Europarecht

Überstellung nach Polen im Dublin-Verfahren

Aktenzeichen  11 B 15.50130

Datum:
19.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 49
Dublin II-VO Dublin II-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 10 Abs. 1, Art. 13, Art. 16 Abs. 1 lit. d, Art. 20 Abs. 1 lit. d, Abs. 2
AsylG AsylG § 27a, § 34a
GRCh GRCh Art. 4, Art. 41 Abs. 1
EMRK EMRK Art. 3, Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine Rechtsverletzung des Asylbewerbers durch die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist ausgeschlossen solange dort keine systemischen Mängel im Asylsystem bestehen.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Systemische Mängel im Asylsystem Polens bestehen nicht.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Allein die (rechtskräftige) Aufhebung einer Abschiebungsanordnung wegen Reiseunfähigkeit führt grundsätzlich nicht zu einer Selbsteintrittspflicht der Bundesrepublik Deutschland, solange die Überstellungsfrist nach der Dublin II-VO nicht abgelaufen ist.  (redaktioneller Leitsatz)
4 Ab welcher Dauer ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats derart unangemessen ist, dass eine Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts entsteht, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geklärt werden.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

7 K 13.30538 2014-09-26 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 26. September 2014 wird insoweit aufgehoben, als es Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 3. Dezember 2013 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet hat, für die Kläger ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klage wird insoweit abgewiesen.
II.
Die Kläger tragen drei Viertel, die Beklagte ein Viertel der Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Kläger sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Im September 2013 reisten sie über die Republik Polen in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 24. September 2013 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylanträge. Nachdem die polnischen Behörden dem Übernahmeersuchen des Bundesamts am 22. November 2013 aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO zugestimmt hatten, erklärte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger mit Bescheid vom 3. Dezember 2013 für unzulässig (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 2).
Gegen den Bescheid erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg. Mit Beschluss vom 7. Mai 2014 ordnete dieses die aufschiebende Wirkung der Klage wegen Reiseunfähigkeit des Klägers zu 3 an.
Mit Urteil vom 26. September 2014 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 3. Dezember 2013 auf und verpflichtete die Beklagte, für die Kläger ein Asylverfahren durchzuführen. Die Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids sei rechtswidrig, weil wegen der Reiseunfähigkeit des Klägers zu 3 auf unabsehbare Zeit ein inländisches Abschiebungshindernis bestehe. Könne eine Abschiebungsanordnung nicht ergehen, müsse das Bundesamt prüfen, ob der Ausländer in Bezug auf seinen Herkunftsstaat einen Anspruch auf internationalen Schutz habe oder diesbezüglich nationale Abschiebungsverbote vorlägen. Gleiches müsse gelten, wenn die Abschiebungsanordnung nachträglich aufgrund des Eintritts von Reiseunfähigkeit rechtswidrig werde. Das habe zur Folge, dass die Unzulässigkeitserklärung in Nr. 1 des Bescheids ebenfalls rechtswidrig werde, weil ansonsten ein unter Umständen lang andauernder Zustand der Ungewissheit eintreten würde, in dem der zuständige Staat (die Republik Polen) keine Prüfung vornehmen könne, weil die Kläger sich nicht dorthin begeben könnten, und dadurch die Durchführung eines Asylverfahrens in Polen faktisch (auf unabsehbare Zeit) unmöglich sei. Daher sei die Bundesrepublik Deutschland zuständig. Das Dublin-System beruhe auf der Annahme, dass immer ein Mitgliedstaat vorhanden sei, der die inhaltliche Prüfung der Asylanträge vornehme (vgl. auch Art. 18 und 41 GR-Charta sowie Erwägungsgrund 15 der Dublin II-VO).
Der Senat ließ auf Antrag der Beklagten die Berufung mit Beschluss vom 8. Juni 2015 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zu, soweit das Verwaltungsgericht Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 3. Dezember 2013 aufgehoben hat.
