Europarecht

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Aktenzeichen  32 O 2201/18

Datum:
5.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55974
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 41.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist insgesamt unbegründet.
A. Die Klägerin hat keinen gegen die Beklagte gerichteten Anspruch aus §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.
I. Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt voraus, dass zur vollen Überzeugung des Gerichts der Nachweis i. S. v. § 286 ZPO erbracht wird, ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB habe den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB in seiner Person verwirklicht.
II. Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einem substantiierten Vortrag der Klägerin zu einer bestimmten sittenwidrigen Handlung eines bestimmten verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten, die zu einem Schaden geführt hat.
1. Objektiv sittenwidriges Handeln i. S. v. § 826 BGB liegt vor, wenn eine Handlung nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d. h. mit grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren ist (BGH, NJW-RR 2013, 550). Bloße Verstöße gegen Vertragspflichten oder gesetzliche Bestimmungen, Unbilligkeit oder Verursachung von Schäden genügen für sich genommen noch nicht (Wagner in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 BGB Rn. 9). Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hervortreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der offenbar gewordenen Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2004, 2264 (2268); BGH, NJW 2012, 1800; BHG, NJW 2014, 1098). Ein Unterlassen vermag den Tatbestand nur auszufüllen, wenn die geforderte Handlung über allgemeine Rechts- oder Vertragspflichten hinaus einem sittlichen Gebot entspricht (BGH, NJW 2014, 1098).
In subjektiver Hinsicht ist zur Bejahung des Tatbestandsmerkmals der Sittenwidrigkeit erforderlich, dass der Schädiger diejenigen Tatumstände kennt, die die objektive Sittenwidrigkeit begründen (BGH, NJW 2004, 3706, (3710); BGH, NJW 2017, 250). Dem steht es gleich, wer sich der Kenntnis der haftungsbegründenden Umstände bewusst verschließt.
Dieses Verhalten muss beim Anspruchssteller in zurechenbarer Weise zu einem Schaden, d. h. einem vermögensmäßigen Nachteil geführt haben.
Des Weiteren muss auf Seiten des Anspruchsgegners Schädigungsvorsatz vorliegen. Dieser muss sich auf die schadensverursachende Handlung bzw. Unterlassung und deren Folgen beziehen (Wagner in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 BGB Rn. 25). Er setzt voraus, dass der Schädiger spätestens im Zeitpunkt des Schadenseintritts die Verwirklichung des Schadens vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen hat (BGH, NJW-RR 2013, 550; BGH, NJW 2017, 250).
Die Darlegungs- und Beweislast für die schädigende Handlung, den Schadenseintritt einschließlich Zurechnungszusammenhang, die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände und den Schädigungsvorsatz trägt der Geschädigte. Allerdings werden dem Geschädigten in Bezug auf den Nachweis des Schadensvorsatzes gewisse Erleichterungen dahingehend zugestanden, dass die objektiven Umstände den Rückschluss auf das vorhandene subjektive Element beim Schädiger zulassen. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Ausmaß, in dem die schädigende Handlung offensichtlich zur Schadensverursachung geeignet ist bzw. in dem gegen Sorgfaltsanforderungen verstoßen wurde (Spindler in: Beck`scher Onlinegroßkommentar, Stand: 01.10.2019, § 826 BGB Rn. 14f.; Wagner in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 BGB Rn. 51).
2. Im Falle der hier im Raume stehenden Unternehmensverantwortlichkeit ist im Rahmen des § 826 BGB zudem konkret festzustellen, welche natürliche Person, deren Handeln der Beklagten im Rahmen des § 31 BGB zuzurechnen ist, sittenwidrig gehandelt hat. Erforderlich ist daher die Tatbestandsverwirklichung durch ein Organ der Gesellschaft bzw. eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters. Unter (anderen) „verfassungsmäßig berufenen Vertretern“ werden nach ganz h.M. die sog. Repräsentanten verstanden. Das sind alle Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, dass sie also die juristische Person auf diese Weise repräsentieren. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall anhand der konkreten Stellung und Funktion der jeweiligen Person zu entscheiden. Hier ist klägerseits zunächst darzulegen, welches Organmitglied oder welcher Repräsentant den objektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat.
3. Dazu ist jedoch nicht substantiiert vorgetragen worden. Offen bleibt, wer zu welchem Zeitpunkt was genau gewusst haben und was diese Person getan bzw. unterlassen haben soll.
Die Klagepartei beschränkt sich zunächst darauf, zu behaupten, dass die maßgeblichen Handlungen durch die Beklagte begangen seien, wobei allein die Beklagte die eigenen inneren Abläufe und Strukturen kenne und in der Lage sei, diejenigen Personen zu benennen, die für den Einbau der Abschaltvorrichtung verantwortlich sind oder warum diese dem Vorstand unbekannt geblieben sein sollen. Im Übrigen wird im Rahmen keiner der vorstehenden Behauptungen ein konkretes nach Zeit, Ort und Ablauf individualisiertes und mit einer bestimmten Person in Zusammenhang zu bringendes Geschehen geschildert, das der Beweisführung zugänglich wäre.
Ein entsprechender Hinweis i. S. v. § 139 ZPO durch das Gericht selbst war nicht veranlasst, da die Beklagte wiederholt und ausführlich im Rahmen ihrer Schriftsätze auf die unzureichende Bezeichnung bestimmter Personen und Handlungen aufmerksam gemacht hat.
4. Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf die Grundsätze der sekundären Darlegungslast berufen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass sich die Klägerin in einer Darlegungs- und Beweisnot befindet, da ihr die innerbetrieblichen Vorgänge der Beklagten und die subjektiven Vorstellungen von Mitarbeitern der Beklagten aus eigener Wahrnehmung nicht bekannt sein können.
Diese Beweisnot allein kann aber nicht zu Beweiserleichterungen oder zu einer sekundären Darlegungslast der Beklagten dergestalt führen, dass diese – wie die Klägerin es meint – verpflichtet ist, sämtliche betriebsinternen Vorgänge offen zu legen, um so dem klägerischen Anspruch zum Erfolg zu verhelfen.
Das Ausmaß der sekundären Darlegungspflicht der Beklagten ist vom gegnerischen Vortrag abhängig (BGH NJW-RR 1998, 712 (713)). Die Beklagte ist gehalten, auf konkrete Tatsachenbehauptungen zu erwidern (BGH NJW 2005, 2710), keineswegs ist sie gezwungen, einen pauschalen Vorwurf des betrügerischen bzw. sittenwidrigen Verhaltens durch detaillierte Darlegung innerbetrieblicher Abläufe zu entkräften, denn „der Umfang der jeweils erforderlichen Substantiierung des Sachvortrags bestimmt sich aus dem Wechsel von Vortrag und Gegenvortrag, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweisbelasteten Partei ist“ (BGH NJW 1999, 1859). Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte bei der von der Klägerin geforderten sekundären Darlegungslast verpflichtet wäre, zunächst die Unkenntnis der Vorstandsmitglieder/ Repräsentanten von dem Einsatz der Software und hierauf aufbauend einen mangelnden Vorsatz im oben genannten Sinne, somit jeweils negative Tatsachen darzulegen. Hierzu müsste sie vortragen, warum es unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt möglich war, dass ein Vorstand oder ein Repräsentant i.S.d. § 31 BGB von der Software Kenntnis hatte und auch nicht vorsätzlich handelte. Dies käme angesichts des Umstandes, dass grundsätzlich die Klägerin für die haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale darlegungspflichtig ist, zu einer nicht gerechtfertigten völligen Umkehr der Darlegungslast. Die von Klägerin geforderte sekundäre Darlegungslast ist damit für die Beklagte unzumutbar (a. A. Ring,SVR 2019, 330 (333)).
Etwas anderes gilt auch nicht im Lichte der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die insoweit bislang vorliegenden Urteile treffen allein eine Aussage zum Eingreifen der sekundären Darlegungslast hinsichtlich des Kenntnisstandes der Vorstandsmitglieder der Volkswagen AG – nicht aber in Bezug auf die hier Beklagte.
III. Unabhängig davon, dass es an substantiiertem Vortrag zu einer bestimmten Verletzungshandlung eines individualisierten Organs der Beklagten fehlt, müsste auch dargetan werden, dass dieses Organ die für den Schädigungsvorsatz nötige Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände und deren Folgen hatte.
Gelingt dies nicht, kommt im Rahmen des § 31 BGB darüber hinaus die Zurechnung deliktischen Verhaltens anderer Angehöriger der juristischen Person nicht in Betracht. Eine Ausweitung der Haftung auf Verfehlungen sämtlicher Mitglieder einer Körperschaft würde die Gesetzessystematik der Haftungsvoraussetzungen des § 823 BGB i.V.m. 31 BGB in Abgrenzung zur Haftung einer juristischen Person für Verfehlungen von Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB unterlaufen. Im Falle eines Informationsdefizits der Organe kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs daher keine mosaikartige Zusammenfügung aller konzerninternen Kenntnisse sonstiger Mitarbeiter nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung erfolgen (ebenso Riehm, DAR 2019, 247 (249); Ring,SVR 2019, 330 (332)). Der Bundesgerichtshof (BGH, NJW 2017, 250) führt hierzu aus:
„Die zumindest billigende Inkaufnahme der Schädigung eines anderen setzt damit korrespondierende Kenntnisse derselben natürlichen Person voraus und kann deshalb nicht losgelöst von diesen beurteilt werden. So mag es durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen. Sind aber die maßgeblichen Kenntnisse auf mehrere Personen innerhalb einer juristischen Person verteilt und ist nicht festgestellt, wer über welche Kenntnisse verfügt, so kommt die Unterstellung einer der juristischen Person bzw. ihrem Organ zuzurechnenden billigenden Inkaufnahme der Schädigung ohne diesbezügliche Feststellungen einer Fiktion gleich. Hier gibt es keine Lebenserfahrung, wonach von der Kenntnis auf die Billigung geschlossen werden könnten Im Ergebnis müsste regelmäßig in Fällen, in denen sich das kognitive Element des Vorsatzes nur durch Zusammenrechnung der „im Hause“ der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse herstellen lässt, in tatsächlicher Hinsicht auf die positive Feststellung des Wollenselements verzichtet werden. Auch dies würde der Vorschrift des § 826 BGB nicht gerecht.“
Anders ausgedrückt: In der Person eines konkreten Organvertreters müssen sich sämtliche für § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente vereinen.
Diesem Vortragserfordernis ist die Klagepartei nicht nachgekommen. Insofern kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Auch insoweit wurden keine substantiierten Behauptungen aufgestellt, sondern lediglich völlig pauschal vorgetragen.
B. Auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB scheitert daran, dass die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht substantiiert vorgetragen hat, welches Organmitglied oder welcher Repräsentant der Beklagten wann und auf welcher Grundlage was gewusst haben und welches Organmitglied oder welcher Repräsentant der Beklagten mit welchem täuschenden Handeln die Kaufentscheidung der Klägerin im April 2010 beeinflusst haben soll.
Eine deliktische Haftung einer juristischen Person setzt voraus, dass die objektive und subjektive Erfüllung des Schutzgesetzes (hier § 263 StGB) einer natürlichen Person nachgewiesen ist und das Verhalten dieser Person der Beklagten nach den Grundsätzen des § 31 BGB zugerechnet werden kann. Insoweit gilt ebenfalls der Verweis auf die vorstehenden Ausführungen.
C. Aus denselben Gründen scheiden auch sonstige deliktische Schadensersatzansprüche aus.
D. Die geltend gemachten Nebenansprüche teilen das Schicksal der Hauptforderung.
E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
F. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1und S. 2 ZPO.


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