalls dann in Betracht, wenn deren Benutzung unabdingbar ist (Anschluss an EuGH BeckRS 2004, 77143 – IMS Health). (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Patent zur Kommunikationskanalauswahl, das keinen zielgerichteten Aufruf des Adressbuchs oder einer Kontaktliste erfordert, wird nicht verletzt, wenn in den angegriffenen Ausführungsformen die Suchfunktion nicht im Hintergrund läuft, sondern vom Nutzer zielgerichtet aufgerufen werden muss. b(Rn. 77 – 79) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
A.
Die Klage ist zulässig.
I. Das Landgericht München ist zuständig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgt aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, § 38 Nr. 1 GZVJu, die sachliche (ausschließliche) Zuständigkeit ergibt sich aus § 143 PatG.
II. Der Klage fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, auch nicht wegen des beklagtenseits erhobenen Kartellrechtseinwands.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt einer Klage nur unter besonderen Umständen. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf die Möglichkeit, ein ordentliches Gericht anzurufen. Das Rechtsschutzbedürfnis einer Klage ist von der Begründetheit zu trennen, d.h. der Berechtigung des materiellen Klagebegehrens (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 253 ZPO Rn. 18 mwN). Eine Klage kann u.a. unzulässig sein, wenn das Gericht bei einer Gesamtwürdigung Indizien dafür feststellt, dass der Kläger mit der Klage ausschließlich prozesszweckfremde Zwecke verfolgt (BGH NJW 2017, 674, 675 Rn. 25 mwN; als höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Prozessvoraussetzung auf das Patentrecht übertragbar).
Immaterialgüterrechte sind im europäischen Primär- und Sekundärrecht ebenso wie national auf verfassungsrechtlicher Ebene geschützt. Sie gewähren ein Ausschließlichkeitsrecht, das insbesondere die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gewährt. Dessen Ausübung kann grundsätzlich keinen Missbrauch begründen (Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, Art. 102 AEUV Rn. 39 mwN): Es ist eine Grundwertung des Patentrechts, dass der Patentinhaber sein Ausschließlichkeitsrecht auch ausüben darf. Anderes kann grundsätzlich nur gelten, wenn das fragliche Patent standardessenziell ist und dem Patentinhaber hierdurch eine marktbeherrschende Stellung vermittelt, oder wenn sich aus den Modalitäten der Ausübung der Rechte aus dem (nicht standardessentiellen aber nicht umgehbaren) Patent ergibt, dass ein kartellrechtlich relevantes Ziel verfolgt wird (und die Ausübung des Rechts mithin nicht mehr seinem „spezifischen Gegenstand“ entspricht, siehe Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, Art. 102 AEUV Rn. 39 mwN; grundlegend EuGH verb. Rs. C-241/91 P und 242/91 P GRUR-Int 1995, 490, 493, Rn. 50 ff. – Magill; EuGH 238/87 GRUR-Int 1990, 141, Rn. 9 – Volvo/Veng). An die Annahme einer solchen Ausnahmesituation sind strenge Anforderungen zu stellen (zB EuGH Rs. C-418/01 – IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 34, 35 mwN). Eine Lizenz soll dann erteilt werden müssen, wenn ihre Verweigerung das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert, nach dem eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht, die Verweigerung darf nicht gerechtfertigt sein, und sie muss geeignet sein, jeglichen Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen (EuGH Rs. C-418/01 – IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 38 mwN). Dieser Ansatz kann dahingehend generalisiert werden, dass bei Vorliegen der vorgenannten Umstände die Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung aus einem Ausschließlichkeit vermittelnden Immaterialgüterrecht ausgeschlossen sein soll.
