Europarecht

Rechtmäßige Ablehnung des Antrags auf Anpassung der Obergrenze in Bezug auf den Fallwert wegen besonderen Versorgungsbedarfs

Aktenzeichen  S 38 KA 1844/14

Datum:
1.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 54
SGB V SGB V § 87b Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Abkehr im HVM von den “Praxisbesonderheiten” als Kriterium für eine mögliche Korrektur des Fallwertes bedeutet letztendlich, dass eine solche Korrektur an strengere Voraussetzungen als vor dem 01.01.2013 geknüpft ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des HVM besteht ein Gestaltungsspielraum, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist. Erst wenn die Grenzen des Gestaltungsspielraums überschritten werden, besteht Veranlassung, durch die Rechtsprechung korrigierend einzugreifen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht eingelegte kombinierte Anfechtungs- und Verbescheidungsklage nach § 54 SGG ist zulässig, erweist sich aber als begründet. Der Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist nach Auffassung des Gerichts rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Anpassung der Obergrenze in Bezug auf den Fallwert wegen eines besonderen Versorgungsbedarfs zu Recht ab. Rechtsgrundlage für eine solche mögliche Anpassung ist Abschnitt D Nr. 1.2 HVM i. V. m. Abschnitt III Nr. 1.2.2 der Durchführungsrichtlinie (DRL). Nach Ab-schnitt D Nr. 1.2 Abs. 3 HVM liegt ein besonderer Versorgungsbedarf vor, – wenn die Überschreitung der Obergrenze überdurchschnittlich (RLV-Fachgruppe) ist (D Nr. 1.2 Abs. III HVM lit. a)),
– der Obergrenzenfallwert des Antragstellers im aktuellen Quartal auf Basis des anerkannten Leistungsbedarfs (BEURGO) wenigstens 30% über den kor-respondierenden Obergrenzenfallwert der Fachgruppe liegt (D Nr. 1.2 Abs. III HVM lit. b)),
– die Leistungen des besonderen Versorgungsbedarfs im Sinne einer bedeut-samen fachlichen Spezialisierung wenigstens 20% des Gesamtleistungsbedarfs EBM (ohne Kostenpauschalen) des Antragstellers umfassen (D Nr. 1.2 Abs. III HVM lit. c)) und
– der jeweilige Fallwert des Antragstellers (RLV und/oder QZV) im aktuellen Quartal auf Basis des anerkannten Leistungsbedarfs wenigstens 20% über dem jeweiligen Fallwert (RLV und/oder QZV) der Fachgruppe liegt (D Nr. 1.2 Abs. III HVM lit. d)).
Die Voraussetzungen müssen, wie sich aus dem Wortlaut ergibt, kumulativ vorliegen, d. h., es genügt nicht, wenn lediglich eine Voraussetzung oder mehrere Voraussetzungen, nicht aber alle erfüllt sind. Rechtsgrundlage für die Regelung des Honorarverteilungsmaßstabes ist § 87 b SGB V. Danach (§ 87b Abs. 2 Satz 1 SGB V) soll der Verteilungsmaßstab Regelungen vorsehen, die verhindern, dass die Tätigkeit des Leistungserbringers über seinen Versorgungsauftrag nach § 95 Abs. 3 oder seinen Ermächtigungsumfang hinaus übermäßig ausgedehnt wird. In Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgabe hat die Vertreterversammlung der Beklagten den für das streitgegenständliche Quartal geltenden HVM 2013 festgesetzt, der gemäß Abschnitt B Nr. 7.1 auch Regelleistungsvolumina und qualifikationsgebundene Zusatzvolumina enthielt. Der HVM 2013 modifizierte den seit 01.07.2012 eingeführten HVM, der ebenfalls Regelleistungsvolumina und qualifikationsgebundene Zusatzvolumina vorsah. Während nach dem HVM, gültig ab dem 01.07.2012 eine Korrektur der Obergrenze mit Bezug zum Fallwert aufgrund von Praxisbesonderheiten möglich war (Abschnitt D Nr. 1.2 HVM 2012), sieht der HVM 2013, gültig ab 01.01.2013 eine solche Korrektur nur bei einem besonderen Versorgungsbedarf vor. Die Abkehr von den “Praxisbesonderheiten” als Kriterium für eine mögliche Korrektur des Fallwertes bedeutet letztendlich, dass eine solche Korrektur an strengere Voraussetzungen als vor dem 01.01.2013 geknüpft ist (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.2011, Az. B 6 KA 17/10 R). Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die diesbezüglichen Regelungen des Honorarverteilungsmaßstabes – als Ausnahmeregelungen konzipiert – sind mit den rechtlichen Vorgaben in § 87b SGB V, nämlich der Verhinderung übermäßiger Tätigkeit der Leistungserbringer über ihren Versorgungsauftrag nach § 95 Abs. 3 oder ihren Ermächtigungsumfang hinaus, zu vereinbaren. Diese Vorgabe ist nur dann erfüllbar, wenn Korrekturen des Fallwertes nur ausnahmsweise zugelassen werden. Hinzu kommt, dass im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des HVM ein Gestaltungsspielraum besteht, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar. Erst, wenn die Grenzen des Gestaltungsspielraums überschritten werden, wofür sich hier keine Anhaltspunkte ergeben, besteht Veranlassung, korrigierend einzugreifen. Soweit der Kläger darauf hinweisen lässt, in der Vergangenheit sei aufgrund von Praxisbesonderheiten eine Korrektur des Fallwertes erfolgt, ist dieser Umstand allein deshalb unmaßgeblich, da die Korrektur des Fallwertes nicht mehr vom Vorliegen von Praxisbesonderheiten, sondern vom Vorliegen eines besonderen Versorgungsbedarfs, also