Europarecht

Schadensersatz, Marke, Bescheid, Ermessensentscheidung, Fahrzeug, Minderung, Rechtsanwaltskosten, Kaufvertrag, Software, Schadensersatzanspruch, Klage, Wirksamkeit, Sachmangel, Kenntnis, VW Touran, billigend in Kauf

Aktenzeichen  21 O 929/21

Datum:
21.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 50617
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.844,53 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.03.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 16 % und die Beklagte 84 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Hinsichtlich der Höhe einer Nutzungsentschädigung, der Zinsen sowie hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erweist sich die Klage als teilweise unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Memmingen ist das örtlich bereits aufgrund der Bindung des Verweisungsbeschlusses und sachlich gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zuständige Gericht.
II.
Die Klage ist überwiegend begründet. Die Klagepartei hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises von 26.000 €, abzüglich eines Betrages i.H.v. 9.155,47 € für die Nutzung und abzüglich des Veräußerungserlöses in Höhe von 8.000, §§ 826, 31 BGB.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ansprüche der Klagepartei verjährt sind, da die Beklagenpartei die Einrede der Verjährung nicht mehr geltend macht.
2. Der Klagepartei steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB zu.
a) Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, dessen Motor mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik ausgestattet ist, stellt eine konkludente Täuschung dar, da sie in der Kenntnis erfolgt ist, dass der Käufer hierüber nicht informiert wird.
Durch das Inverkehrbringen des mit einem solchen Motor ausgestatteten Fahrzeugs bringt die Beklagte jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das damit ausgerüstete Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, d.h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter, konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Das setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typgenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamtes erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht. Auch dies bestätigt der Hersteller mit der Inverkehrgabe zumindest konkludent (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019 – Aktenzeichen 13 U 142/18, WM 2019, 881 ff.).
Bei der im Fahrzeug der Klagepartei vorhandenen Einrichtung, die bei erkanntem Prüfbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert, handelt es sich um eine nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung (vgl. BGH Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19; OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19). Nach dieser Vorschrift hat der Hersteller von ihm gefertigte Neufahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vgl. Erwägungsgrund 12 der VO 715/2007/EG), und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vgl. Erwägungsgrund 6 der VO 715/2007/EG) erreicht wird. Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern sind daher nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG unzulässig, sofern nicht ausdrücklich normierte Ausnahmetatbestände (Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG) greifen. Dabei ist eine „Abschalteinrichtung“ gemäß Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG definiert als jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
Ausgehend von diesen weit gefassten Bestimmungen handelt es sich auch bei der im Fahrzeug der Klagepartei installierten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG (vgl. BGH a.a.O; OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19). Denn die streitgegenständliche Software erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet und schaltet in diesem Fall in einen Modus, bei dem verstärkt Abgase in den Motor zurückgelangen, wodurch sich der Ausstoß von Stickoxiden verringert. Im normalen Fahrbetrieb hingegen aktiviert eine solche Software einen anderen Modus, bei dem eine Abgasrückführung nur in geringerem Umfang stattfindet; sie ermittelt also aufgrund technischer Parameter die betreffende Betriebsart des Fahrzeugs (Prüfbetrieb oder Echtbetrieb) und aktiviert oder deaktiviert dementsprechend die Abgasrückführung, was unmittelbar die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt.
Soweit Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG in bestimmten Fällen die Verwendung von Abschalteinrichtungen gestattet, sind die hierfür erforderlichen (engen) Voraussetzungen im hier vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die vorgesehenen Ausnahmen kommen – nicht zuletzt aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG ausdrücklich genannten Regelungszwecks dieser Vorschrift – hier von vornherein nicht in Betracht, da die betreffende Abschalteinrichtung gerade dazu dient, bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, um auf diese Weise die Einhaltung der (anderenfalls nicht erreichten) Emissionsgrenzwerte sicherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133).
Hinzu kommt, dass auch das KBA in seinem bestandskräftigen Bescheid vom 14.10.2015 davon ausgeht, dass bei dem Motor des Typs EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 3 Nr. 10 der VO 715/2007/EG vorliegt (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16.09.2019 – 12 U 61/19).
Eine EU-Typgenehmigung hätte dem mit diesem Motor ausgerüsteten Fahrzeug gar nicht erteilt werden dürfen, wenn das KBA von der Funktion der Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätte (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, WM 2019, 881; vgl. auch BGH, Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133).
b) Die Entscheidung der Beklagten, den hier in Streit stehenden Motor EA 189, in den die oben genannte Software eingebaut war, mit der erschlichenen Typgenehmigung in den Verkehr zu bringen, stellt eine sittenwidrige Handlung dar (vgl. BGH Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19; OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19). Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung begeht und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 516/15).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig einzustufen. Als Beweggrund für die Vornahme der Manipulationen am Motor bzw. der Abgassteuerung und -reinigung und der entsprechenden Täuschung darüber, kommen vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Es erscheint lebensfremd, dass die Beklagte das mit der Verwendung der Abschaltsoftware verbundene erhebliche Risiko ohne wirtschaftlichen Vorteil eingegangen wäre (vgl. BGH a.a.O; OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19 m.w.N.).
