Europarecht

Teilverpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage

Aktenzeichen  W 8 K 20.201

Datum:
12.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30664
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO 113 Abs. 5, § 114 S. 2
ViehVerkV § 25 Abs. 3, § 42
VO (EU) Nr. 1307/2013 Art.26
VO (EU) Nr. 1306/2013 Art.39
RL 2008/71/EG
ZPO § 708, § 711

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) vom 10. Dezember 2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen über die gekürzten Direktzahlungen hinaus bestehenden Anspruch auf weitere Zahlungen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 5 Satz 1 VwGO). Die streitgegenständliche Kürzung ist dem Grunde und der Höhe nach gerichtlich nicht zu beanstanden.
Soweit der Kläger einen Anhörungsmangel geltend macht, kann offenbleiben, ob dem Kläger der Prüfbericht wie vom Veterinäramt M.-Sp. gegenüber dem AELF Ka. angegeben (vgl. Stellungnahme des AELF Ka. vom 24.2.2020) tatsächlich im Oktober 2019 per E-Mail zugeleitet worden ist. Denn jedenfalls ist eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Art. 45 BayVwVfG durch Nachholung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingetreten (vgl. BVerwG, U.v. 12.4.2005 – 1 C 9/04 – BVerwGE 123, 90 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 6.7.2020 – 23 S 20.383 – juris). Art. 45 BayVwVfG setzt insoweit vornehmlich einen zeitlichen Rahmen, verhält sich aber nicht zu der Art und Weise, wie die unterbliebene Verfahrenshandlung vorzunehmen ist. Dass eine unterlassene Anhörung allein im Rahmen eines behördlichen Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden kann, ist dieser Regelung nicht zu entnehmen. Der Mangel kann daher auch durch verwaltungsprozessualen Schriftwechsel der Beteiligten geheilt werden, da nicht die formelle Zugehörigkeit zu einem Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern die materielle Gleichwertigkeit der Anhörung entscheidend ist, zumal für die Anhörung in Art. 28 BayVwVfG keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Von der Behörde zu verlangen, dem Betroffenen parallel zum Gerichtsverfahren zusätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wäre reiner Formalismus und leere Förmelei. Der Sinn und Zweck der Anhörung muss aber gewahrt sein, so dass erforderlich ist, dass die Behörde das bislang noch nicht Vorgetragene zur Kenntnis nimmt, würdigt und erneut prüft, ob sie unter Berücksichtigung des Vorbringens an ihrer Verfügung festhält oder nicht, und schließlich dem Betroffenen das Ergebnis dieser Prüfung (ausdrücklich oder sinngemäß) mitteilt (BVerwG, U.v. 12.4.2005 – 1 C 9/04 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 7.10.2014 – 22 ZB 14.1062 – juris Rn. 9 f.). Der Beklagte, vertreten durch die FüAk, hat sich in der Klageerwiderung mit der vom Kläger vorgebrachten Begründung auseinandergesetzt und zum Ausdruck gebracht, dass er an der getroffenen Entscheidung weiter festhält. Dies genügt den vorstehend genannten Anforderungen an eine Heilung von Anhörungsmängeln. Soweit der Kläger vorbringt, der Prüfbericht, auf den im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen wird, liege ihm nicht vor, ist darauf hinzuweisen, dass die Akteneinsicht zur Erfüllung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausreichend ist, wenn die Tatsachen, auf die sich das rechtliche Gehör bezieht, in den Verfahrensakten enthalten sind (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 28 Rn. 16). Dem Kläger wurde vorliegend über das Gericht Akteneinsicht in die Behördenakte gewährt, in der der Prüfbericht enthalten ist (Bl. 82 der Behördenakte). Ein Anhörungsmangel liegt folglich nicht vor.
Daneben kann dahinstehen, ob der streitgegenständliche Bescheid formell rechtswidrig ist, weil es sich wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen bei den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid um einen Textblock handelt, bei dem die Auswahl „ein Verstoß“ oder „Mehrere“ nicht erfolgt sei. Denn der Beklagte hat dies jedenfalls durch sein Vorbringen im Klageverfahren nach Art. 45 Absatz 1 Nr. 2 BayVwVfG geheilt, in dem ausführlich vorgetragen wird, worauf die Entscheidung gestützt wird.
