Europarecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Annahmeverzug, Leistung, Staatsanwaltschaft, Rechtsverfolgungskosten, Software, Herausgabe, Vollstreckbarkeit, Ermittlungsverfahren, Klage, Zinsen, Betrieb, Zug um Zug, Bundesrepublik Deutschland

Aktenzeichen  34 O 4790/20

Datum:
9.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 58117
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 100 % der zu vollstreckenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird bis zum … auf …, ab dem … auf … festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus einer sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB zu.
1. Eine Prüfstandserkennung wäre nicht per se geeignet, einen Schadensersatzanspruch aus sittenwidriger Schädigung zu begründen. Erforderlich wäre vielmehr, dass aufgrund der Prüfstandserkennung eine Funktionsweise in der Motorsteuerung aktiviert wird, die lediglich auf dem Prüfstand die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen zur Folge hätte, obwohl das Fahrzeug die gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des Prüfstands nicht erfüllt.
2. Die Implementierung einer Abschalteinrichtung außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs vermag im vorliegenden Fall einen Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung nicht zu begründen.
a) Ein sogenanntes „Thermofenster“ ist kein definierter Fachbegriff aus den Ingenieurwissenschaften. Der Begriff dient dazu, die Temperaturabhängigkeit eines technisch-physikalischen Systems zu benennen. Ein Abgasrückführungssystem bei Dieselmotoren dient dazu, den Emissionsausstoß von Stickoxiden zu vermindern. Erforderlich war jedoch aus technischer Sicht, das Abgasrückführungssystem zurückzufahren, wenn infolge der Außentemperaturen Ablagerungen im Bereich des Abgasrückführungssystems zu befürchten waren. Entsprechende Ablagerungen ziehen nicht nur das Abgasrückführungssystem als solches in Mitleidenschaft, sondern können sich auch auf die momentane Leistungsfähigkeit des Antriebssystems auswirken.
Im vorliegenden Rechtsstreit behauptet die Beklagte, dass die volle Leistungsfähigkeit des Abgasrückführungssystems im Temperaturbereich von – 24° ‘C bis +70° C gewährleistet sei. Die Beklagte begründet diesen weit gesteckten Temperaturbereich – im Vergleich zu dem Vorgängermotor … – mit einer weiteren technischen Einrichtung im Rahmen des Abgasrückführungssystems. Die Ausführungen sind plausibel und werden von der Klageseite nicht mit der nötigen Substantiiertheit angegriffen.
Bei einer vollen Leistungsfähigkeit des Abgasrückführungssystems im Temperaturbereich von – 24° C bis +70° C kommt ein Abschalten des Abgasrückführungssystems in der Bundesrepublik Deutschland kaum noch in Betracht.
Schon aus diesem Grund scheidet eine sittenwidrige Schädigung aus.
b) Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass auch die Implementierung eines Thermofensters aus Sicht der Herstellerseite eine zwar möglicherweise falsche, aber noch vertretbare Gesetzesauslegung darstellt (OLG Frankfurt/Main vom 07.11.2019, Az.: 6 U 119/18 in BeckRS 2019, 30.856). Denn anders als die sogenannte „Schummelsoftware“ des … unterscheidet das Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb, sondern richtet sich nach der Umgebungstemperatur und ist damit nicht offenkundig auf eine „Überlistung“ der Prüfsituation ausgelegt (OLG Frankfurt/Main a.a.O.).
3. Schadensersatz kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Manipulation im Zusammenhang mit dem SCR-Katalysator gewährt werden.
a) Die Beklagtenseite hat behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei überhaupt nicht mit einer SCR-Abgasreinigungsanlage ausgestattet.
Der Kläger konnte in seiner informatorischen Anhörung im Termin vom … dem nichts entgegenhalten. Der Kläger gab an, er gehe zwar davon aus, dass das Fahrzeug mit einem SCR-Katalysator ausgestattet ist, eine Zuführung der wässrigen Harnstofflösung habe er bisher jedoch nicht vorgenommen. Er gehe davon aus, dass dies jeweils im Rahmen des Services gemacht wird.
Bei diesen vagen Angaben muss das Gericht davon ausgehen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug keinen SCR-Katalysator hat.
b) Der Kläger trägt auch keine ausreichend greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung 715/2007/EG vorliegt. Grundsätzlich ist es einer Partei nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zulässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (Bundesgerichtshof vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 8/9).
Erforderlich sind aber greifbare Gesichtspunkte. Diese liegen zur Überzeugung des erkennenden Gerichts im vorliegenden Fall aber nicht vor.
Eine Rückrufaktion seitens des Kraftfahrtbundesamts oder auch nur eine Aufforderung seitens der Beklagten, an dem Fahrzeug irgendeine Maßnahme vornehmen zu lassen, gibt es unstreitig nicht.
Es ist auch nicht etwa ein Ermittlungsverfahren einer Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem SCR-Katalysator am streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen.
Dass eine Rückrufaktion hinsichtlich des Motors … besteht, reicht als Vortrag für das streitgegenständliche Fahrzeug zur festen Überzeugung des Gerichts nicht aus.
4. Auch die Behauptung der Klageseite, dass die Software ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasreinigung sowie den SCR-Katalysator abschalte bzw. dessen Leistung reduziere, stellt eine Erklärung dar, die durch keinerlei Anhaltspunkte belegt ist. Auch hier ist festzustellen, dass die von der Klageseite ins Feld geführte Abschalteinrichtung weder vom Kraftfahrtbundesamt förmlich mit einer Rückrufaktion verbunden wäre noch dass die Beklagte selbst – um einer Maßnahme des Kraftfahrtbundesamts zuvorzukommen – von sich aus gegenüber ihren Kunden auf eine Beseitigungsmaßnahme gedrungen hätte.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


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