Zwar ist allein ein Handeln aus Gewinnstreben nicht als verwerflich zu beurteilen. Jedoch erscheint hier zum einen die Art und Weise der Täuschung als verwerflich: In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte in großem Umfang und mit erheblichem technischen Aufwand zentrale Zulassungsvorschriften umgangen und zugleich ihre Kunden konkludent getäuscht hat. Sie hat dabei nicht nur einfach vorgeschriebene Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der vorgenommenen Manipulation an diesem Motortyp für alle davon betroffenen Fahrzeuge zugleich ein System der planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden einerseits sowie nachfolgend, nach dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge, gegenüber den Verbrauchern andererseits geschaffen. Es lag also eine bewusste Täuschung der Aufsichtsbehörden einerseits und der Verbraucher andererseits vor, um die entsprechenden Typgenehmigungen für die Fahrzeuge zu erhalten und diese dann so in Verkehr bringen zu können, um dadurch entsprechende Vertragsschlüsse der Händler mit den Kunden herbeiführen zu können.
Zum anderen ergibt sich die Verwerflichkeit des Handelns aus den resultierenden Folgen: Den Käufern drohte – jedenfalls bis zur Ermessensentscheidung des KBA vom 14.10.2015 – ein erheblicher Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs.
c) Das schädigende Verhalten ist der Beklagten auch analog § 31 BGB zuzurechnen, denn es ist davon auszugehen, dass die Organe der beklagten AG an der zumindest konkludenten Täuschung des KBA – die einer Täuschung des Klägers gleichsteht – verantwortlich beteiligt waren.
Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15, juris Rn. 25).
In subjektiver Hinsicht setzt der Schädigungsvorsatz gemäß. § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Es genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei jener nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss (BGH, Urteil vom 13.09.2004, II ZR 276/02, juris Rn. 38). Für den Vorsatz genügen das Bewusstsein, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt, sowie die billigende Inkaufnahme des Schädigungsrisikos. Nicht erforderlich ist, dass der Handelnde die Schädigung eines anderen anstrebt oder als sichere Folge des eigenen Handelns akzeptiert (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 826 Rn. 27). Dieser Vorsatz ist vorliegend gegeben.
Die Kammer macht sich insoweit die zutreffenden Ausführungen des OLG Koblenz im Urteil vom 17.03.2021, 5 U 1343/20 zu eigen:
„Die Software wurde bewusst in die Motorsteuerung eingebaut, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typengenehmigung zu erhalten. Einen anderen Zweck hatte ihre Verwendung nicht. Indiz hierfür ist auch der Umstand, dass der dies feststellende Bescheid des KBA hingenommen wurde. Da die Beklagte wusste, dass sie die Typengenehmigung erhalten hatte, obwohl deren Voraussetzungen nicht erfüllt waren, musste sie ein Entdeckungsrisiko fürchten. Dabei ist nicht erklärlich, warum die Beklagte die Vorgänge überhaupt geheim gehalten hat, wenn sie ihr Vorgehen als rechtmäßig eingeordnet hätte. Im Gegenteil begründet gerade diese Geheimhaltung eine Vermutung für ein vorsätzliches Vorgehen. Die Beklagte hat ersichtlich bewusst in Kauf genommen, dass eine Entdeckung der verwendeten Software und ihrer Wirkungen dazu führen würde, dass die Betriebserlaubnis der betroffenen Fahrzeuge würde erlöschen können. Die Beklagte hat dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Kunden als möglich erkannt und dennoch billigend in Kauf genommen.
Die Beklagte hat auch die Folgen ihres Handelns jedenfalls billigend in Kauf genommen. Sie wusste, dass die Behörden bei der Erteilung der Typengenehmigung getäuscht worden waren, die Kunden allerdings aufgrund der erteilten Typengenehmigung davon ausgingen und gehen konnten, ein Fahrzeug zu erhalten, das den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Dass das KBA im Falle der Entdeckung der Täuschung Maßnahmen ergreifen musste, musste der Beklagten klar sein und war ihr auch klar. Das ergibt sich vorliegend schon aus dem Vorgehen des KBA im Hinblick auf andere Motoren. Das KBA als zuständige Behörde konnte ein gegen die gesetzlichen Regelungen verstoßendes Verhalten, das noch dazu einen Kernbereich seiner Aufgabe betrifft, nicht einfach hinnehmen. Die Beklagte musste deshalb davon ausgehen, dass das KBA in diesem Falle entweder die Typengenehmigung widerrufen oder aber Maßnahmen anordnen würde, um einen gesetzmäßigen Zustand der betroffenen Fahrzeuge zu erreichen. Damit musste sie zwangsläufig davon ausgehen, dass den betroffenen Fahrzeugen eine Betriebsuntersagung drohte, wenn dem nicht nachgekommen werden würde, so dass auch diese Schädigungsfolgen vom Vorsatz der Beklagten erfasst waren. Die Beklagte hat folglich das Risiko der darin liegenden Schädigung der Kunden als möglich erkannt und dennoch billigend in Kauf genommen.
