Europarecht

Umfang der Mitwirkungspflichten bei der Vaterschaftsfeststellung im Rahmen des Unterhaltsvorschussrechts, keine allgemeine Verhältnismäßigkeitsabwägung im Rahmen der Mitwirkungspflicht, Anforderungen an die Darlegung einer unerträglichen Konfliktlage

Aktenzeichen  B 8 K 20.288

Datum:
28.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44334
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
UVG § 1 Abs. 3
SGB X § 50 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3.Die Entscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage hat inhaltlich keinen Erfolg.
I. Die Klage ist zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben. Zwar ist eine bedingt erhobene Klage grundsätzlich unzulässig, da Prozesserklärungen bedingungsfeindlich sind; der Klägerin kann aber auf Grundlage des ergangenen Prozesskostenhilfebeschlusses vom 14.08.2020 und der danach eingegangenen Klage am 26.08.2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (NK-VwGO/Werner Neumann/Nils Schaks, 5. Aufl. 2018, VwGO § 166 Rn. 21). Die Klageerhebung am 26.08.2020 enthält konkludent einen fristgemäßen Wiedereinsetzungsantrag nach § 60 VwGO. Sie ist innerhalb von zwei Wochen nach dem Beschluss über Prozesskostenhilfe eingegangen.
Die Klägerin ist auch klagebefugt, durch die Aufhebung der Leistungsgewährung und Rückforderung besteht die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten, § 42 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 9 UVG.
II. Die zulässige Klage bleibt inhaltlich ohne Erfolg.
Zwar richtet sich die Klage gegen den richtigen Beklagten und die Klägerin kann einen etwaigen Anspruch auch in eigenem Namen geltend machen, jedoch erweist sich der streitgegenständliche Bescheid vom 29.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2020 als rechtmäßig, sodass die Klägerin auch nicht in ihren Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 VwGO.
1. Die Stadt … ist vorliegend die richtige Beklagte nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 62 Abs. 2 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG).
2. Die Klägerin kann etwaige Ansprüche und Rechtsverletzungen aus dem Unterhaltsvorschussrecht als sorgeberechtigter Elternteil, bei dem ihre Tochter lebt, im eigenen Namen geltend machen, § 9 Abs. 1 UVG.
3. Der Bescheid erweist sich hinsichtlich der Einstellung von Zahlungen nach dem UVG ab dem 01.12.2019 als rechtmäßig. Ab diesem Zeitpunkt bestand kein Anspruch auf Leistungen nach dem UVG mehr.
Unabhängig davon, ob die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss nach § 1 Abs. 1, Abs. 1a und Abs. 2a UVG vorliegen, ist der Anspruch nach § 1 Abs. 3 UVG ausgeschlossen, weil die Klägerin bei der Feststellung der Vaterschaft nicht ausreichend mitgewirkt hat und dies auch in Zukunft nicht tun will. Dies hat sie bereits im behördlichen Verfahren mitgeteilt, und in der mündlichen Verhandlung erneut explizit wiederholt, indem sie erklärte, sie wünsche keinerlei Schritte gegen den potentiellen Vater. Sie wolle auch nicht, dass das Jugendamt als Beistand oder Amtspfleger die Vaterschaftsfeststellung betreibe.
a. Nach § 1 Abs. 3 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsleistung nach dem UVG unter anderem dann nicht, wenn der Elternteil, bei dem das unterhaltsvorschussberechtigte Kind lebt, sich weigert, bei der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken. Die Mitwirkungspflicht besteht nicht ausnahmslos, sondern trifft den Elternteil im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren (BVerwG U.v. 21.11.1991 – 5 C 13/87, NJW 1992, 1522; s. auch BT-Drs 8/1952, S. 7).
Im Fall einer Konfliktlage, die wegen des Grundrechts auf Wahrung der Intimsphäre anzuerkennen ist, dürfen keine Angaben verlangt werden, die ohne Weiteres einen Rückschluss auf die Person des Vaters erlauben und damit doch auf deren Offenbarung zulasten jener Belange hinauslaufen würden, die den Konflikt hervorrufen. Doch müssen zwecks Vorbeugung gegen die missbräuchliche Verweigerung einer Mitwirkung hierzu Darlegungen verlangt werden, auf deren Grundlage sich das Bestehen einer beachtlichen, anerkennenswerten Konfliktlage nachvollziehen lässt. Was in diesem Sinne möglich und zumutbar wäre, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Eine Begrenzung der Mitwirkungsobliegenheit kommt danach allenfalls etwa in extremen, unerträglichen Konfliktlagen in Betracht. (BVerwG U.v. 21.11.1991 – 5 C 13/87, NJW 1992, 1522; BVerwG, U.v. 16. 5. 2013 – 5 C 28/12, NJW 2013, 2775, BayVGH B.v. 31.03.2010 -12 C 09.2943 – BeckRS 2010, 31260; OVG NW B.v. 22.08.2013 – 12 B 713/13 – BeckRS 2014, 48741; OVG Bautzen B.v. 22.06.2010 – 5 D 33/10, BeckRS 2010, 53046; Knittel, JAmt 2019, 183, 187). Die Mitwirkungspflicht der Kindesmutter bei der Feststellung der Vaterschaft ist auch dann verletzt, wenn bei Erfüllung derselben die Ermittlung des Kindesvaters für die Behörde nicht erfolgversprechend gewesen wäre (OVG NW B.v. 16.12.2020 – 12 E 819/20 – juris Rn. 14). Die vorgenannten Grundsätze gelten auch, wenn der Putativvater sich gewöhnlich im Ausland aufhält. Allein das Vorausahnen etwaiger prozeduraler Schwierigkeiten bei womöglich gleichzeitig geringer Aussicht auf das Gelingen eines Rückgriffs ist kein Grund, von vornherein von der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abzusehen. Damit würde die Absicht des Gesetzgebers unterlaufen, grundsätzlich und schematisch einen Rückgriff für die im Voraus gezahlten Unterhaltsleistungen vorzusehen und zu betreiben. Eine Vorabwürdigung, ob dies im Einzelfall überhaupt gelingen werde und die Anstrengungen lohnen, ist weder der Verwaltung noch den Gerichten zugestanden (Knittel, JAmt 2019, 183, 187).
Über die genannten Extremfälle einer unerträglichen Konfliktlage hinaus, ist weder im Gesetz noch sonst eine pauschale Abwägung der jeweiligen Kosten bzw. Verhältnismäßigkeit, wie sie der Klägerbevollmächtigte vornimmt, vorgesehen. Ein solche Auslegung widerspräche auch dem der Regelung zu Grunde liegenden Konzept, dass die Mitwirkungspflicht grundsätzlich besteht und alleine in dem, was Möglich und Zumutbar ist, seine Grenze findet. Im Übrigen würde dabei auch zu Unrecht außer Acht lassen, dass das Kind einen verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Kenntnis seiner Abstammung hat. Diesen dürfen weder staatliche Organe noch die Mutter selbst allein deshalb vereiteln, weil sie nach Gutdünken schon die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens von vornherein für nicht aussichtsreich halten (Knittel, JAmt 2019, 183, 188).
b. Im Rahmen der Mitwirkungspflichten wird man von der Klägerin mindestens verlangen können, dass sie eine Beistandschaft oder eine Bestellung eines Amtspflegers zulässt. Auch wenn von der Mutter evtl. keine weitergehende aktive Förderung des Verfahrens erwartet werden kann, und sie mit Worten zum Ausdruck bringt, dass es ihr eigentlich lieber wäre, die Vaterschaft würde nicht festgestellt, sind ihre Mitwirkungspflichten solange nicht verletzt, als dies nur ihre innere Haltung widerspiegelt, ohne konkrete Auswirkungen auf den Fortgang der Angelegenheit zu haben. Verweigert sie jedoch die Beistandschaft oder eine Bestellung eines Amtspflegers, oder lässt sie eine bereits bestehende Beistandschaft durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Jugendamt aufheben und nimmt im Anschluss daran einen bereits gestellten Feststellungsantrag zurück, ist grundsätzlich von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht auszugehen (Knittel, JAmt 2019, 183, 188).
c. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht verletzt, bzw. besteht keine Ausnahme von der Mitwirkungspflicht. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, dass die Klägerin tatsächlich in eine extreme, unerträgliche Konfliktlage gerät, wenn Sie an der Vaterschaftsfeststellung durch die Bestellung eines Amtspflegers oder einer Beistandschaft mitwirkt.
Es sind keine konkreten Anhaltspunkte geschildert, die darauf schließen lassen, dass der potentielle Vater sich rächen könnte. Letztlich gibt die Klägerin selbst zu, dass die möglichen Konsequenzen spekulativ sind. Alleine eine diffuse oder unkonkrete Angst, ohne objektivierbare Anhaltspunkte kann keine extreme, unerträgliche Konfliktlage begründen.
Bisher hat der potentielle Vater sich nach den Angaben der Klägerin zudem lediglich dahingehend geäußert, dass er die Vaterschaft nicht anerkennen und für die Tochter der Klägerin nicht aufkommen wird. Aus den von der Klägerin vorgetragenen Äußerungen des potentiellen Vaters geht nicht hervor, dass er sich mit Repressalien rächen würde, wenn es zu einem entsprechenden Verfahren kommen würde. Außerdem kann er sein Ziel, die Tochter nicht anzuerkennen und nicht für diese aufzukommen derzeit auch dadurch erreichen, dass er das für ihn unerwünschte Verfahren durch Nichtstun boykottiert. Es bedarf also zum Erreichen seiner Ziele nicht zwingend der Druckausübung auf die Klägerin und ihre Familienangehörigen. Alleine die theoretische Möglichkeit, dass der potentielle Vater in irgendeiner Weise der Klägerin oder ihrer Familie Probleme machen könnte, reicht nicht aus, um anzunehmen, dass er von diesen Möglichkeiten überhaupt Gebrauch macht.
Hinsichtlich der etwaigen Repressalien ist der Vortrag der Klägerin wenig konkret. Sie hat weder vorgetragen, inwiefern ihre Mutter medizinische Versorgung benötigt und wie der potentielle Vater ihrer Tochter hierauf Einfluss nehmen könnte, noch in welcher Form er ihrem Bruder berufliche Probleme bereiten könnte. In der mündlichen Verhandlung sind diese Befürchtungen von ihr überhaupt nicht erwähnt worden, sodass einiges dafür spricht, dass es sich um wenig objektivierbare Befürchtungen der Klägerin handelt. In Bezug auf die Befürchtung der Klägerin, der mutmaßliche Vater ihrer Tochter könne gegen ein Schmiergeld ggf. veranlassen, dass ihr bei Ein- oder Ausreise bzw. bei ihrer Familie durch staatliche Kräfte der Pass abgenommen wird, ist dies genauso spekulativ wie die übrigen vorgetragenen Befürchtungen. Hierbei bleibt völlig offen, wie dieser überhaupt – insbesondere in Anbetracht ihrer Aussage, die kamerunischen Behörden wüssten bei einem etwaigen Besuch ihrerseits nicht, wo sie sich aufhalte – von ihrer Anwesenheit erfahren sollte.
Insgesamt kann aus dem Vortrag der Klägerin heraus keine extreme, unerträgliche Konfliktlage geschlossen werden. Nachdem die Klägerin sich bei der persönlichen Vorsprache bei der Stadt … am 26.11.2019 entsprechend äußerte, keine weiteren Schritte bezüglich einer Vaterschaftsfeststellung zu wünschen, lag ab diesem Zeitpunkt bzw. für den darauffolgenden Monat Dezember 2019 der Ausschluss von Unterhaltsvorschussleistungen nach § 1 Abs. 3 UVG vor. Die Einstellungen der Leistungen ab Dezember 2019 ist daher rechtmäßig.
4. Soweit die Klägerin in der Begründung des Bescheides außerdem aufgefordert wird, den bereits geleisteten Unterhaltsvorschuss für Dezember 2019 zurückzuzahlen, ist dies ebenfalls rechtmäßig.
a. Obwohl die Rückforderung lediglich in der Begründung aufgenommen wurde, ist der Bescheid auch hinsichtlich der Rückforderung formell rechtmäßig und insbesondere hinreichend bestimmt. Der typische Aufbau eines Bescheides mit Tenor, Sachverhalt und Begründung ist nicht zwingende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, solange klar ist, was der Adressat, aus welchen Gründen tun, dulden oder unterlassen soll. Aus der Formulierung „Die für den Monat Dezember 2019 bereits angewiesene UVG-Leistung in Höhe von 272,00 € ist von Ihnen zu erstatten“, des ohnehin – inklusive Rechtsmittelbelehrungnur eineinhalb Seiten umfassenden Bescheides wird hinreichend deutlich, dass die Klägerin den gezahlten Betrag zurückerstatten soll. Dies hat sie ausweislich ihrer Widerspruchsbegründung und Vertretungsanzeige vom 11.12.2019, in der sie vorgetragen hatte, das Geld bereits verbraucht zu haben, auch so verstanden.
b. Die Rückforderung findet ihre Rechtsgrundlage, wie im Widerspruchsbescheid vom 10.03.2020 zutreffend angeführt, in § 50 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Danach sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. § 5 UVG ist nicht anwendbar, da es sich um eine Rückforderung für einen Zeitraum handelt, in dem es schon keine Gewährung mehr gab.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 29.11.2019 wurde die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen mit Wirkung vom 01.12.2019 eingestellt. Noch vor Beginn des Dezember 2019 wurde der Klägerin also mitgeteilt, dass der Grund für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss ab Dezember 2019 wegfällt. Die Leistung war nur aufgrund der zeitlichen Nähe zum Monatsbeginn bereits angewiesen worden und wurde damit zu Unrecht und ohne Verwaltungsakt (noch) erbracht.
Rechtsfolge ist nach § 50 Abs. 2 SGB X ohne weitere Voraussetzungen oder Ermessensspielraum der Behörde, dass der Betrag zurückzuerstatten ist. Es kommt im Hinblick auf die vorherige Ankündigung, dass der Rechtsgrund fehlt, auch nicht auf etwaige Vertrauenstatbestände an. Die Regelung im Bescheid ist damit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nach alldem ist der Bescheid insgesamt rechtmäßig und die Klage daher vollumfänglich abzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Nach § 188 Satz 2 VwGO ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.


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