Europarecht

Reichweite der Verurteilung im Verletzungsverfahren

Aktenzeichen  7 O 5335/18

Datum:
20.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 12131
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 890

 

Leitsatz

1. Stellt der Gläubiger eines Unterlassungstitels im Hinblick auf eine abgewandelte Ausführungsform gleichzeitig mit der Erhebung einer zweiten Hauptsacheklage einen Ordnungsmittelantrag, ist dies zumindest beim Vorliegen berechtigter Zweifel in Bezug auf die Wahl des richtigen Rechtsbehelfs nicht rechtsmissbräuchlich.  (redaktioneller Leitsatz)
2. In den nach der Kerntheorie zu bestimmenden Verbotsbereich eines Unterlassungstitels fallen nur solche Abwandlungen der darin wiedergegebenen konkreten Verletzungsform, die ihrerseits schon implizit Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren waren.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umfang der Unterlassungsverpflichtung ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Urteilsgründe zu ermitteln. Umstände, die außerhalb des Titels liegen, dürfen im Rahmen der Auslegung keine Berücksichtigung finden.  (redaktioneller Leitsatz)
4. Von der Kerntheorie nicht erfasst sind daher im allgemeinen Abwandlungen, die materiell-rechtliche Erwägungen zur Auslegung des Patents und zur Schutzbereichsbestimmung erfordern, die über die im Erkenntnisverfahren bereits getroffenen Feststellungen und Erwägungen hinausgehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Abwandlung im Hinblick auf im Erkenntnisverfahren unstreitige Merkmale erfolgt ist, zu deren Inhalt und Auslegung das Urteil demnach keine Ausführungen enthält.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Gegen die Schuldnerinnen wird wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht aus Ziffer I.1 des Tenors des Urteils des Landgerichts München I vom 05.12.2019, Az. 7 O 5335/18, und zwar in Bezug auf den Sachverhalt betreffend Nutzer, die sich bei der Registrierung zum Kommunikationsdienst WA in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten und eine ausländische Telefonnummer angegeben haben, ein Ordnungsgeld in Höhe von jeweils € 5.000,00, und ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ersatzordnungshaft von jeweils 10 Tagen (pro € 500,00 ein Tag Ersatzordnungshaft) festgesetzt. Die Ersatzordnungshaft ist in Bezug auf die Schuldnerin zu 1 zu vollziehen an W.C. und in Bezug auf die Schuldnerin zu 2 an M. Z. .
2. Im Übrigen wird der Ordnungsmittelantrag der Gläubigerin vom 28.01.2020 zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Ordnungsmittelverfahren haben die Gläubigerin 50 Prozent und die beiden Schuldnerinnen gesamtschuldnerisch 50 Prozent zu tragen.
4. Der Gegenstandswert des Ordnungsmittelverfahrens wird auf € 800.000,00 festgesetzt, wobei auf den Sachverhalt betreffend Nutzer, die bei der Registrierung zum Kommunikationsdienst WA eine ausländische Telefonnummer angegeben haben, € 400.000,00 und auf den Sachverhalt betreffend die abgewandelte Applikation weitere € 400.000,00 entfallen.

Gründe

I.
Die Gläubigerin (nachfolgend einheitlich Klagepartei) hat diverse Unternehmen des FB -Konzerns (nachfolgend einheitlich Beklagtenpartei) in 13 (ersten) Hauptsacheverfahren aus insgesamt fünf Patenten in Bezug auf Funktionalitäten der FB -Applikation, des FB Messengers, der WA -Applikation sowie der IG -Applikation wie nachfolgend dargestellt wegen Patentverletzung u. a. auf Unterlassung in Anspruch genommen. Der jeweilige Verfahrensausgang ist ebenfalls angegeben. Im Nachgang wurden fünf (zweite) Hauptsacheverfahren sowie sechs Ordnungsmittelanträge eingereicht.
Patent A
– EP … 495 (Text-Editierung und gleichzeitig Anzeige des Chat-Verlaufs)
gegen
IG LLC, IG Inc. und FB Inc.
1. Hauptsache: 7 O 4642/18
wegen
IG -Applikation nächster Verhandlungstermin am 12.11.2020
gegen
FB Ireland Ltd.
1. Hauptsache: 7 O 4643/18
wegen
FB Messenger nächster Verhandlungstermin am 12.11.2020
gegen
FB Inc.
1. Hauptsache: 7 O 4644/18
wegen
FB Messenger
nächster Verhandlungstermin am 12.11.2020
gegen
WA Inc. und FB Inc.
1. Hauptsache: 7 O 4645/18
wegen
WA -Applikation nächster Verhandlungstermin am 12.11.2020
Patent B
– EP 728 (Umschalten zwischen zwei Kommunikationssitzungen)
gegen
FB Inc.
. Hauptsache: 7 O 5320/18
wegen
FB Messenger: Wechsel innerhalb von Chat-Sessions
Urteil vom 05.12.2019;
Ordnungsmittelantrag vom 28.01.2020
Abwandlung: kein unmittelbarer Wechsel mehr in die andere Chat-Session
2. Hauptsache: 7 O 1256/20
Klageerweiterung vom 28.01.2020 im Az. 7 O 4644/18,
Abtrennung vom 31.01.2020
gegen
FB Ireland Ltd.
1. Hauptsache 7 O 5342/18
wegen
FB Messenger: Wechsel innerhalb von Chat-Sessions
Urteil vom 05.12.2019;
Ordnungsmittelantrag vom 28.01.2020
Abwandlung: kein unmittelbarer Wechsel mehr in die andere Chat-Session
2. Hauptsache 7 O 1245/20
Klageerweiterung vom 28.01.2020 im Az. 7 O 4643/18,
Abtrennung vom 31.01.2020
gegen
IG LLC, IG Inc. und FB Inc.