Der Beklagte hat vorliegend infolge des Fehlens eines korrekt geführten Bestandsregisters zutreffend einen Verstoß gegen die „Cross-Compliance“ Vorschriften angenommen und diesen ermessensfehlerfrei als mittleren Verstoß und in Kombination mit einem vorangegangenen Verstoß aus dem Jahr 2017 mit der Folge einer Kürzung der streitgegenständlichen Förderung um neun Prozent bewertet. Ein atypischer Fall, der eine Abweichung von dieser Regelbewertung rechtfertigen würde, liegt nicht vor.
Die Gewährung von Direktzahlungen gemäß Titel III der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 vom 17. Dezember 2013 Haushaltsdisziplin des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft gemäß Art. 26 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 i.V.m. Art. 169 der Verordnung (EU, EURATOM) Nr. 966/2012 ist an die Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen (sog. „Cross-Compliance“) geknüpft.
Dies ergibt sich aus Art. 91 und 92 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013, wonach bei Direktzahlungen gemäß der Verordnung Nr. 1307/2013 die Cross-Compliance Vorschriften gemäß Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 zu beachten sind, welche im Einzelnen in Anhang II der Verordnung aufgeführt sind und die Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) und die auf nationaler Ebene aufgestellten Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischem Zustand (GLÖZ) umfassen. Nach Art. 91 Abs. 2 Halbsatz 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 findet die Verwaltungssanktion gemäß Absatz 1 nur dann Anwendung, wenn der Verstoß das Ergebnis einer Handlung oder Unterlassung ist, die unmittelbar dem betreffenden Begünstigten anzulasten ist.
Das vom Kläger bei der Vorortkontrolle am 18. Juli 2019 vorgelegte Bestandsregister war nicht ordnungsgemäß geführt i.S.v. § 42 Abs. 2 ViehVerkV (Verordnung zum Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen), Art. 4 der RL 2008/71/EG und gegen die GAB 6 (Kennzeichnung und Registrierung von Tieren). Der Kläger hat seine Schweinehaltung zum 31. Januar 2018 aufgegeben. Nach dem bei der Vorortkontrolle vorgelegten Bestandsregister (Bl. 8 der im Verfahren W 8 K 19.1540 vorgelegten Behördenakte) beträgt die Gesamttierzahl jedoch 20. Dies zeigt, dass das Bestandsregister offensichtlich nicht aktuell geführt wurde. Dieser Verstoß war deshalb gemäß Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 mit einer Verwaltungssanktion zu sanktionieren.
Gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 ViehVerkV hat der Tierhalter über seinen Schweinebestand ein Register nach dem Muster der Anlage 12 zu führen. Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 ViehVerkV sind die Kontrollbücher und das Deckregister von denjenigen Personen, die das jeweilige Kontrollbuch oder das Deckregister zu führen haben, für die Zeit ihrer Verwendung und im Anschluss daran drei Jahre lang aufzubewahren. Dieser Aufbewahrungspflicht ist der Kläger zwar grundsätzlich nachgekommen. Das aufbewahrte Bestandsregister entspricht jedoch nicht den Anforderungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG i.V.m. § 42 Abs. 2 ViehVerkV. Zu deren Einhaltung war der Kläger jedoch trotz Aufgabe seines Schweinbestands im Jahr 2018 verpflichtet. Denn aus Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 der RL 2008/71/EG ergibt sich, dass das Register stets auf dem neuesten Stand zu halten ist, und aus Art. 4 Abs. 2 Buchst. c) der RL 2008/71/EG, dass die Register und Informationen im Betrieb verfügbar sind und der zuständigen Behörde während eines von ihr festzulegenden Mindestzeitraums, der mindestens drei Jahre betragen muss, auf Verlangen jederzeit zur Verfügung gestellt werden. Dies zeigt, dass Sinn und Zweck der Pflicht zur Führung eines Bestandsregisters bei der Schweinehaltung auch ist, dass die im Register aufzunehmenden Informationen immer aktuell und (mindestens) drei Jahre im Betrieb verfügbar sein müssen.