2. Nach diesem Maßstab liegt keine Rechtsmissbräuchlichkeit der Anträge auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung (nachfolgend alleine: Antrag auf Unterlassung) vor, die zu einer Unzulässigkeit der Klage insoweit führen würde.
a. Das Gericht prüft die Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags auf Unterlassung als Teil der Zulässigkeit der Klage, obwohl die Beklagtenseite diesen Punkt (nur) als Begründetheitsproblem ansieht. Das Gericht hat aber die Zulässigkeit einer Klage von Amts wegen zu prüfen und vorgetragene Tatsachen rechtlich eigenständig zu werten, unabhängig von der juristischen Einkleidung durch die Parteien.
b. Die Beklagtenseite hat nicht belegt, dass die Klägerin (lediglich) prozesszweckfremde Ziele mit der Klage verfolgt. Sie hat nicht belegt, dass die Klage nur dem Zweck dient, ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätze auszubauen, und/ oder N. als Mitbewerber aus dem Markt zu drängen.
Irrelevant ist, ob die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung innehat, und wenn ja, auf welchem Markt. Denn die Geltendmachung der klägerischen Ansprüche, insbesondere des Unterlassungsanspruchs, ist schon keine missbräuchliche Verhaltensweise. Entgegen den oben dargestellten Grundsätzen hat die Beklagtenseite schon nicht belegt, dass durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert wird. Vielmehr behauptet die Beklagtenseite, dass die patentgemäße Erfindung nicht benutzt werde. Die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des EuGH die Geltendmachung eines Immaterialgüterrechts ausgeschlossen sein soll, sind mithin nicht erfüllt.
Die Vorgehensweise der Klägerin erfordert des Weiteren keine Marktmacht, auch nicht bei der beklagtenseits herangezogenen Gesamtschau des Prozessverhaltens der Klägerin. Die Klägerin geht als Patentinhaberin gegen die Beklagtenseite vor, unabhängig von der Stellung beider Parteien auf bestimmten Märkten. Die Beklagtenseite behauptet zwar, dass die Klägerin mit den Klagen ein außerhalb des eigentlichen Klagebegehrens liegendes Ziel verfolge, nämlich N. aus dem Markt zu drängen. Dem steht indes schon entgegen, dass die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagtenseite ihre Unterlassungsansprüche (nur) „überwiegend“ gegen iPhones richte, die N. -Chips enthielten (S. 8 Klageerwiderung Teil I). Das bedeutet gleichzeitig, dass sie auch gegen iPhones vorgeht, die Qualcomm-Chips enthalten. Belegt ist die Behauptung, die Klägerin verfolge mit den Klagen das Ziel, N. aus dem Markt zu drängen, im Übrigen nicht. Schließlich kommt hinzu, dass die Beklagtenseite eines der wichtigsten Unternehmen auf dem Markt der Mobilfunktelefonherstellung ist, und die hiesigen Verfahren Signalwirkung für andere Unternehmen haben können, die ein gesondertes gerichtliches Vorgehen gegen diese Unternehmen entbehrlich machen würde. Im Übrigen hat die Beklagtenseite nicht im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten anderen Unternehmen durch welche konkreten Produkte Patentrechte der Klägerin verletzen und warum und seit wann die Klägerin hiervon in einer Weise Kenntnis erlangt hat, die eine Klageerhebung mit einiger Erfolgswahrscheinlichkeit ermöglichten.
Wollte man der Argumentationslinie der Beklagtenseite folgen, wäre die Klägerin im Übrigen effektiv jeglicher Möglichkeit beraubt, die Verletzung ihrer Patente durch Mobilfunkhersteller zu ahnden, jedenfalls soweit diese andere als ihre Chips verwenden. Konsequent zu Ende gedacht dürfte die Klägerin auch nicht gegen die Hersteller patentverletzender Chips vorgehen, weil ein etwaiger Unterlassungs- und Rückrufanspruch Auswirkungen auf Mobilfunkhersteller und damit mittelbar auf die Marktquote N. s haben könnte. Die Klägerin wäre mithin wegen einer (bestrittenen) marktbeherrschenden Stellung auf einem abgeschlossenen Markt effektiv daran gehindert, jegliche ihrer Patente – gleich welcher Markt hierdurch betroffen sein könnte – durchzusetzen. Dieses Ergebnis ist mit der oben dargestellten gesetzgeberischen Wertung des Patentrechts nicht vereinbar.
Ein Anspruch auf Lizenzerteilung kommt nur unter engen Voraussetzungen bei standardessentiellen Patenten in Betracht, ein solches liegt unstreitig nicht vor. Eine Ausweitung auf nicht standardessentielle Patente, kommt nach der Rechtsprechung des EuGH (wie vorzitiert) allenfalls dann in Betracht, wenn deren Benutzung unabdingbar ist. Die Beklagtenseite trägt insoweit aber gerade vor, das Klagepatent nicht zu nutzen.
d. Die Klägerin verstößt durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs auch nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission, Case AT.40220. Zwar ist sie trotz der eingelegten Nichtigkeitsklage mangels Suspensivwirkung (Art. 278 S. 1 AEUV) verbindlich. Der Beschluss der EU-Kommission erfasst aber die hiesige Klage nicht. Wie oben festgestellt, stellt die Klage keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Klägerin dar. Insbesondere ist für die Klage keine marktbeherrschende Stellung erforderlich, sondern nur die Inhaberschaft des Klagepatents. Es liegt mithin kein Verhalten vor, das ein vergleichbares Ziel oder eine vergleichbare Wirkung aufweist wie das durch den Beschluss der EU-Kommission adressierte Verhalten.
3. Nach alledem ist die Klage nicht als kartellrechtsverstoßend anzusehen. Sie ist nicht rechtsmissbräuchlich.
4. Die Klage ist insgesamt zulässig.
B.
Die Klage ist aber unbegründet. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin aktivlegitimiert ist. Ferner kann der Lizenzeinwand dahinstehen. Denn die angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagepatent nicht.
I. Das Klagepatent EP 806 betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl. Es wurde am 20.11.2006 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 28.11.2005 (US …506) angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 30.03.2016 veröffentlicht.
1. Als relevanter Fachmann ist nach übereinstimmender Definition der Parteien, der sich die Kammer anschließt, ein Dipl.-Ing. zu definieren, mit der Fachrichtung Nachrichtentechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Konzeption von Kommunikationsendgeräten und Fachkenntnissen im Bereich Kommunikationstechniken wie Festnetz- und Mobiltelefonie. Soweit die Parteien darüber divergieren, ob der Fachmann Kenntnisse im Bereich der verschiedenen gängigen Kommunikationsstandards haben müsse (so die Klägerin) oder Kenntnisse über Benutzeroberflächen ausreichend seien (so die Beklagtenseite), kommt es hierauf nicht streitentscheidend an.
2. Das Klagepatent erläutert zum Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt, dass frühe Kommunikationsendgeräte und -verfahren nur zur Nutzung eines Kommunikationskanals bestimmt waren, etwa der Telegraf und später die Sprachtelefonie für konventionelle Telefone. Auch frühe Mobiltelefone waren ursprünglich nur für Sprachtelefonie entwickelt und geeignet. Im Zuge der Weiterentwicklung mobiler Kommunikationsgeräte traten weitere Kanäle hinzu, so etwa die Möglichkeit, Textnachrichten über den Short Message Service (SMS) zu versenden oder – in späteren Entwicklungsstufen – Multimedianachrichten (MMS) (Abs. [0002]).
Zum Prioritätszeitpunkt nutzten laut Klagepatent viele Anwender ihre Mobiltelefone sowohl für Sprachtelefonie als auch für Textnachrichten. Die Benutzeroberflächen der Mobiltelefone waren jedoch nach wie vor hauptsächlich auf die Anwahl von Telefonnummern für Sprachverbindungen ausgelegt, so dass die Eingabe einer Textnachricht nicht ohne Navigieren in die entsprechende Anwendung möglich war, wenn das Mobiltelefon sich in einem Standby-Zustand befand (Abs. [0003]). Die Eingabe einer Telefonnummer in der Standby-Anzeige erlaubte meist lediglich den Aufbau einer Sprachverbindung (Abs. [0003]), nicht die unmittelbare Eingabe einer Textnachricht.