1. Hauptsache: 7 O 5314/18
wegen
IG -Applikation Urteil vom 05.12.2019;
kein Ordnungsmittelantrag;
keine 2. Hauptsache
gegen
WA Inc. und FB Inc.
1. Hauptsache 7 O 5335/18
wegen
WA -Applikation: Wechsel innerhalb von Chat-Sessions
Urteil vom 05.12.2019;
Ordnungsmittelantrag vom 28.01.2020
Abwandlung: ausländische Telefonnummern: keine Änderung;
inländische Telefonnummern: kein unmittelbarer Wechsel mehr in die andere Chat-Session
2. Hauptsache 7 O 1209/20
Klageerweiterung vom 28.01.2020 im Az. 7 O 4645/18,
Abtrennung vom 31.01.2020
Patent C
– EP … 799 (Umschalten von einer Kommunikationssitzung in eine Spielanwendung)
gegen
FB Inc.
1. Hauptsache 7 O 5321/18
wegen
FB Messenger mit Spieleanwendung: Wechsel von der Konversation in das Spiel
Urteil vom 05.12.2019;
Ordnungsmittelantrag vom 28.01.2020
Abwandlung: kein unmittelbarer Wechsel mehr in die Spieleanwendung
2. Hauptsache 7 O 1258/20 Klageerweiterung vom 28.01.2020 im Az. 7 O 4644/18,
Abtrennung vom 31.01.2020
gegen
FB Ireland Ltd.
1. Hauptsache 7 O 5343/18
wegen
FB Messenger mit Spieleanwendung: Wechsel von der Konversation in das Spiel
Urteil vom 05.12.2019;
Ordnungsmittelantrag vom 28.01.2020
Abwandlung: kein unmittelbarer Wechsel mehr in die Spieleanwendung
2. Hauptsache 7 O 1247/20
Klageerweiterung vom 28.01.2020 im Az. 7 O 4643/18,
Abtrennung vom 31.01.2020
Patent C‘
– EP … 790 (Übertragen einer Nachrichtenhistorie einer Kommunikationssitzung)
gegen
WA Inc. und FB Inc.
1. Hauptsache 7 O 5336/18
wegen
WA -Applikation: Export Chat
Urteil vom 05.12.2019;
Ordnungsmittelantrag vom 28.01.2020;
keine 2. Hauptsache
Abwandlung: ausländische Telefonnummern: Keine Änderung
Patent D
– EP … 114 (automatischer Ermittlung teilweise gleicher Nutzerprofile)
gegen FB
Ireland Ltd.
1. Hauptsache 7 O 5344/18
wegen FB -Applikation
Urteil vom 05.12.2019,
kein Ordnungsmittelantrag;
keine 2. Hauptsache
gegen
FB Inc.
1. Hauptsache: 7 O 5322/18
wegen
FB -Applikation
Urteil vom 05.12.2019, kein Ordnungsmittelantrag;
keine 2. Hauptsache
II.
Im vorliegenden Verfahren erging gegen die Beklagtenpartei in Ziffer I.1. des Tenors folgende, gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbare, Verurteilung zur Unterlassung:
„Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung Ordnungshaft bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
1. Software im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Benutzung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder zu liefern,
– nämlich die Kommunikationsanwendung WA sowie kerngleiche Abwandlungen, soweit sie geeignet ist zur Anwendung eines Verfahrens zum Betreiben einer Kommunikationsvorrichtung zum Durchführen von mindestens zwei gleichzeitigen Kommunikationssitzungen, das aufweist:
Vorsehen einer graphischen Benutzerschnittstelle, die einen ersten Teil zum Durchführen einer ersten Kommunikationssitzung und einen zweiten Teil zum Aufrufen eines Umschaltens zu einer zweiten Kommunikationssitzung aufweist;
Umschalten des ersten Teils der graphischen Benutzerschnittstelle zum Durchführen der zweiten Kommunikationssitzung in Reaktion auf eine Benutzereingabe zum Aufrufen des Umschaltens; und Anzeigen von Benachrichtigungen in dem zweiten Teil in Reaktion auf Aktivitäten von zumindest der zweiten Kommunikationssitzung, während die erste Kommunikationssitzung in dem ersten Teil durchgeführt wird, wobei jede der Benachrichtigungen einen Kontaktteil zum Identifizieren eines Kontakts aufweist, der der Gegenstand der Benachrichtigung ist, und einen Aktivitätsteil zum Identifizieren der Aktivität des Kontakts, der der Gegenstand der Benachrichtigung ist, wobei der Aktivitätsteil zumindest einen Teil einer Nachricht von der zweiten Kommunikationssitzung umfasst wobei der Schritt des Vorsehens einer graphischen Benutzerschnittstelle aufweist ein Verbergen des zweiten Teils in Reaktion auf das Fehlen einer Benachrichtigung, definiert in Reaktion auf eine Aktivität von einer der Kommunikationssitzungen.
(EP 728 B1, Anspruch 1 mit Anspruch 7, mittelbare Verletzung)“
Die Kammer hat den Anspruch 1 des EP 728 B1 in der geltend gemachten Form wie folgt gegliedert:
„1. Ein Verfahren zum Betreiben einer Kommunikationsvorrichtung zum Durchführen von zumindest zwei gleichzeitigen Kommunikationssitzzungen, das aufweist:
1.1 Vorsehen einer graphischen Benutzerschnittstelle,
1.1.1 die einen ersten Teil zum Durchführen einer ersten Kommunikationssitzung und
1.1.2 einen zweiten Teil zum Aufrufen eines Umschaltens zu einer zweiten Kommunikationssitzung aufweist;
1.1.2.1 Verbergen des zweitens Teils in Reaktion auf das Fehlen einer Benachrichtigung, definiert in Reaktion auf eine Aktivität von einer der Kommunikationssitzungen;
1.2 Anzeigen von Benachrichtigungen in dem zweiten Teil in Reaktion auf Aktivitäten von zumindest der zweiten Kommunikationssitzung, während die erste Kommunikationssitzung in dem ersten Teil durchgeführt wird,
1.2.1 wobei jede der Benachrichtigungen
1.2.1.1 einen Kontaktteil zum Identifizieren eines Kontakts aufweist, der Gegenstand der Benachrichtigung ist,
1.2.1.2 einen Aktivitätsteil zum Identifizieren der Aktivität des Kontakts, der der Gegenstand der Benachrichtigung ist, wobei der Aktivitätsteil zumindest einen Teil einer Nachricht von der zweiten Kommunikationssitzung umfasst;
1.3 Umschalten des ersten Teils der graphischen Benutzerschnittstelle zum Durchführen der zweiten Kommunikationssitzung in Reaktion auf eine Benutzereingabe zum Aufrufen des Umschaltens.“
In Bezug auf den Patentanspruch 11 wird auf die Urteilsgründe Bezug genommen.
Der Verurteilung lag die Kommunikationsanwendung WA zugrunde, die nach den Feststellungen der Kammer wie nachfolgend dargestellt ausgestaltet und daher objektiv zur mittelbaren Patentbenutzung geeignet war:
„Wird die angegriffene Ausführungsform von dritter Seite bestimmungsgemäß auf einem elektronischen Gerät genutzt, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens nach Anspruch 1 und der geschützten Vorrichtung nach Anspruch 11 hergestellt. Das angegriffene Mittel ist geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform und seiner Einbindung in iOS ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer möglich ist. Diese Benutzung durch die Nutzer ist auch unstreitig bereits erfolgt. Patentanspruch 1 wird durch die Nutzer wortsinngemäß benutzt. Auch hinsichtlich der streitigen Merkmale 1.3/11.3.3, 1.2.1.2/11.3.2.1.2, 11.2.1/11.3.1.2.1 verwirklicht die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent. Die Benutzung der übrigen Merkmale der geltend gemachten Patentansprüche 1 und 11 sind zu Recht unstreitig. Unstreitig löst der Nutzer das Umschalten zu einer parallelen Chat-Session aus, indem er unmittelbar und in einem einschrittigen Prozess das Benachrichtigungsbanner anklickt oder -tippt. Nach der oben dargelegten Auslegung ist dieser einschrittige Wechselprozess, ausgelöst durch eine Nutzereingabe, zur Verwirklichung des Merkmals ausreichend. Auch Merkmal 1.2.1.2/ 11.3.2.1.2 ist verwirklicht. Soweit – für sich gesehen unstreitig – die bei Eingehen einer Nachricht aus der zweiten Nachrichtensitzung eingehende Mitteilung nicht explizit eine Aktivität angibt, insbesondere kein Verb zur Aktivitätsidentifzierung verwendet, ist dies nach oben dargelegter Auslegung entbehrlich. Ein Teil der eingehenden Nachricht wird angezeigt, was zur Verwirklichung bereits ausreicht. Schließlich ist auch Merkmal 1.1.2.1 (nach klägerischer Diktion 1.4) erfüllt. Auch wenn unstreitig das Mitteilungsbanner nach 5 Sekunden wieder ausgeblendet wird, unabhängig davon, ob die neue Nachricht bereits gelesen wurde, und der freiwerdende Platz hauptsächlich dem Informationsbalken zugutekommt, ist dies nach obiger Lesart für die Verwirklichung ausreichend. Im Übrigen hat die Beklagtenpartei nicht bestritten, dass der freiwerdende Platz in irgendeiner Form dem ersten Teil zugutekommt, wie die Klägerin unterstreicht.“
Die Kammer hat auf eine Verantwortlichkeit beider Beklagter mit nachfolgender Begründung erkannt:
„Das Programm „WA “ wird im Inland zur Benutzung im Inland unstreitig angeboten, indem die Beklagte zu 1) es zum Beispiel im App-Store von Apple zum Herunterladen und zur Installation auf iOS-Geräten anbietet. Auch die Beklagte zu 2) ist hierfür mit verantwortlich. Denn beide Gesellschaften handeln seit dem 6. Oktober 2014 (Datum des Erwerbs der Beklagten zu 1) durch die Beklagte zu 2)) als Mittäter und die Beklagte zu 2) muss sich das Handeln ihrer Mittäterin zurechnen lassen. Mittäterschaft besteht, weil ein arbeitsteiliges Vorgehen aufgrund eines gemeinsamen Tatplans (nämlich: die Kommunikationsanwendung „WA “ auch in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreiben) vorliegt. Die Beklagte zu 1) als Tochtergesellschaft der Beklagten zu 2) ist eine weisungsgebundene Gesellschaft und wird von der Mutter, der hiesigen Beklagten zu 2), kontrolliert und beherrscht. Hierin liegt ihr Tatbeitrag. Dass die Beklagte zu 1) weisungsgebunden gegenüber der Beklagten zu 2) ist, bestreitet die Beklagtenpartei nicht hinreichend substantiiert. Sie zieht sich allgemein darauf zurück, dass die Klägerin ihrerseits nur pauschal vorgetragen habe, wenn sie unter anderem Strategieaussagen aus einem Jahresbericht vorlegt, der bei der US-Börsenaufsichtsbehörde eingereicht worden ist. Aus diesem ergibt sich unstreitig, dass die Beklagte zu 2) die angegriffene Kommunikationsanwendung „WA “ als „ihr Produkt“ bezeichnet und Einnahmen hieraus als „ihre Einnahmen“ bewertet. In diesem Sinne liest sich auch der Vortrag der Beklagtenpartei im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrags, wonach der Konzern der Beklagtenpartei durch die Vollstreckung eines Unterlassungstitels wirtschaftlich belastet würde. Die Beklagtenpartei trifft eine sekundäre Darlegungslast, weil die Klägerin alle ihr zur Verfügung stehenden – öffentlich verfügbaren – Erkenntnismöglichkeiten über die rechtliche und tatsächliche Einbindung der Beklagten zu 2) in die Handlungen der Beklagten zu 1) sowie über eine entsprechende Weisungsgebundenheit dieser Gesellschaft gegenüber der Beklagten zu 2) ausgeschöpft hat. Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die von der Klägerin vorgelegten Informationen nicht ausdrücklich die Bundesrepublik Deutschland betreffen. Im Rahmen dieser sekundären Darlegungslast wären nach Überzeugung der Kammer der Beklagtenpartei nähere Angaben zu den genannten Umständen ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen.“
Die angeordnete Vollstreckungssicherheit wurde von der Klagepartei geleistet. Die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen liegen demnach seit dem 27.12.2020 – zu Recht unstreitig – vor.