Auch wenn das vom Kläger entsprechend seiner oben genannten Verpflichtung aufbewahrte und bei der Vorortkontrolle vorgelegte Bestandsregister auf das Jahr 2018 datiert, ist nach den obigen Ausführungen dennoch letztlich ein (auch) im Jahr 2019 andauernder Verstoß des Klägers zu bejahen, der hier erstmalig im Jahr 2019 sanktioniert wurde. Art. 97 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 steht damit vorliegend der Verhängung der Verwaltungssanktion nicht entgegen. Die dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren „College von Beroep voor het Bedrijfsleven (Niederlande)“ – C-361/19 vorliegende Frage hinsichtlich der Kürzung einer Direktzahlung, soweit deren Feststellung ein anderes Jahr betrifft, ist hier folglich nicht entscheidungserheblich.
Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten werden die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 der RL 2008/71/EG, wonach jeder Halter, der in das in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a genannte Verzeichnis aufgenommen ist, ein Register führen muss mit Angaben über die Anzahl der in seinem Betrieb vorhandenen Tiere, nicht schon durch die HI-Tier Datenbank erfüllt. Eine dem Art. 7 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1760/2000 (Kennzeichnung und Registrierung von Rindern) entsprechende Regelung, wonach die Führung eines Registers fakultativ für die Tierhalter ist, die Zugang zu der elektronischen Datenbank (HIT) haben, fehlt in der RL 2008/71/EG. Nach § 42 Abs. 2, § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ViehVerkV kann das Bestandsregister zwar auch in elektronischer Form geführt werden. Aus § 42 Abs. 1, § 25 Abs. 1 ViehVerkV ergibt sich aber, dass das Bestandsregister nach dem Muster der Anlage 12 zur ViehVerkV zu führen ist. Die HI-Tier entspricht inhaltlich schon nicht diesem Muster (vgl. Anlage zur Klageerwiderung der FüAK vom 27.5.2020). Die erforderlichen Angaben können bei einem Abgang auch aus anderen Unterlagen hervorgehen, § 42 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 ViehVerkV, und damit wohl auch aus der HI-Tier, wobei dann in Spalte 7 auf diese Unterlagen verwiesen werden muss. Dies ist hier nicht erfolgt.
Zudem wäre bei einer elektronischen Form des Bestandsregisters bei einer Überprüfung ein aktueller Ausdruck auf Kosten des Tierhalters vorzulegen, vgl. Art. 4 Abs. 2 Buchst. c der RL 2008/71/EG. Dies ist hier – unabhängig davon, dass die HI-Tier Datenbank das Bestandregister nicht ersetzen kann – nicht erfolgt.
In dem Bestandsregister sind auch Geburten und Todesfälle zu verzeichnen. Nach Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG umfasst das Register eine stets auf dem neuesten Stand zu haltende Übersicht über die bei diesen Tieren zu verzeichnenden Bewegungen (Anzahl der Tiere bei jedem Zu- und Abgang) auf der Mindestgrundlage der Gesamtveränderungen des Bestands und unter Angabe des Ursprungs bzw. der Bestimmung der Tiere und des Zeitpunkts dieser Bestandsveränderungen. „Bewegungen“ sind damit allgemein als Zu- und Abgänge, und damit auch Geburt und Tod umfassend, definiert und nicht nur als An- und Verkäufe. Dies ergibt sich denknotwendig auch aus der Formulierung in Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG „Gesamtveränderungen des Bestands“. Ferner ist das Bestandsregister gem. § 42 Abs. 1 ViehVerkV nach dem Muster der Anlage 12 zu führen, aus der sich eindeutig ergibt, dass auch Geburt und Tod von Schweinen im eigenen Betrieb im Bestandsregister aufzunehmen sind. Die RL 2008/71/EG legt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Halbsatz 1 nur Mindestanforderungen für die Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen fest. Dies hat zur Folge, dass die einzelnen Mitgliedstaaten auch weitere Anforderungen hinsichtlich der Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen festsetzen dürfen. Es ist damit aus europarechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn in der ViehVerkV über die RL 2008/71/EG hinaus weitere Vorgaben hinsichtlich des Bestandsregisters gemacht würden.