Das Klagepatent geht in erster Linie von einem Mobiltelefon mit Bildschirm und physischer Tastatur aus, sieht aber auch die Möglichkeit des Einsatzes eines Touch-Screens vor, [0016]. Insoweit weiß der Fachmann, dass eine Touch-Screen-Tastatur dauerhaft oder nur bei Bedarf angezeigt werden kann.
3. Diesen Stand der Technik kritisiert das Klagepatent indirekt [3; 36] dahingehend, dass der Nutzer, der einen anderen Kanal als das Telefon benutzen wollte, zunächst diesen anderen Kommunikationskanal auswählen musste durch Öffnen der entsprechenden Anwendung und anschließend erst den Empfänger der beabsichtigten Nachricht auswählen konnte.
4. Das Klagepatent möchte im Wege einer Alternative bzw. Verbesserung eine effizientere Möglichkeit bereitstellen, um eine Kommunikationsverbindung zu einem zweiten Endgerät in einem Kommunikationsendgerät auszuwählen, welches mehrere Kommunikationskanäle verwenden kann, also etwa Sprachtelefonie und Textnachrichten (Abs. [0005]).
5. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl vor. Die Erfindung nach dem Klagepatent erlaubt es, so [0036], zunächst den zu kontaktierenden Kontakt auszuwählen und sodann den hierzu zu nutzenden Kommunikationskanal, wobei die Auswahl des Kontakts vorliegend dadurch von statten geht, dass in einem Stand-by-Bildschirm durch den Benutzer Buchstaben eingegeben werden, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren, und im Anschluss daran die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl angeboten werden, wobei sie, so die nun geltend gemachte Einschränkung, als gesonderte Ikonen dargestellt werden.
Die Klägerin macht Anspruch 8 nunmehr nur noch in eingeschränkter Fassung geltend (Einschränkung auf Anspruchskombination 8 mit 11).
Beide Parteien gliedern den neu gefassten Anspruch 8 auf dieselbe Weise, der sich die Kammer anschließt (K (E) 6, zuvor K (E) 2). Die von der ursprünglichen Fassung abweichenden Merkmale der eingeschränkten Merkmalskombination hat das Gericht unterstrichen.
8.
A communication terminal (10) comprising:
8.1
a communication controller (63) including a transceiver device for transmitting signals over a communication link;
8.2
a user interface including a display and an input interface;
8.3
an input detection device (61) configured to sense input of letters by a user in a standby screen, representing a title for a second communication terminal;
8.4
a title memory;
8.5
a data retrieving mechanism (65),
8.5.1
configured to retrieve information associated with the title of the second communication terminal and connected to a display control device (62) for presenting the retrieved information on the display; and
8.5.2
configured to retrieve information related to selectable communication channels usable for communicating with the second communication terminal;
characterised in that
8.6
the display control device (62) is configured to present, on the display, a plurality of selectable items (152-157) only representing the usable communication channels, responsive to sensing of input of the title; wherein
8.6.1
8.6.2
once the user starts to type letters, the display control device (62) is configured to present the different usable communication channels for selection; and the display control device is configured to present the plurality of selectable items as separate icons.
Deutsche Übersetzung:
8.
Kommunikationsendgerät umfassend
8.1
eine Kommunikationssteuervorrichtung (63) umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung;
8.2
eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle;
8.3
eine Eingabedetektionsvorrichtung (61), die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren;
8.4
einen Titelspeicher;
8.5
einen Datenabfragemechanismus (65),
8.5.1
der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung (62) für die Darstellung der abgefragenen Information auf der Anzeige verbunden ist; und
8.5.2
der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;
dadurch gekennzeichnet, dass
8.6
die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten (152-157) auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei
8.6.1
8.6.2
die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen; und wobei die Anzeigesteuervorrichtung zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten als gesonderte Ikonen ausgebildet ist.
II. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die technische Lehre des neu gefassten Patentanspruchs 8 des Klagepatents weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln. Streitig ist zwischen den Parteien die Verwirklichung der Merkmale 8.3, 8.5.1, 8.5.2 und 8.6. Jedenfalls eine Verwirklichung des Merkmals 8.3 durch die angegriffenen Ausführungsformen besteht nicht.
1. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von Anspruch 8 keinen unmittelbaren wortsinngemäßen Gebrauch. Sie weisen keine Standby-Anzeige im patentgemäßen Sinne (Merkmal 8.3) auf.
a. Gemäß Art. 69 EPÜ wird der Schutzbereich eines europäischen Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Beschreibung und Zeichnungen sind zur Auslegung indes heranzuziehen. Erforderlich ist eine funktionsorientierte Auslegung, wobei die Patentschrift ihr eigenes Lexikon darstellen kann (BGH GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube). Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH GRUR 1999, 909, 911 – Spannschraube, mwN). Eine (wohlwollende) Auslegung muss auch dann erfolgen, wenn der Anspruchswortlaut scheinbar eindeutig ist (BGH GRUR 2015, 875, 876 – Rotorelemente, mwN). Patentansprüche sind in Zweifelsfällen grundsätzlich so auszulegen, dass sie sich im Verhältnis zu in der Schrift mitgeteiltem Stand der Technik abgrenzen, es ihnen mithin nicht bereits insoweit an Neuheit fehlt. Bei Widersprüchen zwischen Patentansprüchen und Beschreibung sind solche Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen (BGH GRUR 2011, 701, 703 Rn. 23 – Okklusionsvorrichtung).
b. Eine klagepatentgemäße „Standby-Anzeige“ im Sinne des Merkmals 8.3 setzt hiernach voraus, dass ein Adressbuch oder ähnliches nicht zielgerichtet geöffnet ist und in diesem Modus Buchstaben eingegeben werden können und sodann aufgrund dieser Eingabe eine Auswahl an Kontaktierungsmöglichkeiten angezeigt wird. Das setzt aus der Sicht des Fachmanns voraus, dass auch im Standby-Modus das Adressbuch im Hintergrund geöffnet sein muss, oder durch die Eingabe im Standby-Modus im Hintergrund geöffnet wird. Anderenfalls wäre technisch nicht erklärlich, wie die anschließende Suche nach weiteren Kommunikationskanälen funktionieren kann. Da Patentansprüche nach oben Gesagtem grundsätzlich so auszulegen sind, dass sie eine neue Erfindung offenbaren, muss Merkmal 8.3 des Klagepatents so gelesen werden, dass ein zielgerichteter Aufruf des Adressbuchs aber in jedem Fall zu unterbleiben hat. Denn andernfalls würde Anspruch 8 nichts anderes beanspruchen, als in [0004] als vorbekannt beschrieben.
Ein anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das Klagepatent in [0021] und [0023] als Ausführungsbeispiele vorsieht, dass eine Nummer aus einer Konktaktliste abgerufen werden kann ([0021], Z. 20 ff.:
„In an exemplary embodiment, an address number may be input using input interface 14 tc [sic] type the number, or by fetching the number in a contact list stored in the terminal using e.g. a navigationtool 141 of the input interface.”; [0023]: “According to an exemplary embodiment of Fig. 1, a user has input an address number in the form of a telephone number +123456789, either using input interface 14 to type the number or by fetching the number in a contact list stored in the terminal.“)
Denn diese Ausführungsbeispiele lassen sich mit dem Wortlaut des Anspruchs nicht (mehr) vereinen und sind daher nach vorzitierter höchstrichterlicher Rechtsprechung gerade nicht (mehr) beansprucht. Anderenfalls wäre der „Witz“ des Klagepatents, wonach gerade kein zielgerichteter Aufruf des Adressbuchs oder einer Kontaktliste erforderlich ist, konterkariert, wie dies auch die Klägerin – allerdings mit im Ergebnis abweichendem Auslegungsergebnis – sieht (S. 10 Replik).