Die Beklagtenpartei hat in Folge der Verurteilung folgende Modifikationen an der angegriffenen WA -Applikation vorgenommen:
Die WA -Applikation wird zunächst unverändert angeboten und kann auch unverändert heruntergeladen werden, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Im Anschluss hat sich der Nutzer vor Benutzungsaufnahme unter Angabe einer Telefonnummer zu registrieren. Soweit er hierbei eine ausländische Telefonnummer angibt, kann er die Applikation unverändert, also im selben Zustand anwenden, wie sie Gegenstand des Urteils gewesen ist, auch wenn er sich zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten sollte. Die Ausführung der Applikation ist insoweit, anders als noch dem schriftsätzlichen Vortrag teilweise zugrunde gelegt, nicht an eine SIM-Karte und damit auch nicht an den Ort, wo sich diese SIM-Karte gerade befindet, gebunden. Die diesbezüglichen klarstellenden Aussagen im Termin blieben unbestritten.
Soweit der Nutzer bei der Registrierung aber eine deutsche Mobilfunknummer angibt, wird durch technische Maßnahmen ausgeschlossen, dass die Applikation in unverändertem Umfang benutzt werden kann. Vielmehr wird insoweit sichergestellt, dass die Applikation nur noch in einem eingeschränkten Umfang läuft. Der eingeschränkte Nutzungsumfang für Nutzer, die eine inländische Telefonnummer angegeben haben, ist dergestalt, dass bei einem Klick des Nutzers auf eine Benachrichtigung betreffend eine derzeit nicht geöffnete Chat-Session nunmehr kein unmittelbarer Wechsel in die andere Chat-Session mehr erfolgt, sondern ein Wechsel in eine Übersicht sämtlicher Chat-Sessions dieses Nutzers. Wird die Chat-Session, in der die Nachricht eingegangen ist, in dieser Übersicht angeklickt, so wird diese Chat-Session geöffnet. Auf die grafische Darstellung auf Seiten 9-10 der Antragsschrift vom 28.01.2020 wird wegen der Details verwiesen.
In beiden Varianten wird die Richtigkeit der angegebenen Nummer zuvor durch die Übermittlung eines Codes über SMS an die angegebene Nummer überprüft. Dabei ist es nicht erforderlich, dass das Mobiltelefon, das den Code per SMS empfängt, auch dasjenige Mobiltelefon ist, auf dem die Applikation ausgeführt wird.
Die Klagepartei ist der Auffassung, dass die Beklagtenpartei durch Angebot und Lieferung beider Varianten der Abwandlung gegen die Unterlassungspflicht verstoße. Soweit eine Ahndung im Ordnungsmittelverfahren nicht in Betracht komme, müsse die Beklagtenpartei jedenfalls in den parallel anhängig gemachten zweiten Hauptsacheverfahren verurteilt werden, weil die Beklagtenpartei mit Angebot und Lieferung der abgewandelten WA -Applikation nach wie vor mittelbar von der geschützten technischen Lehre Gebrauch mache. Insoweit hat die Klagepartei die oben angeführten zweiten Hauptsacheverfahren eingereicht.
Die Klagepartei beantragt im Ordnungsmittelverfahren:
Gegen die Schuldnerinnen werden wegen mehrfacher Zuwiderhandlungen gegen das Unterlassungsgebot gemäß Ziffer I.1 des Tenors des Urteils des Landgerichts München I vom 5. Dezember 2019 (Az. 7 O 5335/18) kostenpflichtig empfindliche Ordnungsgelder verhängt, deren jeweilige Höhe in das Ermessen der Kammer gestellt wird, und für den Fall, dass das jeweilige Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft verhängt, wobei die Ordnungshaft an W.C. für die Schuldnerin zu 1 und an M. Z. für die Schuldnerin zu 2 zu vollziehen ist.
Die Beklagtenpartei beantragt im Ordnungsmittelverfahren,
den Antrag der Gläubigerin auf Verhängung von Ordnungsgeldern, ersatzweise Ordnungshaft, kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagtenpartei meint, dass die gleichzeitige Einreichung von Ordnungsmittelanträgen und zweiten Hauptsacheklagen wegen ein- und desselben Lebenssachverhalts rechtsmissbräuchlich sei. Ferner unterfalle die Applikation, wie sie sich nun Nutzern darstelle, die bei der Registrierung eine deutsche Mobilfunknummer angegeben hätten und im Anschluss Zugriff auf die modifizierte Applikation erhielten, weder dem Unterlassungsgebot aus dem Urteil der Kammer, noch dem in den beiden Hauptsacheverfahren geltend gemachten Patent. In Bezug auf Nutzer, die bei der Registrierung eine ausländische Mobilfunknummer angegeben hätten und im Anschluss Zugriff auf die nicht modifizierte Applikation erhielten, erfolgten kein Angebot und keine Lieferung der unveränderten Applikation zur Benutzung in Deutschland. Die wenigen Fälle derjenigen Personen, die sich im Inland aufhielten und sich erstmals mit einer ausländischen Mobilfunknummer registrierten, seien zu vernachlässigen. Identifizierbar sei insoweit allein der von der Klagepartei ausgelöste und zum Gegenstand des Ordnungsmittelverfahren gemachte singuläre Testfall.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2020 verwiesen.
III.
Der Ordnungsmittelantrag ist zulässig (unter 1.) und in Bezug auf den Sachverhalt betreffend Nutzer, die bei der Registrierung eine ausländische Telefonnummer angegeben haben, begründet (unter 3.). Insoweit ist jeweils ein Ordnungsgeld zu verhängen, dessen Höhe aber angesichts der Umstände des Falles im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Rahmens anzusiedeln ist. Im Übrigen ist der Ordnungsmittelantrag als unbegründet zurückzuweisen (unter 2.).
1. Der Ordnungsmittelantrag ist zulässig. Sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt.
Der Zulässigkeit des Ordnungsmittelantrags steht der Umstand, dass die Klagepartei am selben Tag in Form einer Klageerweiterung eine zweite Hauptsacheklage eingereicht hat, die ebenfalls die Kommunikationsanwendung WA in der modifizierten Form betrifft, nicht entgegen. Soweit die Beklagtenpartei auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln verweist (vgl. OLG Köln BeckRS 2001, 30220570) rechtfertigt dies keine anderweitige Entscheidung. Denn dieser Entscheidung lag ein anderer Sachverhalt zugrunde. In Köln hatte die Gläubigerin im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen einen ersten Titel zunächst kein Ordnungsmittelverfahren angestrengt, sondern einen zweiten Titel erwirkt. Erst im Anschluss stellte sie wegen des dem zweiten Titel zugrundeliegenden Verhaltens auch einen Ordnungsmittelantrag unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den ersten Titel, welcher als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen worden war. Vorliegend hat die Klagepartei aber gleichzeitig sowohl einen Ordnungsmittelantrag als auch eine zweite Hauptsacheklage eingereicht und auf Frage des Gerichts im Termin klargestellt, dass auch die Klagepartei davon ausgehe, dass nur einer der beiden Rechtsbehelfe zulässig sei, man aber aufgrund der Schwierigkeiten bei der zutreffenden Wahl des richtigen Rechtsbehelfs sowie in Anbetracht der Eilbedürftigkeit das damit verbundene Kostenrisiko in Kauf nehme. Eine solche Vorgehensweise ist bei berechtigten Zweifeln in Bezug auf die Wahl des richtigen Rechtsbehelfs nicht rechtsmissbräuchlich (vgl. Kühnen in Handbuch des Patentrechts, 12. Aufl., Kapitel H Rn. 165 mwN). Im vorliegenden Verfahren sind derartige Zweifel berechtigt, weil einerseits die Frage, ob ein Umschalten in die andere Chat-Session mit Umwegen, wie sie nun die abgewandelte Kommunikationsanwendung WA zeigt, das Merkmal 1.3 verwirklicht, im ersten Hauptsacheverfahren keine Rolle gespielt hat und dementsprechend in den Entscheidungsgründen nicht näher erörtert worden ist, die Kammer aber andererseits im Urteil bei der Diskussion der Auslösung dieses Umschaltens durch den Nutzer die Meinung vertreten hat, dass dieses durch einen einstufigen oder einen mehrstufigen Eingabeprozess erfolgen könne. Das korrekte Auseinanderhalten dieser beiden Gesichtspunkte liegt nicht dermaßen auf der Hand, dass bereits von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen der Klagepartei ausgegangen werden müsste.
2. Der Ordnungsmittelantrag ist in Bezug auf die Kommunikations-Anwendung WA, wie sie sich nun Nutzern darstellt, die bei der Registrierung eine deutsche Mobilfunknummer angegeben haben, unbegründet. Diese Abwandlung unterfällt nicht dem Unterlassungsgebot aus dem Urteil der Kammer. Es liegt weder ein identischer noch ein kerngleicher Verstoß vor.
a. Ein identischer Verstoß liegt nicht vor.
Zwar wird nach wie vor allen Nutzern, auch denjenigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und im Rahmen der Registrierung eine deutsche Mobilfunknummer angegeben haben, zunächst die unveränderte App geliefert. Unstreitig wird aber durch technische Maßnahmen eine Benutzung der unveränderten App verhindert. Mithin fehlt es am subjektiven Element eines Angebots oder einer Lieferung zur Benutzung – in unveränderter Form – in der Bundesrepublik Deutschland. Der Vorsatz der Beklagtenpartei ist in Bezug auf diese Nutzer allein gerichtet auf ein Angebot und eine Lieferung zur Benutzung – in veränderter Form – in der Bundesrepublik Deutschland.
b. Angebot und Lieferung der veränderten Applikation stellen keinen kerngleichen Verstoß dar.
Untersagt sind nach der Kerntheorie auch alle Handlungen, die nach der Verkehrsauffassung der verbotenen gleichwertig sind; das sind solche Handlungen, die im Kern mit der Verletzungshandlung übereinstimmen und alle weiteren Handlungen, bei denen die Abweichung den Kern der Verletzungshandlung unberührt lässt. Sind in der Entscheidungsformel bestimmte Verletzungsformen einzeln angeführt, so sind danach nur solche Handlungen verboten, die auch hinsichtlich ihrer Gestaltung im Kern den aufgeführten Verletzungsformen gleichgesetzt werden können. In den nach der Kerntheorie zu bestimmenden Verbotsbereich eines Unterlassungstitels fallen nur solche Abwandlungen der darin wiedergegebenen konkreten Verletzungsform, die ihrerseits schon implizit Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren waren (vgl. Zigann/Werner in Cepl/Voß Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 253 Rn. 79 mwN; Stürner in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 35. Edition, Stand: 01.01.2020, § 890 ZPO Rn. 13 mwN).
Im Patentrecht (vgl. hierzu Zigann/Werner in Cepl/Voß Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 253 Rn. 85 mwN) wird die Unterlassungsverpflichtung in der Urteilsformel nach wie vor ganz überwiegend durch Wiedergabe des Wortlauts des oder der geltend gemachten Patentansprüche umrissen. Die konkrete Bezeichnung der Mittel, aus denen sich eine Benutzung des Patentanspruchs ergibt, stellt demgegenüber – von Fällen der Äquivalenz abgesehen – die Ausnahme dar, wenngleich der Bundesgerichtshof (BGH GRUR 2012, 485 – Rohrreinigungsdüse II; GRUR 2005, 569 – Blasfolienherstellung) dies grundsätzlich für geboten hält (dazu sogleich). Von einer solchermaßen abstrakten Formel ausgehend führt die „Kerntheorie“ den Umfang der Unterlassungsverpflichtung im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Urteilsgründe auf Handlungen zurück, welche den Kern der Verletzungsform unberührt lassen. Dabei ist der Kern des Streitgegenstandes (und damit der Umfang der Unterlassungsverpflichtung) im Wesentlichen durch die „tatsächliche Ausgestaltung eines bestimmten Produkts im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs“ zu bestimmen. Umstände, die außerhalb des Titels liegen, dürfen dabei nicht berücksichtigt werden. Dementsprechend darf keine Notwendigkeit bestehen, neben den Gründen ergänzend auch auf die Patentschrift zurückzugreifen, um den Verletzungsvorwurf zu rechtfertigen, selbst wenn die diesbezüglichen Erwägungen trivial und eindeutig sein mögen. Die Kerntheorie greift indes bei Abwandlungen, welche außerhalb der Merkmale des Patentanspruchs liegen oder über die in der Sache im Erkenntnisverfahren bereits mitentschieden wurde, weil diejenigen Erwägungen zur Patentverletzung, die in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform angestellt worden sind, in gleicher Weise auf die abgewandelte Ausführungsform zutreffen. Von der Kerntheorie nicht erfasst sind demnach im allgemeinen Abwandlungen, welche materiell-rechtliche Erwägungen zur Auslegung des Patents und zur Bestimmung von dessen Schutzbereich erfordern, die über die im Erkenntnisverfahren bereits getroffenen Feststellungen und Erwägungen zur Patentverletzung hinaus gehen; insbesondere dann, wenn die Abwandlung im Hinblick auf im Erkenntnisverfahren unstreitige Merkmale erfolgt ist, zu deren Inhalt und Auslegung das Urteil demnach keine Ausführungen enthält (Haft in Cepl/Voß Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 890 Rn. 13-15 mwN).
c. Vorliegend wurden in Ziffer I.1 des Tenors unter Wiederholung des Wortlauts des geltend gemachten Anspruchs wortwörtlich die Kommunikationsanwendung WA sowie alle hierzu kerngleichen Abwandlungen verboten. Diese als Hybrid zu bezeichnende Form des Tenors adressiert ein Verbot von Angebot und Lieferung der dem Urteil zugrundeliegenden angegriffenen Ausführungsformen sowie aller hierzu kerngleichen Ausführungsformen, also die Kommunikationsanwendung WA in der dem Urteil zugrundeliegenden Version sowie alle hierzu kerngleichen Versionen. Diese Form des Tenors trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gericht aufgrund der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in „Rohrreinigungsdüse II“ (BGH GRUR 2012, 485) sowie „Blasfolienherstellung“ (BGH GRUR 2005, 569) auch in Abwesenheit eines insoweit konkretisierten Klageantrages gehalten ist, die Mittel, aus denen sich nach dem Urteil die Benutzung des Patentanspruchs ergeben soll, im Tenor so konkret zu bezeichnen, dass diese Urteilsformel die Grundlage für die Zwangsvollstreckung bilden kann. Dies gilt jedenfalls, wenn die Parteien darüber streiten, ob und mit welchen Mitteln oder mit welcher räumlich-körperlichen Ausgestaltung die im Patentverletzungsprozess angegriffene Ausführungsform Merkmale des Patentanspruchs verwirklicht (vgl. Zigann in Haedicke/Timmann Handbuch des Patentrechts, 2. Aufl. 2020, § 15 Rn. 137).
In dem Verfahren, das dem nun zu vollstreckenden Urteil vorausgegangen ist, war zwischen den Parteien die Verwirklichung des Merkmals 1.3 nur insoweit streitig, als die Kommunikationsanwendung WA in der dem Urteil zugrundeliegenden Version es ermöglichte, von der ersten Chat-Session in die zweite Chat-Session mit nur einem Klick des Benutzers in das Benachrichtigungsfeld betreffend die zweite Chat-Session umzuschalten. Die Beklagtenpartei hatte argumentiert, dass in [0038] ein zweistufiger Umschaltprozess dergestalt in den Blick genommen worden sei, dass zunächst der Bildschirmbereich betreffend die Benachrichtigung über den Eingang der zweiten Chat-Session auszuwählen und anschließend das Umschalten in diese zweite Chat-Session auszulösen sei, was zwei Klicks erfordere. Die Kammer ist dem nicht gefolgt, sondern hat entschieden, dass das Merkmal offenlasse, ob das Auslösen des Umschaltens durch den Nutzer durch einen einstufigen oder einen mehrstufigen Eingabeprozess erfolge.
Hiervon ist aber die Frage zu unterscheiden, ob nach Auslösen des Umschaltens durch den Nutzer, mag dies in einem einstufigen oder mehrstufigen Prozess erfolgen, direkt in die zweite Chat-Session gewechselt wird oder ob, wie jetzt bei der dem Ordnungsmittelantrag zugrundeliegenden veränderten Version der Kommunikationsanwendung WA, zunächst in eine Chat-Übersichtsseite gewechselt wird und erst im Anschluss, nach einer erneuten Benutzereingabe, in die zweite Chatsession, wegen derer in der ersten Chat-Session eine Benachrichtigung angezeigt worden ist. Zu dieser Variante finden sich im Urteil keinerlei Ausführungen. Zur Beantwortung dieser Frage ist erneut die Patentschrift heranzuziehen und diese auszulegen, was einem zweiten Hauptsacheverfahren (Erkenntnisverfahren) vorbehalten ist.
3. Der Ordnungsmittelantrag ist aber in Bezug auf den Sachverhalt betreffend Nutzer, die bei der Registrierung eine ausländische Telefonnummer angegeben haben, begründet. Insoweit erfolgt nach wie vor – zumindest bedingt – vorsätzlich in der Bundesrepublik Deutschland ein Angebot und eine Lieferung der unveränderten Applikation, wie sie dem Urteil der Kammer zugrunde gelegen hat, zur Benutzung im Inland.
a. Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes durch die Beklagtenpartei ist insoweit unstreitig. Denn die Beklagten haben nach dem Beginn der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils die Kommunikationsanwendung WA nur insoweit abgeändert, als Nutzer betroffen sind, die bei der Registrierung eine deutsche Mobilfunknummer angegeben haben. Nutzer, die sich bei der Registrierung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und eine ausländische Mobilfunknummer angeben, erhalten nach wie vor die unveränderte Applikation und können diese auch in der Bundesrepublik Deutschland unverändert benutzen. Hierin sind dem Urteil unterfallende Handlungen des Angebots und der Lieferung in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen.
Beide Schuldnerinnen sind insoweit aus den bereits im Urteil dargelegten Gründen gemeinsam verantwortlich, nämlich unter dem Gesichtspunkt der Mittäterschaft.
b. Diese Handlungen erfolgten auch in Bezug auf den subjektiven Tatbestand vorsätzlich zur Benutzung in der Bundesrepublik Deutschland. Soweit die Beklagtenpartei argumentiert, dass schwerpunktmäßig Nutzer mit einer ausländischen Mobilfunknummer die App auch im vom Tenor des Urteils nicht erfassten Ausland herunterladen werden und sie daher nicht damit hätte rechnen müssen bzw. es zu vernachlässigen sei, wenn diese Nutzer das Herunterladen im Einzelfall in der Bundesrepublik Deutschland vornähmen, weil regelmäßig nicht davon auszugehen sei, dass diese Nutzer die heruntergeladene App im Anschluss in einem wirtschaftlich relevanten Umfang auch in der Bundesrepublik Deutschland benutzten, so folgt dem die Kammer nicht.
Die Verhängung eines Ordnungsmittels gemäß § 890 ZPO setzt zunächst einen schuldhaften (eigenen) Verstoß des Schuldners gegen die ihm auferlegte Unterlassungsverpflichtung voraus (BVerfG NJW-RR 2007, 860, 861). Da die in § 890 ZPO vorgesehenen Ordnungsmaßnahmen auch strafrechtliche Elemente enthalten, dürfen sie auch nur bei Verschulden des Schuldners in Bezug auf eine klare, tatbestandlich zuvor fest bestimmte Verhaltenspflicht verhängt werden. Verschulden ist daher im strafrechtlichen Sinne zu sehen und umfasst Vorsatz und Fahrlässigkeit (Stürner in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 35. Edition, Stand: 01.01.2020, § 890 ZPO Rn. 20 mwN).
In Ziffer I.1 des Tenors ist der Beklagtenpartei unmissverständlich verboten worden, die App in der Bundesrepublik Deutschland zur Benutzung in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder zu liefern. Wenn die Beklagtenpartei die Entscheidung trifft, die Lieferung so auszugestalten, dass sowohl die Lieferung als auch die spätere Benutzung der unveränderten App jeweils in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, solange und soweit der sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhaltende Nutzer eine ausländische Mobilfunknummer bei der Registrierung angegeben hat, so hat sie damit zumindest billigend in Kauf genommen, dass dieser Nutzer die App dann auch in der Bundesrepublik Deutschland benutzt. Warum hätte der Nutzer die App sonst in der Bundesrepublik Deutschland herunterladen und aktivieren wollen? Die Beklagtenpartei hat vielmehr eine Abwägung getroffen zwischen der Möglichkeit, die App weltweit entsprechend dem Urteil zu modifizieren, und der gewählten Möglichkeit, insoweit nach der Provenienz der bei der Registrierung angegebenen Mobilfunknummer zu differenzieren. In Bezug auf die zuletzt genannte Möglichkeit hat sie zu Gunsten einer einfacher zu programmierenden Differenzierung bei Aufrechterhaltung der weiteren Verfügbarkeit der unveränderten App in ausländischen Territorien in Kauf genommen, dass die hier nun streitgegenständliche Nutzungsmöglichkeit in der Bundesrepublik Deutschland unverändert erhalten bleibt. Offensichtlich hat sie hierbei, wie auch ihre Verteidigungsargumentation zeigt, eine wirtschaftliche Abwägungsentscheidung getroffen. Insgesamt hat sie daher bedingt vorsätzlich gegen das tenorierte Unterlassungsgebot verstoßen.
Insoweit hilft der Beklagtenpartei auch der Verweis auf Rechtsprechung betreffend eine Abwägung zwischen dem wirtschaftlichen und technischen Aufwand der Vermeidung von Rechtsverletzungen und dem Gefahrenpotential im Rahmen der Bestimmung des konkret anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabes (vgl. BGH NJW 2007, 762; NJW-RR 2013, 1490) nicht, denn zum einen betrifft diese Rechtsprechung nur den Sorgfaltsmaßstab im Erkenntnisverfahren und zum anderen vermag sie nur den Maßstab der Sorgfaltspflichten herabzusetzen, kann demnach ein bedingt vorsätzliches Vorgehen, wie es vorliegend festzustellen ist, nicht entschuldigen. Jedenfalls ist von einem Unterlassungsschuldner mehr zu fordern als von einer Person, die sich, ohne zur Unterlassung eines konkreten Verhaltens verurteilt zu sein, in Reflex zu einer Vielzahl abstrakter Gefahren einer Vielzahl von zu befolgenden Sorgfaltspflichten ausgesetzt sieht.
c. Mithin ist jeweils ein Ordnungsgeld zu verhängen, dessen Höhe aber angesichts der Umstände des Falles im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Rahmens (€ 5,00 bis € 250.000,00) anzusiedeln ist.
Die Höhe bzw. Dauer von Ordnungsgeld und Ordnungshaft stehen im Ermessen des Gerichts; eine Begrenzung liegt allerdings in der zuvor erfolgten Androhung. Dabei sind Art, Umfang und Dauer der Verletzungshandlung zu berücksichtigen; weiter können der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglicher künftiger Verletzungshandlungen für den Verletzten eine Rolle spielen, ebenso die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zuwiderhandelnden. Zur Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes kann daher § 40 StGB entsprechend angewandt werden. Die Höhe des Ordnungsgeldes darf aber nicht schematisch auf einen Bruchteil des Streitwertes des ursprünglichen Unterlassungsverfahrens bemessen werden (Stürner in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 35. Edition, Stand: 01.01.2020, § 890 ZPO Rn. 49 mwN).
Vorliegend ist nur ein Verstoß gegen das Unterlassungsgebot gegeben, auch wenn möglicherweise eine Vielzahl von Nutzern Empfänger von Angeboten und/oder Lieferungen waren. Denn die Art und Weise der Modifikation der App im Nachgang der erstinstanzlichen Verurteilung stellt eine einheitliche, zentrale Entscheidung und Handlung dar. Aber auch wenn man auf einzelne Angebote und Lieferungen abstellen wollte, so hat die Klagepartei, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt, nur einen Fall, nämlich den von ihr veranlassten Testfall, vorgetragen.
Gegen die Beklagtenpartei spricht im Rahmen der gebotenen Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls vorliegend das bedingt vorsätzliche Vorgehen. Für die Beklagtenpartei spricht, dass sie durch die Ausgestaltung der Änderungsmaßnahmen versucht hat, dem Urteil unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der „user experience“ bei ausländischen, nicht vom Urteil erfassten, Sachverhalten, gerecht zu werden, und abstrakt betrachtet nur sehr wenige Nutzer mit einer ausländischen Telefonnummer die App in der Bundesrepublik Deutschland herunterladen und anschließend in der Bundesrepublik Deutschland benutzen werden. Die Klagepartei kann konkret auch nur den von ihr selbst verursachten Testfall vorweisen. Weiter streitet für die Beklagtenpartei die Ankündigung im Termin, Angebot und Lieferung der App weiter zu modifizieren, soweit die Kammer dem Ordnungsmittelantrag stattgibt. Andererseits hat die Beklagtenpartei eine weitere Anpassung der App nur angekündigt und nicht bereits den Ordnungsmittelantrag oder die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung hierüber zum Anlass einer Nachbesserung genügen lassen. Unter Abwägung der für und gegen die Beklagtenpartei sprechenden Umstände erachtet die Kammer ein Ordnungsgeld von jeweils € 5.000,00 für ausreichend aber auch erforderlich, um auf eine Verhaltensänderung bei der Beklagtenpartei hinzuwirken.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf dem hälftigen Obsiegen und Unterliegen (§§ 891, 92 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ZPO). Insoweit beträgt der Teilgegenstandswert der beiden Varianten jeweils € 400.000,00 (§ 3 ZPO, § 51 GKG, §§ 25 Abs. 1 Nr. 3 RVG).


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