Bei dem der streitgegenständlichen Kürzung zugrundeliegenden Verstoß handelt es sich ferner um einen anderen Verstoß als derjenige, der Gegenstand des Klageverfahrens W 8 K 19.1540 ist, über welches ebenfalls mit Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. Oktober 2020 entschieden worden ist. Gegenstand dieses Verfahrens war das Bestandsregister, welches bei der Kontrolle am 29. Dezember 2017 vorgelegt wurde.
Folglich ist die angegriffene Sanktion dem Grunde nach zu Recht erfolgt. Des Weiteren ist die Einstufung des Verstoßes als ursprünglich „mittel“ und die Anwendung eines Kürzungssatzes von 9% infolge Wiederholungsverstoßes nicht zu beanstanden.
Aus Art. 91 Abs. 1, Art. 97 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr.1306/2013 sowie § 10 Abs. 2 MOG ergibt sich, dass festgestellte Verstöße zu sanktionieren sind und die Kürzung an sich eine gebundene behördliche Entscheidung darstellt (so auch Booth in Dombert/Witt, Münchener Anwaltshandbuch Agrarrecht, 2. Auflage 2016, § 27 Europäisches Marktordnungs- und Beihilfenrecht, Rn. 22). Nach Art. 99 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 wird zur Anwendung der Verwaltungssanktion gemäß Artikel 91 der Gesamtbetrag der in Artikel 92 genannten Zahlungen, der dem betroffenen Begünstigten gewährt wurde bzw. zu gewähren ist, für die Beihilfeanträge, die er in dem Kalenderjahr, in dem der Verstoß festgestellt wurde, eingereicht hat oder einreichen wird, gekürzt oder gestrichen. Bei der Berechnung dieser Kürzungen und Ausschlüsse werden Schwere, Ausmaß, Dauer und wiederholtes Auftreten der Verstöße sowie die Kriterien nach den Absätzen 2, 3 und 4 berücksichtigt. Nach Abs. 2 der Vorschrift beträgt bei einem Verstoß – wie hier – aufgrund von Fahrlässigkeit die Kürzung höchstens 5%, im Wiederholungsfall höchstens 15%.
Hinsichtlich der Beurteilung des Verstoßes als „schwer“, „mittel“ oder „leicht“ und der damit verbundenen Höhe des Kürzungssatzes kommt der Behörde ein Ermessensspielraum zu (VG Augsburg, U.v. 3.6.2020 – Au 8 K 19.1968 – juris Rn. 38; VG Würzburg, U.v. 5.2.2018 – W 8 K 16.1197 – juris). Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte sich hinsichtlich der Höhe des Kürzungsprozentsatzes auf die in einer Bund-Länder-Abstimmung beschlossenen Bewertungsmatrix „Arbeitsanweisung „Prüferhinweise CC im Bereich Schweinekennzeichnung“ für das jeweilige Kontrolljahr (hier 2019) bedient hat (vgl. auch VG Regensburg, U.v. 21.3.2019 – RN 5 K 17.1365 – juris Rn. 35). Eine gleichförmige Ermessensausübung in vergleichbaren Fällen ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Im streitgegenständlichen Bescheid wird zwar knapp, aber dennoch hinreichend deutlich, dass es sich hinsichtlich der Höhe der jeweiligen Verwaltungssanktion um eine Ermessensentscheidung handelt und dass hier gerade kein Fall vorliegt, der eine Abweichung der Regelbewertung rechtfertigen würde. Zudem hat der Beklagte seine Ermessenserwägungen insbesondere im Schriftsatz vom 25. Mai 2020 und in der mündlichen Verhandlung nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigerweise noch ergänzt, soweit diese unvollständig gewesen sein könnten. Ein Ermessensausfall liegt nicht vor, sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Gemäß der einschlägigen Bewertungsmatrix für das Kontrolljahr 2019 Nr. 2.2 Bestandsregister (GAB 6 PK 02) stellen das nicht vollständige Führen des Registers und das nicht chronologische Führen des Registers jeweils einen leichten Verstoß und das nicht aktuelle Führen des Registers einen mittleren Verstoß dar.