Weil schon dieser Aspekt des Begriffs „Standby-Anzeige“ in den angegriffenen Ausführungsformen nicht verwirklicht ist, kommt es auf die übrigen Umstände des Verständnisses der Standby-Anzeige nicht mehr an.
c. Unter Zugrundelegung der obigen Auslegung liegt keine Verletzung des Merkmals 8.3 vor. Denn die Suchfunktion Spotlight läuft nicht im Hintergrund sondern muss durch den Nutzer extra und zielgerichtet aufgerufen werden. Dies geschieht, indem der Nutzer im Home-Screen-Modus auf dem Display nach unten streicht. Wie die Beklagtenseite zutreffend unterstreicht, ist es für die Patentverletzung unerheblich, ob ein Programm durch das Betätigen eines Buttons oder durch eine Geste auf dem Display, der eine Aktivierung eines bestimmten Programms zugewiesen ist, aufgerufen wird (zu S.18 Klageerwiderung-II).
Die Klägerseite dringt auch nicht mit ihrer Argumentation durch, durch die Geste werde erst eine Tastatur aufgerufen, und erst dann sei von einem patentgemäßen Standby-Modus zu sprechen (zu S. 30 Replik). Das ist widerlegt durch die – nicht bestrittenen Angaben der Beklagtenseite, bei Anschluss einer Tastatur werde in der Suchfunktionalität keine virtuelle Tastatur angezeigt (S. 23, 29 Duplik). Ebenso wäre technisch ohne Weiteres eine Anwendung denkbar, die allein die Anzeige einer virtuellen Tastatur ermöglicht. Das zeigt, dass die Suchfunktionalität bei der angegriffenen Ausführungsform gerade nicht den patentgemäßen Standby-Modus erzeugen soll, sondern eine über die Anzeige der Tastatur hinausgehende Anwendung ist, die dem im Patent beschriebenen Adressbuch gleichsteht. Weil der Begriff „Standby-Modus“ des Merkmals 8.3 aber gerade den zielgerichteten Aufruf einer Anwendung, wie etwa eines Adressbuchs ausschließt, wird durch den Aufruf der Suchfunktionalität das Merkmal nicht verwirklicht.
2. Merkmal 8.3 wird auch nicht mit einem patentrechtlich äquivalenten Mittel verwirklicht. Vortrag hierzu fehlt. Eine äquivalente Verletzung ist auch sonst nicht ersichtlich.
3. Nach alledem liegt keine unmittelbare (wortsinngemäße oder äquivalente) Patentverletzung vor.
Die Klage ist mithin unbegründet.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, soweit sie teilweise zurückgenommen worden ist (Geltendmachung einer nur eingeschränkten Merkmalskombination), im Übrigen aus § 91 ZPO.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.
V. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO war nicht veranlasst.
Nach § 156 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.
Vorliegend hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes am 23.1.2019, und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung, im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eine vorläufige und nicht bindende Einschätzung in Bezug auf die Rechtsbeständigkeit des EP … 067 (7 O 14455/17 und 7 O 14460/17) und des EP … 658 (7 O 14457/17 und 7 O 14462/17) kommuniziert. Hiernach seien diese beiden Patente nicht rechtsbeständig. Auch wenn die Kammer die Einschätzung der beklagten Partei teilte, dass diese vorläufige Einschätzung auch Einfluss auf die Beurteilung der Rechtsbeständigkeit des hiesigen Klagepatents habe, war eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht veranlasst. Denn wie gezeigt war die Klage mangels Verletzung abzuweisen. Auf die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents kam es daher nicht entscheidend an.
Verkündet am 31.01.2019


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