Im Berufungsverfahren beantragt die Beklagte,
unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage im noch rechtshängigen Umfang abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Gericht hat Erkenntnisquellen zur Situation in Polen gemäß der Liste vom 10. Juni 2015 mit Schreiben vom 24. November 2015 in das Verfahren eingeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung, § 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO.
Der Beschluss des Senats vom 8. Juni 2015 ist dahingehend auszulegen, dass die Berufung auch hinsichtlich des Verpflichtungsausspruchs des Verwaltungsgerichts zugelassen wurde, da die bloße Zulassung der Berufung gegen die mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. September 2014 erfolgte Aufhebung der Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts, mit der die Asylanträge der Kläger für unzulässig erklärt werden, keinen Sinn ergäbe, wenn der Verpflichtungsausspruch im Urteil des Verwaltungsgerichts, ein Asylverfahren für die Kläger in Deutschland durchzuführen, bestehen bliebe.
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 3. Dezember 2013 in seiner Nr. 1 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO); die Beklagte ist daher mangels Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht verpflichtet, für die Kläger ein Asylverfahren durchzuführen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt. Die Klage ist deshalb unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 26. September 2014 insoweit (die Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids durch das Verwaltungsgericht ist rechtskräftig) abzuweisen.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens sind das Asylgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), beide Gesetze zuletzt geändert durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl I S. 1722). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, ist die neue Rechtslage zugrunde zu legen, soweit nicht hiervon – wie im vorliegenden Fall in Bezug auf die maßgebliche Dublin-Verordnung – eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist. Die Dublin II-VO ist trotz § 77 Abs. 1 AsylG und der zwischenzeitlich erlassenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juli 2013 – Dublin III-VO – auf den vorliegenden Fall anzuwenden, weil nach Art. 49 Dublin III-VO die Neuregelung erst auf Anträge der Mitgliedstaaten auf Wiederaufnahme anzuwenden ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind. Hier sind sowohl die Asylanträge der Kläger als auch das Wiederaufnahmegesuch der Beklagten an die Republik Polen im Jahr 2013 gestellt worden.
1. Gegen Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 3. Dezember 2013 ist allein die Anfechtungsklage die statthafte Klageart (vgl. BVerwG, U. v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris). Das Bundesamt hat in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids eine rechtsgestaltende Regelung über die Zulässigkeit der Asylanträge der Kläger nach § 27a AsylG getroffen, deren Aufhebung mit der Anfechtungsklage begehrt werden kann. Ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts („Die Asylanträge sind unzulässig“) liegt nicht lediglich eine Feststellung vor, sondern eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylG verlangt (vgl. BVerwG, U. v. 17.9.2015 – 1 C 26.14 – juris Rn. 12).
Die Dublin-Verordnungen unterscheiden klar zwischen dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staats und der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags. Der Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO steht entgegen, dass die Dublin II-Verordnung – Dublin II-VO – ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (Art. 2 Buchst. e). Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet. Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Bestimmung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde – hier das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) – die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10; v. 14.9.2013 – C-4/11 – juris). Die Stellung eines solchen Ersuchens, das den Lauf von zuständigkeitsbegründenden Fristen auslöst, ist eine dem Bundesamt zugewiesene Aufgabe, die das Gericht im Fall des Durchentscheidens nicht erfüllen könnte (zur Notwendigkeit der Sicherung der dem Bundesamt zugewiesenen Steuerungsfunktion im Fall der gerichtlichen Überprüfung einer Einstellungsentscheidung nach §§ 32, 33 AsylG vgl. schon BVerwG, U. v. 7.3.1995 – 9 C 264.94 – Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12).
Soweit die Kläger beantragen, die Beklagte zu verpflichten, sich „zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens der Kläger zu erklären und das Asylverfahren der Kläger fortzuführen“, ist die Klage unzulässig. Die Frage, ob die Republik Polen für die Asylanträge der Kläger zuständig ist, wird – wie ausgeführt – im Rahmen der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten geklärt. Ist die Anfechtungsklage erfolgreich, steht zwar nur fest, dass Polen nicht zuständig ist. Damit ist jedoch noch keine Zuständigkeit Deutschlands begründet. Die Beklagte hat dann vielmehr noch die Möglichkeit zur Prüfung, ob ein anderer Staat zuständig ist. Ist die Anfechtungsklage aber deshalb erfolgreich, weil eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt besteht, wird auch das im Rahmen der Anfechtungsklage geklärt. Dieser tragende Grund wird von der Rechtskraft der Entscheidung mitumfasst (vgl. § 121 VwGO). Besteht nach der Entscheidung des Gerichts eine Pflicht zum Selbsteintritt und wird die Entscheidung rechtskräftig, gibt es keinen Grund, anzunehmen, die Beklagte werde ein Asylverfahren für die Kläger dennoch nicht durchführen. Für eine Verpflichtungsklage auf Durchführung eines Verfahrens, wenn die Zuständigkeit Deutschlands geklärt ist, besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis. Würde die Beklagte trotz Zuständigkeit kein Asylverfahren für die Kläger durchführen, hätten diese die Möglichkeit der Untätigkeitsklage (vgl. § 75 VwGO).
2. Zutreffend hat die Beklagte in Nr. 1 des Bescheids festgestellt, dass die gestellten Asylanträge nach § 27a AsylG unzulässig sind. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Eine solche Zuständigkeit kann sich z. B. aus den Kriterien in Kapitel II der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl L 50 S. 1, Dublin II-VO), ergeben. Hier ist nach der Dublin II-VO die Republik Polen für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig. Nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylbewerber, aus einem Drittstaat kommend, illegal überschritten hat. Dieser Fall liegt hier vor, denn die Kläger haben nach eigenen Angaben die Grenze von Weißrussland nach Polen illegal überschritten. Nachdem die Kläger gemäß dem von der Beklagten festgestellten Eurodac-Treffer auch Asylanträge in Polen gestellt haben, sind für das Verfahren zur Wiederaufnahme in Polen die Vorschriften des Art. 16 Abs. 1 Buchst. d i. V. m. Art. 20 Dublin II-VO anwendbar.
Die Kläger können der Überstellung nach Polen auch nicht damit entgegentreten, dass ihnen ein Anspruch auf Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zustehe oder die Beklagte aus anderen Gründen zuständig geworden sei, denn die Republik Polen hat der Überstellung zugestimmt (a), die Überstellungsfrist ist nicht abgelaufen (b), es bestehen keine systemischen Mängel im Asylsystem in Polen (c) und eine von Grundrechten überlagerte Ausnahmesituation ist nicht gegeben (d).
a) Nach der Zustimmung eines gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zuständigen Mitgliedstaats zur Überstellung eines Asylbewerbers kann dieser der Überstellung nur noch mit systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem aufnehmenden Mitgliedstaat entgegentreten (vgl. EuGH, U. v. 10.12.2013 – C-394/12, Abdullahi – NVwZ 2014, 208 Rn. 60; vgl. auch BVerwG, B. v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – NVwZ 2014, 1677; BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – BayVBl 2014, 628 Rn. 37).
Weitere Überprüfungsmaßnahmen würden das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats entgegen den wohlverstandenen Interessen des Asylbewerbers und der Mitgliedstaaten verzögern, ohne dass ersichtlich wäre, welche Nachteile dem Asylbewerber daraus erwachsen könnten, dass er in den nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird. Im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats hat der Asylbewerber insbesondere keinen Anspruch darauf, dass sein Asylbegehren in dem von ihm gewünschten Mitgliedstaat geprüft wird. Eine Rechtsverletzung des Asylbewerbers durch die Bestimmung eines zuständigen Mitgliedstaats nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ist deshalb ausgeschlossen, solange dort keine systemischen Mängel im Asylsystem bestehen. Dieses Ergebnis wird auch durch Sinn und Zweck der Dublin II-VO getragen. Nach ihrem vierten Erwägungsgrund soll die Dublin II-VO insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem auf der Annahme beruht, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens soll die Behandlung der Asylanträge rationalisiert und verhindert werden, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen (EuGH, U. v. 10.12.2013 a. a. O. Rn. 52 f.). Dies bezweckt hauptsächlich, dass die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigt wird (EuGH, U. v. 10.12.2013 a. a. O. Rn. 53). Sind sich die beteiligten Mitgliedstaaten im Falle des Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann ist ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung regelmäßig nicht gegeben, da damit nur eine weitere Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens einhergehen würde. Ein solcher Fall liegt hier vor, da Polen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig ist und die Zustimmung zur Wiederaufnahme gegeben hat (vgl. zum Ganzen BayVGH, U. v. 22.6.2015 – 11 B 15.50049 – juris Rn. 20).
b) Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO ist hier noch nicht abgelaufen, da das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Mai 2014 (W 7 S 14.30289) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. Die Überstellungsfrist beginnt nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO mit der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Damit beginnt die Überstellungsfrist im zweiten Fall erst zu laufen, wenn über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden ist und der Durchführung der Überstellung keine Gründe entgegenstehen (vgl. EuGH, U. v. 29.1.2009 – C-19/08 „Petrosian“ – Slg. 2009, I-495 Rn. 42 ff.). Dies ist erst der Fall, wenn Rechtskraft eingetreten ist (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VGH BW, U. v. 16.4.2014 – 11 S 1721/13 – InfAuslR 2014, 293 Rn. 33).
c) Es besteht auch keine Pflicht der Beklagten, die Prüfung der Kriterien nach Kapitel III der Dublin II-VO fortzusetzen und ggf. eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO anzunehmen (vgl. EuGH, U. v. 14.11.2013 – C-4/11 – NVwZ 2014, 129 Rn. 36), denn systemische Mängel im Asylsystem Polens bestehen nicht. Systemische Mängel im Asylsystem liegen dann vor, wenn in dem als zuständig bestimmten Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme bestehen, dass der betreffende Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der Fassung vom 26. Oktober 2012 (ABl EG C 326 S. 392, EuGrCH) ausgesetzt zu werden (EuGH, U. v. 14.11.2013 a. a. O. Rn. 36). Es kommt demgegenüber nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EuGrCh bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kommen kann (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O. Rn. 6). An die Feststellung systemischer Mängel sind mithin hohe Anforderungen zu stellen und es kann nur bei strukturellen und landesweiten Missständen davon ausgegangen werden, dass eine individuelle und konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung eines jeden einzelnen oder zumindest einer nennenswerten Anzahl von Asylbewerbern von den nationalen Behörden tatenlos hingenommen wird (NdsOVG, B. v. 1.4.2014 – 13 LA 22/14 – juris).
Die Kläger haben im Berufungsverfahren keine systemischen Mängel im polnischen Asylsystem dargelegt. Auch den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln lassen sich keine solchen gravierenden Mängel entnehmen. Insbesondere aus dem „National Country Report – Poland“ des AIDA-Projekts (Asylum Information Database, Stand Juni 2014) ergibt sich, dass keine strukturellen Mängel bestehen, die landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung befürchten lassen. Nach dem Bericht werden Asylbewerber in Polen üblicherweise in zwölf Aufnahmeeinrichtungen untergebracht. Es besteht dort auch kein Mangel an Plätzen (National Country Report – Poland, S. 39). Asylbewerber erhalten Mahlzeiten, Unterstützung zum Erwerb von Kleidung und Hygieneartikeln, einen Geldbetrag zur persönlichen Verfügung, medizinische Versorgung, Sprachkurse und notwendigen Schulbedarf (National Country Report – Poland, S. 37 f.). Die medizinische Versorgung wird auf dem gleichen Niveau gewährt wie polnischen Staatsbürgern ohne Krankenversicherung und umfasst daher eine Notfallbehandlung sowie eingeschränkten Zugang zu der allgemeinen Krankenversorgung (National Country Report – Poland, S. 49).Des Weiteren existieren mehrere geschlossene Einrichtungen, in denen Asylbewerber und andere Ausländer zum Zwecke der Rückführung untergebracht werden (National Country Report – Poland, S. 51 ff.). Insbesondere werden dort auch aus anderen EU-Mitgliedstaaten im Dublin-Verfahren rückgeführte Personen untergebracht, die entgegen den Weisungen polnischer Behörden ihr Erstaufnahmeland verlassen und somit gegen die Aufnahmerichtlinie verstoßen haben, denn das polnische Asylgesetz enthält den Grundsatz, dass Ausländer in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden können, wenn sie das Flüchtlingsverfahren oder den Flüchtlingsstatus missbrauchen (Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 6.12.2013). Zwar wird dort nur ein kleiner Teil der Asylbewerber festgehalten. Gleichwohl ist festzustellen, dass es sich bei einem großen Teil der dort in Gewahrsam Genommenen um Minderjährige handelt, die mit ihren erwachsenen Familienangehörigen dort untergebracht werden (National Country Report – Poland, S. 51). Seit 1. Mai 2014 ist die Haftdauer für Asylbewerber gesetzlich auf sechs Monate begrenzt. Für abgelehnte Asylbewerber und andere Einwanderer beträgt sie in Rückführungsfällen 12 Monate und kann um weitere sechs Monate verlängert werden, wenn der Betreffende Rechtsmittel gegen die Asylentscheidung eingelegt hat (National Country Report – Poland, S. 55). In dem Bericht des AIDA-Projekts wird weiterhin ausgeführt, dass jederzeit ein Entlassungsgesuch gestellt werden kann, bei der Entscheidung aber regelmäßig nicht auf die Rechtmäßigkeit der Unterbringung, sondern überwiegend auf die persönliche Situation des Betreffenden abgestellt wird.
Zusammenfassend wird festgehalten, dass nur wenige Asylbewerber während der gesamten Verfahrensdauer ihres Asylverfahrens in den geschlossenen Einrichtungen verbleiben müssen, dies auf keinen Fall alle Asylbewerber betrifft und dort sowohl der Zugang zu medizinischer Versorgung als auch die Religionsausübung gewährleistet sind (National Country Report – Poland, S. 55 f.). Der Zugang zu einem kostenfreien Rechtsbeistand wird zwar nach dem Gesetz gewährt, in der Praxis jedoch nur mangelhaft umgesetzt, während Besuch durch Nichtregierungsorganisationen und Verwandte auf jeden Fall gewährleistet ist (National Country Report – Poland, S. 56 und 62). Auch der Bericht des United States Department of State „Poland 2013 Human Rights Report“ (Human Rights Report) stellt fest, dass die Bedingungen in den Haft- und Unterbringungseinrichtungen grundsätzlich internationalen Standards entsprechen (Human Rights Report, S. 2). Die Helsinki Foundation for Human Rights kommt in ihrer Studie „Report on the Monitoring of Guarded Centres for Foreigners – Migration Is Not a Crime“ (Migration Is Not a Crime, Warschau 2013) zu dem Ergebnis, dass die geschlossenen Einrichtungen in gutem Zustand sind (Migration Is Not a Crime, S. 11), das Essen regelmäßig in Ordnung ist (S. 14), Zugang zu medizinischer Versorgung (S. 23 ff.) und Möglichkeit zu Kontakt mit Angehörigen und Nichtregierungsorganisationen (S. 22 f.) besteht, aber die Behandlung durch das Sicherheitspersonal teilweise unfreundlich ist (S. 13). Die durchschnittliche Verweildauer in den geschlossenen Einrichtungen habe im Jahr 2012 ca. zwei Monate betragen (S. 11). Auch die früher bemängelte Praxis, Asylbewerber in ihr Heimatland abzuschieben, bevor die Gerichte über deren Klagen gegen eine ablehnende Entscheidung entschieden haben, wurde durch das neue Ausländergesetz vom 1. Mai 2014 beseitigt. Nunmehr wird die Rückkehrentscheidung nicht mehr zeitgleich mit der Entscheidung über den Asylantrag getroffen und auch für Entscheidungen, die vor der Rechtsänderung erlassen wurden, wurde angeordnet, dass eine Abschiebung vor der Gerichtsentscheidung nicht erfolgen darf (National Country Report – Poland, S. 16 f.).
Es ist damit nicht ersichtlich, dass trotz mancher Defizite der Bedingungen für Asylbewerber in Polen, insbesondere in den geschlossenen Einrichtungen, systemische Schwächen vorliegen, die auf strukturellen Missständen beruhen, von den polnischen Behörden tatenlos hingenommen werden und zu massiven Grundrechtsbeeinträchtigungen der Asylsuchenden führen würden.
d) Eine von Grundrechten überlagerte Ausnahmesituation ist nicht gegeben. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst in die materielle Prüfung des Asylbegehrens der Kläger einzutreten.
Eine Pflicht zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nach erfolgter Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats kommt nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht und ist selbst nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht zwingend anzunehmen (vgl. EuGH, U. v. 14.11.2013 a. a. O. Rn. 37). Mit Blick auf die Grundrechte aus Art. 18, 41 Abs. 1, 47 Abs. 2 Satz 1 EuGrCH und die das Asylverfahren bestimmende Beschleunigungsmaxime (vgl. EuGH, U. v. 10.12.2013 a. a. O. Rn. 53; BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 208 f.; BVerwG, U. v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319, 323; Erwägungsgrund 4 Satz 2 Dublin II-VO) gilt ausnahmsweise dann etwas anderes, wenn die Situation eines Asylbewerbers, in der dessen Grundrechte verletzt werden, durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird (vgl. EuGH, U. v. 14.11.2013 – C-4/11, Rn. 35; U. v. 21.12.2011 – C-411/10 u. a. Rn. 98 und 108). Eine solche Situation kann das nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eröffnete – weite (vgl. EuGH, U. v. 10.12.2013 a. a. O. Rn. 57; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 a. a. O. Rn. 39 m. w. N.) – Ermessen des Mitgliedstaats, einen Asylantrag abweichend von den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO selbst inhaltlich zu prüfen und zu bescheiden, reduzieren und ihn ausnahmsweise verpflichten, das Selbsteintrittsrecht auszuüben (vgl. NdsOVG, B. v. 9.10.2015 – 8 LA 146/15 – juris Rn. 14).
aa) Unter welchen Voraussetzungen im Fall einer überlangen Verfahrensdauer eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO besteht, braucht nicht entschieden werden. Denn eine solche Situation, in der Grundrechte der Asylantragsteller durch eine überlange Verfahrensdauer verschlimmert würden, liegt hier offensichtlich nicht vor. Wenn die Überstellungsfrist nicht abgelaufen und daher eine Überstellung nach wie vor möglich ist, kann eine solche Situation grundsätzlich nicht eintreten. Die Verfahrensdauer von der Asylantragstellung am 24. September 2013 bis zum Erlass des Bescheids vom 3. Dezember 2013 kann keinesfalls als unangemessen lang angesehen werden (vgl. BVerwG, B. v. 7.12.2015 – 1 B 66.15 – juris Rn. 4 f.).
bb) Eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt ergibt sich nicht daraus, dass beim Kläger zu 3 zum Zeitpunkt des Ergehens des insoweit rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Reiseunfähigkeit vorlag und deswegen eine die Grundrechte der Kläger verletzende unangemessen lange Dauer des Verfahrens zu erwarten wäre. Aus den in Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO genannten Fristen von sechs, 12 und 18 Monaten, in denen eine Überstellung in den zuständigen Staat grundsätzlich möglich ist, und aus der Bestimmung des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO, wonach die Überstellungsfrist (von sechs Monaten) bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage erst sechs Monate nach der endgültigen Entscheidung abläuft, ergibt sich, dass die Dublin II-Verordnung davon ausgeht, dass dem Asylbewerber möglicherweise – je nach Laufzeit der gerichtlichen Verfahren – ein langer Zeitraum bis zur Prüfung seines Asylbegehrens durch den zuständigen Staat zuzumuten ist.
Allein die (rechtskräftige) Aufhebung der Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids, weil der Kläger zu 3 nicht reisefähig war, führt grundsätzlich nicht zu einer Selbsteintrittspflicht der Beklagten, solange die Überstellungsfrist nach der Dublin II-Verordnung nicht abgelaufen ist. Nach Ablauf der Überstellungsfrist wird Deutschland, falls der bisher zuständige Staat zur Aufnahme nicht mehr bereit ist und kein anderer vorrangig zuständiger Staat vorhanden ist, ohnehin zuständig, ohne dass es eines Selbsteintritts Deutschlands bedarf. Die rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung der Asylanträge der Kläger als unzulässig wird nicht dadurch rechtswidrig, dass zum Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung ein inländisches Vollstreckungshindernis (hier Reiseunfähigkeit des Klägers zu 3) besteht und daher eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG nicht ergehen kann oder bei späterem Eintritt einer Reiseunfähigkeit durch die Beklagte oder das Gericht wieder aufgehoben werden muss, wie gerade Art. 20 Abs. 1 Buchst. d. Satz 2 Dublin II-VO zeigt. Die Beklagte hat, hat der Rechtsbehelf gegen ihre Entscheidung aufschiebende Wirkung oder wird eine solche durch das Gericht angeordnet, gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO nach Rechtskraft der endgültigen Entscheidung über den Rechtsbehelf sechs Monate Zeit, die Überstellung durchzuführen. Hier hat sie dabei die Reisefähigkeit des Klägers zu 3 erneut, ggf. amtsärztlich, zu prüfen und im Falle der Reisefähigkeit eine erneute Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu erlassen.
Ein (Ausnahme-) Fall, bei dem schon jetzt davon auszugehen wäre, dass die Reiseunfähigkeit des Klägers zu 3 auf so lange Zeit bestehen werde, dass keinesfalls eine Überstellung innerhalb eines, die Grundrechte der Kläger nicht verletzenden Zeitraums erfolgen könnte, liegt offensichtlich nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil die Reiseunfähigkeit des Klägers zu 3 unter Bezugnahme auf die ärztliche Bescheinigung der Missionsärztlichen Kinderklinik vom 4. September 2014 deswegen angenommen, weil der Kläger zu 3 an Epilepsie leide und eine Rückführung vor Einstellung auf eine antikonvulsive, also krampfverhindernde Dauermedikation ausdrücklich nicht vertretbar sei und bei weiteren Krampfanfällen Lebensgefahr bestehe. Diese Einstellung könnte inzwischen erfolgt sein oder bis zum Ablauf der Überstellungsfrist noch erfolgen.
Die Dauer des Verwaltungsverfahrens bei der Beklagten, von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme und des Ergehens des Zuständigkeitsbescheids, betrug nur gut zwei Monate. Aber auch soweit man auf die Gesamtdauer des Verfahrens bis zur (rechtskräftigen) Entscheidung über die Zuständigkeit, also mindestens bis zum Ergehen dieser Berufungsentscheidung, abstellen würde, liegt eine überlange Verfahrensdauer, die zu einer Selbsteintrittspflicht der Beklagten führen würde, nicht vor.
Eine erstinstanzliche Verfahrenslaufzeit von knapp zehn Monaten und eine Verfahrenslaufzeit des Berufungsverfahrens einschließlich des Zulassungsverfahrens von 14 Monaten und damit eine Gesamtlaufzeit, von der Stellung des Asylantrags bis zum Ergehen des Berufungsurteils von insgesamt zwei Jahren und vier Monaten, weist jedenfalls nicht die insoweit erforderliche Überlänge auf. Zu Recht weist die Beklagte auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009 (Rs. Petrosian – C-19/08 a. a. O.) hin, der einen Fall betraf, in dem die Asylanträge bereits im März 2006 gestellt worden waren. Im Übrigen hätten die Kläger die Möglichkeit gehabt, in dem für die Prüfung ihrer Asylanträge zuständigen EU-Mitgliedstaat zu bleiben, um eine schnelle Entscheidung zu erreichen. Für den Fall, dass die Reiseunfähigkeit des Klägers zu 3 im Laufe des gerichtlichen Verfahrens wieder gegeben war, was nicht ausgeschlossen erscheint, hätten die Kläger durch Rücknahme ihrer Klage eine (schnellere) Überstellung nach Polen und eine dortige Prüfung ihres Asylantrags erreichen können.
Selbst wenn durch eine lange Dauer des Verfahrens bis zur (rechtskräftigen) Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats eine Verschlimmerung von Grundrechtsverletzungen der Asylbewerber eingetreten wäre, hätte sich diese Situation durch die nunmehr gerichtlich bestätigte Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats erledigt. Eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung könnte durch die lange Verfahrensdauer nicht mehr hervorgerufen werden, denn nunmehr steht der zuständige Mitgliedstaat fest. Ob das Asylverfahren nach (rechtskräftiger) Bestimmung des zuständigen Staats in Deutschland oder Polen durchgeführt wird, kann die Grundrechtsverletzung der Kläger nicht verschlimmern, wenn die Überstellung in den zuständigen Staat innerhalb der Frist des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO erfolgen kann.
e) Die Kläger können auch aus dem Recht auf eine gute Verwaltung gemäß Art. 41 Abs. 1 der EuGrCH keinen Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch Deutschland ableiten. Denn in der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass sich dieses Recht nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet und nicht an die Mitgliedstaaten, selbst wenn diese Unionsrecht anwenden (EuGH, U. v. 11.12.2014 – C-249/13 – juris – Rn. 32 m. w. N.).
Schließlich ergibt sich für die Kläger auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kein Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch die Bundesrepublik Deutschland. Art. 6 Abs. 1 EMRK bezieht sich schon seinem Schutzbereich nach nicht auf das Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt, sondern enthält lediglich Verfahrensgarantien für Gerichtsverfahren und im Übrigen auch nur für solche Gerichtsverfahren, die zivilrechtliche Ansprüche oder strafrechtliche Anklagen betreffen. Hierzu gehören Streitigkeiten über Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Ausländern nicht (EGMR, E. v. 17.5.2011 – Nr. 43408/08 – NVwZ 2012, 686 Rn. 83; E. v. 24.3.2015 – Nr. 37074/13 – EuGRZ 2015, 464 Rn. 40).
3. Die Kosten beider Instanzen sind nach § 155 Abs. 1 VwGO verhältnismäßig zu teilen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Insbesondere liegt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vor. Ab welcher Dauer ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats derart unangemessen ist, dass eine Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts entsteht, kann nicht fallübergreifend, sondern nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geklärt werden. Hierbei ist neben den individuellen Lebensumständen der Asylbewerber insbesondere zu berücksichtigen, ob ein Asylantrag der Asylbewerber von einem Mitgliedstaat bereits sachlich entschieden worden ist, worin die Ursachen für die Notwendigkeit des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens und für die Verzögerungen dieses Verfahrens liegen und wessen Verantwortungsbereich diese zuzurechnen sind sowie, ob und bejahendenfalls in welchem Zeitraum eine Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat möglich ist (vgl. hierzu BayVGH, U. v. 13.4.2015 – 11 B 15.50031 -, juris Rn. 28 f.; NdsOVG, B. v. 9.10.2015 – 8 LA 146/15 – juris Rn. 15 und nunmehr auch Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. EU L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – Dublin III-VO).


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