Aktenzeichen 2 U 3838/21
Leitsatz
Verfahrensgang
22 O 108/21 2021-09-20 Urt LGAMBERG LG Amberg
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Amberg vom 20.09.2021, Aktenzeichen 22 O 108/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Amberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.880,85 € festgesetzt.
Gründe
A.
Der Kläger nimmt die Beklagte in Bezug auf ein am 07.06.2017 bei einem Autohaus als Gebrauchtwagen erworbenes und von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Opel Zafira Tourer auf Schadensersatz in Anspruch. Er stützt sich auf die Behauptung, die Beklagte habe eine unzulässige Abschaltvorrichtung verbaut.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil vom 20.09.2021 (Bl. 159 ff. d. A.) und die dortige Darstellung des Sach- und Streitstands sowie ergänzend auf den Hinweis des Senats vom 21.06.2022 Bezug genommen.
Der Kläger hat den Rechtsstreit im Umfang von 4.287,55 € für erledigt erklärt und beantragt im Übrigen,
das am 20.09.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Amberg, Az. 22 O 108/21, wie folgt neu zu fassen:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 16.484,45 € sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 30.01.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Opel Zafira Tourer mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W0L
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs Opel Zafira Tourer mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W0L seit dem 30.01.2021 in Annahmeverzug befindet.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Rechtsschutzversicherungs AG, , zur Schadennummer vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 472,40 € (netto) zuzüglich der gesetzlich geltenden Umsatzsteuer sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte, die der Erledigungserklärung widersprochen hat, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
B.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Amberg vom 20.09.2021, Aktenzeichen 22 O 108/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Es mag sein, dass die Sache Rechtsfragen aufwirft, die sich – schon angesichts der Menge der anhängigen Klagen gegen die Beklagte, denen vergleichbare Sachverhalte zugrunde liegen – in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen. Diese Rechtsfragen sind allerdings nicht klärungsbedürftig, weil die anzuwendenden Grundsätze inhaltlich hinreichend höchstrichterlich geklärt sind.
Zur Begründung der Zurückweisung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 21.06.2022 Bezug genommen. Die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 05.07.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
I. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Argumente des Klägers sieht der Senat nicht, dass die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB erfüllt wären.
1. Macht der Geschädigte geltend, er sei durch die sittenwidrige Handlung des Täters zu schädlichen Vermögensdispositionen veranlasst worden, dann genügt es nicht, dass der Täter die Möglichkeit eines solchen Kausalverlaufs erkannt und gebilligt hat. Es kommt darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 07.05.2019 – VI ZR 512/17 -, juris Rn. 8; Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, juris Rn. 29). Den Täter trifft der haftungsbegründende Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung nur dann, wenn der Geschädigte die ihn schädigende Handlung gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu sittenwidrig veranlasst worden ist (BGH, Urteil vom 20.02.1979 – VI ZR 189/78 -, juris Rn. 18; ebenso: OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019 – 10 U 199/19 -, juris Rn. 44).
2. Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis der Parteien im Streitfall indes nicht gegeben. Denn der Beklagten kann nicht vorgeworfen werden, dass sie auch im Zeitpunkt des Erwerbs des Klägers am 07.06.2017 noch sittenwidrig, mithin nicht nur pflichtwidrig gehandelt hätte, sondern eine besondere Verwerflichkeit ihres Verhaltens hinzugetreten wäre. Es fehlt an einer sittenwidrigen Veranlassung des Kaufs durch die Beklagte.
a. Richtig ist, dass die Beklagte in den im Hinweis vom 21.06.2022 angeführten Pressemitteilungen (etwaige) Abschalteinrichtungen nicht selbst als illegal gebrandmarkt hat, sondern im Gegenteil dieser (möglicherweise zutreffenden) Bewertung sogar entgegengetreten ist. So wird insbesondere in der Pressemitteilung vom 15.12.2015 ausgeführt: „Unsere Untersuchungen in den vergangenen Monaten zeigen, dass wir keine Einrichtungen haben, die erkennen, ob ein Fahrzeug gerade einem Prüfstandtest unterzogen wird.“ Eine bewusste Manipulation wird – soweit es eine solche gab – damit im Ergebnis geleugnet. Das reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Kläger jedoch nicht aus. Insbesondere ist ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Beklagten zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, juris Rn. 38; Urteil vom 08.12.2020 – VI ZR 244/20 – Rn. 16).
b. Entscheidend ist, ob die Beklagte als Herstellerin auf die (vermeintlichen) Missstände reagiert hat. Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat vor dem Hintergrund des „Abgasskandals“ eine Verhaltensänderung publik gemacht, indem sie die Öffentlichkeit über ihren Entschluss informierte, die technischen Bedingungen des Abgassystems der mit Euro-6-Dieselmotoren ausgestatteten Fahrzeuge zu verändern. Sie machte deutlich, am Bisherigen nicht festzuhalten, wobei ausdrücklich auch bereits ausgelieferte Fahrzeuge miteinbezogen werden sollten. Dass den Ankündigungen der Beklagten nicht entsprechende Taten folgten, trägt der Kläger nicht vor.
Schon in der Pressemitteilung vom 15.12.2015 erklärte die Beklagte unter Bezugnahme auf „[d]ie Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate“, die „gezeigt [hätten], wie sehr die Automobilindustrie derzeit im Blickpunkt steh[e]“, also unter Verweis auf nichts anderes als den „Abgasskandal“, „bei den NOx-Emissionen [zu] handel[n]“ und „an verbesserten Lösungen zur Wirksamkeit des Abgasreinigungssystems bei Euro-6-Dieselmotoren mit SCR-Technologie (…) zu arbeiten“, um „Fortschritte hinsichtlich künftiger Vorgaben der RDE-Richtlinien zu erzielen“. Diese „Aktivität“ sollte dabei „eine freiwillige Serviceaktion für Kunden“ umfassen, „die 43.000 Fahrzeuge betrifft, welche in Europa bereits auf der Straße sind (Zafira Tourer, Insignia und Cascada)“. Sie sollten „eine neue Software-Kalibrierung erhalten, sobald diese verfügbar ist“.
Nach der Feststellung in der Pressemitteilung vom 15.12.2015, dass „die Transparenz zwischen den Herstellern und Behörden verbessert werden muss“, bekundete die Beklagte in der Folge darüber hinaus ausdrücklich ihre Bereitschaft zur Offenheit, mithin zum genauen Gegenteil, einer bewussten Täuschung, aus der sich eine Verwerflichkeit ergeben kann. So heißt es in der Pressemeldung vom 29.03.2016, die Beklagte „bietet den Zulassungsbehörden an, Kalibrierungs-Strategien der Motoren als Grundlage für einen vorausschauenden Dialog zur Verfügung zu stellen“.
Das Umdenken der Beklagten manifestierte sich schließlich in der Erklärung vom 25.04.2016, mit der die Beklagte die Öffentlichkeit und die ihrem Servicenetz angeschlossenen Opel-Partner über ein freiwilliges Software-Update, das dem Kraftfahrtbundesamt zur Freigabe vorgestellt worden war, für das hier streitgegenständliche Modell informierte. Sie kündigte an, die „Aktion (…) im Juni 2016 [zu] starten“.
c. Das Medienecho auf die Ankündigungen der Beklagten mag deutlich geringer ausgefallen sein, als es bei der Adhoc-Mitteilung vom 15.09.2015 oder sonstigen an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärungen der Volkswagen AG der Fall gewesen war. Eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis einer Abschalteinrichtung sicher verhindert, ist zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit aber nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, juris Rn. 38; Urteil vom 08.12.2020 – VI ZR 244/20 – Rn. 16). Maßgeblich ist, dass die Mitteilungen der Beklagten in den Jahren 2015 und 2016 an die Öffentlichkeit gerichtet waren. Sie hatte damit ihr Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert (zu dieser Anforderung: BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, juris Rn. 30; Urteil vom 08.12.2020 – VI ZR 244/20 -, juris Rn. 12). Der Wille eine (etwaige) bewusste Täuschung des Kraftfahrtbundesamts oder von Käufern fortzusetzen, lässt sich mit dem Inhalt der Pressemitteilungen bzw. Ankündigungen der Beklagten nicht in Übereinstimmung bringen. Die Bereitstellung eines Online-Tools zur Überprüfung der Betroffenheit von sich im Verkehr befindlichen Fahrzeugen bedurfte es dafür nicht zwingend.
II. Dem Kläger steht auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. Art. 5 VO 715/2007/EG oder die Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 der RL 2007/46/EG kein Schadensersatzanspruch zu. Die vorgenannten Normen sind jedenfalls keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse der Klagepartei schützen, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden.
1. Dafür, dass der EU-Verordnungsgeber durch die VO (EG) Nr. 715/2007 (Grundverordnung) oder die Rahmenrichtlinie 2007/46/EG sowie der nationale Gesetzgeber in Umsetzung der RL 2007/46/EG durch die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung – EG-FGV – auch die wirtschaftlichen Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen schützen wollen, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Die Grundverordnung soll dem Umweltschutz (vgl. Erwägungsgrund Nr. 1), insbesondere der Verbesserung der Luftqualität (vgl. Erwägungsgründe 4, 5, 6 und 13) – und damit auch der Gesundheit der EU-Bürger – sowie der Harmonisierung des Binnenmarktes (vgl. Erwägungsgründe Nr. 1, 17) dienen, nicht aber dem Schutz der Vermögensinteressen einzelner EU-Bürger. Nichts anderes gilt für die Rahmenrichtlinie 2007/46/EG, die durch die EG-FGV in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Durch sie soll vielmehr eine vollständige Harmonisierung der Zulassungsvorschriften für Fahrzeuge erreicht werden. Neben dem Ziel einheitlicher Vorgaben für die Hersteller wird in den Erwägungsgründen die Verkehrssicherheit, der Gesundheits- und Umweltschutz, eine rationelle Energienutzung und ein wirksamer Schutz gegen unbefugte Benutzung genannt (vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 Satz 2 der Rahmenrichtlinie), aber eben nicht der Schutz der Vermögensinteressen der einzelnen EU-Bürger (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, juris Rn. 11; Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 -, juris Rn. 74).
2. Die Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 führen zu keiner anderen Bewertung.
a. Der VO (EG) Nr. 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst der Generalanwalt selbst keine Wirkung zum Schutz der Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs zu, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (vgl. Nr. 41).
b. Zwar vertritt er die Auffassung, die Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 seien dahingehend auszulegen, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist (vgl. Nr. 50). Selbst wenn man dem folgen sollte, ändert dies aber nichts daran, dass es sich jedenfalls bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV um kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelt. Die RL 2007/46/EG selbst scheidet schon mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz aus (Sprau in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 823 Rn. 57 m. w. N.).
aa. Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder zumindest mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben.
Nicht ausreichend ist es indes, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 -, juris Rn. 73 m. w. N.).
bb. Diese Voraussetzungen sind bezogen auf §§ 6, 27 EG-FGV nicht gegeben.
(1) Mit der EG-FGV, der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für die Fahrzeuge, – einer gemeinsamen Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Bundesministeriums des Innern – bezweckte der nationale Normgeber in Umsetzung der RL 2007/46/EG in nationales Recht die Harmonisierung des öffentlichrechtlichen Zulassungsrechts von Kraftfahrzeugen. Die Absicht, darüber hinaus die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs zu schützen, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, lässt sich weder dem Wortlaut der nationalen Normen entnehmen noch ergibt sie sich aus sonstigen Umständen. Vielmehr ist den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 42) zu entnehmen, dass die Bundesregierung – in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht (vgl. dazu oben) – sogar ihre gegenteilige Auffassung explizit zum Ausdruck gebracht hat.
(2) In umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die §§ 6, 27 EG-FGV gestellt sind, erscheint es zudem weder sinnvoll noch tragbar, dem individuellen Erwerber eines Kraftfahrzeugs gestützt auf die genannten Normen einen Schadensersatzanspruch bereits dann einzuräumen, wenn ein Hersteller – gegebenenfalls sogar bloß fahrlässig – ein Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet hat. Das gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass die nationalen Gerichte gehalten sind, das Gemeinschaftsrecht möglichst wirksam anzuwenden (effet utile), und nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet sind, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (richtlinien- bzw. unionsrechtskonforme Auslegung, vgl. EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-735/19 -, juris Rn. 75; BGH, Urteil vom 18.11.2020 – VIII ZR 78/20 -, juris Rn. 25; jeweils m. w. N.). Denn die Umsetzung von Richtlinien ist nur insoweit erforderlich, wie der bestehende Rechtszustand nicht bereits den Vorgaben der Richtlinie entspricht. Im Falle der Übereinstimmung von Richtlinienauftrag und nationalem Rechtszustand bedarf es daher weder einer Umsetzung noch eines Hinweises, dass die bestehenden nationalen Rechtsnormen nunmehr durch eine Richtlinienbestimmung festgeschrieben und in deren Licht zu interpretieren sind.
Auch ohne eine Einordnung der §§ 6, 27 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB stehen in der deutschen Rechtsordnung zahlreiche – abgestufte – Instrumente des Vertrags- und Deliktsrechts bereit, die nicht nur das Interesse des Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben bzw. nutzen zu müssen, sondern zudem einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bieten, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. So ist ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung gemäß § 826 BGB (in Verbindung mit § 31 BGB bzw. § 831 BGB) gegen den Hersteller eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motors zwar von strengen Voraussetzungen abhängig; diese wurden allerdings bereits in vielen tausenden Fällen mit der Folge einer Haftung des Motorenherstellers bejaht. Überdies stehen dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs in aller Regel – verschuldensunabhängig – vertragliche Ansprüche zu, die insbesondere auf Nacherfüllung gerichtet sind und gegebenenfalls – falls es sich bei dem Verkäufer des Fahrzeugs nicht um den Motorenhersteller handeln sollte – zu Regressansprüchen gegen den Hersteller des Motors führen. Schließlich sind auch die nach deutschem Recht vorgesehenen Strafen und Bußgelder (unter anderem § 37 Abs. 1 EG-FGV) und die hoheitlichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden (vgl. § 25 EG-FGV) zu berücksichtigen. Die in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 58) wiedergegebene Auffassung des vorlegenden Gerichts, Hersteller hätten „nach derzeitigem Rechtsstand keine Inanspruchnahme zu befürchten“, trifft nach alldem erkennbar nicht zu.
Das auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Voraussetzungen basierende bestehende System zeichnet sich dadurch aus, dass die den Hersteller treffenden Sanktionen und die dem Erwerber zustehenden Ansprüche erheblich davon abhängen, welcher Verschuldensvorwurf dem Hersteller zu machen ist. So ist beispielsweise ein Hersteller, der im Sinne von § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, nicht nur inhaltlich, sondern – aufgrund differenzierter Verjährungsvorschriften – auch zeitlich deutlich weitergehenden Rechtsfolgen ausgesetzt als ein solcher, den lediglich der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit trifft.
Dieses abgestufte und interessengerechte System würde im Ergebnis zerstört, wenn die §§ 6, 27 EG-FGV in der Weise als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ausgelegt würden, dass beispielsweise schon ein auf leichter Fahrlässigkeit beruhender Verstoß gegen sich aus der VO (EG) Nr. 715/2007 ergebende Verpflichtungen einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten deliktischen Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugerwerbers zur Folge hätte, der noch viele Jahre nach Herstellung des Motors geltend gemacht werden könnte. Eine derartig weitgehende, den Grad des Verschuldens nicht ausreichend berücksichtigende Haftung von Motorenherstellern würde einen durch nichts gerechtfertigten Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung darstellen, der den – unter anderem in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerten – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Grundsätze des Vertrauensschutzes verletzen und in Hinblick auf Regelungen des Kaufrechts und die Haftung für sonstige Konstruktionsfehler Wertungswidersprüche mit sich bringen würde. So ergäben sich auch für weit zurückliegende Produktionszeiträume erhebliche Haftungsrisiken, mit denen Fahrzeug- und Motorenhersteller bislang nicht rechnen mussten und für die sie keine Rückstellungen bilden konnten.
Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb unzulässige Abschalteinrichtungen anders als alle anderen Konstruktionsfehler von Fahrzeugen behandelt werden sollten (z. B. vorzeitig alternde Bremsschläuche), die im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht auffallen, die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge aber gleichwohl gefährden, so dass der weitere Betrieb des Fahrzeugs untersagt werden müsste, falls sich der Erwerber der Nachrüstung widersetzt.
Schließlich ist auch kein Grund erkennbar, weshalb ein Fahrzeughersteller gegenüber einem Erwerber, mit dem er keinen Vertrag geschlossen hat, bereits bei leichter Fahrlässigkeit umfassender haften müsste als nach den Regelungen des Kaufrechts, das einerseits die Möglichkeit der Nacherfüllung und andererseits eine kenntnisunabhängige zweijährige Verjährung von Mängelansprüchen ab Ablieferung vorsieht (§ 438 BGB), während Ansprüche aufgrund Schutzgesetzverletzungen gegebenenfalls erst in zehn Jahren von ihrer Entstehung an verjähren (vgl. § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
Solche Wertungswidersprüche und die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der Grundsätze des Vertrauensschutzes werden mit der RL 2007/46/EG nicht angestrebt und sind zu ihrer Umsetzung nicht erforderlich. Das gilt auch dann, wenn man – entsprechend den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 50 und Rn. 78 Nr. 1) – unterstellt, die Richtlinie diene (auch) dem Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich – und auch aufgrund der weiteren Ausführungen des Generalanwalts in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 nicht anzunehmen -, dass die Richtlinie bezogen auf das genannte Interesse des Fahrzeugerwerbers ein bestimmtes Rechtsschutzniveau vorgäbe, das in Deutschland unterschritten wäre, falls die §§ 6 und 27 EG-FGV nicht als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB angesehen würden. Soweit der Generalanwalt in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 (dort Rn. 65 und Rn. 78 Nr. 2) die Ansicht vertritt, die Mitgliedstaaten müssten vorsehen, dass „ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 12 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist“, kann damit sinnvollerweise nicht gemeint sein, ein solcher Ersatzanspruch müsse unabhängig von weiteren Voraussetzungen eingeräumt werden. Vielmehr ergibt sich Gegenteiliges schon aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, und wird auch in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 dadurch angedeutet, dass dort (Rn. 59) die Auffassung des vorlegenden Gerichts wiedergegeben wird, „auch fahrlässige Verstöße“ sollten einen Anspruch begründen. Denn das legt nahe, dass Ansprüche von einem Verschulden des Herstellers abhängig gemacht werden dürfen. Soweit in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 58 und 59) zum Ausdruck kommt, die dem Erwerber eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung derzeit nach deutschem Recht zustehenden Ansprüche seien unzureichend, handelt es sich nicht um eine eigene Bewertung des Generalanwalts, sondern um eine Wiedergabe der „Auffassung des vorlegenden Gerichts“, die ihrerseits auf falschen Annahmen beruht (vgl. dazu oben).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO. Dabei war § 713 ZPO im Hinblick auf § 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu berücksichtigen. (zur Beschwer: BGH, Beschluss vom 18.09.2018 ‒ VI ZB 26/17 ‒, juris Rn. 7).
Die Vollstreckbarkeit dieses Zurückweisungsbeschlusses ergibt sich unmittelbar aus § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und bedarf keines besonderen Ausspruchs (Ulrici in: BeckOK, ZPO, 44. Edition, § 708 Rn. 24.3; Götz in: Münchener Kommentar, ZPO, 6. Aufl., § 708 Rn. 18).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Im Fall der einseitig erklärten Teilerledigung richtet sich (auch) der Streitwert des erledigten Teils (hier: 396,40 €) für die Rechtsmittelinstanz regelmäßig nach den in den Vorinstanzen für den erledigten Teil entstandenen Kosten (BGH, Beschluss vom 09.05.1996 ‒ VII ZR 143/19 ‒, juris 5).