einem stren-geren Kriterium abhängig ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Regelungen des HVM 2013 zur Korrektur des Fall-wertes nicht richtig in den angefochtenen Bescheiden umgesetzt wurden, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Wie die Beklagte zutreffend ausführte, hat keine Verrechnung zwischen den RLV-Fallwerten und den QZV-Fallwerten stattgefunden. Die Erhöhung des Fallwertes wurde jeweils davon abhängig gemacht, ob der jeweilige Fallwert des Antragstellers (RLV und/oder QZV) im aktuellen Quartal auf Basis des anerkannten Leistungsbedarfs wenigstens 20% über dem jeweiligen Fallwert (RLV und/oder QZV) der Fachgruppe liegt (D Nr. 1.2 Abs. III HVM lit. d)). Diese Voraussetzung ist bei allen QZV-Fallwerten wegen Unterschreitens der 20%-Grenze zu verneinen. Die erhobenen Fallwerte bei QZV Schmerztherapie sprechen dagegen, dass die klägerische Praxis mehr schmerztherapeutische Leistungen erbringt als die Fachgruppe der Neurochirurgen. Mit den RLV-Fallwerten liegt der Kläger zwar deutlich über denen der Fachgruppe der Neurochirurgen und würde insofern die 20%-Grenze überschreiten. Es handelt sich aber um sog. “Einstiegsvoraussetzungen”, so dass zusätzlich zu prüfen ist, ob die geltend gemachten Leistungen auch eine für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung darstellen. Dies hat die Beklagte verneint. Nach dem Wortlaut der genannten Regelung handelt es sich bei der Korrektur der Obergrenze mit Bezug zum Fallwert aufgrund eines besonderen Versorgungsbedarfs insgesamt um eine Ermessensentscheidung. Dies kommt klar zum Ausdruck in Abschnitt D Nr. 1.2 Abs. 1 und Abs. 2 HVM. Zunächst sind zwar Zweifel angezeigt, ob die angefochtenen Bescheide den An-forderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung genügen. Denn dem Widerspruchsbescheid ist nicht zu entnehmen, dass eine Ermessensentscheidung stattgefunden hat. Vielmehr kommt die Beklagte trotz ausreichend hohem Überschreiten des RLV-Fallwertes für einen objektiven Betrachter überraschend zu dem Ergebnis, eine Überschreitung von mindestens 20% sei nicht gegeben. Dass ein besonderer Versorgungsbedarf für Grundleistungen aus Sicht der Beklagten nicht in Betracht kommt, wird erst im Rahmen des Klageverfahrens mitgeteilt. Im Ergebnis hat die Beklagte aber richtig erkannt, dass für Grundleistungen dem Grunde nach die Anerkennung eines besonderen Versorgungsbedarfs ausgeschlossen ist. Wie das Bundessozialgericht in seinem Beschluss vom 03.08.2016 (BSG, Az. B 6 KA 12/16 B) ausführt, stellen Grundleistungen nach den Nrn. 16210 bis 16212 EBM-Ä als Kernleistungen für Neurochirurgen keine Spezialleistungen dar, die zu berücksichtigen sind. Auf eine ordnungsgemäße Ermessensausübung kommt es deshalb nicht an. Auch ist es entgegen der Auffassung der Klägerseite unmaßgeblich, dass sich dies nicht explizit aus dem Honorarverteilungsmaßstab ergibt. Letztendlich durfte die Beklagte solche Leistungen nicht als besonderen Versorgungsbedarf anerkennen. Auch bei den Leistungen nach der GOP 16220 und 16233 handelt es sich um fachgruppentypische Leistungen, womit keine von der Typik der Fachgruppe abweichende Spezialisierung verbunden ist und kein besonderer Versorgungsbedarf anzuerkennen ist. Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn bis ein-schließlich Quartal 4/12 galt eine andere Honorarsystematik, die mit der Honorarsystematik nach dem HVM 2013 nicht in allen Punkten vergleichbar ist. Ein Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Regelungen wird nicht geschützt (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.1991, 1/3 RK 21/90). Tatsache ist, dass der Kläger gemessen an dem Honorar vorausgegangener Quartale zunächst einen hohen Honorarrückgang (30%) hinnehmen musste, der allerdings durch die Gewährung einer Preisausgleichszahlung in Höhe von 18.052,93 EUR aufgrund der sog. Preisausgleichsregelung nach Abschnitt D Nr. 1.2 Abs. II HVM 2013 deutlich zurückgeführt wurde. Damit betrug sein Gesamthonorar im Quartal EUR 80.843,32, dem eine Anforderung über 94.046,14 EUR gegenübersteht. Die Ausgleichsregelung und Ausgleichszahlung sind im Kontext mit den anderen Regelungen des HVM, auch mit den Ausnahmeregelungen zur Anhebung der Fallwerte zu sehen. Eine Korrektur des Fallwertes nach oben bedingt notwendigerweise und denklogisch eine Korrektur der Ausgleichszahlung nach unten, ohne dass es spezieller Regelungen bedarf. Ansonsten würde die Anwendung der Korrektur des Fallwertes und die gleichzeitige Gewährung einer Preisausgleichszahlung theoretisch dazu führen, dass ein Arzt mehr als das von ihm angeforderte Honorar bekäme. Im Übrigen ist das Verhältnis zwischen Preisausgleichsregelung und Korrektur des Fallwertes auch unter D Nr. 2 vorletzter Absatz HVM 2013 geregelt. Danach sind Zahlungen aus dieser (Preisausgleichs-)Regelung bei nachträglichen Einzelfallentscheidungen nach diesem HVM mindernd zu berücksichtigen. Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 VwGO.


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