Im Ergebnis der Bewertung jeden Teils des Prüfkriteriums „Bestandsregister“ gilt nach der Bewertungsmatrix der als höchst bewertete Verstoß eines Teils als die ermittelte Bewertung für das Kriterium insgesamt, d.h. es erfolgt weder eine Addition aller Werte noch wird ein Mittelwert aller Werte gebildet.
Die Einordnung als zunächst mittlerer Verstoß unter Berücksichtigung der vorgelegten Bewertungsmatrix anhand von Nr. 2.2 der vorgelegten Bewertungsmatrix im Bereich Schweinekennzeichnung ist rechtmäßig und insbesondere ermessensfehlerfrei erfolgt. Gründe für die Abweichung von der Regelbewertung als mittlerer Verstoß liegen im konkreten Einzelfall nicht vor.
Die vom Klägerbevollmächtigten angeführte durch eine niederländische Behörde vorgenommene anderslautende Bewertung eines Verstoßes (vgl. EuGH, Rechtssache C 361/19 College van Berope voor het Bedrijfsleven) steht der Bewertung des streitgegenständlichen Verstoßes mit zunächst 3% nicht entgegen. Denn der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung in vergleichbaren Fällen betrifft die konkret handelnde Behörde. Es ist grundsätzlich zulässig, dass unterschiedliche Behörden hinsichtlich derselben Rechtsnorm eine unterschiedliche Ermessenspraxis haben (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 40 Rn. 43).
Nach Art. 38 Abs. 3 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 hängt die „Schwere“ eines Verstoßes insbesondere davon ab, welche Bedeutung den Auswirkungen des Verstoßes unter Berücksichtigung der Ziele der betreffenden Anforderung oder des betreffenden Standards beizumessen ist. Aus den Erwägungsgründen der RL 2008/71/EG ergibt sich als Zweck der Richtlinie über die Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen u.a. die schnelle und zuverlässige Ermittlung von Tierverbringungen. Diese auch tierseuchenrechtliche Rückverfolgbarkeit ist aber nicht gewährleistet, wenn im Bestandsregister trotz Aufgabe der Tierhaltung im Jahr 2018 als Bestand noch 20 Schweine angegeben sind. Zur Nachverfolgung genügt insoweit die HI-Tier Datenbank nicht, da in dieser keine Geburten, Schlachtungen oder Verendungen einzutragen sind.
Auch hinsichtlich des „Ausmaßes“ des Verstoßes, welches nach Art. 38 Abs. 2 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache bestimmt wird, ob der Verstoß weitreichende Auswirkungen hat oder auf den Betrieb selbst begrenzt ist, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Wirkungen des Verstoßes sind insbesondere in tierseuchenrechtlicher Hinsicht nicht auf den klägerischen Betrieb beschränkt, wenn einzelne Tierbewegungen bzw. deren Ursache nicht nachvollziehbar sind. Das Bestandsregister wurde vorliegend an sich nicht ordnungsgemäß geführt.
Ob ein Verstoß von „Dauer“ ist, richtet sich nach Art. 38 Abs. 4 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 insbesondere danach, wie lange die Auswirkungen des Verstoßes andauern oder welche Möglichkeiten bestehen, diese Auswirkungen mit angemessenen Mitteln abzustellen. Das bei der Vorortkontrolle im Juli 2019 vorgelegte Bestandsregister war nicht ordnungsgemäß geführt. Daran ändert, wie oben aufgezeigt, auch der Umstand nichts, dass der Kläger inzwischen seine Schweinehaltung aufgegeben hat.
Bei der Bewertung ist auch das Kriterium der „Häufigkeit“ zu berücksichtigen. „Wiederholtes Auftreten“ eines Verstoßes i.S.d. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014, bei dem der angewandte Kürzungssatz nach Art. 39 Abs. 4 Unterabs. 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 zu verdreifachen ist, liegt vor, wenn dieselbe Anforderung oder derselbe Standard mehr als einmal innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von drei Kalenderjahren nicht eingehalten wurde, sofern der Begünstigte auf den vorangegangenen Verstoß hingewiesen wurde und er je nach Fall die Möglichkeit hatte, die erforderlichen Maßnahmen zur Abstellung des vorangegangenen Verstoßes zu ergreifen.
Wie bereits ausgeführt hat der Kläger bereits im Jahr 2017 gegen die Anforderung, ein ordnungsgemäßes Bestandsregister zu führen, verstoßen. Auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. Oktober 2020 – W 8 K 19.1540 wird insofern Bezug genommen. Der Kläger wurde auch auf den Verstoß hingewiesen und hatte die Möglichkeit, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Verstoß abzustellen. Wie sich aus dem Kontrollbericht zu der am 29. November 2017 durchgeführten Kontrolle ergibt, wurde dieser Bericht am 28. Dezember 2017 an den Kläger versendet/übergeben (Bl. 7 der im Verfahren W 8 K 19.1540 vorgelegten Behördenakte). Zudem wurde der Kläger auch durch die Bescheide des AELF Ka. vom 23. Juli 2018, die Gegenstand des Verfahrens W 8 K 19.1540 sind, auf den Verstoß hingewiesen.
Die Anwendung eines Gesamtkürzungssatzes von 9% ist damit nicht zu beanstanden.
Einer Aussetzung des Verfahrens und Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere der Art. 39 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014 i.v.m. Art. 38 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014 dahin auszulegen ist, dass das Führen eines Bestandsverzeichnisses nach Art. 4 Abs. 1 der RL 2008/71/EG und nach Aufgabe des Bestandes der gehaltenen Tier, die Nichtaufbewahrung eines solchen Bestandsverzeichnisses als „wiederholtes Auftreten“ eines Verstoßes gegen dieselbe Anforderung oder denselben Standard im Sinne des Art. 38 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014 anzusehen ist, bedurfte es nicht. Denn ungeachtet dessen, dass für das Verwaltungsgericht in erster Instanz keine Pflicht zur Vorlage zum Europäischen Gerichtshof besteht (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 94 Rn. 21 m.w.N.), ergeben sich nach den obigen Ausführungen für das erkennende Gericht keine entscheidungserheblichen Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Verträge der Europäischen Union oder der Gültigkeit bzw. Auslegung von Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art. 267 AEUV).
Eine Bewertung des Verstoßes im Rahmen des „Frühwarnsystems“ oder als „marginaler Verstoß“ wurde vorliegend zu Recht nicht angenommen.
Nach Art. 99 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 kann ein „Frühwarnsystem“ eingerichtet werden, das auf Verstöße Anwendung findet, die angesichts ihrer geringen Schwere, ihres begrenzten Ausmaßes und ihrer geringen Dauer in hinreichend begründeten Fällen nicht mit einer Kürzung oder einem Ausschluss geahndet werden. Das „Frühwarnsystem“, das 2015 mit der Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik eingeführt wurde und von dem Deutschland nach § 5 Absatz 3 des Agrarzahlungen-Verpflichtungsgesetzes Gebrauch gemacht hat, ersetzt die bis dahin geltende Bagatellregelung (vgl. VG Stade, U.v. 15.5.2019 – 6 A 356/17 – juris Rn. 41). Nach der einschlägigen Bewertungsmatrix kommt eine Bewertung als geringfügig und damit als Frühwarnverstoß insbesondere in Betracht, wenn die Anzahl der betroffenen Tiere im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tiere sehr klein ist oder wenn bei Verstößen gegen die Aufbewahrungspflicht kein Bestand mehr vorhanden ist und der Bestand der Tiere anderweitig belegt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, da der Verstoß in rechtmäßiger Weise als mittel bewertet wurde und dem Kläger hier kein Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht zur Last gelegt wird.
Bei der Beurteilung eines Verstoßes als marginaler Fehler wird dieser weder sanktioniert noch im Rahmen des Frühwarnsystems behandelt (vgl. Nr. 4.2 der Bewertungsmatrix „Arbeitsanweisung „Prüferhinweise CC im Bereich Schweinekennzeichnung“). Hierfür fehlt es vorliegend jedoch schon an dessen Geringfügigkeit.
3. Gemäß vorstehender Erwägungen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben