Europarecht

Schadensersatz, Berufung, Schadensersatzanspruch, Zulassungsverfahren, Software, Kenntnis, Fahrzeug, Auslegung, Haftung, Verletzung, Erledigung, Sittenwidrigkeit, Feststellung, betrug, unerlaubten Handlung, Zulassung der Revision, erste Instanz

Aktenzeichen  19 U 6823/19

Datum:
4.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8200
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

26 O 18546/18 2019-11-04 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 04.11.2019 (Az. 26 O 18546/18) in Ziffer 1. und im Kostenpunkt abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.846,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 17.825,50 € im Zeitraum vom 02.02.2019 bis zum 06.09.2019, aus einem Betrag von 15.335,86 € im Zeitraum vom 07.09.2019 bis zum 14.03.2022 und seit dem 15.03.2022 aus einem Betrag von 12.846,23 € zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKW Audi A 4 Avant 2,0 TDI, … an die Beklagte.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen, die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz trägt der Kläger 40% und die Beklagte 60%, die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.490,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger kaufte am 21.03.2014 beim A. Zentrum K, B, GmbH einen gebrauchten Audi A 4 Avant 2,0 TDI mit 22.602 km zum Preis von 25.490,00 €. Dieses Fahrzeug wurde am 05.06.2012 erstmals zugelassen. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 eingebaut. Dessen ursprüngliche Motorsteuerung erkannte, ob das Fahrzeug in einem Testbetrieb für Abgasmessungen eingesetzt wurde und änderte das Abgasverhalten entsprechend (sog. „Umschaltlogik“). Das KBA erließ deswegen einen Bescheid vom 15.10.2015 wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird nach § 540 Abs. 1 ZPO auf das Urteil des Landgerichts München I Bezug genommen. Ergänzend dazu wird festgestellt, dass der Kilometerstand des Fahrzeugs am 14.03.2022 135.398 km betrug.
Der Kläger trägt vor, dass dem Vorstand der Beklagten der rechtswidrige Einsatz der Software zur Motorsteuerung als Mitentwicklerin des Motors bekannt gewesen sei. Die Entwicklung und Einsatz dieser Software am Vorstand vorbei sei aufgrund der Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 nicht möglich gewesen. Die Beklagte habe sich durch die Manipulation Wettbewerbsvorteile verschaffen wollen und dabei in Kauf genommen, dass Kunden, auch Gebrauchtwagenkäufer, erheblich geschädigt werden. In Kenntnis der manipulierenden Software hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erworben.
Mit der Klage verlangt der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 21.03.2014, wobei er erstinstanzlich die Rechtsauffassung vertrat, der Beklagten keinen Nutzungsersatz zu schulden.
Die Beklagte legte dar, dass ihren Organen kein Täuschungs- oder Schädigungsvorsatz zugerechnet werden könne. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass einzelne Mitglieder des Vorstands im aktienrechtlichen Sinn die Entwicklung der streitgegenständlichen Software für den EA 189 in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Die Beklagte habe den Motor nur teilweise in ihrer Fabrik hergestellt und in ihre Fahrzeuge verbaut.
Das Landgericht, das vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgeht, wies die Klage als unbegründet ab. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass Organe der Beklagten im Zeitpunkt der Erstzulassung am 05.06.2012 Kenntnis von der Manipulation der Software hatten und etwas unternahmen, um den Einsatz der Software zu fördern. Eine solche Kenntnis könne nicht daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte Herstellerin oder Quasiherstellerin des Motors gewesen sei. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, im Wege der sekundären Darlegungslast vorzutragen, wann wer genau in ihrem Unternehmen Kenntnis von der Manipulation erlangt habe. Die Beweisnot des Klägers sei nicht ungewöhnlich, wenn es um die deliktische Haftung eines Unternehmens für Handeln von Angestellten geht. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen R. S. erbringe keinen Nachweis dafür, dass dieser 2014 und früher Kenntnis von den Manipulationen hatte. Schließlich drohe dem Kläger nicht ernsthaft Gefahr von nachteiligen Maßnahmen, da das Softwareupdate erfolgt ist.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Darin wiederholt und vertieft er seinen Vortrag, wobei er sich in erster Linie auf eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB stützt. Der Kläger legt dar, dass ein Repräsentant der Beklagten für den Einsatz des EA 189-Motors verantwortlich sei. Dazu verweist er auf das Gremium der Konzernleitung und die markenübergreifenden personellen Verschränkungen der Vorstände der Beklagten und der V. AG, die Entwicklung von TDI-Motoren durch die Beklagte samt der sog. „Akustikfunktion“, die Befassung der Beklagten mit der Einhaltung der Grenzwerte für NOx und Rußpartikel anlässlich der eigenen Entwicklungsarbeit und den damit einhergehenden betriebswirtschaftlichen Zwängen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 04.11.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts München I (Az. 26 O 18546/18) die Beklagte zu verurteilen
1. an den Kläger 25.490,00 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszins der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKW Audi A 4 Avant 2,0 TDI, … an die Beklagte;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Angebots gemäß Ziffer 1. in Verzug befindet.
3. Verurteilung der Beklagten mit der Maßgabe, dass sich die Klageforderung in Höhe eines Betrages, welche die Nutzungsentschädigung, die sich aus dem heutigen Kilometerstand von 138.398 km errechnet, für erledigt erklärt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und widersetzt sich der Erledigung.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und legt ihren Standpunkt ebenfalls vertieft dar.
