Europarecht

Schadensersatz, Berufung, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Bescheid, Vertragsschluss, Zulassung, Widerruf, Technik, Beweisaufnahme, Notwendigkeit, Betriebserlaubnis, Form, Schaden, Stand der Technik, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  9 U 5466/20

Datum:
15.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47470
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

3 O 4218/20 2020-08-25 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 25.08.2020, Az. 3 O 4218/20, aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 12.01.2017 bei der M. in M. den streitgegenständlichen VW T6 Transporter Kombi 2,0 l TDI und Euro-Abgasnorm EU 6 als Gebrauchtwagen zu einem Preis von 30.890,00 € mit Erstzulassung 28.10.2015. Der Erwerb wurde teilweise über Darlehen finanziert. Im Übrigen hatte die Klagepartei eine Anzahlung in Höhe von 10.000,00 € geleistet. Die Beklagte ist Entwicklerin und Herstellerin dieses PKW. Eingebaut in das Fahrzeug ist ein Dieselmotor der V. AG des Typs EA 288. Er verfügt über Technologien zur Reduktion des Stickoxidausstoßes (NOx). So kommen ein Ad-Blue betriebener SCR-Katalysator sowie eine sog. Abgasrückführung (AGR) zum Einsatz. Die Abgasrückführungsrate wird bei kühleren Temperaturen in Abhängigkeit mit Außenlufttemperaturen zurückgefahren („Thermofenster“).
Der Kläger begehrte erstinstanzlich Schadensersatz gegen die Beklagte in Gestalt der Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 12.01.2017 über das streitgegenständliche Fahrzeug. Er stützt sein Begehren auf den Einsatz vermeintlich unzulässiger Abschalteinrichtungen in Gestalt einer sog. Umschaltlogik sowie in Form eines sog. Thermofensters.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 25.08.2020 der Klage überwiegend stattgegeben und einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB aufgrund des Einsatzes einer temperaturgesteuerten Emissionsregulierung (umgangssprachlich auch unter dem Stichwort „Thermofenster“ bekannt) bejaht.
Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts München I, Az.: 3 O 4218/20, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Einsatz kommende Thermofenster stelle schon keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Es erfülle schon nicht den Tatbestand einer Abschalteinrichtung, da es im Normalbetrieb und während der in Europa herrschenden Temperaturen aktiv ist. Die entsprechenden Darlegungen der Beklagten habe das Landgericht fehlerhaft eingeordnet. Außerdem habe es fehlerhaft bewertet, dass dem Kraftfahrtbundesamt, mithin der zuständigen Regulierungsbehörde, die konkrete Ausgestaltung des Thermofensters bekannt war und keine Beanstandungen seitens des Kraftfahrtbundesamtes gegenüber der Beklagten erfolgten. Eine von der zuständigen Behörde als zulässig eingestufte Ausgestaltung könne nicht den Umstand einer sittenwidrigen Schädigung begründen, schon gar nicht ein „planmäßiges Verschleiern“ der Beklagten darstellen.
Soweit das Landgericht von der Erheblichkeit der konkreten Ausgestaltung ausgegangen ist und diese für entscheidungserheblich gehalten hat, so hätte es zumindest eine Beweisaufnahme zur konkreten Ausgestaltung des im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Einsatz kommende Thermofenster durchführen müssen, was rechtsfehlerhaft unterblieben sei. Hätte das Landgericht eine Beweisaufnahme angeordnet, so hätte ein Sachverständiger die allgemeine Notwendigkeit der temperaturgesteuerten Emissionsregulierung verdeutlicht.
Dass eine temperaturgestützte Emissionsregulierung nicht automatisch unzulässig sei und den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung begründe, haben bereits eine Vielzahl an Oberlandesgerichten, insbesondere auch mehrere Senate des hier zuständigen Oberlandesgerichts München, zutreffend entschieden.
Der Kläger habe eine Täuschungshandlung der Beklagten schon nicht hinreichend dargelegt, das Landgericht jedoch zu Unrecht eine solche gegenüber dem Kläger bejaht. Eine Aufklärungspflicht über den Einsatz eines Thermofensters gegenüber dem Kläger bestehe nicht, da der Einsatz eines Thermofensters zulässig und technischer Standard sei und eine Offenlegung gegenüber den Genehmigungsbehörden erfolgt sei. Ziel des Einsatzes eines Thermofensters sei nicht, den Kunden zu täuschen, sondern den Motorschutz zu gewährleisten. Eine Aufklärungspflicht bestehe auch deshalb nicht, weil das streitgegenständliche Thermofenster entgegen der Annahme des Landgerichts unter den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 715/2017 falle.
Soweit das Landgericht diesbezüglich von einer sekundären Darlegungslast der Beklagten ausgegangen sei, habe es die Darlegungslast verkannt. Danach hätte es nach allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislastverteilung dem Kläger oblegen, darzulegen und zu beweisen, dass das Thermofenster technisch nicht notwendig gewesen sei. Dieser Darlegungspflicht sei der Kläger jedoch nicht nachgekommen.
Das Fahrzeug verfüge über eine uneingeschränkt wirksame EG-Typgenehmigung sowie Betriebserlaubnis. Weder besteht die Gefahr des Widerrufs der Zulassung noch drohe dem Kläger die Stilllegung des Fahrzeugs. Die Implementierung eines Thermofensters stelle jedenfalls keine sittenwidrige Schädigung dar. Die Sittenwidrigkeit scheitere bereits an der Notwendigkeit der Nutzung in Dieselfahrzeugen mit Abgasrückführungstechnologie. Thermofenster gehörten zu einem Diesel-Fahrzeug wie ein Kraftstofftank oder vier Räder und entsprächen dem Stand der Technik. Spätestens mit den Untersuchungen im Zusammenhang mit dem hier nicht streitgegenständlichen Motorentyp EA 189 sei dem KBA positiv bekannt gewesen, dass es flächendeckend und herstellerübergreifend zum Einsatz des sog. Thermofensters kommt. Das KBA habe das sog. Thermofenster bis heute nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet.
Umfangreiche und intensive Untersuchungen an EA 288-Motoren über 5 Jahre hinweg hätten bestätigt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung, auch nicht in Form der Fahrkurvenerkennung, vorliege. Diese sei dem KBA bekannt gewesen und nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet worden und außerdem am 11.05.2017 im Rahmen einer freiwilligen Serviceaktion entfernt worden. Die Fahrkurvenerkennung bewirke keine Emissionsminderungen und begründe deshalb nach geltender Rechtslage keine unzulässige Abschalteinrichtung (ohne Grenzwertrelevanz keine unzulässige Abschalteinrichtung). Das KBA habe in amtlichen Auskünften gegenüber verschiedenen Gerichten mehrfach bestätigt, dass bei keinem Fahrzeug mit dem Aggregat EA 288 unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt wurden.
Auch soweit das streitgegenständliche Fahrzeug von einer sog. technischen Konformitätsabweichung betroffen ist, die im Zusammenhang mit der Regeneration des Dieselpartikelfilters (DPF) steht, stelle dies keine unzulässige Abschalteinrichtung dar und begründe keine vorsätzliche Täuschung. Hierbei handelt es sich nicht um einen behördlich angeordneten Rückruf seitens des KBA, sondern um einen behördlich überwachten Rückruf. Zwischenzeitlich habe das KBA mit Bescheid vom 19. November 2018 ein Software-Update und dessen Ausgangsbedatung geprüft und freigegeben, mit dem ein technischer Fehler bei der Regeneration des Dieselpartikelfilters des VW T6 2.0 TDI (EU 6) behoben wurde.
EA 288 Motoren enthielten keine mit EA 189-Umschaltlogik vergleichbare unzulässige Abschalteinrichtung(en). Eine Fahrkurven- oder Zykluserkennung sei als solche nicht unzulässig und nicht gleichbedeutend mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Beklagte hat dem KBA am 02.10.2015 vorgestellt, dass in EA288-Fahrzeugen zwar eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt ist, die indes nicht zu einer Optimierung der NOx-Emissionswerte im Prüfstandbetrieb genutzt werde, d.h. die Emissionen nicht in grenzwertrelevanter Weise auf dem Prüfstand reduziere. Diese sei zwingend erforderlich, um das ESC (elektronische Stabilitätskontrolle) und die Airbags auf dem Rollenprüfstandmodus zu deaktivieren. In den Fachabteilungen sei es infolge der Umschaltlogik in den EA 189-Fahrzeugen zu einer generellen Verunsicherung über die Verwendung der Fahrkurvenerkennung gekommen. Im November 2015 sei daher mit der Applikationsrichtlinie EA 288 entschieden worden, die Akustikfunktion bzw. Fahrkurvenerkennung bei den EA 288-Aggregaten zu entfernen und nicht mehr zu verwenden.
Erst seit Mitte Mai 2016 sind Hersteller gemäß Art. 5 Abs. 11 VO (EU) 692/2008 verpflichtet, für neu zu genehmigende Fahrzeugtypen (und Nachtragsgenehmigungen) der zuständigen Typgenehmigungsbehörde im Rahmen des Antrags auf Typgenehmigung detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen. Die Einzelheiten, beispielsweise zur temperaturgesteuerten Abgasrückführung, d.h. dem sog. Thermofenster, sind dann im Rahmen der Darstellungen zu den zusätzlichen Emissionsstrategien (Auxiliary Emission Strategies, AES) und den Basis-Emissionsstrategien (Base Emission Strategies, BES) nach Art. 5 Abs. 11 VO 692/2008 für neue Typgenehmigungen (und Nachtragsgenehmigungen) darzustellen. Für die EA288-Fahrzeugtypen, die vor Mai 2016 typgenehmigt wurden, erfolgte keine detaillierte Darstellung der temperaturgesteuerten Emissionsregulierung mangels gesetzlicher Grundlage.
Insoweit war gemäß Art. 3 Abs. 9 Unterabsatz 3 VO (EG) 692/2008 in der bis Mitte Mai 2016 geltenden Fassung der Hersteller im Typgenehmigungsverfahren allein zu Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR), einschließlich ihrer Funktionsweise bei niedrigen Temperaturen verpflichtet. Eine nähere Erläuterung der eingesetzten Emissionsstrategien, also z.B. eine Darstellung, ab welchem Temperaturbereich eine Korrektur der AGR-Rate in welchem Umfang erfolge, war nach der alten Rechtslage demgegenüber nicht erforderlich. Dieses Verständnis der alten Rechtslage habe auch das KBA in einer amtlichen Auskunft gegenüber dem Oberlandesgericht Stuttgart erst kürzlich bestätigt.
Ferner bestreitet die Beklagte eine Kausalität der angeblich sittenwidrigen Handlung für den Vertragsabschluss, einen nachweisbaren Schaden sowie eine Schädigungsabsicht der Beklagten.
Die Beklagte beantragt zuletzt,
Auf die Berufung wird das am 25. August 2020 verkündete Urteil des Landgerichts München I (Az. 3 O 4218/19) im Umfang der Beschwer abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Zurückweisung der Berufung.
Er verteidigt das Ersturteil.
Insbesondere weist er unter Berufung auf die Anlagen K 5 und K 6 darauf hin, dass die Beklagte erst im November 2015 ab dem Modellwechsel Ende Mai 2016 entschieden habe, bei den EA-288-Aggregaten mit SCR- und NSK-Technologie vorhandene sog. Akustikfunktion bzw. Fahrkurve künftig zu entfernen („ausbedaten“) und nicht mehr zu verwenden. Dies sei ein Beleg dafür, dass ursprünglich in den Motoren des Typs EA 288 ebenso wie in seinem Vorgängermodell EA 189 auf der Motorsteuerung eine illegale Prüfstanderkennungssoftware bzw. eine Zykluserkennung installiert war. Dies gelte auch für das hier streitgegenständliche Fahrzeug, das unstreitig vor Mai 2016 verbaut sei.
Zudem habe die Beklagte im Typengenehmigungsverfahren dem Kraftfahrtbundesamt wichtige Informationen vorenthalten oder unzutreffende Angaben gemacht, was auf ein sittenwidriges Verhalten schließen lasse. Hierzu müssten die Gerichte nach dem Beschluss des BGH vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19 Beweis erheben. Außerdem müsse der Hersteller sich zum Thermofenster äußern und erklären, welche Informationen in diesem Kontext dem KBA vorgelegt wurde oder vielmehr wohlweislich nicht vorgelegt wurden.
Eine volle Abgasreinigung finde lediglich innerhalb eines Temperaturfensters von 15 und 33° Celsius statt, was die Beklagte bestreitet. Diese behauptet stattdessen, dass die Abgsasrückführung innerhalb eines Temperaturfensters von – 15° Celsius und +42° Celsius und keine völlige Abrampung (Reduktion) stattfinde. Maßgeblich sei allein, innerhalb welchem Temperaturfenster die Abgasrückführung so funktioniere, dass die gesetzlichen Emissionswerte eingehalten bzw. außerhalb welchem Fenster sie nicht mehr eingehalten werden.
Auch die Entscheidung des BGH vom 19.01.2021 sei nicht haltbar. Denn mit der Entscheidung ein Thermofenster zu verbauen, entscheide sich der Autohersteller zugleich wissentlich und willentlich gesetzliche Vorgaben zu missachten und zu überschreiten. Für vielzitierte Rechtsirrtümer und vertretbarem Normenverständnis bestünde hierbei kein Raum. Der Begriff der Abschalteinrichtung ist fester Bestandteil der europäischen Rechtsvorschriften zu Kraftfahrzeugemissionen. Sowohl die Definition als auch das Verbot von Abschalteinrichtungen (mit einigen Ausnahmen) sei klar in Art. 3 Absatz 10 beziehungsweise Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2017 festgelegt. Hierauf habe die EU-Kommission in ihren Leitlinien vom 26.01.2017 hingewiesen. Die Hersteller hätten sich nicht wie behauptet in einem Rechtsirrtum oder Auslegungsdilemma befunden. Hierbei handle es sich um eine bloße Schutzbehauptung.
Aus der VW-Präsentation zu EA 288 vom 02.10.2015 (Anlage BK3) ergebe sich, dass unterschiedliche Umschaltstrategien auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb bestünden, die mutmaßlich auch zu einem unterschiedlichen Emissionsverhalten zwischen der Strategie 1 und 2 führen. Auch nimmt der Kläger auf eine Veröffentlichung der D. Umwelthilfe e.V. auf deren Homepage am 23.04.2021 Bezug, welche über 2000 Seiten Aktenmaterial umfassen soll und aus dem sich u.U. ergebe, dass seitens der Beklagten gegenüber dem KBA getäuscht wurde bzw. doch eine dem Motortyp EA 189 vergleichbare Umschaltlogik auch bei den Motoren des Typs EA 288 vorhanden gewesen sei.
Der Senat hat in der Ladungsverfügung vom 15.02.2021 (Bl. 238) sowie in der mündlichen Verhandlung vom 18.05.2021 (Bl. 323) darauf hingewiesen, dass die Berufung begründet sein dürfte, da das Erstgericht den Anspruch aus § 826 BGB nicht tragfähig begründet hat, da bei einem bloßen Thermofenster die Vergleichbarkeit mit den zum Motortyp EA 189 entschiedenen Fällen nicht gegeben ist.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Die Berufungsbegründung der Beklagten ist zutreffend. Der Senat folgt diesen Ausführungen und macht sich diese vollumfänglich zu eigen.
Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
1. Der Motor EA 288 ist nicht mit der Umschaltlogik im Motor EA 189 vergleichbar. Es gibt kein unterschiedliches Emissionsverhalten im Prüfstand und unter realen Bedingungen. Dies vermutet der Kläger lediglich, kann dies aber nicht substantiiert vortragen bzw. unter Beweis stellen. Das Vorhandensein eines Thermofensters, selbst wenn dieses den Rahmen zu weit steckt, ist nicht vergleichbar mit dem vom BGH zum Motor EA 189 entschiedenen Fällen.
2. Das KBA hat unbestritten umfangreiche Felduntersuchungen durchgeführt und keine Anhaltspunkte für Abgasmanipulationen festgestellt. Auch eine Rückrufaktion seitens des KBA ist im Hinblick auf den Motor EA 288 bislang nicht erfolgt, jedenfalls nicht bezogen auf den hier streitgegenständlichen PKW.
3. Der Kläger ist seiner Darlegungs- und Beweislast insoweit nicht nachgekommen, als er nicht darlegen konnte, dass bei dem Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt bzw. diese nicht notwendig zum Motorschutz sei. Diesbezüglich hat das Erstgericht die grundsätzliche Darlegungs- und Beweislast verkannt, die voll und ganz beim Anspruchsteller liegt und hier nicht zu einer Beweiserleichterung nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast führt.
4. Hinzukommt, dass ein Schaden nicht begründet werden kann. Es bestand nicht einmal abstrakt das Risiko einer Nichtbenutzbarkeit, da weder ein Widerruf der Typgenehmigung noch eine Stilllegung des Fahrzeugs drohte. Denn die zuständige Behörde hat auch nach mehrfacher tatsächlich durchgeführter Prüfung keine unzulässige Abschaltrichtung festzustellen vermocht. Es kann daher nicht von einem wirtschaftlich nachteiligen Vertragsschluss ausgegangen werden.
5. Der BGH hat sich jüngst in zwei Entscheidungen mit dem Thermofenster befasst und Grundsätze aufgestellt, wann ein Anspruch aus § 826 BGB in diesem Zusammenhang überhaupt in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19= NJW 2021, 921; Beschluss vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20 = MDR 2021, 483). Danach reicht das bloße Vorhandensein eines Thermofensters nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben, vielmehr wäre ein Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu einem unterstellten Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies ist hier nicht der Fall bzw. nicht ersichtlich.
6. Auch der neue Sachvortrag des Klägers im Schriftsatz vom 14.05.2021 (Bl. 303/319 d.A.) und seine ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 20.05.2021 (Bl. 325/328 d.A.) sind nicht imstande, die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB aufzuzeigen. Aus der VW-Präsentation zu EA 288 vom 02.10.2015 (Anlage BK3) ergibt sich doch gerade, dass die dort dargestellten Umschaltstrategien nicht zu einem unterschiedlichen Emissionsverhalten zwischen der Strategie 1 und 2 führen sollen. Hier liegt der wesentliche Unterschied zum Motortyp EA 189, worauf der Senat bereits in der Ladungsverfügung vom 15.02.2021 (Bl. 238) hingewiesen hat. Der Kläger behauptet bislang lediglich „ins Blaue hinein“ eine Vergleichbarkeit, ohne konkrete, für das Gericht nachvollziehbare Gründe hierfür zu benennen. Auch soweit der Kläger auf eine Veröffentlichung der D. Umwelthilfe e.V. auf deren Homepage am 23.04.2021 Bezug nimmt, welche über 2000 Seiten Aktenmaterial umfassen soll, wird nicht vorgetragen, welche Relevanz die dortigen Unterlagen für die Begründung einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB haben sollten, nachdem keine Konstellation vorliegt, die nach der Rechtsprechung des BGH mit den zum Motortyp EA 189 entschiedenen Fällen vergleichbar ist, zumal das Fahrzeug kein unterschiedliches Emissionsverhalten im Prüfstand und im Realbetrieb zeigt. Sofern der Kläger demgegenüber das Gegenteil behauptet, handelt es sich bislang lediglich um eine bloße Vermutung dahingehend, dass eine ausschließlich auf dem Prüfstand abgestimmte Emissionsreduktion zum Einsatz kommt, gleich ob mit oder ohne SCR- und NSK-Katalysatoren.
7. Die bloße Prüfstanderkennung, zumal es für diese, wie von der Beklagten aufgezeigt, nachvollziehbare Gründe gibt, genügt zur Begründung einer sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB nicht, solange dies keine unterschiedlichen Auswirkungen auf das Emissionsverhalten des Motors im Prüfstand einerseits und im realen Fahrbetrieb andererseits hat, ebenso wenig der bloße Umstand einer etwaigen Täuschung im Prüfmodus, wenn auch im realen Betrieb die Grenzwerte eingehalten werden. Denn das sittenwidrige Gepräge ergibt sich gerade erst aus der Diskrepanz zwischen beidem und nicht bereits aus einer etwaigen Täuschung an sich, selbst wenn das Prüfergebnis damit verfälscht würde.
8. Eine etwaige Täuschung des KBA durch die Beklagte im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens für den hier streitgegenständlichen Motor EA 288 könnte zwar als „weiterer besonderer Umstand“ eine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB begründen, eine solche Täuschung liegt jedoch entgegen der Behauptung des Klägers nicht vor. Nach unbestrittenen Vortrag der Beklagten hat diese dem KBA die Fahrkurvenerkennung in EA 288-Fahrzeugen und die hieran geknüpften Funktionen im Herbst 2015 vorgestellt und dabei unterstrichen, dass die Fahrkurvenerkennung, anders als die Fahrkurvenerkennung in EA 189-Fahrzeugen, nicht erforderlich ist, um die Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Es liegt daher schon begrifflich keine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Dies nahm das KBA offenbar zum Anlass, um den EA 288-Motor eingehend zu untersuchen. Eine unzulässige Abschalteinrichtung konnte das KBA dabei nicht feststellen und hat auch die Fahrkurvenerkennung nicht als solche bewertet. Da von Seiten der Beklagten offen mit dem KBA kommuniziert wurde, lässt sich daraus keine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung begründen.
9. Das gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch für Fahrzeuge, welche vor Herbst 2015 typgenehmigt und/oder produziert wurden. Denn erst seit dem 22. April 2016 sind Hersteller gemäß Art. 5 Abs. 11 VO 692/2008 verpflichtet, für neue zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Typgenehmigungsbehörde im Rahmen des Antrags auf Typgenehmigung detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen (sog. BES/AES-Gesetzgebung). Die Regelung trat Mitte Mai 2016 in Kraft gemäß Art. 2 VO (EG) 646/2016. Sie erfasste nicht rückwirkend bereits typgenehmigte Fahrzeugtypen. Auch insoweit lässt sich folglich nicht behaupten, das KBA sei getäuscht worden (zumal sich aus den Unterlagen ja gerade ergibt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, was auch der Bewertung des KBA entspricht).
10. Auch aus der vom Kläger zitierten sog. Applikationsrichtlinie ergibt sich weder direkt noch indirekt ein Hinweis auf eine unzulässige Abschalteinrichtung in EA 288-Motoren bzw. eine Täuschung des KBA. Letzteres schon deshalb nicht, weil die Applikationsrichtlinie mit dem KBA abgestimmt worden ist. Den auf S. 1 f. der vertiefenden Berufungsbegründung vom 04.05.2021 (Bl. 242 f.) auszugsweise wiedergegebenen Unterlagen der Beklagten, die mit „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ überschrieben sind (vgl. Anlage K 6), lassen sich bereits keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung und arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts, insbesondere auch nicht für eine Übertragung der sog. Akustikfunktion der mit dem Motor des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeuge auf Fahrzeuge mit dem Motor des Typs EA 288 entnehmen. Gleichfalls ergibt sich weder aus der vorgelegten Entscheidungsvorlagen „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 189“ noch aus dem vorgelegten Schreiben der V. AG an das KBA vom 29.12.2015 (Anlage BB 4) der Einsatz einer der klägerseits behaupteten Abgasmanipulationen. In der o.g. Vorgabe für Freigaben EU 189 EU 3/4/5Z6 wird lediglich das „Ausbedaten“ einer sowohl bei EA 189 und EA 288 gleichermaßen vorhandenen „Funktion“ in den Motorsteuerungsgeräten (MSG) angeordnet; dass es sich insoweit um eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Abgasmanipulation handelt, ist dieser Anordnung nicht zu entnehmen. Zudem ist auch in diesem Zusammenhang das beklagtenseits vorgelegte Schreiben der V. AG an das KBA vom 29.12.2015 (Anlage BB 4) zu sehen, aus dem hervorgeht, dass die in den Motorsteuerungsgeräten (MSG) hinterlegte Fahrkurve, mit welcher die Optimierung der NOx-Emissionen bei dem bezeichneten Aggregat vorgenommen wurde, zwar auch in dem Nachfolgeaggregat EA 288 enthalten ist, „hier aber nicht zu einer Optimierung der NOx-Emissionen im Prüfstandsbetrieb eingesetzt wurde“. An weiterer Stelle wird ausgeführt: „Die vorstehend beschriebene Applikation mit der sogenannten Akkustikfundfunktion inklusive Fahrkurve ist in allen Steuergeräten… ab 2007 in den Volkswagen Dieselaggregaten der Baureihen EA 189 und EA 288 enthalten, wobei sie – wie bereits mehrfach dargelegt und nachgewiesen – in der Aggregatte-Baureihe EA 288 keinen Einfluss auf die Emissionen des Aggregates hat“. Die Behauptung, auch in dem Motor der Baureihe EA 288 sei eine Manipulationssoftware zur Prüfstandserkennung eingebaut, wird damit weder durch die oben dargestellte Anordnung zur Ausbedatung noch durch das vorgelegte Schreiben gestützt.
III.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung gründet in den §§ 62 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 48 GKG, 3 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne Abweichung von der ober- oder höchstrichterlichen Rechtsprechung.


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