Europarecht

straßenverkehrsrechtliche Anordnung, absolutes Haltverbot auf einem Wendehammer, Ermessensausübung, Verhältnismäßigkeit

Aktenzeichen  11 ZB 21.1583

Datum:
23.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4430
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
StVO § 45 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 5, Abs. 9 S. 1
StVO §  283 Anlage 2 zu § 41 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 6 K 19.1594 2021-03-24 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung eines absoluten Haltverbots auf einem Wendehammer.
Der Wendehammer, an den das Anwesen der Kläger grenzt, befindet sich am Ende einer ca. 180 m langen und einschließlich der beidseitigen Gehsteige ca. 8,5 m breiten O. straße, die als Sackgasse ausgewiesen ist. Seine Tiefe beträgt 16,20 m, die Breite 17,10 m.
Nach verkehrspolizeilicher Zustimmung mit Schreiben vom 27. September 2019 ordnete der Beklagte, eine Marktgemeinde, mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom 1. Oktober 2019 ein absolutes Haltverbot durch Verkehrszeichen 283 mit dem Zusatzzeichen „2023“ „auf der gesamten Wendeplatte“ am Ende der Sackgasse „B. straße“ an, um die dort befindlichen Endhydranten freizuhalten und die Löschsicherheit im Brandfall zu gewährleisten. Für das ungehinderte Wenden von Rettungs- und Versorgungsfahrzeugen sei ein Durchmesser des Wendehammers von ca. 20 m erforderlich. Die Verhüllung des bereits vor längerer Zeit aufgestellten Verkehrszeichens 283 wurde am 25. Oktober 2019 entfernt.
Am 5. Dezember 2019 ließen die Kläger Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben mit der Begründung, es fehle ein Grund für die Anordnung des absoluten Haltverbots im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 StVO. Einen am 4. November 2019 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. November 2019 ab.
Mit Urteil vom 24. März 2021 wies es die Klage als unbegründet ab. Aus den in der Behördenakte dokumentierten Umständen, den Erwägungen, die der Beklagte während des Verfahrens ergänzt habe, und den Stellungnahmen des Landratsamts Main-Spessart und des Kreisbrandmeisters ergebe sich, dass die Anordnung eines absoluten Haltverbots auf dem gesamten Wendehammer der B. straße aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs sowie zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit aufgrund besonderer Umstände zwingend erforderlich sei. Die Annahme einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs setze nach obergerichtlicher Rechtsprechung voraus, dass die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder auf einer bestimmten Straßenstrecke die Befürchtung nahelege, es könnten – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtige Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten. Bei der Auslegung des § 45 Abs. 1 StVO sei die Funktion des Wendehammers zu berücksichtigen. Von einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Satzes 1 könne in einem am Ende einer Sackgasse angelegten Wendehammer regelmäßig schon dann ausgegangen werden, wenn zu befürchten sei, dass sich dort parkende oder haltende Fahrzeuge für den fließenden Verkehr als stehende Hindernisse erwiesen, die das Wenden erschwerten. Ob und inwieweit die Verkehrsfunktion eines Wendehammers unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zur Gewährleistung des flüssigen und gefahrlosen Wendens eine örtliche Beschränkung des ruhenden Verkehrs erfordere, sei letztlich eine Frage der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch die Straßenverkehrsbehörde. Hiervon ausgehend diene das absolute Haltverbot auf dem gesamten Wendehammer der B. straße der Abwehr konkreter Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs. Der Wendehammer sei im Zuge der Erschließung des Wohngebiets erkennbar dazu angelegt worden, um