Die Beklagte weist darauf hin, nur Herstellerin des Fahrzeugs zu sein, den im Fahrzeug verbauten Motor des Typs EA 189 aber nicht entwickelt zu haben. Mit Schriftsätzen vom 03.04.2020 (Bl. 170 d.A.), vom 14.06.2021 (Bl. 276 d.A.) und vom 01.03.2022 (Bl. 403 d.A.) hat die Beklagte ihren diesbezüglichen Vortrag noch vertieft und ergänzt. Sie meint, sie habe keinen Anlass gehabt, die von der V.-AG entwickelten Motoren im Rahmen oder anlässlich des Typgenehmigungsverfahrens eigenständig zu überprüfen. Die Beklagte habe – wie im Bereich der Zulieferung von Produkten durch externe Firmen – der V.-AG vertrauen können und keine Verpflichtung gehabt, eigene Tests durchzuführen. Die Beklagte habe bis heute keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinne oder potentielle Repräsentanten bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs oder bei Kaufvertragsabschluss Kenntnis von der „Umschaltlogik“ gehabt hätten. Die Haftung der Beklagten könne weder auf angebliche Sorgfaltspflichtverletzungen, noch auf vermeintliches Organisationsverschulden noch auf eine konzernweite Wissenszusammenrechnung gestützt werden. Insoweit verweist die Beklagte auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. vom 21.09.2020 (Anlage BE 3).
Ergänzend wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 06.02.2020 (Bl. 158 d.A.), 02.03.2021 (Bl. 237 d.A.), 22.06.2021 (Bl. 355 d.A.) und vom 04.02.2022 (Bl. 374 d.A.) sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 03.04.2020 (Bl. 170 d.A.), 14.06.2021 (Bl. 276 d.A.) und vom 01.03.2022 (Bl. 403 d.A.) und auf das Protokoll vom 14.03.2022 (Bl. 449 d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
A. Die Berufung sowie die zuletzt gestellten Klageanträge sind zulässig.
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere ausreichend begründet.
Die Berufungsbegründung setzt sich auf Seite 5 (= Bl. 162 d.A.) auch mit der Überlegung des Landgerichts auseinander, dass beim Kläger wegen des inzwischen aufgespielten Softwareupdates kein Schaden mehr vorhanden sei. Damit kann dahinstehen, ob es sich bei diesbezüglichen Ausführungen im EU (Seite 8) um eine selbständig tragende Begründung handelt, die ausdrücklich von der Berufungsbegründung angegriffen werden muss.
II. Der erstmals in der Berufungsinstanz gestellte Feststellungsantrag (Ziffer 3.; Erledigung) ist zulässig, da sich sein Inhalt im Wege der Auslegung noch hinreichend erkennen lässt.
Der Kläger ging allerdings bis zum Termin vor dem Senat am 14.03.2022 davon aus, dass er sich keinen Nutzungsersatz abziehen lassen müsse (Klageschrift, Seite 13). In diesem Sinne stellte er auch den Antrag, die Beklagte zur Zahlung von 25.490,00 € zu verurteilen, was dem damals im Jahr 2014 vom Kläger aufgewandten Kaufpreis für das Fahrzeug entspricht.
Diesen Rechtsstandpunkt hat der Kläger mit dem geänderten Antrag aufgegeben, da er insoweit wegen der tatsächlichen gezogenen Nutzungen seine Klage in dieser Höhe nicht weiter verfolgt. Hierin liegt eine zulässige Klagereduzierung (§ 264 Nr. 2 ZPO). Der (reduzierte) Antrag ist auch mit Blick auf den abzuziehenden Betrag für die Nutzungsentschädigung hinreichend bestimmt, da der Kläger in der Klage von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km ausgeht (Klageschrift Seite 14 oben) und seinem Antrag ersichtlich eine lineare Nutzungsentschädigung zugrunde legt (vgl. Klageschrift, Seite 14). Unter diesen Umständen bedarf es einer bezifferten Erledigterklärung nicht.
B. Die Berufung ist teilweise begründet.
Die Beklagte schuldet dem Kläger Schadensersatz sowohl aus einer eigenen täterschaftlichen unerlaubten Handlung (§§ 826, 31, 249 Abs. 1 BGB; dazu B. I.) als auch als gesamtschuldnerisch mithaftende Teilnehmerin der unerlaubten Handlung der V. AG (§ 826 BGB i.V.m. §§ 830 Abs. 2, 826, 831 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB; dazu B. II.).
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach aus §§ 826, 31 BGB.
Die Beklagte hat als Fahrzeugherstellerin den Kläger mit dem Einbau des Motors EA 189 mit der evident unzulässigen Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) im streitgegenständlichen Fahrzeug und dessen Vertrieb auch noch im Zeitpunkt des Ankaufs dieses Fahrzeugs am 21.03.2014 vorsätzlich, sittenwidrig geschädigt (§§ 826, 31 BGB; § 286 ZPO). Diese Feststellung erfolgt aufgrund der Darstellung des Klägers und der dazu erfolgten Einlassung der Beklagten. Danach ist der Senat davon überzeugt, dass der Einbau des Motors EA 189 mit der manipulativen Software in Kenntnis einer Person bei der Beklagten erfolgte, die sich diese nach § 31 BGB als Repräsentant (BGHZ 225, 316 Tz. 43; BGH, Urteil vom 14.03.2013, III ZR 296/11 Tz. 12) zurechnen lassen muss und dass es sich dabei um eine sittenwidrige strategische Entscheidung der Beklagten handelt (im Anschluss an OLG München, Urteil vom 30.11.2020, 21 U 7307/19; OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2020, I-8 U 22/20; dazu I. 1.). Die dazu von der Beklagten unterbreiteten (gegenbeweislichen) Beweisangebote waren nicht zu erheben (dazu I. 2.).
1. Die Haftung der Beklagten beruht auf ihrem eigenen vorsätzlichen deliktischen Handeln, wonach sie das streitgegenständliche Fahrzeug, das, wie sie wusste, mit einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war, in den Verkehr brachte.
Die Beklagte war im relevanten Tatzeitraum von 2005 bis 2008, in dem die Entwicklung des Motors EA 189 bei der V. AG erfolgte und in dem der gemeinsame Entschluss zu dessen Einsatz in Fahrzeugen der Beklagten fiel, Herstellerin und Entwicklerin von Dieselmotoren und deren Steuerungstechnik. Die Beklagte war selbst mit der technischen und wirtschaftlichen Problematik dieser Technologie vertraut, wie unter Beachtung der wirtschaftlichen Zielsetzung im V.-Konzern die Emissionsgrenzwerte einzuhalten sind. Sie kannte selbst das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen und ihr war in Form der Akustikfunktion auch ein technischer Ansatzpunkt bekannt, diese rechtlichen Vorgaben zu umgehen. Die Beklagte fertigte den Motor EA 189 in einem eigenen Werk, wobei der Senat nicht glauben kann, dass die Beklagte dessen genaue Funktionsweise nicht kannte. Bei der Verwendung der Manipulationssoftware handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle, sondern um eine grobe Verletzung der rechtlichen Standards, die eine Täuschung der zuständigen Fachbehörde einschloss. Der Senat ist deswegen davon überzeugt, dass ein an der Entscheidung, den mit der manipulativen Software ausgestatteten Motor EA 189 zu übernehmen, beteiligter Repräsentant der Beklagten die Umschaltlogik und die darin liegende Umgehung der rechtlichen Anforderungen im Zulassungsverfahren gekannt hat. Andernfalls hätten auch alle eingerichteten Kontrollmechanismen im Unternehmen der Beklagten kollektiv versagt haben müssen, wovon der Senat ebenfalls nicht ausgeht (§ 286 ZPO).
Die dagegen vorgebrachten Ausführungen der Beklagten zur Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation, den damaligen internen Zuständigkeiten, den Berichtspflichten und zu den von ihr veranlassten Ermittlungen sprechen nicht gegen diese Annahme. Der Senat glaubt nicht, dass die Entscheidung der Beklagten, den Motor EA 189 zu übernehmen ohne Kenntnis von seiner Abschaltfunktion erfolgte. Die Einhaltung der Abgasgrenzwerte war eine Kernanforderung auch an das Produkt der Beklagten (PKW), ohne die jede Neuentwicklung ins Leere laufen musste. Der Senat glaubt nicht, dass sich Vorstandsmitglieder oder sonstige Repräsentanten der Beklagten nur mit Fragen der „Leistungsmerkmale“ befasst haben wollen, nicht aber mit den Grundlagen der rechtlichen Zulassung des Motors. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagte selbst Dieselmotoren entwickelt und selbst deren rechtlichen Anforderungen einhalten muss. Verstärkt wird dies auch mit dem Hinweis der Beklagten, dass der EA 189 eine neue innovative Technologie (Common-Rail-Technik) verbaut hat, womit ein früherer Grundsatzbeschluss umgesetzt wurde. Es geht also nicht um die Übernahme eines x-beliebigen Produkts, sondern um die Kernanforderungen an die Fahrzeuge der Beklagten.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestünden, weshalb auch keine Verpflichtung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen bestehe, steht dies der Überzeugung des Senats nicht entgegen. Der Einsatz des EA 189 in PKWs der Beklagten erfolgte auf Grundlage eines langzeitigen Entscheidungsprozesses, der in den Jahren 2005/2006 begann und sich bis 2007 hingezogen hat. Bereits in den Jahren 2005/2006 wurde vom Produkt-Strategie-Komitee, dem auch nicht namentlich benannte Mitglieder des Vorstands angehört haben, die grundsätzliche Entscheidung getroffen, dass in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten der von der Konzernmutter entwickelte Motor vom Typ EA 189 eingebaut wird, was letztlich ab 2007 zu einem serienmäßigen Einsatz geführt hat.
Den Vortrag der Beklagten zur Produktion der Fahrzeuge mit dem EA 189 Motor, wonach die Software im Produktionsprozess versiegelt war und vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden ist, legt der Senat zugrunde. Es geht hier nicht darum, ob die Mitarbeiter in den Fabriken der Beklagten diese technischen Details kannten oder einsehen konnten, sondern ob die Beklagte – handelnd durch deren Repräsentanten und Vorstände – den Einsatz des EA 189 in Kenntnis von dessen Abschalteinrichtung angeordnet hatte. Davon geht der Senat aber aus. Die Beklagte war an dem Prozess zum Einsatz dieses Motors durch oben genanntes Komitee, dem unstreitig auch Organe der Beklagten angehört haben, beteiligt. Der Senat kann nicht glauben, dass der Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen von diesen Personen befürwortet wird, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat und wie es gelingt, die gesetzlichen entsprechenden Stickoxidgrenzwerte – die auch für die Beklagte als Motorenherstellerin virulent waren – in einem vernünftigen Kostenrahmen einzuhalten. Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei seiner Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut haben will. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war, dem die Hintergründe bekannt waren.
Ein „blinder“ Einbau des EA 189 ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten. Im Schriftsatz vom 14.06.2021, Seite 36 (= Bl. 311 d.A.) führt die Beklagte noch aus, dass „eine Abstimmung zu der konkreten Funktionsweise bestimmter Aggregate oder ihres Einsatzes in spezifischen Fahrzeugen erfolgt auf dieser übergeordneten Ebene [Anmerkung: gemeint ist damit die zuvor erwähnte Organisationseinheit „Konzern-Aggregate-Entwicklung“] nicht. Vielmehr lag und liegt die Entwicklungsverantwortung und damit auch die Verantwortung für die technische Ausgestaltung des jeweiligen Aggregats in regelkonformer Weise vollumfänglich bei der für das jeweilige Aggregat verantwortlichen Marke“, die – so dann die Schlussfolgerung – „hier V. “ sei.
Schon diese Formulierung lässt stutzen, weil die V.AG – über die Entwicklung des Motors hinaus – wohl kaum dessen Einsatz in „spezifischen Fahrzeugen“ aller Konzernmarken vornehmen wird. Jedenfalls wird dies an keine Stelle von der Beklagten näher ausgeführt, abgesehen von dem allgemeinen Hinweis, dass im späteren Produktionsvorgang die Software (ohne nähere Zugriffsmöglichkeiten) aufgespielt wird. An anderer Stelle lässt die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers jedoch zum Thermofenster bei einem EA 189-Motor vortragen, dass dessen Ausgestaltung vom Fahrzeughersteller „in intensiver Entwicklungsarbeit“ vorgenommen wird (Schriftsatz des Klägers vom 04.02.2022, Seite 6 = Bl. 380 d.A.). Dies wird auch im Antwortschriftsatz vom 01.03.2022 oder in der mündlichen Verhandlung nicht berichtigt oder als Irrtum dargestellt. Damit muss aber auch davon ausgegangen werden, dass der Motor nicht nur eingebaut, sondern auch mit seinen Softwarekomponenten auf das jeweilige Fahrzeug abgestimmt wird.
bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie den Motor samt Software nur als externes Produkt von der V.AG zugekauft hat und dieser vertrauen durfte. Die Situation war eine völlig andere. Die Beklagte ist selbst Entwicklerin von Dieselmotoren, sie war selbst mit der rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung von neuen Motoren dieser Art im Tatzeitraum betraut. Zudem handelt es sich bei der V. AG nicht um ein Drittunternehmen, sondern um die Konzernmutter, mit der auch – wie der Kläger aufzeigt – ein reger personeller Austausch auf leitender und höchster Ebene erfolgte. Der Senat kann nicht glauben, dass die Beklagte sich nicht für die konkreten Eigenschaften beim Abgasverhalten des bei der V. AG entwickelten Motors interessierte. Die Beklagte geht sogar selbst davon aus, dass strategische Grundsatzfragen mit allen Entscheidungen auf Leitungsebene getroffen wurden; der Einsatz einer Abschalteinrichtung, mit der zu Täuschungszwecken nur auf dem Prüfstand die gesetzlichen Anforderungen an die Abgaswerte erreicht wird, zählt zwanglos dazu, ebenso wie die vorgelagerte allgemeine Überlegung, wie bei einer technischen Neuentwicklung die gesetzlichen Anforderungen an das Abgasverhalten erfüllt werden. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang den Auszug einer Tagesordnung eines Vorstandsprotokolls aus dem Jahr 2006 vorlegt, bleibt dies ohne jeden Erkenntnisgewinn. Der Senat glaubt nicht, dass die Entscheidung, die Abschalteinrichtung des EA 189 zu übernehmen, als offizieller TOP zur Entscheidung vorgelegt wurde.
Was das Zulassungsverfahren betrifft, zu dem die Beklagte – von dem Kläger nicht bestritten – vorträgt, dass hier nur Mitarbeiter der V. AG gehandelt hätten, spricht dies nicht gegen eine Kenntnis der Beklagten von der Abschaltfunktion. Dieser Vorgang war unproblematisch, da der Motor so konzipiert war, dass er den Zulassungsvorgang bestehen wird. Die Beklagte nutzte hier die arbeitsteilige Organisation des V.-Konzerns, die technische Abnahme des Motors durch die V.AG durchzuführen. Dies ändert aber nichts daran, dass das Verhalten der Beklagten als vorsätzlich zu bewerten ist, weil sie die Folgen des Handelns ihrer Muttergesellschaft bewusst in Kauf genommen hat. Erst recht vermag die Beklagte nichts für ihren Standpunkt zu gewinnen, dass bei den von ihr durchgeführten Qualitätsprüfungen die Abschalteinrichtung nicht entdeckt worden sei. Da deren Einsatz gewollt war, gab es schon keinen Grund, nach dieser zu suchen.
Schließlich ist von einem Schädigungsvorsatz der als Repräsentanten handelnden Personen der Beklagten auszugehen, die von den sittenwidrigen, strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass bei diesem Personenkreis das Bewusstsein gegeben ist, dass die Erwerber von diesen Fahrzeugen diese Verträge nicht haben abschließen wollen (BGH, Urteil vom 25.11.2021, VII ZR 257/20, Tz. 43). Somit ist nicht nur der objektive Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente bei den entsprechenden Entscheidungsträgern verwirklicht (OLG München, Urteil vom 30. November 2020 – 21 U 7307/19, Rn. 58 – 64).
2. Die von den Beklagten angebotenen Beweisangebote auf Vernehmung der Zeugen Dr. K. und B. waren nicht zu erheben.
Der Zeuge Dr. C. K. soll zum Typengenehmigungsverfahren aussagen, das von der V. AG durchgeführt wurde und welche Hardware von welchem Zulieferer verbaut wurde (Schriftsatz vom 14.06.2021, Seiten 9 bis 23 = Bl. 284 ff. d.A.). Diesen Vortrag legt der Senat, wie oben ausgeführt, seiner Entscheidung (analog § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) zugrunde, so dass eine Beweiserhebung nicht erforderlich ist.
Der Zeuge J. B. (Schriftsatz vom 14.06.2021, Seiten 23 bis 25 = Bl. 298 ff d.A.) soll zur Qualitätskontrolle bei der Beklagten aussagen. Auch dieser Vortrag spricht nicht dagegen, dass die Beklagte die Abschalteinrichtung des EA 189 kannte und für sich nutzen wollte. Diese Technik war darauf angelegt, von den herkömmlichen Prüfverfahren nicht erkannt zu werden und die gewünschten Ergebnisse zu erzeugen. Nichts anderes sagt die Beklagte an dieser Stelle mit dem unter Beweis gestellten Vortrag. Der Einvernahme des Zeugen B. bedarf es daher schon analog § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO nicht.
Auch die weiteren Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 01.03.2022 verlangen keine Beweisaufnahme. Der Kläger hat den ihm obliegenden Beweis geführt, weil sich der Senat aufgrund der mündlichen Verhandlung von seiner Tatsachenbehauptung überzeugen konnte. Weitere Beweisangebote bringt die Beklagte nicht, obwohl sie in der Ladungsverfügung vom 25.01.2022 (Bl. 371 d.A.) auf die Urteile des BGH vom 25.11.2020 und die dort gebilligte Würdigung des Geschehens hingewiesen wurde. Die Beklagte kann daher von der hier gefällten Entscheidung auch nicht überrascht sein. Die Beklagte räumt an dieser Stelle schließlich nochmals ein, dass auch sie Motoren entwickelt hat, die von unzulässigen Abschalteinrichtungen betroffen sind (Seite 10 = Bl. 412 d.A.). Der Beklagten war also die Problematik der Einhaltung der Abgasgrenzwerte und die Strategie zu ihrer rechtswidrigen Umgehung nicht nur bekannt, sondern diese wurde von ihr auch aktiv genutzt. Die oben genannten Indizien, die den Schluss auf die Kenntnis der Beklagten tragen, werden also weiterhin nicht in Frage gestellt.
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte zudem einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach aus §§ 826, 31 BGB (Haftung V. AG) i.V.m. §§ 830 Abs. 2, 831 Abs. 1, 826, 840 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte als Teilnehmerin der unerlaubten Handlung der VW AG aus § 826, 31 BGB gegenüber dem Kläger neben der V. AG als Teilnehmerin (§§ 830 Abs. 2, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB) gesamtschuldnerisch haftet.
1. Der Kläger hat nach dem unstreitigen Vortrag, den Feststellungen des Landgerichts und den nach § 291 ZPO bekannten Tatschen wegen des Erwerbs des Audi A 4 Avant am 21.03.2014 einen Schadenersatzanspruch gegen die V. AG aus §§ 826, 31 BGB.
Das streitgegenständliche Fahrzeug, das vor dem 22.09.2015 erworben wurde, verfügte über eine evident unzulässige Abschalteinrichtung (§ 529 ZPO), die von der V. AG entwickelt wurde (§ 138 ZPO). Aufgrund zahlreicher Verfahren und Berichterstattungen ist allgemein bekannt, dass die zugrundeliegende Entscheidung zur Verwendung dieses Motors von einem Repräsentanten der V. AG (§ 31 BGB) im Gepräge einer sittenwidrigen Handlung erfolgte (§ 291 ZPO). Der BGH hat das Verhalten des Herstellers V. AG bei der verwendeten Baureihe EA 189 im Verhältnis zu Klägern, die vor Aufdeckung der Softwaremanipulationen in Unkenntnis dieses Umstandes ein neues oder gebrauchtes Fahrzeug erworben haben, das mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen war, objektiv als sittenwidrig qualifiziert (Katzenstein/Stöhr in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, Haftung aus § 826 BGB). In der Rechtsprechung des BGH ist zudem anerkannt, dass die V. AG aufgrund dieses Sachverhalts auch Kunden von Konzernmarken nach § 826 BGB haftet, in deren Fahrzeug – wie hier – ein Motor der Baureihe EA 189 eingebaut ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 13.01.2022, III ZR 205/20; BGH DB 2022, 52; BGH WM 2021, 50 zum Wegfall dieser Haftung für Erwerbsvorgänge nach dem 22.09.2015).
Danach hat der Kläger gegen die V. AG einen auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten Schadensersatzanspruch (§§ 826, 249 Abs. 1 BGB; im Folgenden auch „Haupttat“).
2. Die Beklagte schuldet dem Kläger neben der V. AG als Teilnehmerin (Gehilfin) an deren unerlaubter Handlung (siehe B. II. 1.) ebenfalls Schadensersatz als Gesamtschuldnerin (§§ 830 Abs. 2, 831, 840 Abs. 1 BGB).
Dieser Anspruch wurde vom BGH in seiner Entscheidung vom 08.03.2021, VI ZR 505/19 (= NJW 2021, 1669) nicht angesprochen; dort wurde der Sachverhalt lediglich unter dem Aspekt geprüft, ob ein Verrichtungsgehilfe der Beklagten den dortigen Kläger sittenwidrig geschädigt habe (vgl. dort Tz. 35).
a) Der Anwendungsbereich von § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB umfasst die Tatbestände des allgemeinen Deliktsrechts in §§ 823 ff (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 9). Hierzu zählt auch § 826 BGB, der damit eine teilnahmefähige „Haupttat“ bildet.
b) Da die Mittäterschaft ein willentliches Zusammenwirken verlangt und Teilnahme nur bei einer vorsätzlich begangenen Tat möglich ist (§§ 26, 27 Abs. 1 StGB), kommt eine Anwendung von § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB unabhängig von dem jeweiligen Haftungstatbestand im Einzelfall nur bei vorsätzlicher Deliktsverwirklichung in Betracht (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 10). Dies ist bei der hier vorliegenden Haupttat der V.AG aus § 826 BGB der Fall (siehe oben B. II. 1.).
c) Die Teilnahme an der unerlaubten Handlung eines Dritten, ohne selbst Täter zu sein (§ 830 Abs. 2 BGB), richtet sich nach strafrechtlichen Grundsätzen. Als Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) haftet demnach, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat oder ihm dazu Hilfe geleistet hat. Nach der allgemeinen zivilrechtlichen Definition erfordert diese Form der Teilnahme neben der Kenntnis der Tatumstände „wenigstens in groben Zügen“ auf der subjektiven Seite den jeweiligen Willen der einzelnen Beteiligten, die Tat als fremde Tat zu fördern. In objektiver Hinsicht muss eine Beteiligung an der Ausführung der Tat hinzukommen, „die in irgendeiner Form deren Begehung fördert und für diese relevant ist“. Eine Teilnahme als Anstifter oder Gehilfe ist auch bei eigenhändigen oder Sonderdelikten möglich, die der Teilnehmer mangels persönlicher Qualifikation nicht als Täter verwirklichen kann (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 15, 16).
Daraus ergibt sich aufgrund der tatsächlichen Überzeugung des Senats und der vom Landgericht getroffenen Feststellungen eine Haftung der Beklagten auch für solche Mitarbeiter, die nicht als Repräsentanten im Sinne von § 31 BGB anzusehen sind (§§ 830 Abs. 2, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB; siehe auch BGHZ 225, 316 Tz. 43 aE); ein – insoweit allerdings möglicher – Entlastungsbeweis wurde von der Beklagten nicht angetreten (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB).
aa) Mitarbeiter der Beklagten, die als Verrichtungsgehilfen nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen sind, haben die Haupttat der V.AG zum Nachteil des Klägers als Gehilfen im Sinne von § 830 Abs. 2 BGB vorsätzlich gefördert.
(1) Die Beklagte legt dar, dass die technische Bedeutung einzelner Kennfelder bei der Software des EA 189 Motors Aufgabe der Fachabteilungen sei (Schriftsatz vom Seite 35 = Bl. 437 d.A.). Aufgrund des gesamten Vortrages der Parteien zur Entwicklung des Motors EA 189 ist der Senat (ohnehin, siehe oben B. I.) überzeugt, dass (auch) in der Fachabteilung bei der Beklagten unterhalb der Leitungsebene bekannt war, dass in diesem Motor eine evident unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war. Dies ergibt sich aus den oben angestellten Überlegungen, wie es zu deren Entwicklung des Motors bei der V.AG und dessen Einsatz bei der Beklagten kam.
(2) Die Mitarbeiter der Beklagten in den Fachabteilungen förderten die Haupttat der V. AG, indem sie den Einbau des Motors EA 189 in die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge begleiteten und dessen Einbau, ggf. unter technischer Anpassung im Detail anlässlich der Entwicklung des eigenen Produkts unterstützten. Ohne diesen Tatbeitrag der Fachabteilung der Beklagten wäre es der V. AG nicht möglich gewesen, die eigenen Motoren in Fahrzeuge der Beklagten einzubauen.
(3) Der Senat geht nicht davon aus, dass ein Verrichtungsgehilfe der Beklagten selbst mit einer sittenwidrigen Gesinnung handelte (vgl. BGH NJW 2021, 1669 Tz. 35). Die Mitarbeiter der Fachabteilung der Beklagten handelten aber mit Blick auf die sittenwidrige Haupttat und die eigene Tatförderung mit dem erforderlichen doppelten Vorsatz und nahmen auch eine Schädigung von Kunden der Beklagten, die Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 erwarben, billigend in Kauf.
aa) Der Senat sieht die objektive Sittenwidrigkeit und das vorsätzliche Handeln in Bezug auf den Vertrieb von Motoren mit einer verbotenen Umschaltlogik als ein einheitliches haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal, das täterschaftlich praktisch nur auf der Leistungsebene der juristischen Person (hier: V. AG) aufzufinden ist. Für die Frage der Teilnahme genügt es aber, wenn der Teilnehmer diese Umstände in seinen Vorsatz aufnimmt; er muss nach Auffassung des Senats – ähnlich wie bei Delikten mit persönlicher Qualifikation – nicht selbst in diesem Sinn sittenwidrig handeln. Von daher ist es unerheblich, ob die Mitarbeiter der Beklagten, die beim Vertrieb und Einbau des EA 189 Motors beteiligt waren, auch selbst den Tatbestand des § 826 BGB in allen Einzelheiten verwirklicht haben (insoweit ablehnend BGH NJW 2021, 1669 Tz. 35).
bb) Der Senat bejaht für diesen technisch versierten Personenkreis der Fachabteilung der Beklagten den nach § 830 Abs. 2 BGB erforderlichen Vorsatz. Dieser muss sich allerdings auch auf den Schadenseintritt erstrecken, da bei § 826 BGB auch das Zufügen des finanziellen Schadens selbst Gegenstand des Tätervorsatzes ist und der Teilnehmervorsatz dahinter nicht zurückbleiben darf (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 33).
(1) Der Senat schließt es aus, dass der Einbau des Motors EA 189 in Fahrzeuge der Beklagten (mit Blick auf die Argumentation der Beklagten, wonach kein Vorstand im aktienrechtlichen Sinn eine solche Kenntnis gehabte habe) im Bereich der technischen Fachabteilung ohne Kenntnis seiner wesentlichen Merkmale bzw. in Unkenntnis der beschriebenen Abschalteinrichtung erfolgte; im Gegenteil muss davon ausgegangen werden, dass diese Wirkungsweise der Software dort bekannt war.
Diese „Fachabteilung“ war mit den technischen Detailfragen oder einzelnen Softwarekomponenten des Motors befasst (Schriftsatz der Beklagten vom 01.03.2022, Seite 35 = Bl. 437 d.A.). Dies gilt insbesondere mit Blick auf den unstreitigen Umstand, dass die Beklagte diesen Motor auch in einem ihrer Werke hergestellt hat. Schließlich darf auch auf die obigen Erwägungen (B. I.) verwiesen werden, mit denen diese Kenntnis sogar auf der Repräsentantenebene festgestellt wurde.
Selbst das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. geht auf S. 23 davon aus, dass „die Möglichkeit der Aufdeckung der Abschalteinrichtung durch die A. -eigene Entwicklungsabteilung – vermittels einer grundlegenden Prüfung der Software bzw. einer Neuentwicklung von Testverfahren – nicht vollständig ausgeschlossen werden kann…“. Letztlich scheint die Beklagte diese Kenntnis auf „Arbeitsebene“ wohl nicht einmal bestreiten zu wollen, zumal die Beklagte nicht vorträgt, ihre internen Untersuchungen im Nachgang zur sog. Abgasaffäre auf diesen Personenkreis unterhalb der Führungsebene überhaupt erstreckt zu haben.
(2) Diese Mitarbeiter der Beklagten hatten (bedingten) Vorsatz, dass der Einsatz der evident unzulässigen Abschalteinrichtung im EA 189-Motor von der Vorstandsebene der V. AG gedeckt war.
Es entspricht der Lebenserfahrung, dass eine so bedeutende Entscheidung auf der Leistungsebene des Unternehmens getroffen wird. Jedenfalls mussten die Mitarbeiter der Beklagten davon ausgehen. Es war kein Anhaltspunkt im Bereich der Beklagten gegeben, wonach dort ein berechtigter Glaube bestanden haben könnte, dass es sich bei der Entscheidung von V., den EA 189 mit einer illegalen Abschalteinrichtung zu versehen, nur um ein (heimliches) Handeln auf einer untergeordneten Ebene in der Konzernhierarchie gehandelt hätte. Diese Kenntnis vom planvollen Einsatz der Manipulationssoftware haben die Mitarbeiter der Beklagten auch nicht beiläufig („bei Gelegenheit“ oder „privat“) erworben, sondern aus ihrer täglichen Arbeitswirklichkeit entnommen.
Diese Kenntnis umfasst auch die Tatsachen, dass es sich dabei um eine grob anstößige Entscheidung gehandelt hat, die das Merkmal der Sittenwidrigkeit in sich trägt. Den Mitarbeitern war bekannt, dass die Mitarbeiter der V. AG allein das Typengenehmigungsverfahren betreuten; damit war ihnen vollkommen klar, dass diese auch alles unternehmen werden, dass die manipulative Software im Zulassungsprozess nicht aufgedeckt werden wird. Diese Wertung war einem ausgebildeten Techniker, der die Gepflogenheiten der Entwicklung von Motoren und deren Zulassungsverfahren kennt, ohne weiteres möglich und liegt auf der Hand.
(3) Schließlich hatten die Mitarbeiter der Beklagten auch den Vorsatz, dass durch die Teilnahme am Vertrieb der illegalen Motoren in den Fahrzeugen der Beklagten deren Kunden geschädigt werden. Die Annahme eines auf den ungewollten Vertragsschluss bezogenen Schädigungsvorsatzes entspricht nach der Rechtsprechung des BGH der Lebenserfahrung (BGH NJW 2020, 2806; BGHZ 225, 316). Dies gilt auch für den hier angesprochenen, gut ausgebildeten Personenkreis: Diesen war die Wirkungsweise der Technik bewusst und der Umstand, dass diese der zuständigen Behörde planvoll verheimlicht wurde. Damit war für sie aber auch nachvollziehbar und im Bewusstsein, dass die Erwerber des Produkts mit der Gefahr einer behördlichen Stilllegung belastet werden. Ein relevanter Unterschied zu einem Repräsentanten besteht bei dieser Sachlage nicht.
In diesem Zusammenhang ist es auch ohne Bedeutung, dass die haftungsbegründende Software im späteren Fertigungsprozess versiegelt auf die Hardwarekomponenten (vollautomatisch) aufgespielt wurde. Es geht hier nicht um die Haftung der Beklagten für deren Mitarbeiter am Fließband in der Fabrik, sondern um die Mitarbeiter in der Fachabteilung, die diese Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 konzipiert und entwickelt haben. Dieser Personenkreis war den gleichen rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Zwängen des V.-Konzern ausgesetzt, wie die entsprechenden Kollegen bei der V. AG.
(4) Die Beklagte ist Geschäftsherrin der Mitarbeiter der (technischen) Fachabteilungen, insbesondere soweit diese mit dem Motor EA 189 der Konzernmutter und dessen Übernahme in Fahrzeuge der Beklagten befasst waren. Deren Tätigkeiten erfolgen in der notwendigen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit. Die Beklagte haftet daher nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB für die von den Mitarbeitern der Fachabteilung begangene unerlaubte Handlung zum Nachteil des Klägers (§§ 831 Abs. 1 Satz 1, 830 Abs. 2 BGB).
(5) Einen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht angetreten (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB).
III. Der Klageanspruch ist nicht verjährt.
Die Einrede des § 214 Abs. 1 BGB wurde nicht erhoben.
IV. Inhaltlich ist der Schadensersatzanspruch (siehe oben I. und II.) nach § 249 Abs. 1 BGB auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 21.03.2014 („Bestellung“) gerichtet.
1. Die Klage ist in der Hauptsache jedoch nur teilweise begründet.
a) Der Kläger ist durch den ungewollten Vertrag geschädigt und kann nach § 249 Abs. 1 BGB dessen Rückabwicklung gegenüber der Beklagten verlangen. Danach kann der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 12.846,23 € verlangen, Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW.
In das Rückabwicklungsschuldverhältnis ist eine Nutzungsentschädigung einzustellen, weil der Kläger das Fahrzeug seit dem Erwerb bis heute bestimmungsgemäß genutzt hat. Dies entspricht auch dem zuletzt gestellten Klageantrag (siehe oben A. II.).
Die Nutzungsentschädigung schätzt der Senat auf 12.643,77 € (Kaufpreis: 25.490 €; gefahrene Kilometer: 112.796 (135.398 – 22.602); Restlaufleistung beim Ankauf: 227.398 km (250.000 – 22.602). Daraus ergibt sich der Verurteilungsbetrag von 12.846,23 € (25.490,00 € – 12.643,77 €).
b) Bei der Berechnung der Prozesszinsen hat sich der Senat davon leiten lassen, dass der Kläger die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung erlangt hat. Der nach § 291 BGB zu verzinsende Betrag lag mithin bei Eintritt der Rechtshängigkeit höher als der schließlich zuzusprechende Betrag und hat sich dann sukzessive auf den schließlich zuzuerkennenden Betrag ermäßigt (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 38).
Die Laufleistung betrug bei Klageeinreichung im Dezember 2018 nach den nachvollziehbaren Angaben in der Klageschrift 83.855 km, bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht im September 2019 wurden 98.101 km festgestellt.
Bei Klageerhebung bestand danach ein Zahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 18.624,00 €, da die Nutzungsentschädigung nur 6.866,10 € betrug (= 25.490,00 € x 61.253 km: 227.398 km).
Dieser Anspruch reduzierte sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht auf 17.027,00 €, da die Nutzungsentschädigung auf 8.463,00 € anstieg (= 25.490,00 € x 75.499 km: 227.398 km).
Hieraus bildet der Senat für die Zwecke der Verzinsung eine gemittelte Hauptschuld von 17.825,50 € für den Zeitraum von 02.02.2019 bis zum 06.09.2019, da der Klageantrag nach dem Tatbestand des EU die Rechtshängigkeit am 02.02.2019 annimmt (§ 308 ZPO).
Für den Zeitraum des Berufungsverfahrens ist zu Beginn von dem Anspruch in Höhe von 17.825,50 € und zum Ende von einem Anspruch in Höhe von 12.846,23 € auszugehen, was für den Zeitraum vom 07.09.2019 bis zum 14.03.2022 zu einer gemittelten Forderung von 15.335,86 € führt. Seitdem ist der Urteilsbetrag zu verzinsen.
b) Die beantragte Erledigung war abzuweisen.
Mit seiner Klage und mit dem Berufungsantrag leugnete der Kläger, dass er der Beklagten wegen der gezogenen Nutzungen einen Ersatz schulde. Der Kläger hatte aber von vorne herein nur einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages unter Abzug der von ihm tatsächlich gezogenen Nutzungen. Bei der erhobenen Klage liegt daher kein erledigendes Ereignis vor, da die Klage mit der fix geforderten Klagesumme von Anfang an unbegründet war.
2. Die Nebenforderung (Feststellung des Annahmeverzugs) war abzuweisen.
Der Annahmeverzug der Beklagte liegt nicht vor, da der Kläger die Rückgabe des Fahrzeugs von einer deutlich überhöhten Zahlung der Beklagten abhängig machte. Ein erneutes Angebot auf Rücknahme des PKW auf der Grundlage einer zutreffenden Leistungspflicht der Beklagten machte der Kläger im Termin nicht.
3. Die auf Zahlung von deliktischen Zinsen seit dem Erwerb des Fahrzeugs gerichtete Klage wurde vom Kläger in der Verhandlung vor dem Senat nicht weiterverfolgt (Protokoll vom 14.03.2022, Seite 2 = Bl. 450 d.A.).
C. Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 91, 92, 97, 269 ZPO. Dabei unterscheidet der Senat bei der Bildung der Kostenquote wegen der dynamischen Nutzungsentschädigung zwischen der ersten Instanz und dem Berufungsverfahren. Dabei wird für die erste Instanz ein fiktiver Streitwert zugrunde gelegt, der die deliktischen Zinsen im Zeitraum von 04.04.2014 bis zum 02.02.2019 (4.930,39 €) einbezieht und mit denen der Kläger unterlag.
Auf dieser Grundlage obsiegt der Kläger vor dem Landgericht mit 17.825,50 € bei einem Streitwert von 30.420.39 € (60%), in der Berufungsinstanz führt das Obsiegen des Klägers mit 12.846,23 € bei einem Streitwert von 25.490,00 € zur Kostenaufhebung.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, da die Beschwer keiner Partei über 20.000,00 € liegt.
Die Streitwertfestsetzung ergeht nach § 3 ZPO, §§ 39, 47 GKG. Sie richtet sich nach dem Antrag zu Beginn des Berufungsverfahrens, der noch davon ausging, dass keine Nutzungsentschädigung geschuldet ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Eine Divergenz in Rechtsfragen liegt nicht vor. Soweit andere Oberlandesgerichte oder andere Senate dieses Gerichts den Sachverhalt anders beurteilen, begründet dies keine Zulassung der Revision. Es handelt sich allenfalls nur um eine unterschiedliche tatrichterliche Würdigung desselben Sachverhalts (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.2021 – V ZR 181/19 -, Rn. 8), soweit nicht unterschiedlicher Vortrag im Einzelfall diese Entscheidungen trägt. Soweit der Senat die Haftung der Beklagten auf einen neuen rechtlichen Aspekt stützt, ist eine Zulassung der Revision schon wegen der tragenden ersten Begründung nicht geboten. Ein Antrag auf Zulassung der Revision wurde im Übrigen auch von keiner Partei gestellt und näher begründet.


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