Europarecht

Räumliche Beschränkung des Aufenthaltstitels eines anerkannt Schutzberechtigten

Aktenzeichen  10 C 17.2591

Datum:
19.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6972
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 12a Abs. 1
IPbpR Art. 12

 

Leitsatz

Es kann dahingestellt bleiben, ob die räumliche Beschränkung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bestimmt, sodass der Aufenthalt von vornherein nur mit der Beschränkung rechtmäßig ist und diese daher nicht am Maßstab des Art. 12 Abs. 3 IPbpR zu messen ist, denn die Nationalstaaten besitzen jedenfalls die Befugnis, Aufenthaltstitel räumlich zu beschränken, wenn sich dafür sachliche Gründe anführen lassen.  (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.2797 2017-11-17 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage auf Feststellung, dass sie der Wohnsitzauflage nach § 12a AufenthG nicht unterliege, bzw. auf Aufhebung der Wohnsitzauflage, weiter.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage gegen die Wohnsitzbeschränkung zu Unrecht abgelehnt hat. Auch sonstige Gründe, die eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Klage der Klägerin voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.
Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007– 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14) ein, hier also im Juli 2017.
Die Reglung des § 12a Abs. 1 AufenthG, auf der die in die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin enthaltene Wohnsitzbeschränkung beruht, verstößt nicht – wie in der Beschwerdebegründung vorgebracht – gegen Art. 12 IPbpR.
§ 12a AufenthG wurde durch das Integrationsgesetz (BGBl. I 1939) mit Wirkung zum 6. August 2016 eingefügt. Der Gesetzgeber erkannte vor dem Hintergrund der seit 2015 verstärkten „Zuwanderung von in Deutschland schutzberechtigten Ausländerinnen und Ausländern“ das Bedürfnis einer „verbesserten Steuerung der Wohnsitznahme von Schutzberechtigten“, um „integrationshemmende Segregation“ zu vermeiden (BT-Drs. 18/8615, S. 42). Die Bundesregierung hat in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8615, 43 f.) ausführlich dargelegt, weshalb sich die Integrationssituation der im AufenthG beschriebenen Personengruppe maßgeblich von anderen Ausländern unterscheiden kann. Der Umstand, dass auch diese Personengruppe sehr heterogen sein kann (Pelzer, NVwZ 2016, 445), sie also die gesamte Bandbreite von Hochschulabsolventen bis hin zu Analphabeten umfasst, wurde durch die differenzierte Regelung in § 12a AufenthG berücksichtigt. Die geschaffene Regelung entspricht unter Berücksichtigung der verbleibenden Einschätzungs- und Typisierungsprärogative des Gesetzgebers den europarechtlichen Vorgaben (NdsOVG, B.v. 2.8.2017 – 8 ME 90/17 – juris Rn. 19).
Bei summarischer Prüfung liegt auch kein Verstoß gegen Art. 12 IPbpR vor. Umstritten ist insoweit, ob der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 IPbpR überhaupt betroffen ist. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (EuGH-Vorlage vom 19.8.2014 – 1 C 1.14 – juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf EGMR, E.v. 20.11.2007 – Nr. 44294/04) bestimmt die räumliche Beschränkung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, so dass der Aufenthalt von vornherein nur mit der Beschränkung rechtmäßig ist und diese daher nicht am Maßstab des Art. 12 Abs. 3 IPbpR zu messen ist (so auch Lehner/Lippold, ZAR 2016, 81). Demgegenüber wird eingewandt, dass die Vertragsstaaten auf diese Weise den Schutzbereich des Art. 12 IPbpR selbst festlegen könnten (Griegerich in Grote/Marauhn, EMRK, Kap. 26 Rn. 81 f.) und gerade im Fall des § 12a AufenthG die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 IPbpR faktisch leer liefe (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Zur Vereinbarkeit der Wohnsitzregelung nach dem Integrationsgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mit völkerrechtlichen Freizügigkeitsvorgaben, WD 2 – 3000 – 084/16).
Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, weil die Nationalstaaten jedenfalls die Befugnis besitzen, Aufenthaltstitel räumlich zu beschränken, wenn sich dafür sachliche Gründe anführen lassen (vgl. Hailbronner AuslR, AufenthG, § 12a Rn. 22 für die ähnlich lautende Vorschrift des Art. 2 Abs. 3 Zusatzprotokoll Nr. 4 zur EMRK unter Verweis auf EGMR, U.v. 23.2.2016 – Nr. 43494/09 – juris; Röcker in Bergmann/Dienelt AuslR, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 12a Rn. 69). Die öffentliche Ordnung umfasst jedenfalls das öffentliche Interesse an einer geordneten und den besonderen Notwendigkeiten der Unterbringung einer großen Zahl von Flüchtlingen angepassten Integrationspolitik und die Verhinderung von sozialen Konflikten, Obdachlosigkeit und dauernder Sozialhilfeabhängigkeit (Hailbronner, a.a.O., Rn. 23). Da Art. 2 Abs. 3 Zusatzprotokoll Nr. 4 und Art. 12 Abs. 3 IPbpR nahezu wortgleich sind, gilt dies auch für die vergleichbare Einschränkungsmöglichkeit in Art. 12 Abs. 3 IPbpR (vgl. Wissenschaftliche Dienste, a.a.O., S. 7). Soweit die Beschwerdebegründung darauf verweist, dass die Hürde für die Beschränkung der Rechte Betroffener in Art. 12 Abs. 3 IPbpR höher sei als in Art. 2 Abs. 3 Zusatzprotokoll Nr. 4 zur EMRK, lässt sich dies dem Wortlaut nicht entnehmen. Auch in Art. 2 Abs. 3 Zusatzprotokoll Nr. 4 zur EMRK findet sich die Formulierung „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“. Art. 2 Abs. 4 Zusatzprotokoll Nr. 4 zur EMRK lautet demgegenüber „durch das öffentliche Interesse“ gerechtfertigt. Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall jedoch nicht einschlägig, weil die gesetzliche Beschränkung aus § 12a Abs. 1 AufenthG nicht nur „für bestimmte Gebiete“ (innerhalb des Bundesgebiets) gilt, sondern bundesweit.
§ 12a Abs. 1 AufenthG genügt auch den formellen Anforderungen des Art. 12 Abs. 3 IPbpR. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich eindeutig, unter welchen Bedingungen die Verpflichtung, in einem bestimmten Bundesland seinen Wohnsitz zu nehmen, eintritt. Voraussetzung ist lediglich, dass der Betreffende als Asylberechtigter, Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter anerkannt worden ist oder ihm erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22, § 23 oder § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden ist und er nicht zum Personenkreis des § 12a Abs. 1 Satz 2 AufenthG gehört. Denn die Wohnsitzbeschränkung tritt unter diesen Bedingungen schon per Gesetz ein, ohne dass es eines umsetzenden Verwaltungsaktes bedürfte (Röcker in Bergmann/Dienelt AuslR, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 12a Rn. 9). Ein Ermessen der Ausländerbehörde besteht lediglich in den in § 12a Abs. 2 bis 4 AufenthG geregelten Möglichkeiten, den Ausländer zu verpflichten, seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen.
Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Aufhebung der Wohnsitzbeschränkung voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Eine Aufhebung käme nur unter den in § 12a Abs. 5 AufenthG genannten Voraussetzungen in Betracht. Entsprechende Nachweise hat die Klägerin nicht erbracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.


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