Die Beklagte muss sich dabei das Handeln ihrer Mitarbeiter gemäß § 31 BGB analog zurechnen lassen. Die Repräsentantenhaftung erstreckt sich für juristische Personen über den Vorstand, die Vorstandsmitglieder und die verfassungsmäßig berufenen besonderen Vertreter hinaus auf alle sonstigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (MüKoBGB/Arnold, 8. Auflage 2018, § 31 Rn. 14; BGH, Urteil vom 30.10.1967, VII ZR 82/65, BGHZ 49, 19). Da es der juristischen Person nicht frei steht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Zu dem Repräsentanten der juristischen Person nach diesen Grundsätzen gehört auch der Personenkreis der leitenden Angestellten (BGH, Urteil vom 05.03.1998, III ZR 183/96, NJW 1998, 1854).“
Die Programmierung einer Software setzt denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware voraus und schließt die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustands aus (vgl. OLG Koblenz Urteil vom 17.03.2021, a.a.O.; LG Krefeld, Urteil vom 19.07.2017, 7 O 147/16, ZIP 2017, 1671). Es ist auch unwahrscheinlich, dass die Entwicklung und Inverkehrgabe von Motoren mit einer derartigen inkriminierten Steuerungssoftware einschließlich deren Wirkungsweise auf der unteren Mitarbeiter- oder Ingenieurebene der Beklagten gesteuert worden ist und nicht vom Konzernvorstand bzw. einem oder mehreren für diese technischen Prozesse intern zuständigen Vorstandsmitgliedern. Wie auch betreffend den Motor EA 189 gemäß Urteil des BGH vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) trifft vorliegend die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast, dass und warum der Vorstand in die Entwicklung nicht involviert gewesen sei. Insoweit genügt das einfache Bestreiten der Beklagten, der Vorstand habe keine Kenntnis von der Verwendung und Implementierung der Software gehabt, nicht.“
d) Durch die Täuschung hat die Klagepartei einen Vermögensschaden erlitten.
aa) Der Schaden liegt bereits in dem Abschluss des Kaufvertrages (vgl. OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19 m.w.N.). Die Klagepartei hat in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuererungssoftware das streitgegenständliche Fahrzeug erworben und insoweit einen für sie wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag mit dem Händler abgeschlossen, da der Pkw jedenfalls nicht ihren berechtigten Vorstellungen entsprochen hat (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 30.01.2020, 9 U 49/19). Der erworbene Pkw war mit einem erheblichen Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB versehen.
Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug grundsätzlich nur dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine (weitere) Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit aufhebt oder beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2016 – VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015; Urteil vom 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153; Urteil vom 24.10.2018 – VIII ZR 66/17, NJW 2019, 292 jew. m.w.N.). Dem hat das von der Klagepartei im Juli 2011 erworbene Fahrzeug bei Gefahrübergang aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht entsprochen, da der PKW die vorgeschriebenen Stickoxidwerte nur auf dem Rollenprüfstand, aber nicht im realen Fahrbetrieb erreicht; der für die gewöhnliche Nutzungsdauer zu erwartende ungehinderte Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr bei Gefahrübergang war damit nicht gewährleistet.
bb) Die Täuschung war auch kausal für den Abschluss des Kaufvertrages. Sowohl die weitere Nutzbarkeit des PKWs im Straßenverkehr als auch dessen Einstufung nach der Schadstoffklasse EURO 5 hinsichtlich der Kfz-Steuer waren aufgrund des Einbaus der Abschalteinrichtung gefährdet. Ein durchschnittlicher Käufer erwartet jedenfalls, dass das Fahrzeug während der üblichen Nutzungsdauer ohne Einschränkungen verwendet werden kann. Gerade dies war zur Zeit des Kaufvertragsschlusses nicht gewährleistet. Es war nicht sicher vorhersehbar, wie das KBA auf das Bekanntwerden der Täuschung reagieren würde.
e) Der Klagepartei ist daher der unter den Voraussetzungen des § 826 BGB verursachte Vermögensschaden nach §§ 249 ff. BGB zu ersetzen. Die Beklagte hat die Klagepartei so zu stellen, wie sie ohne die Täuschung über die nicht gesetzeskonforme Motorsteuerungssoftware gestanden hätte (negatives Interesse). Dies bedeutet, dass die Klägerin von der ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit, nämlich dem Vertrag über den streitgegenständlichen Pkw zu befreien ist.
aa) Die Klagepartei hat damit grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreies. Allerdings sind auch für die durch die Klagepartei bis zum Zeitpunkt der Veräußerung gezogenen Nutzungen in Höhe von 9.155,47 EUR abzuziehen (vgl. BGH Urteil vom 25.05.2020; VI ZR 252/19; OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19).
(1) Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren. Solange Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet. Darauf, ob der Schädiger die Herausgabe des Vorteils verlangt, kommt es nicht an, insbesondere bedarf es anders als in den Fällen der §§ 320, 322, 348 BGB keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schädigers (BGH, Urteil vom 23.06.2015 – XI ZR 535/14 -, NJW 2015, 3160; Grüneberg in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, vor § 249, Rn. 71).
(2) Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer, ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (BGH, Urteil vom 17.05.1995 – VIII ZR 70/97 -, NJW 1995, 2159). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Das Gericht schätzt gemäß § 287 BGB die Gesamtlaufleistung eines VW Touran A 3 auf 250.000 Kilometer.
Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 9.155,47 € (= 26.000 EUR × (103.566 – 23.975) : 250.000 km – 23.975. Damit verbleibt ein ersatzfähiger Schadensbetrag von 16.844,53 EUR (= 26.000 EUR – 9.155,47 EUR).
bb) Die erfolgte Weiterveräußerung lässt den grundsätzlich bestehenden Schadensersatzanspruch der Klagepartei nicht entfallen (vgl. BGH Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20). Die Klagepartei hat jedoch im Wege der Vorteilsausgleichung nach §§ 249 ff. BGB den erhaltenen Kaufpreis in Höhe von 8.000 € herauszugeben als Surrogat für die ihr nicht mehr mögliche Herausgabe des Fahrzeuges (vgl. LG Krefeld, Urteil vom 13.02.2019, 2 O 313/17; im Ergebnis ebenso LG Heidelberg, Urteil vom 31.01.2018, 1 O 40/17).
3. Der geltend gemachte Zinsanspruch ist nur teilweise begründet. Durch die Klagepartei wurde nicht vorgetragen, aus welchen Gründen Verzug zum 01.01.2018 eingetreten sein soll. Eine Mahnung zum 01.01.2018 ist nicht vorgetragen. Das außergerichtliche Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten datiert vom 18.12.2020 und war nicht geeignet, die Beklagtenpartei in Verzug zu setzen. Obwohl das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt bereits veräußert war, wurde auf Seite 14 und 15 ausgeführt, dass die Mandantschaft das Fahrzeug zurückgeben möchte. Erst auf Seite 16 wurde dann die Tatsache des Verkaufs erwähnt. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung wurde einmal mit 300.000, dann mit 350.000 km angegeben. Bei einer Zuvielforderung ist jedoch Voraussetzung für einen Verzug, ob der Schuldner den geschuldeten Betrag zuverlässig ermitteln kann (vgl. Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 286 RdNr. 20). Dies ist bei dem vorliegenden Schreiben nicht der Fall.
Ein Zinsanspruch zum 01.01.2018 ergibt sich auch nicht aus § 291 BGB. Zwar wurde die Sammelklage 3 O 2423/17 der Beklagten am 01.01.2018 zugestellt. Die Klage wurde zwischenzeitlich jedoch zurückgenommen. Damit endete auch die Rechtshängigkeit und damit auch der Anspruch auf Prozesszinsen mit rückwirkender Kraft (vgl. Beck OK Stand 01.03.2020 § 291 BGB RdNr. 21). Zinsen waren daher erst ab Rechtshängigkeit zuzusprechen.
4. Nicht begründet ist ebenfalls der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 II 1 BGB. Der Schädiger hat jedoch nicht schlechthin alle durch ein Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der maßgebenden Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, NJW 2011, 2509 [2510] Rn. 9; NJW 2018, 935 Rn. 6). Vorliegend war die Erteilung eines Mandats zur außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung ersichtlich weder erforderlich noch zweckmäßig. Zum Zeitpunkt der Beauftragung hatte die Klagepartei ihre Forderung bereits gerichtlich gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Sie hatte daher keinen Grund zu der Annahme, dass die Beklagte auf ein weiteres außergerichtliches Schreiben leisten würde. Die Verfassung des Schreibens diente allenfalls zur Generierung von Gebühren.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Soweit die Klagepartei hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und der Zinsen unterlag, waren diese Positionen im Rahmen der Kostenentscheidung nicht zu berücksichtigen, da diese den Streitwert nicht erhöhten.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

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