Fahrzeugen, insbesondere auch größeren Einsatz-, Ver- und Entsorgungsfahrzeugen, nach Durchfahren einer ca. 180 m langen Sackgasse das möglichst flüssige und gefahrlose Wenden zu ermöglichen. Es sei zu befürchten, dass sich dort parkende und haltende Kraftfahrzeuge als stehende Hindernisse und damit als Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs erwiesen, da sie Fahrzeuge des fließenden Verkehrs zum ein- oder mehrmaligen Rangieren zwängen und so das Wenden erschwerten. Auch wenn Personenkraftwagen möglicherweise in einem Zug wenden könnten, gelte dies nicht mehr uneingeschränkt, wenn auf der dem Anwesen der Kläger gegenüberliegenden, bislang unbebauten Straßenseite gehalten oder geparkt werde. Dies sei bereits vorgekommen und aufgrund der belegten angespannten Parksituation in der B. straße auch künftig häufiger zu befürchten. Sei die Fläche am Rand des Wendehammers beidseitig mit Personenkraftwagen belegt, bleibe mittig für das Wenden eines Fahrzeugs nur noch ein verfügbarer Raum von 11,10 m Breite sowie jeweils 0,5 m Sicherheitsabstand. Ob ein Wenden möglich sei, orientiere sich an der Fähigkeit eines durchschnittlichen Fahrers. Daher sei zu berücksichtigen, dass nicht jedes Wendemanöver optimal ausgeführt werde. Das Wenden in einem Zug dürfte in der Praxis meist mehr Platz erfordern als den vom Hersteller angegebenen minimalen Wendekreisdurchmesser. Die verbleibende Breite von 11,10 m genüge schon bei gängigen Mittelklassewägen nicht mehr für ein Wenden ohne Rangiermanöver. Der streitgegenständliche Wendehammer weise nicht die nach der Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (Rast 06) erforderliche Breite für ein Wenden ohne Rückwärtsfahren der beim Beklagten eingesetzten dreiachsigen Müllfahrzeuge auf. Parkende oder haltende Kraftfahrzeuge stellten zudem für in die B. straße einfahrende größere Einsatz-, Ver- und Entsorgungsfahrzeuge eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs dar. Auch die beim Beklagten eingesetzten Feuerwehrfahrzeuge hätten einen ähnlichen Raumbedarf wie die Müllfahrzeuge und benötigten einen Wendekreisdurchmesser von 18,50 m. In dem kleineren Wendehammer haltende oder parkende Fahrzeugen stellten eine zusätzliche Behinderung dar und wirkten sich dementsprechend gefahrerhöhend aus. Ein Müllwagenfahrer habe sich bereits beschwert. Solche Beeinträchtigungen würden mit Gewissheit auch zukünftig auftreten. Auch die Kläger hätten angeführt, dass größere Fahrzeuge und Lkw unabhängig von parkenden oder haltenden Fahrzeugen aufgrund der örtlichen Verhältnisse zum Wenden stets einmal rückwärtsfahren müssten. Im Übrigen sei die ca. 180 m lange B. straße recht schmal und oftmals zugeparkt, weshalb ein Begegnungsverkehr nur eingeschränkt möglich sein dürfte. Demnach sei zu erwarten, dass zumindest gelegentlich Fahrzeuge nach dem Wenden am Ausgang des Wendehammers kurz warten müssten bis entgegenkommende Fahrzeuge die schmale Straße verlassen hätten und ihrerseits in den Wendehammer eingefahren seien. Dies rufe zusätzlichen Platzbedarf hervor und spreche ebenfalls für ein Verbot des Haltens und Parkens „auf der gesamten Wendeplatte“. Die Anordnung des absoluten Haltverbots diene zudem der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO. Die Vorschrift rechtfertige Verkehrsbeschränkungen, die nicht dem Verkehr selbst, sondern anderen Rechtsgütern und rechtlich geschützten Interessen zugutekämen. Hierzu zähle der Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit und des Eigentums von Anwohnern, Anliegern oder sonstigen Verkehrsbeeinträchtigten. Soweit der Beklagte in der streitgegenständlichen Anordnung auch auf die Freihaltung des im Wendehammer befindlichen Endhydranten und die Gewährleistung der Löschsicherheit im Brandfall verweise, diene dies fraglos der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit. Nach der Stellungnahme des Kreisbrandmeisters vom 25. November 2020 müssten Zufahrten zu Schutzobjekten für Feuerwehrfahrzeuge mit einer Achslast von 10 t sichergestellt sein. Am Ende von Stichstraßen mit einer Länge von mehr als 50 m sei ein geeigneter Wendeplatz anzulegen. Der erforderliche Wendekreisdurchmesser von 18,50 m sei in der B. straße nicht gegeben. Im Brandfall könnten – insbesondere mehrere – Lösch- und Rettungsfahrzeuge durch auf dem Wendehammer haltende oder parkende Fahrzeuge zusätzlich behindert werden. Es stelle eine ganz erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der Anwohner und Besucher der B. straße als auch für das Eigentum der Anlieger dar, wenn Lösch- und Rettungsfahrzeuge gezwungen wären, ggf. mit Zeitverzögerung rückwärts aus der B. straße herauszufahren, oder der Platz zum Abstellen der Einsatzfahrzeuge und sonstigem Gerät fehle. Auch müsse der Endhydrant, der sich kurz hinter der Einfahrt in den Wendehammer mittig im Boden befinde und an den im Brandfall mittels Standrohr und Schläuchen angeschlossen werde, frei bleiben und umfahren werden können. In diesem Zusammenhang spiele es keine Rolle, ob eine im Wendehammer erfolgte Übung der Feuerwehr im Jahr 2019 nicht beeinträchtigt gewesen sei. Es sei schon nicht ersichtlich, in welchem konkreten Umfang (Anzahl der Fahrzeuge, Drehleiter, Notfallwagen etc.) und mit welchem Ziel diese Übung abgelaufen sei. Ferner habe sie nach dem Vortrag der Kläger lediglich bei zwei parkenden Autos stattgefunden und somit nicht im ungünstigsten Fall, dass der Wendehammer rundherum mit Personenkraftwagen belegt gewesen sei. Mit Blick auf die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter und das Ausmaß möglicher Schäden im Falle eines Brand- und Rettungsfalls dürften die Anforderungen an den Maßstab der konkreten Gefahr nicht zu hoch angesetzt werden. Da die ca. 180 m lange Sackstraße ein recht dicht und nahezu vollständig mit Ein- und Mehrfamilienhäusern bebautes Wohngebiet erschließe, sei dort mit einem größeren Einsatz jederzeit zu rechnen. Die Anordnung eines absoluten Haltverbots sei wegen der dargelegten örtlichen Verhältnisse auch zwingend erforderlich im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO. Eine Vorschrift, die das Halten und Parken auf einem Wendehammer ausdrücklich und generell untersage, finde sich in der StVO nicht, insbesondere nicht in § 12 StVO. Es frage sich schon, ob begrifflich eine „Straßenstelle“ im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO vorliege. Als noch geringer und unzureichend für das notwendige Freihalten des Wendehammers erweise sich der verhaltenslenkende Impetus des allgemeinen Vorsicht- und Rücksichtnahmegebots aus § 1 StVO, was sich auch in den Parkgewohnheiten der Kläger und weiterer Anlieger der B. straße zeige. Auch die speziellen Vorgaben für die Anbringung des Zusatzzeichens gemäß § 39 Abs. 3, § 41 Abs. 2 Satz 4 StVO seien erfüllt. Es sei in Form eines „Hinweises durch verbale Angabe“ (Zeichen 1012 gemäß Teil 7 des als Anlage zur VwV-StVO erlassenen Katalogs der Verkehrszeichen) angeordnet worden. Die Bezeichnung als Zusatzzeichen 2023 sei unbeachtlich, weil weder die StVO noch die VwV-StVO die in Betracht kommenden Zusatzzeichen abschließend aufführten. Maßgeblich sei allein, dass hier die materiellen Vorgaben für ein Zusatzschild gewahrt seien. Es liege keine nach teilweiser Rechtsprechung unzulässige Geltungserweiterung des absoluten Haltverbots durch Zusatzzeichen auf die andere Straßenseite vor, da es in einem Wendehammer keine zwei gegenüberliegenden Fahrbahnen in diesem Sinne gebe. Ausweislich der vorgelegten Lichtbilder sei am hinteren Ende des Wendehammers unter dem Zeichen 283 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO ein Schild mit schwarzer Aufschrift „auf der gesamten Wendeplatte“ auf weißem Grund und mit schwarzer Umrandung angebracht worden. Der Bezug zum Haltverbotszeichen sei klar und eindeutig. Die Ermessensausübung des Beklagten lasse keine Fehler erkennen. Er habe es, wenn auch knapp, in der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 1. Oktober 2019 betätigt. Ferner gebe die an die Polizei versandte E-Mail vom 26. September 2019 Hinweise auf die zugrundeliegenden Erwägungen des Beklagten, namentlich die Sicherung einer ungehinderten Wendemöglichkeit für Einsatzfahrzeuge, die Gewährleistung der Leichtigkeit des Verkehrs und die dauerhafte Freihaltung des Endhydranten. Die Ermessenserwägungen seien ferner gemäß § 114 Satz 2 VwGO dahingehend ergänzt worden, dass bei Berücksichtigung der Anliegerinteressen an einer nahegelegenen Abstellmöglichkeit der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im allgemeinen und der der Einsatz-, Ver- und Entsorgungsfahrzeuge im besonderen Vorrang zukomme. Der Beklagte habe auch berücksichtigt, dass die Kläger ihre Fahrzeuge ggf. auf dem gerade verlaufenden Teil der B. straße abstellen könnten. Es werde deutlich, dass er sich bei der Anordnung des absoluten Haltverbots am Zweck des § 45 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 5 StVO (Art. 40 BayVwVfG) orientiert und dabei der Gefahrenabwehr ein hohes Gewicht eingeräumt habe. Insbesondere wenn auch eine Gefahr für die Lösch- und Rettungssicherheit durch haltende oder parkende Fahrzeuge eine örtliche Beschränkung des ruhenden Verkehrs bedinge, werde sich die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Maßnahme nahezu ausschließlich an der Erforderlichkeit für die Gefahrenabwehr zu orientieren haben. Es begegne keinen rechtlichen Bedenken, dass der Beklagte demgegenüber das allgemeine Interesse der Verkehrsteilnehmer habe zurücktreten lasse, im Wendehammer zu halten oder zu parken. Der Anliegergebrauch, der keinen Anspruch auf den weiteren Bestand von Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen unmittelbar vor dem Grundstück vermittle, sei kein zugunsten der Kläger zu berücksichtigender relevanter Gesichtspunkt. Die insoweit geschützte Gewährleistung der Zugänglichkeit des Grundstücks beinhalte weder eine Bestandsgarantie hinsichtlich der Ausgestaltung und des Umfangs der Grundstücksverbindung mit der Straße noch die Gewährleistung von Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs. Dass die B. straße Anwohnern und Besuchern inzwischen nicht mehr als ausreichend empfundene Parkmöglichkeiten biete, spreche nicht zwingend gegen, sondern eher für die verkehrsrechtliche Anordnung. Denn dies lasse befürchten, dass Parkplatzsuchende ohne Haltverbot auf die Fläche des Wendehammers zurückgreifen würden. Auch die behördliche Auswahl der konkreten Maßnahme, die Anordnung eines zeitlich unbeschränkten absoluten Haltverbots auf dem gesamten Wendehammer, sei ermessensfehlerfrei und verstoße insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es sei nachvollziehbar, vom Zweck der Ermächtigung gedeckt und deshalb von Seiten des Gerichts auch nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte es als Ausdruck eines hohen Schutzniveaus für erforderlich halte, den Wendehammer insgesamt und ständig von nicht nur parkenden, sondern auch von haltenden Fahrzeugen freizuhalten. Eine zeitliche oder personenbezogene Einschränkung gebiete auch der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht. Versorgungsfahrzeuge könnten auf der B. straße an unterschiedlichen Tagen zu unterschiedlichen Zeiten verkehren. Ein eingeschränktes Halteverbot wäre zwar ein milderes, nicht aber ein gleich wirksames Mittel. Insbesondere wenn mehrere Fahrzeuge zum Ein- oder Aussteigen auf dem Wendeplatz hielten, könne es dazu kommen, dass dieser – etwa zusätzlich durch zeitversetztes Ankommen und Abfahren der Fahrzeuge – längere Zeit belegt sei. Da mit einem Lösch- und Rettungseinsatz jederzeit und nicht nur zu bestimmten Zeiten zu rechnen sei, sei die zeitlich unbeschränkte Anordnung gerechtfertigt.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, machen die Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine Ermessensausübung des Beklagten bejaht. Dieser habe sich zu keinem Zeitpunkt mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, das Verbotsschild nicht anzubringen. Faktisch liege ein Ermessensnichtgebrauch vor, der zur Aufhebung der Allgemeinverfügung hätte führen müssen. In der verkehrsrechtlichen Anordnung habe der Beklagte als Begründung allein die Löschsicherheit und das Wenden von Rettungs- und Versorgungsfahrzeugen im Brandfall angeführt, aber keine Abwägung mit den qualifizierten Anwohnerbelangen vorgenommen. Dies ergebe sich auch aus der E-Mail an die Polizei vom 26. September 2019. Erstmals in der Klageerwiderung habe der Beklagte Anliegerinteressen genannt, jedoch ohne sich bei Erlass der Anordnung tatsächlich mit diesen auseinandergesetzt zu haben. Selbst wenn das Ermessen hinreichend ausgeübt worden wäre, sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt, da es durchaus mildere Mittel zur Vermeidung der konkreten Gefährdungssituation durch Zuparken des Wendehammers gegeben hätte. Das Verwaltungsgericht habe die von den Klägern angeführten milderen, aber gleich wirksamen Maßnahmen – wie ein eingeschränktes Haltverbot im Wendebereich mit Ausnahme für die Anlieger der Häuser Nr. 18 und 20 bzw. auf der gegenüberliegenden unbebauten Straßenseite bzw. nur für Dienstag von 8:00 bis 12:00 Uhr – unberücksichtigt gelassen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Diese sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 = juris Rn 32 jeweils m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548 = juris Rn. 19).
Das Verwaltungsgericht ist entgegen der Ansicht der Kläger zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte das ihm bei der Anordnung des absoluten Haltverbots nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 (BGBl I S. 367, StVO), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), i.V.m. Zeichen 283 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat und die straßenverkehrsrechtliche Anordnung nicht unverhältnismäßig ist.
Dass ihre tatbestandlichen Voraussetzungen, insbesondere Gründe im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 5 StVO sowie die zwingende Erforderlichkeit der Anordnung im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 und § 39 Abs. 1 StVO, nicht vorliegen, haben die Kläger schon nicht geltend gemacht. Ungeachtet dessen, ob dies allein ausreichen würde, ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die gerichtlichen Annahmen, die Funktion des flächenmäßig hinter den straßenbaulichen Anforderungen der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06, mit OBBS IID2-43411-001/06 vom 11.2.2009 zur Anwendung empfohlen) zurückbleibenden Wendehammers werde durch dort haltende und parkende Fahrzeuge sowohl für Einsatz-, Ent- und Versorgungsfahrzeuge als auch für andere Personenkraftwagen beeinträchtigt, was zu Gefahren für die in § 45 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 5 StVO bezeichneten Rechtsgüter führe, offensichtlich falsch wären (vgl. dazu Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 83; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 124a Rn. 100; Stuhlfauth in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 124a Rn. 79). Die Größe der Wendefläche, die bereits vorliegende Beschwerde eines Müllwagenfahrers, die Anforderungen der Feuerwehr für einen Rettungseinsatz, die Besiedlung an der 180 m langen Stichstraße sowie die angespannte Parksituation und die Parkgewohnheiten der Anwohner lassen dies vielmehr konkret befürchten.
Ein Ermessensausfall liegt entgegen der Ansicht der Kläger nicht vor. Die Erwägungen, die den Beklagten zur Anordnung des Haltverbots veranlasst haben, sind hinreichend dokumentiert. Wie das Verwaltungsgericht richtig ausgeführt hat, sind der Anordnung vom 1. Oktober 2019 und dem Schreiben an die örtlich zuständige Polizeiinspektion vom 26. September 2019 die Gründe für das Tätigwerden zu entnehmen. Somit konnte das erkennbar ausgeübte Ermessen im gerichtlichen Verfahren noch gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt werden.
Eine in sonstiger Weise (Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG) erlassene Allgemeinverfügung wie die Anordnung und Aufstellung eines Verkehrszeichens muss anders als ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) keine Begründung im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG enthalten, die die Gesichtspunkte erkennen lässt, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 105). Allerdings müssen die vor Erlass der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung angestellten Ermessenserwägungen zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes in irgendeiner Weise erkennbar sein (vgl. Friedrich in Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK Straßenverkehrsrecht, Stand 15.1.2022, § 39 Rn. 48, 56; Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 143a wonach Behörden unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet sein können, eine zu überprüfende Maßnahme zu begründen und ihr Vorgehen zu dokumentieren) und zumindest nachvollziehbar dargelegt werden. Dies war hier der Fall.
Mit der Klageerwiderung vom 20. Februar 2020 hat der Beklagte im Sinne von § 114 Satz 2 VwGO ergänzend vorgetragen, er habe das Interesse der Anwohner an einer nahegelegenen Abstellmöglichkeit für ihr Fahrzeug berücksichtigt, es aber für nachrangig gehalten. Dass dies zutrifft und der Beklagte die Interessen der Anwohner tatsächlich im Blick hatte, wird durch den von den Klägern im Schriftsatz vom 15. März 2021 geschilderten Ablauf der Ereignisse bestätigt, wonach Gemeindebedienstete auf Beschwerde der Anwohner hin ein bereits im Februar 2019 aufgestelltes Haltverbotsschild zunächst umgedreht und später verhüllt und dabei auch verlautbart haben, noch Überlegungen zu einer „anwohnerkonformen Lösung“ anzustellen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Kritik der Kläger, es habe keine Abwägung mit den qualifizierten Anwohnerbelangen stattgefunden, zu Recht darauf verwiesen (Urteil, S. 31), dass das Recht auf Anliegergebrauch dem Eigentümer nach obergerichtlicher Rechtsprechung keinen Anspruch darauf gibt, dass Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen und Plätzen unmittelbar bei seinem Grundstück oder in dessen Nähe eingerichtet werden oder erhalten bleiben (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2020 – 11 ZB 20.2176 – ZfSch 2021, 115 = juris Rn. 23 m.w.N.).
Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen (Urteil S. 31 ff.), auf die gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen wird, bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch nicht deshalb ernstliche Zweifel am Ergebnis der Entscheidung, weil der Beklagte wegen erheblicher Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs an der streitgegenständlichen Stelle nicht bereit ist, eine nur teilweise, d.h. zeitlich, räumlich oder personenbezogen beschränkte Funktionsbeeinträchtigung des Wendehammers hinzunehmen. Bei der gegebenen Siedlungsdichte und der Länge und Breite der Stichstraße ist nachvollziehbar, dass vor allem Einsatz-, Ver- und Entsorgungsfahrzeuge den Wendehammer jederzeit nutzen können müssen. Die von den Klägern vorgeschlagenen milderen Maßnahmen sind insofern nicht gleich wirksam. Das Abstellen eines zweiten Fahrzeugs entlang der Stichstraße vor dem Wendehammer oder die Schaffung eines weiteren Parkplatzes auf ihrem Grundstück oder dessen Anmietung an anderer Stelle erscheinen auch zumutbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.1.3, 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben