Europarecht

Rinderhaltungs- und Betreuungsverbot

Aktenzeichen  M 23 K 19.4491

Datum:
25.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38362
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Gründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit im Hinblick auf die Ziffern 2, 3, 4 und 6 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, was das Verfahren gem. § 92 Abs. 3 VwGO analog einzustellen.
Die damit nur noch gegen das in Ziffer 1 angeordnete Rinderhaltungs- und Betreuungsverbot und die in Ziffer 7 verfügte Kostenentscheidung gerichtete zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der auf § 16a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TierSchG beruhende Bescheid ist formell rechtmäßig. Auch wenn der Klägerbevollmächtigte eine Verletzung der gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG obligatorischen Anhörung rügt, da das Landratsamt seine mit Schreiben vom 2. August 2019 vorgebrachten Argumente weder gewürdigt noch bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt habe, ist jedenfalls im gerichtlichen Verfahren gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG Heilung eingetreten, nachdem sich die Beklagtenvertreter inhaltlich mit den Argumenten der Klägerin schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung befasst haben.
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Das Gericht folgt der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht von einer über die nachfolgenden Erwägungen hinausgehenden eigenständigen Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Nach § 16a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann insbesondere demjenigen, der den Vorschriften des § 2 TierSchG wiederholt oder grob zuwidergehandelt und dadurch den von ihm gehaltenen oder betreuten Tieren erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zugefügt hat, das Halten oder Betreuen von Tieren einer bestimmten oder jeder Art untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er weiterhin derartige Zuwiderhandlungen begehen wird.
Hierbei ist zur Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit der nach § 16a Abs. 1 Satz TierSchG getroffenen tierschutzrechtlichen Anordnungen – der gesetzgeberischen Wertung des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 2 TierSchG folgend – auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (OVG Lüneburg, U.v. 20.4.2016 – 11 LB 29/15 -, juris Rn. 35 m.w.N.; VG München, U.v. 6.7.2016 – M 23 K 16.315 – juris Rn. 38), vorliegend also mit Bescheiderlass auf den 5. August 2019.
Den in der veterinärfachlichen Stellungnahme vom 26. Juni 2019 getroffenen Feststellungen zu den erheblichen tierschutzrechtlichen Verstößen vermochte die Klägerin nicht substantiiert entgegenzutreten. Die aus veterinärfachlicher Sicht bestehenden und dem Gericht zweifelsfrei belegten über etwa vier Jahre dokumentierten Verstöße gegen § 2 TierSchG hat die Klägerin nicht entkräftet, indem sie sich unter vollumfänglichen Bestreiten der veterinärfachlich festgestellten Verstöße gegen eine tierschutzgerechte Ernährung und Pflege und die damit einhergegangenen langanhaltenden erheblichen Schmerzen und Leiden auf eine Besserung des Ernährungszustandes seit Juli 2019 stützt. Bei der Entscheidung über ein Tierhaltungsverbot kommt dem für die Verwaltungsbehörde tätigen Tierarzt für die Beurteilung sowohl hinsichtlich des Vorliegens grober oder wiederholter Zuwiderhandlungen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen, als auch hinsichtlich der Frage, ob so Tieren erhebliche und länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zugefügt wurden, eine vorrangige fachliche Beurteilungskompetenz zu (§ 15 Abs. 2 TierSchG). Schlichtes Bestreiten vermag amtstierärztliche Beurteilungen deshalb nicht in Zweifel zu ziehen, geschweige denn zu widerlegen, sodass die getroffenen veterinärfachlichen Feststellungen allenfalls ausnahmsweise durch fundierte veterinärfachliche Auseinandersetzung entkräftbar wären (vgl. etwa BayVGH, B.v. 13.5.2014 – 9 CS 14.1207 – juris; BayVGH, B.v. 31.1.2017 – 9 C 16.2023 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 14.7.2020 – 23 CS 20.1087 – juris Rn. 7; Hirt/Maisack/Moritz, 3. Aufl. 2016, TierSchG § 16a Rn. 46).
Zwar ist dem Klägerbevollmächtigten darin zuzustimmen, dass sich die BCS-Werte bei den zuletzt gehaltenen ca. 10 Rindern jeweils etwa einen Monat vor Bescheiderlass grundsätzlich verbessert haben. Angesichts der in den vergangenen Jahren durch die für die Verwaltungsbehörde tätigen Tierärzte festgestellten Verstöße, die im Übrigen durch den Hoftierarzt der Klägerin (zuletzt am 12. Juni 2019) noch dazu von dritter Seite bestätigt wurde, sind die bereits vor Juli 2019 (seit 2015) dokumentierten und festgestellten Verstöße keineswegs entkräftet. Denn die vorgebrachten BCS-Werte beziehen sich auf einen nachgelagerten Zeitpunkt, ohne dass sich hieraus Schlüsse auf ein angebliches Nichtvorliegen tierschutzrechtlicher Verstöße und erheblicher und langanhaltender Schmerzen und Leiden ergeben. Vielmehr bestätigt der starke Anstieg den bislang vorhandenen grundlegend unterernährten Ernährungszustand, der sich bei den Kälbern und den Jungrindern ausweislich veterinärfachlicher Stellungnahme und des Privattierarztes auch auf deren Entwicklungszustand ausgewirkt hatte. Dies hat das Landratsamt zuletzt auch schriftsätzlich am 16. Januar 2020 unter Bezugnahme auf ihre strafrechtliche Stellungnahme nachvollziehbar dargelegt. Nicht zuletzt die vom Schlachthof vorgelegten Daten weisen für die am 23. Juli und 20. August 2019 geschlachteten Rinder, also selbst nach Beginn der klägerseits vorgetragenen Ernährungsumstellung auf Mast, nahezu durchgehend eine erheblich unterdurchschnittliche Gesamtmasse bei nahezu allen Rindern auf.
Die durch die Staatsanwaltschaft Traunstein verfügte Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO ist im vorliegenden Verfahren keinesfalls – wie der Klägerbevollmächtigte meint – präjudiziell dafür, dass den Tieren keine Leiden und Schmerzen zugefügt worden wären. So sind zum einen von der Einstellung durch die Staatsanwaltschaft ausdrücklich die veterinärfachlichen Feststellungen zur Kontrolle vom 12. Juni 2019 ausgenommen. Zum anderen macht eine strafprozessuale Entscheidung nicht eine eigenständige verwaltungsbehördliche bzw. verwaltungsgerichtliche Überprüfung der der tierschutzrechtlichen Anordnung zugrundeliegenden Voraussetzungen entbehrlich, da der Maßstab des Strafrechts nicht mit dem vorliegenden tierschutzrechtlichen Verfahren vergleichbar ist (vgl. VG Arnsberg, U.v. 2.5. 2016 – 8 K 116/14 – juris Rn. 137, 147). Dies ergibt sich bereits daraus, dass dem vorliegenden und gerade auf Gefahrenprävention gerichteten Verfahren ein subjektives Element fremd ist, wohingegen dieses im Strafrecht – auch aufgrund des dortigen repressiven Charakters – zum Tatnachweis grundsätzlich erforderlich ist (§ 15 StGB).
Auch soweit der Klägerbevollmächtigte mit Verweis auf die zuletzt eingetretene Verbesserung des Ernährungszustandes und der Umstellung auf eine Masthaltung darauf hinaus möchte, dass zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung keine genügenden Anhaltspunkte für zukünftige Zuwiderhandlungen gegeben wären, folgt das Gericht dem nicht. Vielmehr teilt das Gericht die vom Landratsamt angestellte Negativprognose auch unter Einbeziehung dieser zuletzt bis zum Bescheiderlass eingetretenen Verbesserungen. Denn angesichts der in den letzten vier Jahren fortwährend festgestellten und im Wesentlichen gleichartigen Verstöße genügt dieser kurze Zeitraum von lediglich etwa einen Monat (bis zum Bescheiderlass) nicht, um nunmehr von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen zu können. Denn die festgestellten massiven Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorschriften und gegen behördliche Anordnungen erlauben grundsätzlich die Untersagung der Haltung und Betreuung von Tieren (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2019 – 23 ZB 18.756 – juris Rn. 8; B.v. 30.4.2019 – 23 CS 19.662 – juris Rn. 5). Die vorliegende Kette von Verfehlungen gegen § 2 TierSchG rechtfertigt die Annahme weiterer Verstöße, auch wenn es in der Zwischenzeit Verbesserungen in der Tierhaltung gegeben haben mag. Für die Prognose ist auf den hypothetischen Geschehensverlauf – bei unterstelltem Nichteinschreiten der Behörde – abzustellen. Auch die vereinzelte bzw. kurzfristige Behebung einzelner Mängel schließt die Untersagung nicht aus, wenn – wie hier – insgesamt eine ersichtlich fortgesetzte Kette von Verstößen gegeben war. Auch ein Wohlverhalten unter dem Druck eines laufenden behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahrens ist grundsätzlich nicht geeignet, die Gefahrenprognose zu erschüttern (BayVGH, B.v. 30.4.2019 – 23 CS 19.662 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 17.3.2005 – 1 S 381/05 – juris Rn. 4; VG Würzburg, B.v. 19.4.2011 – W 5 S 11.242 – juris Rn. 49; Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 48).
Eben diesen Eindruck des Wohlgefallens unter Druck erweckt aber gerade das Verhalten der Klägerin. So ist zwar aus der Chronologie seit dem Jahr 2015 erkennbar, dass die Klägerin durchaus und immer wieder Verbesserungen ihrer Tierhaltung aufweisen konnte, nachdem das Landratsamt Beanstandungen oder verbindliche Anordnungen getroffen hatte. Es war und ist aber nicht Aufgabe des Landratsamts, durch fortwährende Kontrollen und Anordnungen eine tierschutzgerechte Haltung herzustellen und aufrechtzuerhalten. Angesichts der sich nach Verbesserungen in der Tierhaltung jedoch stets wieder fortgesetzten sowie zur Überzeugung des Gerichts ausreichend dokumentierten Verstöße gegen tierschutzrechtliche Verpflichtungen sind die erst jüngst festgestellten und dokumentierten Verbesserungen der BCS-Werte keinesfalls geeignet, eine negative Zukunftsprognose zu erschüttern.
Auch hat das Landratsamt die gesetzlichen Grenzen des durch § 16a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TierSchG eröffneten Ermessens nicht überschritten, vgl. § 114 Abs. Satz 1 VwGO. Die Untersagung ist verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei.
Angesichts der Vielzahl der seit mehreren Jahren festgestellten tierschutzrechtlichen Verstöße und den mehrfach von Seiten des Landratsamts erfolgten Anordnungen ist nicht ersichtlich, welche anderen, milderen Maßnahmen ernstlich in Betracht kommen könnten, um weitere tierschutzrechtliche Verstöße in Zukunft sicher ausschließen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2018 – 9 ZB 16.2467 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 30.4.2019 – 23 CS 19.662 – juris Rn. 5), zumal die Beklagtenvertreter den Bescheid in Ziffer 1 in der mündlichen Verhandlung dahingehend abgeändert haben, dass Betreuungen unter Aufsicht des verantwortlichen Halters erlaubt sind. Es ist auch kein Ermessensdefizit darin zu sehen, dass das Verbot – wie der Klägerbevollmächtigte meint – zur Unzeit, nämlich kurz vor einer eigenständig von der Klägerin geplanten Bestandsauflösung, ausgesprochen wurde. Zum einen hatte die Klägerin eine Bestandsauflösung bereits in der Vergangenheit für Ende 2015 angekündigt (vgl. Bl. 5), ohne jedoch ihren Worten Taten folgen zu lassen. Zudem bleibt die angekündigte – ausschließlich auf den konkreten Rinderbestand gerichtete – Bestandsauflösung hinter dem angeordneten Haltungs- und Betreuungsverbot qualitativ zurück, sodass ein in die Zukunft gerichtetes und unabhängig des konkreten Rinderbestandes geltendes Verbot zum Schutz des Tierwohls als „ultima ratio“ angemessen ist. Es bleibt der Klägerin auch unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unbenommen, bei grundlegender Änderung der Verhältnisse einen Antrag auf Wiedergestattung der Rinderhaltung und -betreuung zu stellen (§ 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 letzter Halbs. TierSchG). Erforderlich ist dazu der Nachweis, dass der Grund für die Annahme weiterer Zuwiderhandlungen weggefallen ist und sich die Basis für die frühere Prognose zwischenzeitlich verändert hat.
In der Folge der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung bestehen auch gegen die Ziffer 7 des Bescheids verfügte Kostentragungspflicht weder dem Grund noch der Höhe nach Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und im Übrigen auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Es entspricht im Hinblick auf den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits billigem Ermessen, der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da die Klage auch insoweit keinen Erfolg gehabt haben dürfte. So sind Rechtsfehler des in Ziffer 2 des Bescheids – und in der Folge auch der lediglich die Modalitäten der Bestandsauflösung regelnden Ziffer 3 – angeordneten Bestandsauflösung nicht ersichtlich, nachdem sich bereits das in Ziffer 1 angeordnete Rinderhaltungs- und Betreuungsverbot als rechtmäßig erweist. Auch gegen die in Ziffer 4 angeordnete Duldungspflicht und die in den Ziffern 4 und 6 angedrohten Zwangsmittel bestehen keine rechtlichen Bedenken; insbesondere die Androhung unmittelbaren Zwangs zur Wegnahme der Rinder erweist sich zur Beendigung der tierschutzwidrigen Zustände als zutreffendes und adäquates Zwangsmittel.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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