Europarecht

Unzulässigkeit einer auf die Feststellung der Löschungsreife gerichteten Zwischenfeststellungswiderklage

Aktenzeichen  6 U 6333/20

Datum:
7.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 41524
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GebrMG § 11 Abs. 1, § 12a, § 24, § 24a, § 24b
ZPO § 148, § 256
BGB § 242, § 259, § 260

 

Leitsatz

1. Eine Zwischenfeststellungswiderklage, mit der die Feststellung der Löschungsreife des Klagegebrauchsmusters beantragt wird, ist dann unzulässig, wenn die Hauptsacheklage unabhängig von der Bestandskraft oder der Löschungsreife des Klagegebrauchsmusters abzuweisen ist. (Rn. 120 – 123) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf eine Vorrichtung gerichtete und damit räumlich-körperlich definierte Merkmale eines Schutzanspuchs dürfen nicht in einer funktionsorientierten Auslegung in ihrer Bedeutung nivelliert werden. Ihr Inhalt darf mithin nicht auf die bloße Funktion reduziert und in einem Sinne verstanden werden, der mit seiner räumlich-körperlichen Ausgestaltung nicht mehr übereinstimmt. (Rn. 81) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Zweifel ist ein Verständnis der Beschreibung und des Schutzanspruchs geboten, das beide Teile der Gebrauchsmusterschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Gebrauchsmuster zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht (Anschluss an BGH GRUR 2015, 815 – Rotorelemente). (Rn. 101) (redaktioneller Leitsatz)
4. Lässt sich gleichwohl nur ein Teil der in der Beschreibung und den Zeichnungen beschriebenen Ausführungsformen unter den Schutzanspruch subsumieren, sind die Bestandteile der Beschreibung, die im Gebrauchsmusteranspruch keinen Niederschlag gefunden haben, nicht in den Schutzbereich einbezogen (Anschluss an BGH GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung). (Rn. 100) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 5363/19 2020-10-21 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 21.10.2020, Az. 21 O 5363/19, abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
und folgenden
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 250.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung eines Gebrauchsmusters auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagten begehren im Wege der Zwischenfeststellungswiderklage die Feststellung, dass das Klagegebrauchsmuster nicht bestandskräftig, sondern löschungsreif ist.
Die Klägerin ist eine Herstellerin von Kinderwagen und Kindersitzen. Sie ist Inhaberin des Gebrauchsmusters DE 20 2013 012 747 U1 (Klagegebrauchsmuster, Anlage K 8) betreffend einen Kindersitz oder eine Babyschale zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz. Das Klagegebrauchsmuster wurde unter Inanspruchnahme der Priorität der DE 20 2012 102 471 vom 04.07.2012 aus der Europäischen Patentanmeldung EP 3 284 630 A1 abgezweigt und am 01.02.2019 eingetragen. Der Hinweis auf die Eintragung des Klagegebrauchsmusters wurde am 14.03.2019 bekanntgemacht. Hinsichtlich der Stammanmeldung wurde am 22.05.2019 das Europäische Patent EP 3 284 630 B1 erteilt.
Gegen das Patent EP 2 861 455 B1, auf dem wiederum die Stammanmeldung EP’630 basiert, sowie gegen die Stammanmeldung selbst ist beim EPA jeweils ein Einspruchsverfahren anhängig.
Hinsichtlich des Klagegebrauchsmusters hat die Beklagte zu 2) am 18.03.2019 einen Antrag auf Löschung beim DPMA gestellt, der mit Schriftsatz vom 23.07.2020 zurückgenommen wurde. Am 08.09.2020 wurde von der Patent- und Rechtsanwaltskanzlei Pfenning, Meinig & Partner mbH ein neuer Antrag auf Löschung des Klagegebrauchsmusters gestellt.
Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters lautet wie folgt:
„Kindersitz (10) oder Babyschale zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugseitensitz, und zur Befestigung mit einem Kraftfahrzeug-Gurtsystem oder mittels Isofix-Klinken, mit einer Sitzschale (20) und einem an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer innerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes gelegenen Ruhestellung in eine außerhalb derselben gelegene Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Seitenaufprallschutz beidseitig der Sitzschale (20) so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet, wobei der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das an einer äußeren Seitenfläche (35) der Sitzschale (20) angebracht ist, wobei das Seitenelement (30) in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale (20) im Wesentlichen flach anliegt und zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar oder ausschwenkbar ist, wobei das Seitenelement (30) in Funktionsstellung oberhalb einer Sitzfläche (60) des Kindersitzes (10) und in einem Rückenabschnitt (70) rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes (10) angeordnet ist, so dass in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern ein Konstruktionselement des Kindersitzes, nämlich die Sitzschale, befindlich ist und aus diesem Grund eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden ist.“
Die Beklagten sind auf dem Gebiet des Handels und Vertriebs von Babyartikeln, insbesondere auch von Kindersitzen und Baby-Sitzschalen, tätig. Über die Webseite … wurden auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Kindersitzmodelle „…“ und „…“ (angegriffene Ausführungsform 1), „…“ und „…“ (angegriffene Ausführungsform 2), sowie die Gesamtvorrichtungen jeweils bestehend aus einem Kindersitz und einer Sitzbasis … mit „…“ (angegriffene Ausführungsform 3) sowie „…“ mit „…“ (angegriffene Ausführungsform 4) angeboten und vertrieben. Aus der Sicht der Klägerin stellen diese Modelle Verletzungen des Klagegebrauchsmusters dar, für die beide Beklagten verantwortlich seien.
Das Landgericht hat die Beklagten mit Endurteil vom 21.10.2020 unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, es bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen,
Kindersitze zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz und zur Befestigung mittels Isofix-Klinken in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wenn diese umfassen:
-eine Sitzschale und einen an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer innerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes gelegenen Ruhestellung in eine außerhalb derselben gelegene Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist,
-wobei der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist,
-wobei das Seitenelement in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt und zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar ist,
-wobei das Seitenelement in Funktionsstellung oberhalb einer Sitzfläche des Kindersitzes und in einem Rückenabschnitt rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet ist,
-so dass in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern ein Konstruktionselement des Kindersitzes, nämlich die Sitzschale, befindlich ist und aus diesem Grund eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden ist,
-wobei der Seitenaufprallschutz beidseitig der Sitzschale so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet.
Ferner hat das Landgericht die Beklagten zur Auskunft und Rechnungslegung, zum Rückruf und zur Entfernung aus den Vertriebswegen sowie zur Herausgabe an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung verurteilt und eine Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt.
Die Zwischenfeststellungswiderklage, mit der die Feststellung der Löschungsreife des Klagegebrauchsmusters beantragt wurde, hat das Landgericht als unbegründet abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Klägerin stehe gegen die Beklagten der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 24 Abs. 1 GebrMG zu. Sämtliche angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters unmittelbar wortsinngemäß.
Der angesprochene Fachmann verstehe den vom Klagegebrauchsmuster verwendeten Begriff der „Sitzschale“ in Merkmal 1.2 (vgl. Merkmalsgliederung des Landgerichts, S. 34 f. LGU, sowie unten A I) dahingehend, dass die Sitzschale derart ausgestaltet sein müsse, eine erfindungsgemäße Kraftumlenk- und Einleitungsfunktion des Seitenaufprallschutzes zu gewährleisten. Dem Fachmann sei dabei bekannt, dass „Sitzschalen“ auch aus mehreren fest miteinander verbundenen, etwa verklebten oder verschraubten, Komponenten bestehen könnten und dass insbesondere Kindersitze oftmals etwa zum Transport in ein Sitzteil und ein Rückenteil zweigeteilt werden könnten. Das Verständnis des Fachmanns sei vor diesem Hintergrund nicht darauf beschränkt, dass eine klagegebrauchsmustergemäße Sitzschale „aus einem Guss“ angefertigt sein müsse bzw. dass vom Begriff „Sitzschale“ nur der Sitzteil – also der Teil des Sitzes, auf dem das Kind sitze – umfasst sei.
Den Begriff „Funktionsstellung“ in Merkmal 1.3 verstehe der angesprochene Fachmann dahingehend, dass der Seitenaufprallschutz in dieser Position außerhalb der Standardbreite, also außerhalb der Hüllkurve des Kindersitzes liege. Denn in dieser Stellung könne der Seitenaufprallschutz seine Funktion erfüllen, bei einem Seitenaufprall den ersten Angriffspunkt für eine auf den Sitz wirkende Kraft zu bieten. Demgegenüber finde eine Auslegung, wonach der Seitenaufprallschutz in Funktionsstellung die an ihn angrenzenden Anlageflächen entweder des Kraftfahrzeugs oder eines benachbarten Kindersitzes berühren müsse, keine Stütze im Anspruchswortlaut und in dieser Enge auch nicht in der Beschreibung oder den Zeichnungen. Der Fachmann verstehe den Anspruch in Zusammenschau mit der Beschreibung vielmehr funktional dahingehend, dass es für die Funktion der Erfindung vorteilhaft sei, eine möglichst weite Annäherung an die Kraftfahrzeugseitenfläche zu erreichen; eine unmittelbare Anlage verlange der Anspruch demgegenüber jedoch nicht.
Das Merkmal 2 – ein „Seitenelement, das an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist“ – lehre den Fachmann, wo sich das Seitenelement in räumlich-körperlicher Hinsicht im Bereich der Sitzschale vor dem Hintergrund der funktionalen Zielsetzung des Klagegebrauchsmusters befinden müsse. Die äußere Seitenfläche verstehe der Fachmann bei funktionaler Betrachtung als den im Wesentlichen in Richtung der Kraftfahrzeuginnenseiten exponierten, äußeren Teil eines Kindersitzes. „Angebracht“ sei dabei funktional dahingehend zu verstehen, dass das Seitenelement so im Bereich der Seitenfläche verbaut sein müsse, dass eine anspruchsgemäße Bedienung möglich sei, unabhängig davon, wie der Sitz konkret aufgebaut sei. Eine feste Verbindung zwischen Seitenfläche und Seitenelement sei dabei nicht vorausgesetzt, wie der Fachmann insbesondere aus Abs. [0031] erkenne, wonach ein anspruchsgemäßes Seitenelement auch teleskopartig in den Kindersitz einschiebbar ausgestaltet sein könne. Sei es aber möglich, ein anspruchsgemäßes Seitenelement auch dementsprechend durch die äußere Seitenfläche hindurch beweglich auszugestalten, könne der Lehre des Klagegebrauchsmusters nach nicht zwingend vorausgesetzt sein, dass eine feste Verankerung an der äußeren Seitenfläche erfolge. Vielmehr ergebe sich für den Fachmann daraus, dass die Verankerung des Seitenelements auch im Inneren der Seitenschale erfolgen könne. Wie die Befestigung des Seitenelements zu erfolgen habe, lasse das Klagegebrauchsmuster dagegen offen. Der Fachmann werde hierbei auf der Grundlage seines allgemeinen Fachwissens eine Befestigung wählen, die geeignet sei, das Klagegebrauchsmuster seinem anspruchsgemäß vorausgesetzten Zweck entsprechend zu erreichen.
Das Merkmal 2.1, wonach das Seitenelement in Ruhestellung „im Wesentlichen flach anliegt und zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar oder ausschwenkbar ist“, sei nicht dahingehend zu verstehen, dass ein anspruchsgemäß ausgestaltetes Seitenelement außen auf der äußeren Seitenfläche der Sitzschale montiert sein müsse. Der angesprochene Fachmann erkenne aus der Beschreibung vielmehr, dass ein im Wesentlichen flaches Anliegen auf verschiedene, technisch aber jeweils gleich wirkende Art und Weise erreicht werden könne. Abs. [0008] des Klagegebrauchsmusters schlage insoweit eine Ausführungsform vor, bei der das Seitenlement in Ruhestellung an einer Seitenfläche der Sitzschale anliege, in die Seitenfläche der Sitzschale eingeschoben oder an diese an- oder in diese eingeklappt werden könne. Der Fachmann lege das Merkmal daher so aus, dass es Ziel des Anspruchs sei, über die Seitenfläche hinausragende Überstände des Seitenelements in Ruhestellung möglichst zu vermeiden. Die Argumentation der Beklagten, dass Abs. [0008] verschiedene, jeweils selbständig nebeneinander stehende Ausführungsformen vorsehe, von denen der hier geltend gemachte Schutzanspruch gezielt nur eine ausgewählt und unter Schutz gestellt habe, verfange nicht. Zwar könne die Formulierung „anliegt“ begrifflich dahingehend verstanden werden, dass sich das fragliche Seitenelement von außen betrachtet auf der äußeren Seitenfläche befindet. Dieses Verständnis sei aber bereits auf der rein begrifflichen Ebene nicht zwingend. Vielmehr könne das Merkmal eines im Wesentlichen flach anliegenden Seitenelements auch als Oberbegriff verstanden werden, da ein in die äußere Seitenfläche eingebettetes oder eingeschobenes Seitenelement gerade in besonderem Maße flach anliege. Auch in technisch-funktionaler Hinsicht gehe die Beschreibung in Abs. [0008] von einer Gleichrangigkeit der dort aufgeführten Gestaltungsvarianten aus und differenziere zwischen den einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten gerade nicht in einer diese Gestaltungsvarianten einander gegenseitig ausschließenden Weise. Diese Merkmalsinterpretation füge sich zudem widerspruchslos in die Gesamtbetrachtung der übrigen Beschreibung. Zur Erreichung des in Abs. [0007] umschriebenen wesentlichen Zwecks der Erfindung werde als „eine“ Ausführungsform die Ausgestaltung gemäß Abs. [0008] vorgeschlagen. Abs. [0009] führe dann entsprechend fort, dass „das erfindungsgemäße Seitenelement in Funktionsstellung ausklappbar, ausschwenkbar, teleskopartig ausfahr- oder ausschieb- oder ausziehbar oder alternativ (…) entnehmbar und (…) anbringbar und insbesondere auch befestigbar“ ist. Aus der Entscheidung BGH GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung ergebe sich nichts anderes, da die oben ausgeführte Auslegung gerade gezeigt habe, dass ein Widerspruch zwischen Schutzanspruch und Beschreibung hier nicht bestehe. Auch der Hinweis der Beklagten auf die Entscheidung des BGH GRUR-RS 2020, 17331 – Polsterproduktherstellung rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Das Urteil betreffe eine bereits im Ausgangspunkt unterschiedliche Fallgestaltung. Anders als dort liege ein Widerspruch zwischen Beschreibung oder Figur einerseits und Schutzanspruch andererseits vorliegend gerade nicht vor. Die Zeichnungen (insbesondere Figuren 3, 18 und 19) sowie Abs. [0008] erläuterten Merkmal 2.1 näher und in schlüssiger, widerspruchsfreier Weise vor dem Hintergrund der dem Klagegebrauchsmuster zu Grund liegenden Aufgabe, einen verbesserten Seitenaufprallschutz für Kindersitze mit zugleich verbesserter Handhabbarkeit und Stabilisierung des Sitzes in der Betriebsposition bereitzustellen. Auch im Wege einer schutzrechtsvergleichenden Betrachtung könne nicht geschlussfolgert werden, dass das Klagegebrauchsmuster sich durch die Anlehnung der Formulierung des Anspruchs 1 an die erste in Abs. [0008] aufgelistete Gestaltungsvariante selbst dahingehend spezialisiere und beschränke, nur die eine einzelne, entsprechend eng am Wortlaut verhaftete Gestaltungsvariante zu schützen. Das Klagegebrauchsmuster müsse aus sich selbst heraus ausgelegt werden. Diese Auslegung habe wie ausgeführt ergeben, dass das in Ruhestellung im Wesentlichen flach anliegende Seitenelement als Oberbegriff für die in Abs. [0008] genannten Gestaltungsvarianten gewählt worden sei. Da sich diese Auslegung dem Fachmann zwanglos erschließe, sei auch dem Gebot der Rechtssicherheit hinreichend Rechnung getragen. Eine an der Verwendung des Wortes „oder“ festzumachende gezielte Auswahlerfindung und damit einhergehende Beschränkung des Schutzbereichs lasse sich letztlich nicht überzeugend begründen. Bereits begrifflich habe das Wort „oder“ auch die Bedeutung einer Aufzählung gleichrangig, aber nicht zeitgleich realisierbarer Gestaltungsvarianten.
Das Merkmal 2.2 – ein „Seitenelement, das in Funktionsstellung oberhalb einer Sitzfläche des Kindersitzes und in einem Rückenabschnitt rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet ist“ – verstehe der Fachmann als Konkretisierung der räumlich-körperlichen Position, an welcher das Seitenelement in Funktionsstellung mit Blick auf die von dem Klagegebrauchsmuster beabsichtigte Seitenaufprallschutzwirkung an einem Kindersitz angebracht sein müsse. Insbesondere im Hinblick auf die Zeichnungen gemäß Figur 1 verstehe der Fachmann die Vorgabe, dass sich das Seitenelement „oberhalb einer Sitzfläche (…) und in einem Rückenabschnitt“ befinde, dahingehend, dass auch die Seitenflächen der Sitzschale einen Rückenabschnitt des Kindersitzes bilden könnten; der Begriff „Rückenabschnitt“ bedeute für den Fachmann nicht, dass der Seitenaufprallschutz hinter dem Rücken des Kindes zu positionieren sei. Der Begriff „Rückenanlagefläche“ bezeichne aus Sicht des angesprochenen Fachmanns den Bereich eines Kindersitzes, an dem der Rücken des im Kindersitz sitzenden Kindes unmittelbar anliege. Dabei sei dem Fachmann bewusst, dass der Rücken eines Kindes an einem Polster anliege, so dass der Fachmann das Merkmal funktional dahingehend auslege, dass sich das Seitenelement aus seitlicher Perspektive rückwärtig des Rückens des im bepolsterten Kindersitz sitzenden Kindes befinden müsse. Dagegen überzeuge das Argument der Beklagten, dass nicht der Rücken des Kindersitzes maßgeblicher Bezugspunkt zur Bestimmung der Rückenanlagefläche sei, sondern die Fläche, an welcher der Kindersitz an dem Fahrzeugsitz anliege, nicht. Insbesondere stünde eine solche Auslegung im Widerspruch zu dem in Abs. [0031] beschriebenen Beispiel einer Ausführungsform, in welchem bei einem dahingehenden Merkmalverständnis das Seitenelement außerhalb des Kindersitzes liegen würde und nicht mehr dem durch das Klagegebrauchsmuster geschützten Kindersitz zuordenbar wäre. Die von Merkmal 2.2 darüber hinaus verlangte „rückwärtige“ Anordnung des Seitenelements verstehe der Fachmann dahingehend, dass sich das Seitenelement in Funktionsstellung aus seitlicher Perspektive betrachtet zwischen dem durch die Rückenanlagefläche einerseits und die hintere Begrenzungsfläche des Rückenabschnitts andererseits abgegrenzten Bereich des Kindersitzes befinden müsse. Soweit die Beklagten diesbezüglich vorgetragen hätten, dass die Klägerin im Erteilungsverfahren der Stammanmeldung EP’455 klar zwischen Seitenbereich und Rückenabschnitt unterschieden habe, sei das Klagegebrauchsmuster aus sich heraus auszulegen. Den von den Beklagten vorgebrachten Widerspruch vermöge die Kammer in der Sache aber auch nicht zu erkennen. Neben dem Merkmal 2.2 verlange das Merkmal 2 zugleich, dass das Seitenelement an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist. Dem Fachmann sei bewusst, dass eine Fläche, wie zum Beispiel eine Kugeloberfläche, nicht nur zweidimensional gestaltet sein könne. Auch die Figuren 5, 6, 18 und 19 verdeutlichten, dass der Lehre des Klagegebrauchsmusters folgend Seitenfläche und Rückenabschnitt nicht zwei sich ausschließende Bereiche eines anspruchsgemäßen Kindersitzes seien, sondern sich zumindest teilweise überschneiden könnten.
Die anspruchsgemäße Vorgabe der Merkmale 2.3 und 3 („so dass in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern ein Konstruktionselement des Kindersitzes, nämlich die Kindersitzschale befindlich ist und aus diesem Grund eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden ist, wobei der Seitenaufprallschutz beidseitig der Sitzschale so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet“) verstehe der Fachmann als Zweck-/Wirkungsangabe, die als solche den Schutzgegenstand im Allgemeinen nicht beschränke. Allerdings müsse der durch das Klagegebrauchsmuster geschützte Gegenstand so ausgebildet sein, dass er für den im Anspruch angegebenen Zweck verwendbar sei bzw. die im Anspruch angegebene Funktion erfüllen könne. Dabei sei vorliegend zu berücksichtigen, dass der Anspruchswortlaut keine Vorgaben mache, in welchem Umfang eine Übertragung und Einleitung von Seitenkräften in die Sitzschale erfolgen müsse. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass die im Falle eines Seitencrashs auftretenden Kräfte ausschließlich hinter dem Rücken des Kindes vorbeigeleitet werden. Da dem Fachmann bekannt sei, dass Kollisionskräfte nach der Kontaktbildung mit dem Seitenaufprallschutz nicht unidirektional in Richtung des Kindersitzes wirken könnten, werde der Fachmann den Seitenaufprallschutz so positionieren, dass er geeignet ist, etwaige Seitenkräfte am Kind vorbei in die Sitzschale einzuleiten, wobei ihm bewusst sei, dass nicht alle Seitenkräfte am Kind vorbeigeleitet werden müssen.
Das Landgericht führt weiter aus, die von den Beklagten angebotenen angegriffenen Ausführungsformen verletzten Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters unmittelbar wortsinngemäß im Sinne des § 11 Abs. 1 GebrMG.
Die angegriffenen Ausführungsformen verfügten über eine anspruchsgemäße Sitzschale, wobei es unschädlich sei, dass die Sitzschalen der angegriffenen Ausführungsformen jeweils aus mehreren Teilen bestünden.
Weiter verwirklichten sämtliche angegriffenen Ausführungsformen Merkmal 1.3. Insbesondere verfügten die angegriffenen Ausführungsformen über eine anspruchsgemäße Ruhestellung, in welcher die eingeklappten Seitenelemente innerhalb der Hüllkurve des jeweiligen Sitzes lägen, und eine Funktionsstellung, in welcher dieses außerhalb der Hüllkurve und damit näher an einer Kraftfahrzeuganlagefläche lägen, wobei es auf ein unmittelbares Anliegen an der nächstgelegenen Kraftfahrzeuginnenwand nicht ankomme.
Sämtliche angegriffenen Ausführungsformen verfügten zudem über ein Seitenelement, das von außen an der jeweils äußeren Seitenfläche ausgebildet und bedienbar sei und somit an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht sei (Merkmal 2). Dass das Seitenelement dabei jeweils über eine unterschiedlich gestaltete Konstruktion an einem im Inneren der jeweiligen Sitzschale gelegenen Bauteil verbaut sei, stehe der Merkmalsverwirklichung nicht entgegen, da Merkmal 2 die bauliche Konstruktion, wie das Seitenelement an der äußeren Seitenfläche angebracht sei, offenlasse.
Weiterhin sei auch Merkmal 2.1 verwirklicht, da das Seitenelement bei den angegriffenen Ausführungsformen in Ruhestellung an der Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliege. Ein im Wesentlichen flaches Anliegen könne auch dadurch erreicht werden, dass das Seitenelement – wie hier der Fall – in die äußere Seitenfläche der Sitzschale eingebettet sei.
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten auch Merkmal 2.2, da sich die Seitenelemente in ausgeklapptem Zustand aus seitlicher Perspektive betrachtet jeweils zwischen dem durch die Rückenanlagefläche einerseits und die hintere Begrenzungsfläche des Rückenabschnitts andererseits abgegrenzten Bereich des Kindersitzes oberhalb der Sitzfläche befänden, wobei dem Fachmann bewusst sei, dass der Sitz hierzu in bepolsteter Form betrachtet werden müsse. Dass sich eine oder mehrere Schrauben, mit denen das Seitenelement im Inneren der Ausführungsformen befestigt sei, vor dem Konstruktionselement des Kindersitzes befänden, auf welchem die Sitzpolsterung angebracht sei, komme es angesichts der gebotenen funktionalen Betrachtung nicht an.
Schließlich verwirklichten die angegriffenen Ausführungsformen auch Merkmalsgruppe 2.3 und 3. Der Seitenaufprallschutz sei beidseitig der Sitzschale so positioniert, dass sich in dessen Verlängerung kein Kind, sondern die Sitzschale als Konstruktionselement des Kindersitzes befinde. Bei der vorliegend erfolgten Anordnung der Seitenelemente könnten bei sämtlichen angegriffenen Ausführungsformen etwaige Seitenkräfte zumindest teilweise hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei in die Sitzschale eingeleitet werden, wobei es auf das konkrete Maß der Krafteinleitung nicht ankomme, sondern maßgeblich allein sei, ob der diesbezügliche Zweck erfüllt werden könne. Nicht überzeugend zum Nachweis der angeblich fehlenden Zweckerfüllung sei der Verweis der Beklagten auf einen Crashtest, da die bei dem Test verwendeten Ausführungsformen – ein Kindersitzmodell der Klägerin „Cybex Sirona“ und ein Modell der angegriffenen Ausführungsform 1 – bereits nicht miteinander vergleichbar seien. Dazu komme, dass sich aus den Bildern keineswegs ergebe, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen keine Seitenkräfte hinter dem Kind vorbei in die Sitzschale eingeleitet würden. Vielmehr stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die in den angegriffenen Ausführungsformen verbauten Seitenelemente geeignet seien, Seitenkräfte im Kollisionsfalle hinter dem Rücken eines Kindes vorbei in die Sitzschale einzuleiten. Dies folge bereits aus allgemeinen physikalischen Grundsätzen im Hinblick auf die bei den vorliegend angegriffenen Ausführungsformen erfolgte Anordnung der Seitenelemente. Überdies erscheine es schwer vorstellbar, dass die Beklagten eine Funktion in ihre Kindersitze einbauen und mit den Begriffen „Seitenaufprallschutz“ bzw. „Guard Sourround Safety“ bzw. „Side Impact Protection“ bewerben, diesen aber diese Funktion absprechen und behaupten wollten, dass Seitenkräfte im Kollisionsfall gezielt auf das Kind zugeleitet würden.
Die Beklagten seien auch passivlegitimiert. Sie seien beide „Verletzer“ im Sinne des § 24 GebrMG, da sie das Klagegebrauchsmuster als Mittäter benutzten. Die Benutzung liege dabei bereits in der Verfügbarmachung über die Webseite. Alle angegriffenen Ausführungsformen seien auf der Webseite der Beklagten zu 1) als in Deutschland verfügbar genannt. Die Beklagte zu 2) werde dort als zuständige Firma für den Vertrieb in Deutschland genannt.
Die mit Klageanträgen Ziffern 2 bis 6 geltend gemachten Folgeansprüche stünden der Klägerin ebenfalls weit überwiegend zu. Lediglich in zeitlicher Hinsicht seien der Auskunftsanspruch und der Rechnungslegungsanspruch gegenüber dem Klageantrag teilweise zu begrenzen und die Klage insoweit im Übrigen abzuweisen gewesen.
Das Klagegebrauchsmuster sei überdies weder mangels Neuheit noch mangels erfinderischer Tätigkeit noch in Folge unzulässiger Erweiterung löschungsreif, so dass die Klage weder abzuweisen noch das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen gewesen sei (vgl. hierzu die näheren Ausführungen LGU S. 54 ff.).
Bezüglich der von den Beklagten erhobenen Zwischenfeststellungswiderklage führt das Landgericht aus, diese sei zulässig, aber unbegründet. Bei dem Rechtsbestand eines Gebrauchsmusters handele es sich um ein Rechtsverhältnis und ungeachtet dessen, ob die Klägerin eine eingetragene oder nicht eingetragene Anspruchsfassung des Klagegebrauchsmusters geltend mache, handele es sich bei dessen Bestandskraft um eine für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits vorgreifliche Rechtsfrage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO. In der Sache sei die Zwischenfeststellungswiderklage aber nicht begründet, da das Klagegebrauchsmuster rechtsbeständig sei.
Die Beklagten haben gegen das ihnen am 30.10.2020 zugestellte Endurteil mit Schriftsatz vom 02.11.2020 (Bl. 614/615 d.A.) Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 23.11.2020 (Bl. 630/660 d.A.) begründet haben.
Die Beklagten führen zur Begründung ihrer Berufung (unter ergänzender Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag) im Wesentlichen Folgendes aus:
Das Merkmal 2 verstehe der Fachmann zwanglos dahingehend, nämlich genau im Wortsinne, wonach das Seitenelement an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale anzubringen sei. „Anbringen“ werde der Fachmann entgegen der Auffassung des Landgerichts nur dahingehend verstehen, dass gerade eine Verbindung an der Seitenfläche mit dem Seitenaufprallschutz herzustellen sei. Auch in funktionaler Hinsicht verstehe der Fachmann „anbringen“ dahingehend, dass der Seitenaufprallschutz dazu dienen solle, bei einem Unfall die Seitenkräfte aufzunehmen (gemäß Abs. [0007] des Klagegebrauchsmusters durch Kraftumlenkung und Absorption) und daher eine feste Verbindung zwischen der Seitenfläche einerseits und dem Seitenelement andererseits vorzunehmen sei. Soweit das Landgericht meine, dass der Fachmann durch den Abs. [0031] erkenne, dass zwischen Seitenfläche und Seitenelement keine feste Verbindung vorausgesetzt werde, beziehe sich das Landgericht auf eine Beschreibungsstelle, die eine andere, alternativ vorgeschlagene Gestaltung des Seitenelements mit der Sitzschale als solche in Bezug nehme (d.h. gerade nicht auf die „äußere Seitenfläche der Sitzschale“ abstelle). Erläutert werde hier die Ausführung der Figur 3. Die Möglichkeit, das Seitenelement in die Seitenfläche der Sitzschale einzuschieben, werde in Abs. [0008] gerade als Alternative zur Lösung „Seitenelement, das an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist“, aufgeführt. Die Varianten schlössen sich in konstruktiver Hinsicht jedoch gerade gegenseitig aus. Das Klagegebrauchsmuster beschreibe mit „Einschieben“ (Abs. [0031]) eine andere technische Ausgestaltung und nicht eine mögliche Ausstattungsvariante „des an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale anbringen“. Ein „Einschieben“ könne nicht unter den Wortsinn „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale anbringen“ gefasst werden. Der Anspruch löse sich sogar von der Beschreibungsstelle in Abs. [0008] des Klagegebrauchsmusters und fordere darüber hinausgehend, dass das Seitenelement an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale nicht nur anliege, sondern angebracht werden solle. Der Fachmann, der den Anspruch im genannten Sinne wortsinngemäß und funktional richtig ausgelegt habe, werde durch die Beschreibungsstelle Abs. [0037] bzw. die Ausführungsbeispiele 5 und 6 einschließlich der Figuren 7, 8 und 9 in seiner Auslegung nochmals bestätigt. Es bestehe für den Fachmann somit auch ausgehend von den Ausführungsbeispielen keinerlei Veranlassung, sich von der Wortsinn- und Funktionsauslegung des Anspruches zu lösen und die räumlich-körperlich definierten Merkmale auf eine allgemeine, rein funktionale Lehre zu reduzieren, wie es das Landgericht bei seiner Auslegung fehlerhaft gemacht habe, wenn es die Meinung vertrete, die Verankerung des Seitenelements könne auch im Inneren der Sitzschale erfolgen und das Klagegebrauchsmuster würde es offenlassen, wie die Befestigung des Seitenelements zu erfolgen habe.
Bezüglich Merkmal 2.1 („im Wesentlichen flach anliegend“) sei für den Fachmann bereits aus dem Anspruchswortlaut des Klagegebrauchsmusters klar, dass dieses ausschließlich die Konstruktionsvariante betreffe, bei der ein flaches Anliegen eines Klappelements an einer äußeren Seitenfläche vom Schutzbereich umfasst sei, nicht jedoch davon in der Konstruktion abweichende Varianten, die vom Wortsinn an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale und im Wesentlichen „flach anliegend“ nicht mehr gefasst würden. Bei einem „Einschieben“ ebenso wie bei einem „Einklappen“ solle das Seitenelement in die Sitzschale selbst eingebracht werden, Abs. [0031] und [0041]. Das Einklappen des Seitenelements in eine Sitzschale erfordere, dass es in die Sitzschale integriert sei und mit der Seitenfläche bündig abschließe, wie aus den Figuren 18 und 19 sowie aus [0041] zu entnehmen sei.
Das Merkmal „im Wesentlichen flach anliegend“ könne auch nicht als Oberbegriff verstanden werden. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters zeige, dass sehr wohl zwischen den technischen Begriffen „flach anliegend“ und „bündig abschließen“ unterschieden werde, wie sich etwa aus Abs. [0041] zu Figur 18 und Abs. [0008], wo die Gestaltungsvariante des „flachen Anliegens“ alternativ zu den weiteren dort aufgelisteten Varianten genannt und gerade nicht „vor die Klammer gezogen“ werde, ergebe.
Tatsächlich sei es sogar so, dass sich die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten technisch gegenseitig ausschlössen. Entweder sei das Seitenelement an der äußeren Seitenfläche angebracht oder es sei in die Sitzschale eingeschoben oder an diese angeklappt oder in diese eingeklappt. Dass mit allen Gestaltungsmöglichkeiten die Aufgabe gelöst werden könne, dass der Seitenaufprallschutz nicht über die vorgegebene Breite des Kindersitzes hinausrage, möge sein, sei aber unerheblich. Dies sei die Aufgabe, die mehreren möglichen Lösungen seien aber eben unterschiedlich. Entgegen der Auffassung des Landgerichts treffe die Entscheidung BGH GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung genau den vorliegenden Fall. Das Landgericht verkenne das Verständnis des BGH, was mit „Widerspruch“ gemeint sei. Eine lediglich in der Beschreibung genannte gleichwirkende Lösung der Aufgabe, die im Anspruch nicht mit aufgenommen wurde, stelle schon einen Widerspruch dar. Durch das Herauslösen eines Merkmalsteils und seiner Verallgemeinerung verkenne das Landgericht das Auslegungsgebot, räumlich-körperlich definierte Merkmale nicht auf die bloße Funktion zu reduzieren. Das Argument des Landgerichts, es läge kein Widerspruch vor, da „ein im Wesentlichen flaches Anliegen auf verschiedene, technisch aber jeweils gleich wirkende Art und Weise erreicht werden kann“, übergehe die vom BGH in der genannten Entscheidung aufgestellten Grundsätze, wonach dieser die Möglichkeit der Einbeziehung gleichwirkender Lösungen sogar ausdrücklich ausgeschlossen habe. Die Klägerin habe im Anspruch des Klagegebrauchsmusters eben nur eine Lösungsmöglichkeit aufgenommen und damit eine Auswahlentscheidung getroffen. Daran sei sie festzuhalten.
Es erfolge überdies keine Abwägung unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Der Fachmann, der in Abs. [0008] des Klagegebrauchsmusters alternative Lösungsmöglichkeiten erkenne, aber auch sehe, dass im Anspruch nur eine davon aufgenommen worden sei, werde darauf vertrauen, dass auch nur diese unter Schutz gestellt werden soll. Der Anmelder hätte einen breiteren Anspruch formulieren können. Bei einem Gebrauchsmuster müsse zudem mit berücksichtigt werden, dass es sich um ein ungeprüftes Schutzrecht handelt. Der Schutzbereich eines Gebrauchsmusters müsse für Außenstehende hinreichend sicher vorhersehbar sein und diese sollten sich darauf verlassen können, dass der im Gebrauchsmuster unter Schutz gestellte Gegenstand mit den Merkmalen des Gebrauchsmusteranspruchs vollständig und hinreichend deutlich beschrieben ist. Das Landgericht habe überdies keine Abwägung vorgenommen, sondern unterliege dem Zirkelschluss, dass weil seine Auslegung richtig sei, auch dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung getragen werde.
Zudem seien für die Auslegung des Merkmals 2.1 die mehreren, parallel angemeldeten Schutzrechte sehr wohl heranzuziehen, da sie gerade die Auslegung, wie sie die Beklagte vorgenommen habe, bestätigten. In Anspruch 1 des EP’455 habe die Klägerin noch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten als Alternativen angesehen und gerade nicht eine daraus als Oberbegriff für die jeweils anderen Gestaltungsmöglichkeiten. Dies werde auch bestätigt durch einen Vergleich des Abs. [0008] des Klagegebrauchsmusters mit den entsprechenden Beschreibungsstellen des EP’455 und des EP’630. Die dortige Einleitungspassage „Gemäß einer Ausführungsform der Erfindung …“, die zunächst auch in den Beschreibungen des EP’455 und EP’630 vorgesehen war, habe von der Anmelderin aufgrund eines entsprechenden Hinweises des EPA-Prüfers im EP’455 in „Erfindungsgemäß…“ abgeändert werden müssen. Klargestellt worden sei insoweit, dass zusammen mit der Trennung der Ausführungsbeispiele durch „oder“ hier tatsächlich vier alternative, sich gegenseitig ausschließende unterschiedliche konstruktive Varianten offenbart sind, die jeweils für sich genommen „erfindungsgemäß“ (und gerade nicht „ein Ausführungsbeispiel“) sein sollen. In dem zwischenzeitlich unter Einreichung der „alten“ Beschreibungsfassung aus dem EP’455 abgezweigten EP’630, aus dem sodann das Klagegebrauchsmuster abgezweigt wurde, habe die entsprechende Passage zunächst ebenfalls wie in Abs. [0008] des Klagegebrauchsmusters gelautet und sei ihrerseits erst aufgrund von Einwendungen des EPA-Prüfers dahingehend geändert worden, dass insbesondere die Wörter „oder im Wesentlichen in die Sitzschale, respektive in die Seitenfläche der Sitzschale eingeschoben oder an diese an- oder in diese eingeklappt ist“ gestrichen worden seien.
Soweit das Landgericht bezüglich des Merkmals 2.2 davon ausgehe, dass der Begriff „Rückenabschnitt“ für den Fachmann nicht bedeute, dass der Seitenaufprallschutz hinter dem Rücken des Kindes zu positionieren sei, erkenne es sehr wohl, dass diese Auslegung in einem Konflikt zur Auslegung des Merkmals 2 stehe, da das Klagegebrauchsmuster zugleich verlange, dass das Seitenelement an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist. Soweit das Landgericht versuche, diesen Konflikt der eigenen Auslegung mit dem Hinweis zu lösen, dass dem Fachmann bewusst sei, dass eine Fläche nicht nur zweidimensional, sondern etwa eine Kugeloberfläche auch dreidimensional gestaltet sein könne, habe das Landgericht ungeprüft eine geometrisch völlig unrichtige Angabe der Klägerin übernommen, da der Fachmann stets zwischen einer Fläche und einem Körper unterscheide. Die ersichtlich fehlerhaften Überlegungen des Landgerichts führten also aus dem Widerspruch bei der Auslegung der Merkmale nicht heraus. Indem das Landgericht ausgehend von den Figuren 5, 6, 18 und 19 sodann davon ausgehe, dass Seitenfläche und Rückenabschnitt nicht zwei sich ausschließende Bereiche eines anspruchsgemäßen Kindersitzes seien, sondern sich diese zumindest teilweise überschneiden könnten, werde das Merkmal 2 völlig beliebig und sinnentleert. Auch in Abs. [0018] der Beschreibung werde nicht nur die Anbringung des Seitenelements in einem Rückenabschnitt gefordert, sondern darüber hinaus die Anbringung rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes, was auch durch die Figuren 5, 6, 18 und 19 deutlich werde. Die vom Landgericht gesehene Überschneidung liege nicht vor.
Folge man der vorstehenden – richtigen – Auslegung, folge daraus zwingend, dass keine Verletzung des Klagegebrauchsmusters vorliege, weil schon eine Verwirklichung der Merkmale 2, 2.1 und 2.2 nicht gegeben sei. Unstreitig seien die Seitenelemente der angegriffenen Ausführungsformen nicht an der äußeren Fläche im Sinne der beklagtenseitigen Auslegung angebracht (Merkmal 2) und unstreitig seien die Seitenelemente allenfalls in die Seitenwand eingebettet, gerade nicht aber flach anliegend im wortsinngemäßen Verständnis (Merkmal 2.1).
Auch im Hinblick auf die Zwischenfeststellungswiderklage und den fehlenden Rechtsbestand unterliege das Urteil des Landgerichts zahlreichen, zum Teil erheblichen Fehlern. In Bezug auf die aus Sicht der Beklagten fehlenden Neuheit, einem jedenfalls fehlenden erfinderischen Schritt und dem Löschungsgrund einer unzulässigen Erweiterung wird auf die Ausführungen auf S. 23 ff. der Berufungsbegründung (Bl. 652/659 d.A.) sowie auf S. 21 ff. des Schriftsatzes vom 17.05.2021 (Bl. 772/793 d.A.) verwiesen. Da die zulässige Zwischenfeststellungswiderklage demnach begründet sei, könne dahinstehen, dass das Landgericht schon deshalb der Widerklage hätte stattgeben oder jedenfalls wieder in die mündliche Verhandlung eintreten müssen, weil die Klägerin tatsächlich keinen Widerklageabweisungsantrag gestellt habe und eine konkludente Antragstellung nach § 297 ZPO nicht zulässig sei.
Die Beklagten beantragen:
I. Das Urteil des Landgericht München I vom 21. Oktober 2020, Az.: 21 O 5363/19, wird … aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Es wird festgestellt, dass das deutsche Gebrauchsmuster DE 20 2013 012 747 U1 in der von der Klägerin zuletzt geltend gemachten Anspruchsfassung nicht bestandskräftig, sondern löschungsreif ist.
Die Klägerin beantragt:
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21. Oktober 2020 (Az. 21 O 5363/19) wird zurückgewiesen.
Bezüglich des vor dem Landgericht in der mündlichen Verhandlung am 16.09.2020 gestellten Hilfsantrags (vgl. Protokoll Bl. 485 d.A.) hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 09.09.2021 erklärt, dass dieser nicht weiter verfolgt wird (vgl. Protokoll Bl. 804 d.A.).
Die Klägerin führt in Erwiderung auf die Berufung im Wesentlichen Folgendes aus:
Das Erstgericht habe den technischen Sinngehalt von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters im Ergebnis zutreffend erfasst.
Das Merkmal 2 stelle für den Fachmann lediglich klar, dass es sich bei dem anspruchsgemäßen Seitenaufprallschutz um ein von der Sitzschale separates Bauteil handele, das an einer „äußeren Seitenfläche der Sitzschale“ – d.h., an einer vom Körper des Kindes abgewandten äußeren Seite des Sitzes – derart angebracht sei, dass das Seitenelement entsprechend Merkmal 1.3 „bedient“, d.h., von der Ruhe – in die Funktionsstellung verbracht werden und in der Funktionsstellung seine Seitenaufprallschutzwirkung entfalten könne. Merkmal 2 sei dabei im Zusammenhang mit den Merkmalen 2.2 und 3 zu lesen. Während Merkmal 2 allgemein die Positionierung des Seitenaufprallschutzes in Gestalt eines Seitenelements an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale definiere, bestimme Merkmal 2.2 diese Positionierung näher dahin, dass das Seitenelement oberhalb einer Sitzfläche, rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Sitzes anzuordnen sei, womit die erfindungsgemäße Wirkung gemäß Merkmal 3 verbunden sei. Merkmal 2 (wie auch die Merkmale 2.2 und 3) befassten sich hiernach ausschließlich mit der Positionierung des Seitenelements am Kindersitz, wie sie dem Fachmann in Abs. [0007] und [0018] in allgemeiner Form und ohne Rücksicht auf konkrete Ausführungsbeispiele gelehrt werde. Eine über die Angabe der Positionierung des Seitenelements hinausgehende technische Anweisung sei Merkmal 2 nicht zu entnehmen und lasse sich auch nicht dem Begriff „anbringen“ entnehmen. Es sei deshalb auch nicht veranlasst, eine Unterscheidung zwischen „Anbringung“ und „Einbringung“ vorzunehmen, wie die Beklagten dies versuchten, und zwar schon deshalb nicht, weil das Klagegebrauchsmuster weder den Begriff „Anbringung“ definiere, noch den Begriff „Einbringung“ überhaupt verwende oder eine Einbringung der Anbringung gegenüberstelle. Aus diesen Gründen werde der Fachmann den Begriff „Anbringung“ auch nicht mit einer „Befestigung“ gleichsetzen.
Aufbauend auf der allgemeinen Positionierung nach Merkmal 2 konkretisiere Merkmal 2.1 die Positionierung des Seitenelements in „Ruhestellung“, in der sich das Seitenelement gemäß Merkmal 1.3 innerhalb der vorgegebenen (seitlichen) Breite des Sitzes befinde. Wie der Fachmann aus Abs. [0008] erkenne, gehe es dem Klagegebrauchsmuster an dieser Stelle also nicht um konkrete Lösungsmittel zur Realisierung der Ruhestellung, sondern um die Beschreibung der Ruhestellung „an sich“, sowie um ihre technischen Wirkungen im Hinblick auf die Erfindung. In der Ruhestellung solle das Seitenelement gemäß Abs. [0008] innerhalb der seitlichen Breite respektive Hüllkurve des Kindersitzes liegen, wodurch die Handhabbarkeit des Seitenaufprallschutzes begünstigt werde. Zweifellos seien sämtliche in Abs. [0008] offenbarten Ausführungsvarianten geeignet, diese technische Wirkung zu erfüllen, so dass das Landgericht Merkmal 2.1 zutreffend in diesem Sinne funktionsorientiert ausgelegt habe. Eine darüber hinaus gehende räumlich-körperliche Festlegung, wonach etwa das Seitenelement auf einer Seitenfläche aufliegen müsse oder zumindest nicht in diese eingebettet sein dürfe, habe das Erstgericht mit Recht nicht in das Merkmal hineingelesen.
Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 01.02.2021 im vorliegenden Verfahren über die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung diese Auslegung nach summarischer Prüfung als „offensichtlich unzutreffend“ bewertet habe, könne dem nicht beigetreten werden. Die Bewertung des Senats sei schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil der Senat – entgegen seiner anderslautenden Beteuerung – zur Begründung seines Beschlusses auf EP’455 und EP’630, auf Änderungen im Erteilungsverfahren des EP’630 sowie auf eine vorläufige Meinung der EPA-Einspruchsabteilung verweise. Ein Gebrauchsmuster sei aber nur aus sich selbst heraus auszulegen und zur Auslegung seiner Schutzansprüche seien ausschließlich die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen.
Zudem könne vorliegend nicht von einer „Auswahlentscheidung“ nach den vom BGH in der Entscheidung GRUR, 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung entwickelten Grundsätzen ausgegangen werden. Nach beachtlicher Kritik an dieser Entscheidung habe der BGH die Anforderungen an das Feststellen eines solchen Widerspruchs insbesondere in der Entscheidung GRUR 2015, 875 – Rotorelemente konkretisiert und seine zentrale Feststellung in der Sache Okklusionsvorrichtung, die Beschreibung könne nicht zur „Korrektur“ des Patentanspruchs herangezogen werden, wenn sich die Beschreibung nicht mit dem Wortlaut des Anspruchs in Einklang bringen lasse, als zu kurz gegriffen erkannt und im Ergebnis aufgegeben. Eine „Auswahlentscheidung“ könne deshalb auch in Anbetracht der gravierenden praktischen Folgen einer solchen Feststellung, wonach die aus dem Schutzbereich fallenden offenbarten Lösungsmöglichkeiten auch über die Äquivalenz nicht mehr zu fassen sind, nur in absoluten Ausnahmefällen bejaht werden, in denen der Schluss gerechtfertigt sei, der Schutzrechtsinhaber habe mit seiner konkreten Anspruchsfassung nur eine ganz bestimmte Lösung unter Schutz stellen wollen. Hierzu müsse nach der Auslegung des Anspruchs zweifelsfrei ein „unauflösbarer Widerspruch“ zwischen Anspruch und Beschreibung und Zeichnungen festzustellen sein.
Bei Anlegung dieser Auslegungsgrundsätze ergebe sich, dass der Wortsinn von Merkmal 2.1 nicht auf Ausführungen beschränkt sei, in denen das Seitenelement in Ruhestellung auf einer Seitenfläche aufliege. In Bezug auf Abs. [0008] sprächen bereits dessen Inhalt und systematische Stellung dagegen, dass der Fachmann dem Abschnitt konkrete und streng voneinander abgegrenzte (d.h. „echte“) Ausführungsalternativen für eine räumlich-körperlich bestimmte Anbringung des Seitenelements in Ruhestellung entnehme. Abs. [0008] finde sich im allgemeinen Teil der Beschreibung der Erfindung und beziehe sich ausschließlich auf die Erläuterung von Zweck und Wirkung der Ruhestellung. Demgegenüber enthalte der Abschnitt keine Bezugnahme auf konkrete Ausführungsbeispiele der Anbringung des Seitenelements. Gegen das Vorliegen echter alternativer Ausführungsformen spreche weiter, dass sich die vom Senat im Einstellungsbeschluss identifizierten vier Varianten gerade nicht trennscharf als Ausführungsbeispiele nebeneinander stellen ließen, diese sich als Zustands- bzw. Lagebeschreibung vielmehr teilweise überschnitten und sich sogar miteinander kombinieren ließen. Gegen ein Verständnis von Ausführungsalternativen spreche überdies, dass das Klagegebrauchsmuster in Abs. [0008] Begriffe verwende, die es nur hier gebrauche, wie zum Beispiel den Begriff „angeklappt“. Zudem entnehme der Fachmann Abs. [0013] im allgemeinen Teil der Beschreibung, dass sich der dort ebenfalls verwendete Begriff „eingeklappt“ auf ein Seitenelement in Ruhestellung beziehe, wenn dieses als „Klappteil“ ausgestaltet sei. Sei das Seitenelement also ein Klappteil, sei es nicht nur in dem in Figur 18 gezeigten Ausführungsbeispiel, sondern auch in den in Figuren 5, 13 und 14 gezeigten Ausführungsformen „eingeklappt“ – und das, obwohl das Seitenelement in den letztgenannten Figuren in Ruhestellung auf einer Seitenfläche der Sitzschale aufliege. Im Sprachgebrauch des Klagegebrauchsmusters könne ein Seitenelement daher gleichzeitig auf einer Seitenfläche aufliegen und eingeklappt sein, so dass das Verständnis des Begriffs „eingeklappt“ im Sprachgebrauch des Klagegebrauchsmusters nicht auf ein „in eine Seitenfläche eingeklappt“ reduziert werden dürfe.
Ein Verständnis von echten (sich gegenseitig ausschließenden) Ausführungsvarianten ergebe sich ferner nicht aus der Verbindung der Aufzählung mit „oder“ in Abs. [0008], da es sich hier nicht um ein „ausschließendes oder“ (im Sinne von „entweder/oder“), sondern um ein „verbindendes oder“ handele. Ersetze der Fachmann in Abs. [0008] die „oder“ gedanklich durch „beziehungsweise“, könne er die Anweisung nur als einheitliche technische Lehre zur Anordnung des Seitenelements in Ruhestellung verstehen, welches in dieser Stellung gedanklich zugleich anliege, eingeschoben, an- bzw. eingeklappt sei.
Abs. [0008] finde sich, wie gesagt, im allgemeinen Teil der Beschreibung. Er erläutere allgemein die Positionierung des Seitenelements in Funktionsstellung. Aus diesem Grund enthalte Abs. [0008] auch keine „Legaldefinition“ von Ausführungsalternativen. Hinweise zum zutreffenden Verständnis der Varianten könnten sich vielmehr erst aus der weiteren Beschreibung konkreter Ausführungsbeispiele ergeben. Weiter sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den Begriffen „im Wesentlichen flach an der Seitenfläche … anliegt“ in Abs. [0008] um den – auslegungsbedürftigen – Sprachgebrauch des Klagegebrauchsmusters handele, und nicht etwa um in ihrem Begriffsinhalt eindeutig festgelegten Fachbegriffe für ein konkretes Lösungsmittel. Wenn der Fachmann die weitere Beschreibung in den Blick nehme, erschließe ihm sich ohne Weiteres, dass das Merkmal keine räumlich-körperliche Festlegung im Sinne eines „auf der äußeren Seitenfläche aufliegend“ gemäß den Ausführungsbeispielen in Figuren 5, 13, 14 beinhalte.
Ein unauflösbarer Widerspruch zwischen Merkmalswortlaut und konkreten Ausführungsbeispielen liege nicht vor. Wie sich aus der Beschreibungsstelle Abs. [0011] ergebe, könne im Sprachgebrauch des Klagegebrauchsmusters der Seitenaufprallschutz gleichermaßen „anliegend … an“ und „eingeschoben“ sein. Der Fachmann sehe sich hierdurch in seinem Verständnis bestätigt, dass das Klagegebrauchsmuster mit der Formulierung „im Wesentlichen flach an der Seitenfläche der Sitzschale anliegt“ nicht die konkrete Anbringungsform meinen könne, sondern sich diese nur auf die Positionierung des Seitenelements in Ruhestellung beziehe, sowie, dass die in Abs. [0008] genannten Varianten nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stünden, sondern auch in weiteren als in den von Abs. [0008] bereits nahegelegten Kombinationen vorliegen könnten.
Gemäß Abs. [0011] solle in Figur 5 des Klagegebrauchsmusters das als Klappteil ausgebildete Seitenelement „plan an der Seitenfläche anliegen“ und in der in Figur 6 gezeigten Funktionsstellung sei das Klappteil „aufgeklappt“. Verstünde man die in Abs. [0008] genannten Varianten nun mit den Beklagten – unzutreffend – als Ausführungsalternativen mit räumlich-körperlichem Gehalt, wäre das in Figur 5 und 6 offenbarte Ausführungsbeispiel nicht vom Schutzbereich des Anspruchs erfasst, denn weder liege das Seitenelement in diesem Ausführungsbeispiel gemäß Merkmal 2.1 „flach an einer Seitenfläche an“, noch sei es in Funktionsstellung „ausklappbar“ (sondern nur „aufklappbar“). Dies hätte im Ergebnis zur Folge, dass keines der vom Klagegebrauchsmuster offenbarten Ausführungsbeispiele vom Schutzbereich erfasst wäre, was nicht richtig sein könne.
Bei zutreffendem Merkmalsverständnis sei auch das in Abs. [0041] beschriebene und in Figur 18/19 gezeigte Ausführungsbeispiel vom Sinngehalt des Merkmals 2.1 erfasst. Mit den Begriffen „eingeklappt“ und „ausgeklappt“ referenziere das Klagegebrauchsmuster erkennbar auf die Beschreibung der Zustände des (wie hier) als Klappteil ausgestalteten Seitenelements in Ruhe- und Funktionsstellung. Wenn Merkmal 2.1 nun von „ausklappbar bzw. ausschwenkbar“ spreche und sich damit ersichtlich auf Klappteile beziehe, liege es für den Fachmann nahe, das in Figur 18/19 gezeigte Ausführungsbeispiel mit Klappteil dem Wortsinn des Teilmerkmals „ausklappbar bzw. ausschwenkbar“ unterfallen zu lassen. Der Fachmann werde daher letztlich auch den Sinngehalt der Begriffe „an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ mit dem in Abs. [0041] offenbarten und in Figuren 18 und 19 gezeigten Ausführungsbeispiel widerspruchslos in Einklang bringen. Nach der Rechtsprechung des BGH seien, wenn in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt werden, die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Ausführungsbeispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können. Angesichts des technischen Zwecks von Merkmal 2.1, eine möglichst kompakte Bauweise in der Ruhestellung zu realisieren, werde der Fachmann mithin im besonderen Maße bestrebt sein, solche Ausführungsformen, die den gewünschten Zweck besonders gut realisieren (d.h. „gerade im besonderen Maße flach anliegend“, siehe LGU S. 42), als ein im Wesentlichen flaches Anliegen an einer Seitenfläche der Sitzschale zu verstehen. Anlass hierfür gebe ihm auch Abs. [0041], wenn es dort heiße, dass „das Klappteil in Anlage mit der Sitzschale kommt“. Figur 19 des Klagegebrauchsmusters lasse außerdem erkennen, dass die äußere Seitenfläche der Sitzschale im Bereich der Anbringung des Klappteils einen Rücksprung aufweise. In diesem Rücksprung befinde sich ein Teil der äußeren Seitenfläche der Sitzschale. Das Seitenelement liege in Ruhestellung an diesem Abschnitt der Seitenfläche an, was in Abs. [0041] auch mit den Worten „in Anlage mit der Sitzschale kommt“ beschrieben sei. Der Wortlaut von Merkmal 2.1 lasse indes offen, wie der konkrete Abschnitt der Seitenfläche ausgestaltet sei, an der das Seitenelement in Ruhestellung flach anliege. Der Anspruchswortlaut schließe also nicht aus, dass sich die Anlagefläche im Bereich eines Rücksprungs der Seitenfläche befinden könne.
Das Landgericht habe ferner den Sinngehalt des Merkmals 2.2 („rückwärtig einer Rückenanlagefläche“) zutreffend ermittelt. Auch die erstinstanzliche Auslegung der Merkmale 2.3 und 3 von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters lasse keinen Rechtsfehler erkennen.
Bei Anlegung eines zutreffenden Anspruchsverständnisses machten die streitgegenständlichen Verletzungsformen von sämtlichen Merkmalen von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters, einschließlich von dessen Merkmal 2.1, wortsinngemäß Gebrauch.
Die Verletzungsform verwirkliche Merkmal 2, da der Seitenaufprallschutz bei der Verletzungsform durch Seitenelemente in Form von Klappteilen gebildet werde, die an äußeren (d.h. vom Kind abgewandten) Seitenflächen der Sitzschale angebracht seien.
Auch Merkmal 2.1 sei verwirklicht. Die Seitenelemente lägen bei den angegriffenen Ausführungsformen in der Ruhestellung an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale flach an, da sich ihre Seitenaufprallschutzelemente in angeklappter Stellung innerhalb der Hüllkurve des Kindersitzes befänden. Der Abschnitt der Seitenfläche, an dem das Klappteil in Ruhestellung anliege, könne auch – wie hier – als Rücksprung ausgebildet sein. Die Klappteile der angegriffenen Sitze seien zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar. Tatsächlich setzten damit sämtliche angegriffenen Sitze das in Figuren 18 und 19 des Klagegebrauchsmusters gezeigte Ausführungsbeispiel nahezu identisch um.
Ebenso sei Merkmal 2.3 realisiert. Durch die Anordnung der Seitenelemente nach Maßgabe von Merkmalen 2.1 und 2.2 befinde sich in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern die Sitzschale, wodurch wird im Falle eines seitlichen Aufpralls eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden werde.
Schließlich sei Merkmal 3 verwirklicht. Da die Seitenelemente der Verletzungsform entsprechend den räumlich-körperlichen Vorgaben gemäß Schutzanspruch 1 positioniert und zur Benutzung als Seitenaufprallschutz vorgesehen seien, erübrigten sich weitere Ausführungen zur Verwirklichung der Wirkungsangabe. Dessen ungeachtet hätten die starren Hartplastik-Klappelemente der Verletzungsform selbstverständlich die erfindungsgemäße Wirkung. Durch die anspruchsgemäße Anordnung der Klappteile sei die Umlenkung und (zumindest teilweise) Einleitung der Aufprallkraft in die Sitzschale physikalisch zwingend. Das Bestreiten der Verwirklichung des Merkmals sei nicht substantiiert. Die Beklagten treffe hinsichtlich ihrer Sitze eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen sei. Im Übrigen dürfe daran erinnert werden, dass die Beklagten sogar bei Gurtstrafferklappen der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung HTS Besafe iZi Comfort X3 eine Einleitung von Seitenaufprallschutzkräften hinter dem Rücken des Kindes im Wege von Crashtests festgestellt haben wollten, so dass nicht glaubhaft sei, dass die Seitenelemente ihrer Sitze – die bestimmungsgemäß als Seitenaufprallschutzelemente vorgesehen seien und als solche beworben würden – diese Wirkung gerade nicht besitzen sollten.
Die Zwischenfeststellungswiderklage habe das Landgericht zu Recht abgewiesen. Die Abweisung sei auf Abweisungsantrag der Klägerin erfolgt, was durch die Wiedergabe der Antragslage auf S. 21 a.E. des landgerichtlichen Urteils dokumentiert sei. Die Widerklage sei allerdings bereits als unzulässig abzuweisen gewesen. Obwohl die Klägerin in der mündlichen Verhandlung Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der eingetragenen Fassung zum Gegenstand ihrer Klageanträge gemacht habe, hätten die Beklagten an ihrer Fassung des Widerklageantrages vom 24.07.2020 festgehalten, wie der Tatbestand des angegriffenen Urteils belege. Danach sei die auf die Anspruchskombination gerichtete Zwischenfeststellungswiderklage schon nicht vorgreiflich für die von der Klägerin begehrte Feststellung, dass die Verletzungsformen von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters Gebrauch machen.
Die Zwischenfeststellungswiderklage sei auch unbegründet. Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters sei nicht unzulässig erweitert, das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass der Gegenstand von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters neu sei gegenüber sämtlichen von den Beklagten eingewandten Entgegenhaltungen und der Anspruch 1 beruhe auch auf einem erfinderischen Schritt. Insoweit wird auf die Ausführungen auf S. 37 ff. der Berufungserwiderung (Bl. 739/746 d.A.) Bezug genommen.
Ergänzend wird auf die von dem Prozessbevollmächtigten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 09.09.2021 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg. Eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters ist nicht festzustellen, da die angegriffenen Ausführungsformen nicht sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 wortsinngemäß verwirklichen (dazu A). Die Berufung bleibt hingegen erfolglos, soweit das Landgericht die Zwischenfeststellungswiderklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat; allerdings war die Zwischenfeststellungswiderklage infolge des unter A gefundenen Ergebnisses nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abzuweisen, weil es auf den Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters im vorliegenden Verfahren nicht ankommt (dazu B).
A. Die Klage der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Schadensersatz aus §§ 24, 24a, 24b GebrMG, §§ 242, 259, 260 BGB nicht zu, weil die angegriffenen Ausführungsformen nicht alle Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters, auf welchen die Klägerin die Klage stützt, verwirklichen.
I. Das Klagegebrauchsmuster betrifft einen Kindersitz oder eine Babyschale zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz. Zum Stand der Technik legt die Gebrauchsmusterschrift in der Beschreibung (Anlage K 8, Abs. [0003]) dar, dass Kindersitze und Babyschalen (wobei der Begriff „Kindersitz“ im Rahmen der Erfindung als Oberbegriff für Kindersitze und Babyschalen zu verstehen ist, vgl. Abs. [0002]), die auf einem Kraftfahrzeugsitz angebracht werden können, seit geraumer Zeit bekannt sind. Sie dienen als Sitzgelegenheit für Kinder und Babys und bieten diesen, insbesondere im Falle eines Unfalls erhöhten Schutz. Als problematisch haben sich diese Sitze jedoch bei einem Seitenaufprall erwiesen, da sowohl eine Gurtbefestigung als auch eine Befestigung mittel Isofix-Klinken den Kindersitz oder die Babyschale nur sehr unzureichend gegen eine Seitwärts-Bewegung des Sitzes schützen. Dies ist insbesondere bei einem Seitenaufprall jedoch wesentlich für einen möglichst guten Schutz des in dem Kindersitz befindlichen Kindes. Aus diesem Grund wurde bereits im Stand der Technik an bestehenden Kindersitzen und Babyschalen ein Seitenaufprallschutz angebracht. Das Klagegebrauchsmuster benennt beispielsweise den in der DE 20 2009 010 536 U1 oder in der US 2009/0152913 A1 beschriebenen Seitenaufprallschutz (vgl. Abs. [0003]). Bei den dort offenbarten Vorrichtungen handelt es sich um ein energieabsorbierendes Element in Form eines Faltbandes oder eines Luftkissens, das sich seitlich des Kindersitzes erstreckt. Diese im Stand der Technik bekannten Vorrichtungen haben jedoch den Nachteil, dass sie nicht in der Lage sind, ein in dem Kindersitz befindliches Kind optimal zu schützen, da eine Kraftübertragung bei einem Seitenaufprall bei den dort gezeigten Konstruktionen unmittelbar auf das in dem Kindersitz befindliche Kind erfolgt und die dort dargestellten Kindersitze nur unzureichend in der Lage sind, eine Aufprallenergie zu absorbieren und/oder abzuleiten (vgl. Abs. [0003]).
Ausgehend von diesem Stand der Technik stellt sich das Klagegebrauchsmuster die Aufgabe, einen Kindersitz zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz zur Verfügung zu stellen, der vorgenannte Nachteile vermeidet und einen verbesserten Seitenaufprallschutz bietet, der die auf ein in dem Kindersitz befindliches Kind wirkenden Kräfte reduziert (Abs. [0004]).
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagegebrauchsmuster einen Kindersitz bzw. eine Babyschale gemäß dem Klagegebrauchsmusteranspruch vor, dessen Merkmale sich – entsprechend der Merkmalsgliederung des Landgerichts – wie folgt gliedern lassen:
1. Kindersitz (10) oder Babyschale zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugseitensitz,
1.1 und zur Befestigung mit einem Kraftfahrzeug-Gurtsystem oder mittels Isofix-Klinken,
1.2 mit einer Sitzschale (20)
1.3 und einem an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer innerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes gelegenen Ruhestellung in eine außerhalb derselben gelegene Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
2. der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das an einer äußeren Seitenfläche (35) der Sitzschale (20) angebracht (LGU: „angeordnet“) ist,
2.1 wobei das Seitenelement (30) in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale (20) im Wesentlichen flach anliegt und zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar oder ausschwenkbar ist,
2.2 wobei das Seitenelement (30) in Funktionsstellung oberhalb einer Sitzfläche (60) des Kindersitzes (10) und in einem Rückenabschnitt (70) rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes (10) angeordnet ist,
2.3 so dass in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern ein Konstruktionselement des Kindersitzes, nämlich die Sitzschale, befindlich ist und aus diesem Grund eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden ist,
3. wobei der Seitenaufprallschutz beidseitig der Sitzschale (20) so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet.
II. Der Schutzbereich der durch das Klagegebrauchsmuster geschützten technischen Lehre wird durch den Inhalt der Ansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen sind (§ 12a GebrMG).
Dabei ist für die Auslegung nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Anspruch verwendeten Begriffe relevant, sondern deren technischer Sinn, der aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns – hier ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung von Kindersitzen (vgl. Urteil des Senats vom 28.01.2021 – 6 U 7096/19, S. 43) – unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Gebrauchsmuster ergeben, zu bestimmen ist (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2016, 169 Rn. 16 – Luftkappensystem, m.w.N.). Maßgeblich sind der Sinngehalt des Anspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung beitragen; aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Anspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (BGH a.a.O., m.w.N.). Dabei kann die Beschreibung, deren Funktion es ist, die geschützte Erfindung zu erläutern, Begriffe eigenständig definieren und insoweit ein gebrauchsmustereigenes Lexikon darstellen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2017 – X ZR 102/15 = BeckRS 2017, 117715 Rn. 12; BGH GRUR 2016, 361 Rn. 14 – Fugenband; BGH GRUR 2015, 875 Rn. 16 – Rotorelemente; BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube). Auch der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt, weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt (BGH GRUR 2011, 701 Rn. 23 – Okklusionsvorrichtung), schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Anspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt (BGH, Urteil vom 09.05.2017 – X ZR 102/15 = BeckRS 2017, 117715 Rn. 12). Ihre Heranziehung darf aber weder zu einer inhaltlichen Erweiterung, noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Anspruchs festgelegten Gegenstands führen. Die Beschreibung darf somit nur insoweit berücksichtigt werden, als sie sich als Erläuterung des Gegenstands des Anspruchs lesen lässt (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2011, 701 Rn. 23 – Okklusionsvorrichtung; BGH GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit I; BGH GRUR 2010, 602 – Gelenkanordnung). Im Zweifel ist ein Verständnis des Anspruchs geboten, das beide Teile der Gebrauchsmusterschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Gebrauchsmuster zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht (BGH GRUR 2015, 875 Rn. 16 – Rotorelemente).
III. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die einzelnen Merkmale des Klagegebrauchsmusteranspruchs wie folgt auszulegen:
1. Hinsichtlich des Teilmerkmals „Sitzschale“ in Merkmal 1.2 ist das Landgericht aus Sicht des Senats zu Recht und mit zutreffender Begründung nicht der Auslegung der Beklagten gefolgt, wonach dies begrifflich erfordere, dass die Sitzschale einteilig ausgestaltet sein müsse. Eine derartige Einschränkung kann weder dem Anspruchswortlaut noch der Beschreibung bei gebotener funktionaler Auslegung entnommen werden. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts (LGU, S. 37) ist dem Fachmann, einem Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Kindersitzen, vielmehr bekannt, dass Sitzschalen eines Kindersitzes auch aus mehreren fest miteinander verbundenen, etwa verklebten oder verschraubten, Komponenten bestehen können. Auch unter Berücksichtigung des technischen Sinngehalts ist, selbst wenn man davon ausgeht, dass eine einteilige Ausgestaltung stabiler und zur Ableitung der einwirkenden Seitenkräfte daher vorteilhafter sein kann, eine solche für die relevante Ableitung der einwirkenden Kräfte nicht zwingend erforderlich, solange die Verbindung hinreichend stabil ist, um das Ziel einer Umlenkung einwirkender Seitenkräfte am Kind vorbei zu erreichen (vgl. Urteil des Senats vom 28.01.2021 – 6 U 7096/19, S. 46 f.).
2. Die Auslegung des Merkmals 1.3 durch das Landgericht wird von der Berufung nicht angegriffen. Der Senat erachtet diese auch für zutreffend. Insoweit wird auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen (LGU, S. 38 ff.).
3. Auch das Merkmal 2 – „an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht“ – hat das Landgericht aus Sicht des Senats im Ergebnis zutreffend ausgelegt.
Das Wort „angebracht“ kann nach dem Wortlaut im vorliegenden Zusammenhang sowohl im Sinne von „positioniert“ bzw. „befindlich ist“, als auch im Sinne von „verankert“ bzw. „fest verbunden ist“ verstanden werden. Das von der Berufung vertretene letztere engere Verständnis legt die Beschreibung indes nicht nahe.
Soweit das Landgericht insoweit auf Abs. [0031] der Beschreibung abstellt, kann dem allerdings nicht gefolgt werden. Denn dort wird eine teleskopartig aus- und zusammenschiebbare Variante des Seitenelements wie in Figur 3 dargestellt behandelt, die nicht von der Lehre des Anspruchs 1 Gebrauch macht. Denn gemäß Merkmal 2.1 sind nur solche Seitenelemente anspruchsgemäß, die „ausklappbar oder ausschwenkbar“ sind. Hierunter fallen die beschriebenen teleskopartigen Seitenelemente begrifflich nicht und diese werden auch in der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters an keiner Stelle als „ausklappbar“ oder „ausschwenkbar“ definiert. Vielmehr werden in Bezug auf teleskopartige Seitenelement in der Beschreibung durchgehend nur die Begriffe „ausfahr- oder ausschieb- oder ausziehbar“ (vgl. Abs. [0009]), „ausfahr- bzw. ausziehbar“ (vgl. Abs. [0011]) oder „ausgeschoben“ bzw. „zusammengeschoben“ (vgl. Abs. [0031]) verwendet. Von einem „teleskopartig ausklappbaren“ Seitenelement ist dagegen an keiner Stelle der Beschreibung die Rede.
Dass das Merkmal 2 lediglich die räumliche Anordnung des Seitenelements und nicht dessen konkrete Befestigungsart im Sinne einer Verankerung direkt in der äußeren Seitenfläche der Sitzschale umschreibt, leitet der Fachmann jedoch insbesondere aus den (anspruchsgemäßen) Figuren 12 und 13 ab, die eine Ausführungsform zeigen, bei welcher das Klappteil an zwei Haltearmen angelenkt ist, die sich durch jeweils zugeordnete Öffnungen durch die Sitzschale hindurch erstrecken.
4. Der Auslegung des ersten Teilmerkmals von Merkmal 2.1 – „in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ – durch das Landgericht, wonach der Fachmann dieses rein technisch-funktional so auslegen wird, dass es Ziel des Anspruchs ist, über die Seitenfläche hinausragende Überstände des Seitenelements in Ruhestellung möglichst zu vermeiden, kann nicht gefolgt werden. Insbesondere kann der Auffassung des Landgerichts, das Teilmerkmal, wonach das Seitenelement in Ruhestellung an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliege, erfasse als Oberbegriff alle in der Beschreibung offenbarten Ausführungsformen, nicht beigetreten werden. Der Senat hält insoweit an seiner im Beschluss über die Einstellung der einstweiligen Zwangsvollstreckung vom 01.02.2021 im vorliegenden Verfahren (Bl. 681/698 d.A.) sowie im Urteil vom 28.01.2021 im Parallelverfahren 6 U 7096/19 (S. 50 ff.) dargelegten Auffassung fest.
Ergänzend zu den dortigen Ausführungen, auf welche Bezug genommen wird, ist insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin in der Berufungserwiderung Folgendes auszuführen:
a) Die Klägerseite macht zunächst geltend, in Abs. [0008] gehe es dem Klagegebrauchsmuster nicht um konkrete Lösungsmittel zur Realisierung der Ruhestellung, sondern um die Beschreibung der Ruhestellung „an sich“, sowie um ihre technischen Wirkungen im Hinblick auf die Erfindung. Daher habe das Landgericht das Merkmal 2.1 zu Recht funktionsorientiert dahin ausgelegt, dass das Seitenelement in Ruhestellung so an einer seitlichen Fläche des Kindersitzes vorgesehen sein solle, dass Überstände des Seitenaufprallschutzes über die seitliche Sitzbreite, respektive Hüllkurve des Kindersitzes möglichst vermieden werden und eine darüber hinaus gehende räumlich-körperliche Festlegung, wonach etwa das Seitenelement auf einer Seitenfläche aufliegen müsse oder zumindest nicht in diese eingebettet sein dürfe, habe das Erstgericht mit Recht nicht in das Merkmal hineingelesen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Auf eine Vorrichtung gerichtete, also räumlich-körperlich definierte Merkmale eines Patent- oder Gebrauchsmusteranspruchs dürfen nicht von einer funktionsorientierten Auslegung in ihrer Bedeutung nivelliert werden, d.h. ihr Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und lediglich in diesem Sinne verstanden werden, der mit seiner räumlich-körperlichen Ausgestaltung nicht mehr übereinstimmt (vgl. Loth in BeckOK.PatR, Std.: 15.4.2021, PatG § 14 Rn. 138).
Genau zu einer solchen Nivellierung des Teilmerkmals „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ würde ein rein funktionales Verständnis in dem dargelegten Sinne, wie das Landgericht und die Klägerin das Merkmal verstehen wollen, aber führen, weil diesem dadurch gegenüber dem Merkmal 1.3 keinerlei eigenständige Bedeutung mehr zukäme.
Auch dem Argument der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, dass das Merkmal 2.1 bei einer solchen Auslegung gleichwohl nicht überflüssig sei, weil das Merkmal auch noch eine Eignung als Klappelement hinzufüge, wie sich aus dem Wort „ausklappbar“ ergebe, kann nicht gefolgt werden. Dem Senat erschließt sich nicht, weshalb von den beiden genannten Teilmerkmalen des Merkmals 2.1, die im Schutzanspruch durch das Wort „und“ verbunden sind, im Ergebnis nur eines relevant und das andere unbeachtlich sein sollte.
b) Auch dem ersten Teilmerkmal von Merkmal 2.1 muss mithin eine eigenständige Bedeutung zukommen, die durch Auslegung zu ermitteln ist. Ausgangspunkt der Auslegung ist dabei stets der Wortlaut.
Aus Sicht des Senats kann der Wortlaut „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ durch den Fachmann nur so verstanden werden, dass sich das Seitenelement in der Ruhestellung außerhalb der äußeren Seitenfläche befindet und auf dieser aufliegt. Derartige Seitenelemente, die in diesem Wortsinne in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche im Wesentlichen flach anliegen, zeigen insbesondere die Figuren 5, 6, 12 und 13 des Klagegebrauchsmusters.
Nach dem Wortlaut kann das Teilmerkmal „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ auch nicht als Oberbegriff für andere im Klagegebrauchsmuster genannte Varianten, wie etwa ein Seitenelement, das „in die [Seitenfläche der Sitzschale] eingeklappt“ ist (vgl. Abs. [0008]) verstanden werden. Denn rein begrifflich kann sich ein Seitenelement nicht zugleich außerhalb der Seitenfläche (an dieser anliegend) und innerhalb der Seitenfläche (in diese eingeklappt) befinden.
c) Zu einem abweichenden Verständnis des Teilmerkmals „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ könnte man mithin nur gelangen, wenn eine Auslegung anhand der Beschreibungen und Zeichnungen gemäß § 12a Satz 2 GebrMG ergeben würde, dass das Teilmerkmal dort abweichend vom reinen Wortlaut – im Sinne eines gebrauchsmustereigenen Lexikons – als Oberbegriff, der auch die weiteren offenbarten Varianten umfasst, verwendet wird. Dies ist aber nicht der Fall.
aa) Ein Verständnis des genannten Teilmerkmals von Merkmal 2.1 als Oberbegriff ergibt sich nicht aus Abs. [0008].
Soweit die Klägerin insoweit vorträgt, die dort genannten Varianten ließen sich nicht trennscharf im Sinne echter Ausführungsalternativen voneinander abgrenzen, sondern diese überschnitten sich teilweise und ließen sich sogar miteinander kombinieren, mag dies zutreffend sein. Auch mag es insofern zutreffend sein, dass das „oder“ in Abs. [0008] nicht als ein „ausschließendes oder“, sondern als ein „verbindendes oder“ im Sinne von „und/oder“ oder „beziehungsweise“ zu verstehen ist. Der Umstand, dass sich die Varianten (technisch) teilweise überschneiden können, was durch ein „verbindendes oder“ zum Ausdruck gebracht wird, führt indes noch nicht dazu, dass die erste in Abs. [0008] genannte Variante („an einer Seitenfläche der Sitzschale, insbesondere im Wesentlichen flach, anliegt“) als Oberbegriff verstanden werden könnte, welcher sämtliche nachfolgend aufgeführten Varianten mit umfasst. Denn daraus, dass ein Seitenelement beispielsweise an der Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegen und zugleich an diese angeklappt sein kann, lässt sich nicht auch schließen, dass ein Seitenelement, dass in die Seitenfläche der Sitzschale eingeklappt oder in diese eingeschoben ist, zugleich an der Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt. Vielmehr schließen sich jedenfalls die zuletzt genannten Varianten – wie dargelegt – begrifflich aus, woran sich auch nichts ändert, wenn man das „oder“ in Abs. [0008] gedanklich jeweils durch ein „beziehungsweise“ ersetzt. Eine vom Wortlautverständnis abweichende gebrauchsmustereigene Begriffsdefinition im Sinne eines Oberbegriffs könnte vielmehr nur dann angenommen werden, wenn es beispielsweise statt dem ersten „oder“ in Abs. [0008] nach dem Wort „anliegt“ (nach einem zusätzlich einzufügenden Komma) „das heißt“ oder zumindest „insbesondere“ lauten würde.
bb) Auch soweit die Klägerseite meint, aus der Beschreibungsstelle Abs. [0011] ergebe sich, dass im Sprachgebrauch des Klagegebrauchsmusters der Seitenaufprallschutz gleichermaßen „anliegend … an“ und „eingeschoben“ sein könne, lässt sich daraus ein Verständnis des ersten Teilmerkmals von Merkmal 2.1 als Oberbegriff, der sämtliche Ausführungsvarianten umfasst, nicht ableiten.
Abs. [0011] kann schon deshalb nicht als Auslegungshilfe herangezogen werden, weil dort eine teleskopartig ausfahr- bzw. ausziehbare Variante des Seitenelements im Sinne von Abs. [0031] in Verbindung mit Figur 3 beschrieben wird, die bereits deshalb nicht von Merkmal 2.1 des Anspruchs erfasst ist, weil teleskopartige Seitenelemente nicht ausklappbar oder ausschwenkbar sind (vgl. oben).
Ungeachtet dessen weist die Beklagtenseite im Schriftsatz vom 17.05.2021 zu Recht darauf hin, dass sich der Begriff „im Wesentlichen flach an der Seitenfläche der Sitzschale anliegt“ in Abs. [0011] – anders als im Anspruch – nicht auf das Seitenelement als solches, sondern lediglich auf den pilz- oder tellerartigen Endabschnitt des Seitenelements, wie er etwa in den Figuren 3 und 4 gezeigt wird, bezieht. Auch aus diesem Grund lässt sich aus Abs. [0011] nicht ableiten, dass das (gesamte) Seitenelement nach dem Sprachgebrauch des Klagegebrauchsmusters sowohl an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegen als auch gleichzeitig in diese eingeschoben sein kann und es sich deshalb bei dem ersten Teilmerkmal in Merkmal 2.1 um einen Oberbegriff handelt.
cc) Ebenso ergibt sich ein entsprechendes vom Wortlaut abweichendes Verständnis des ersten Teilmerkmals von Merkmal 2.1 nicht aus der Beschreibungsstelle Abs. [0041].
Anders als die Klägerin meint, handelt es sich bei den dort beschriebenen Figuren 18 und 19 nicht um eine anspruchsgemäße Ausführungsform, was durch die Ausführungen in Abs. [0041] sogar bestätigt wird. Denn die in den Figuren 18 und 19 gezeigten Seitenelemente werden in Abs. [0041] gerade nicht – abweichend vom Wortsinn – als an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegend beschrieben, sondern vielmehr – begrifflich zutreffend – als „in eine Seitenfläche der Sitzschale eingeklappt“ und als in Ruheposition „im Wesentlichen bündig mit der Seitenfläche“ verlaufend.
Insofern ist es auch unbehelflich, wenn die Klägerseite geltend macht, bei den gezeigten Ausführungsbeispielen befinde sich ein Teil der äußeren Seitenfläche der Sitzschale in einem Rücksprung, den die äußere Seitenfläche aufweise, und das Seitenelement liege in Ruhestellung an diesem Abschnitt der Seitenfläche an, was in Abs. [0041] auch mit den Worten „in Anlage mit der Sitzschale kommt“ beschrieben sei. Denn dass das Seitenelement an (irgendeiner Stelle) der „Sitzschale“ zum Anliegen kommt bzw. anliegt, kann nicht mit einem Anliegen „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale“ gleichgesetzt werden. Der „Boden“ des Rücksprungs kann insoweit nicht als Teil der Seitenfläche betrachtet werden. Wie oben dargelegt, umschreibt Abs. [0041] die Figur 18 dahingehend, dass das dort gezeigte eingeklappte Seitenelement „bündig mit der Seitenfläche“ verläuft. Daraus kann der Fachmann nur den Schluss ziehen, dass mit „Seitenfläche“ im Sinne des Sprachgebrauchs des Klagegebrauchsmusters nicht der „Boden“ des Rücksprungs, sondern allein die sich auf Höhe eines fiktiven (bzw. durch das eingeklappte Seitenelement gebildeten) „Deckels“ am obersten Rand des Rücksprungs befindliche äußere Ebene der Sitzschale um den Rücksprung herum gemeint ist. In diesem Verständnis wird der Fachmann weiter bestätigt, wenn er die von der Klägerin zitierte Stelle am Ende von Abs. [0041] zu Ende liest, wo es heißt: „… wobei das Klappteil in Anlage mit der Sitzschale kommt und, je nach Ausführungsform, außen an der Sitzschale oder in die Seitenfläche der Sitzschale hinein versenkt in Ruhestellung kommt.“
Jedenfalls an dieser Stelle der Beschreibung werden eindeutig zwei alternative Ausführungsformen beschrieben. Letztere – ein in der Ruhestellung in der Sitzschale versenktes Klappteil – wird in den Figuren 18 und 19 dargestellt. Im Gegensatz dazu stellt das erstgenannte beschriebene Klappteil, das „außen an der Sitzschale“ in Ruhestellung kommt, ein an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale anliegendes Seitenelement im Sinne von Merkmal 2.1 dar.
Auch Abs. [0041] definiert daher das Teilmerkmal „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ nicht abweichend vom Wortlautverständnis als Oberbegriff, sondern bestätigt im Gegenteil, dass es sich dabei gerade nicht um einen solchen handelt.
dd) An dem bisher gefundenen Ergebnis ändert auch der Einwand der Klägerin nichts, dass das Beklagtenverständnis von Merkmal 2.1 und Abs. [0008] konsequent zu Ende gedacht im Ergebnis zur Folge hätte, dass keines der vom Klagegebrauchsmuster offenbarten Ausführungsbeispiele vom Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters erfasst wäre. Denn diese Annahme ist nicht zutreffend.
Wie bereits oben dargelegt, handelt es sich insbesondere bei den Figuren 5 und 6 um anspruchsgemäße Ausführungsformen im Sinne von Merkmal 2.1. Soweit die Klägerin dies in der Berufungsbegründung in Abrede stellt, beruht eine derartige Sichtweise nicht auf dem Verständnis der Beklagten von Merkmal 2.1 und Abs. [0008], sondern allein darauf, dass die Klägerseite selbst ein im Wesentlichen flaches Anliegen mit der Begründung verneint, dass es in der Beschreibung der Figuren in Abs. [0033] nicht „flach“, sondern „plan … anliegend“ heiße und zudem das Seitenelement nur „aufklappbar“ und damit nicht – wie Merkmal 2.1 voraussetze – „ausklappbar“ sei. Inwieweit im vorliegenden Zusammenhang nach dem Wortsinn ein Unterschied zwischen „flach anliegend“ und „plan anliegend“ sowie zwischen „ausklappbar“ und „aufklappbar“ bestehen sollte, erschließt sich dem Senat jedoch nicht. Auch haben weder der Senat noch die Beklagtenseite je in Abrede gestellt, dass die in Abs. [0033] verwendeten Begriffe nicht – wie es sprachlich allein naheliegt – synonym zu den in Merkmal 2.1 verwendeten Begriffen benutzt werden.
d) Die Auslegung sowohl anhand des Wortlauts des Schutzanspruchs als auch anhand der Beschreibung und der Zeichnungen des Klagegebrauchsmusters ergibt daher, dass sich nur ein Teil der dort beschriebenen bzw. dargestellten Ausführungsformen unter Merkmal 2.1 des Anspruchs subsumieren lässt. Dies stellt einen Widerspruch zwischen dem Gebrauchsmusteranspruch und der Beschreibung im Sinne der Entscheidung BGH GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung dar, mit der Folge, dass die Bestandteile der Beschreibung, die im Gebrauchsmusteranspruch keinen Niederschlag gefunden haben, aufgrund einer Auswahlentscheidung des Gebrauchsmusteranspruchs nicht in den Schutzbereich des Gebrauchsmusters einbezogen sind.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite hat der BGH diese Grundsätze auch nicht in der Entscheidung GRUR 2015, 875 – Rotorelemente im Ergebnis aufgegeben. Vielmehr wird in Rn. 16 der Entscheidung der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt, weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt, zunächst ausdrücklich bestätigt und lediglich dahingehend konkretisiert, dass dieser Grundsatz es nicht ausschließt, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Anspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt. Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Gebrauchsmusterschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Gebrauchsmuster zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht. Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass Teile der Beschreibung zur Auslegung nicht herangezogen werden dürfen.
Wie oben dargelegt, ist es vorliegend aber nicht möglich, dem Teilmerkmal „an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“ in Merkmal 2.1 anhand der Beschreibung und der Zeichnungen eine Bedeutung beizumessen, die vom Verständnis, das der Anspruchswortlaut vermittelt, abweicht. Insbesondere kann auch aufgrund der Beschreibung nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Teilmerkmal entgegen dem Verständnis nach dem Wortlaut um einen Oberbegriff handelt, der sämtliche in der Gebrauchsmusterschrift beschriebenen Ausführungsformen mit einschließt. Ein Auslegungszweifel – mithin eine in beide Richtungen mögliche Auslegung -, der zugunsten eines weit gefassten Anspruchsverständnisses aufzulösen wäre, besteht daher vorliegend nicht.
e) Der Senat hält schließlich daran fest, dass er sich in der dargelegten Beurteilung auch durch die Auffassung des Prüfers des EPA im Erteilungsverfahren betreffend das EP’455 und EP’630 bestätigt sieht, wie im Beschluss über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung vom 01.02.2021 (S. 17 f., Bl. 697/698 d.A.) näher ausgeführt. Wie bereits im Termin erörtert, hat der Senat entgegen dem Einwand der Klägerin insoweit nicht die parallelen Schutzrechtsanmeldungen der Klägerin in unzulässiger Weise zur Auslegung des Klagegebrauchsmusters herangezogen. Vielmehr hat der Senat sich lediglich der Meinung des fachkundigen Prüfers beim EPA zu einem vergleichbaren Sachverhalt angeschlossen. Dies ist unzweifelhaft zulässig. Im Übrigen hat die Klägerin nicht vorgebracht, dass und inwieweit die Bedenken der Prüfer im Erteilungsverfahren aus ihrer Sicht unberechtigt sind.
5. Hinsichtlich der Auslegung des Merkmals 2.2 schließt sich der Senat den Ausführungen des Landgerichts (LGU, S. 45 ff.) in vollem Umfang an (vgl. insoweit auch Urteil des Senats vom 28.01.2021 – 6 U 7096/19, S. 56 ff.). Soweit die Berufung hiergegen einwendet, das Merkmal 2.2 werde völlig beliebig und sinnentleert, wenn das Landgericht davon ausgehe, dass der Begriff „Rückenabschnitt“ für den Fachmann nicht bedeute, dass der Seitenaufprallschutz hinter dem Rücken des Kindes zu positionieren sei und das Gericht zudem Seitenfläche und Rückenabschnitt als sich zumindest teilweise überschneidende Bereiche ansehe, kann dem aus Sicht des Senats nicht gefolgt werden. Denn das Merkmal 2.2 bzw. dessen Auslegung durch das Landgericht wird insoweit verkürzt dargestellt. Dieses beinhaltet nicht nur das Teilmerkmal „Rückenabschnitt“, sondern darüber hinaus das Teilmerkmal „rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet“. Bei der Auslegung dieses Teilmerkmals hat das Landgericht sehr wohl berücksichtigt, dass das Seitenelement nicht an irgendeiner beliebigen seitlichen Stelle des Kindersitzes anzuordnen ist, sondern dass sich dieses aus seitlicher Perspektive betrachtet hinter („rückwärtig“) dem Bereich eines Kindersitzes, an dem der Rücken des im Kindersitz (mit Polster) sitzenden Kindes unmittelbar anliegt („Rückenanlagefläche“), befinden muss.
6. Bezüglich der Merkmalsgruppe 2.3 und 3 schließt sich der Senat grundsätzlich der Auslegung durch das Landgericht an. Insbesondere geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass insoweit eine Zweck- und Funktionsangabe vorliegt, die als solche zwar den Schutzgegenstand im Allgemeinen nicht beschränkt, der allerdings die Bedeutung zukommt, dass der geschützte Gegenstand neben der Erfüllung der weiteren räumlich-körperlichen Merkmale auch so ausgebildet zu sein muss, dass er für den im Anspruch angegebenen Zweck verwendet werden kann bzw. die angegebene Funktion erfüllen kann. Ebenfalls ist dem Landgericht darin beizupflichten, dass die Zweck- und Funktionsangabe in Merkmal 3 „dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet“ nicht dahingehend zu verstehen ist, dass ein Seitenaufprallschutz nur dann objektiv geeignet ist, diese Funktion zu erfüllen, wenn er so ausgebildet ist, dass sämtliche Seitenkräfte am Körper des Kindes vorbei und in die Sitzschale eingeleitet werden. Allerdings wird man verlangen müssen, dass der Seitenaufprallschutz geeignet ist, die auf ein im Kindersitz befindliches Kind wirkenden Kräfte im Vergleich zu den im Stand der Technik bekannten Seitenaufprallschutzvorrichtungen (deutlich) zu reduzieren (vgl. Abs. [0004] und [0007] des Klagegebrauchsmusters, sowie Urteil des Senats vom 28.01.2021 – 6 U 7096/19, S. 49 f.).
IV. Legt man diese Auslegung der Anspruchsmerkmale zugrunde, ergibt sich, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Klagegebrauchsmuster in dem geltend gemachten Anspruch 1 nicht gemäß § 11 Abs. 1 GebrMG verletzen, weil es jeweils jedenfalls an der Verwirklichung des ersten Teilmerkmals des Merkmals 2.1 („das in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt“) fehlt.
1. Der Verwirklichung des Merkmals 1.2 („Sitzschale“) steht nicht entgegen, dass die angegriffenen Ausführungsformen 1 und 2 nach den Feststellungen des Landgerichts aus drei sowie die angegriffenen Ausführungsformen 3 und 4 aus vier Teilen bestehen. Wie oben dargelegt, muss die Sitzschale nicht einteilig ausgestaltet sein. Allerdings muss die Verbindung so stabil sein, dass sie geeignet ist, im Falle eines Seitenaufpralls das Ziel einer Umlenkung einwirkender Seitenkräfte am Kind vorbei zu erreichen. Dies hat im Rahmen der Verletzungsprüfung auch das Landgericht erkannt, hierzu aber keine Subsumtion vorgenommen. Ob hierzu ergänzende tatsächliche Feststellungen erforderlich wären, um eine Verwirklichung von Merkmal 1.2 bejahen zu können, kann letztlich offenbleiben, weil es jedenfalls an einer Verwirklichung von Merkmal 2.1 fehlt (vgl. unten).
2. Die Verwirklichung des Merkmals 1.3 hat das Landgericht mit zutreffender Begründung bejaht. Dies wird von der Berufung auch nicht angegriffen.
3. Ebenso ist das Landgericht aus Sicht des Senats zu Recht davon ausgegangen, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Merkmal 2 verwirklichen, weil die Seitenelemente jeweils von außen an der äußeren Seitenfläche ausgebildet und bedienbar sind. Soweit die Berufung dagegen einwendet, die Seitenelemente der angegriffenen Ausführungsformen seien unstreitig nicht an der äußeren Fläche im Sinne der beklagtenseitigen Auslegung angebracht, kann sie damit keinen Erfolg haben. Denn der Auslegung durch die Beklagten, wonach „angebracht“ im Sinne einer festen Verbindung bzw. Verankerung mit der Seitenfläche selbst zu verstehen sei, kann wie oben dargelegt nicht gefolgt werden. Vielmehr ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Verwirklichung von Merkmal 2 nicht entgegensteht, dass das Seitenelement bei der angegriffenen Ausführungsform 1 über ein an einem rückwärtigen Stützelement verbauten Scharnier, bei der Ausführungsform 2 über einen an einem rückwärtigen Stützelement verbauten Steg und bei Ausführungsform 3 über eine Verankerung an zwei hinter dem Rücken des im Kindersitz sitzenden Kindes vertikal verlaufenden Stützstreben im Inneren der jeweiligen Sitzschale befestigt ist.
4. Merkmal 2.1 wird durch die angegriffenen Ausführungsformen entgegen dem Dafürhalten des Landgerichts hingegen nicht verwirklicht.
Bei den angegriffenen Ausführungsformen ist das Seitenteil jeweils als Klappteil ausgebildet, das in Ruhestellung, also in eingeklapptem Zustand, in einer Ausnehmung bzw. einem Rücksprung der Sitzschale aufgenommen wird. Das Seitenelement ist in diesem Zustand jeweils dergestalt in die Sitzschale eingebettet, dass dieses die Ausnehmung weitgehend ausfüllt und am oberen Rand der Ausnehmung mit der äußeren Seitenfläche der Sitzschale eine Ebene bildet bzw. mit dieser bündig abschließt.
Zwar verwirklichen die Seitenelemente der angegriffenen Ausführungsformen damit das Teilmerkmal „ausklappbar“ gemäß Merkmal 2.1. Bei zutreffender Auslegung fehlt es jedoch an einer Verwirklichung des ersten Teilmerkmals von Merkmal 2.1. Denn die Seitenelemente der angegriffenen Ausführungsformen liegen im eingeklappten Zustand nicht außen auf der Seitenfläche der Sitzschale auf und damit nicht an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach an. Im Klagegebrauchsmuster werden zwar auch solche in die Seitenfläche eingeklappte und im Wesentlichen bündig mit der Seitenfläche verlaufende Seitenelemente beschrieben und bildlich dargestellt. Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt, sind derartige Ausführungsformen aber nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1, auf den die Klage allein gestützt wird, erhoben worden. Auch dem Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung, eine Verletzung liege vor, weil die Klappelemente der angegriffenen Sitze in Ruhestellung im Wesentlichen flach an einem Rücksprung einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale anliegen, kann nicht gefolgt werden. Denn wie oben im Rahmen der Auslegung dargelegt kann der „Boden“ der Ausnehmung nicht als äußere Seitenfläche bzw. als Teil von dieser angesehen werden.
5. Von einer Verwirklichung des Merkmals 2.2 ist auszugehen. Die Feststellung des Landgerichts, dass sich bei allen angegriffenen Ausführungsformen die Seitenelemente in ausgeklapptem Zustand aus seitlicher Perspektive betrachtet jeweils hinter dem Bereich, an dem der Rücken des in dem Kindersitz mit Polsterung sitzenden Kindes innen an der Sitzschale anliegt, befindet, wurde mit der Berufung nicht angegriffen. Legt man die obige Auslegung zugrunde, befinden sich die Seitenelemente der angegriffenen Ausführungsformen mithin rückwärtig der Rückenanlagefläche des Kindersitzes im Sinne von Merkmal 2.2. Zudem sind diese bei allen angegriffenen Ausführungsformen im Bereich oberhalb der Sitzschale und damit in einem Rückenabschnitt gemäß Anspruchsmerkmal 2.2 angeordnet.
6. Hinsichtlich der Merkmalsgruppe 2.3 und 3 hat das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob und in welchem Umfang durch die konkrete Positionierung des Seitenaufprallschutzes bei den angegriffenen Ausführungsformen jeweils etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei übertragen und in die Sitzschale eingeleitet werden, bzw. in welchem Umfang bei den angegriffenen Ausführungsformen eine Reduzierung der auf das Kind wirkenden Kräfte gegenüber aus dem Stand der Technik bekannten Kindersitzen mit Seitenaufprallschutz erfolgt. Nachdem eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters aber bereits mangels Verwirklichung des Merkmals 2.1 zu verneinen ist, kann offenbleiben, ob dieser Punkt einer weiteren Aufklärung bedurft hätte.
B. Die Berufung bleibt erfolglos, soweit sie sich gegen die Abweisung der Zwischenfeststellungswiderklage durch das Landgericht wendet. Allerdings ist diese nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abzuweisen.
I. Entgegen der Auffassung der Beklagten hätte das Landgericht der Widerklage nicht bereits deswegen stattgeben bzw. erneut in die mündliche Verhandlung eintreten müssen, weil die Klägerin laut Protokoll, das insoweit den Feststellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vorgehen dürfte, diesbezüglich keinen Klageabweisungsantrag gestellt hat. Der Antrag des Beklagten auf Abweisung der Klage ist keine zwingende Voraussetzung für eine entsprechende Entscheidung des Gerichts, was insbesondere auch durch § 331 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO bestätigt wird (vgl. Musielak in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 308 Rn. 2).
II. Die Zwischenfeststellungswiderklage erweist sich vorliegend als unzulässig.
Gemäß § 256 Abs. 2 ZPO kann der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
1. Aus Sicht des Senats liegt zwar grundsätzlich ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor. Jedenfalls nachdem die Beklagten ihren Antrag zuletzt auf das Gebrauchsmuster in der zuletzt geltend gemachten Anspruchsfassung bezogen haben, kann die Zulässigkeit der Zwischenfeststellungswiderklage auch nicht mit dem Argument der Klägerin verneint werden, dass sich diese nur gegen eine Anspruchskombination richte, die nicht Gegenstand des Hauptantrags sei.
2. Die Zwischenfeststellungsklage ist jedoch unzulässig, weil die Entscheidung des Rechtsstreits vorliegend nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses abhängt.
§ 256 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass die zur Entscheidung gestellte Rechtsfrage für die Entscheidung der anhängigen Klage vorgreiflich ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn ohnehin darüber befunden werden muss, ob das streitige Rechtsverhältnis besteht (BGH NJW 2008, 69 Rn. 17). Der Antrag ist zwar nicht schon dann unzulässig, wenn das Rechtsverhältnis nur bei einem von mehreren in Betracht kommenden Begründungswegen vorgreiflich ist (BGH NJW-RR 2008, 262 Rn. 11). An der Vorgreiflichkeit fehlt es aber, wenn die Klage zur Hauptsache unabhängig davon abgewiesen wird, ob das Rechtsverhältnis besteht (BGH NJW-RR 2010, 640 Rn. 19, m.w.N.). Das Gericht kann mit der Zwischenfeststellungsklage nicht gezwungen werden, einen bestimmten Begründungsweg zu beschreiten (Bacher in BeckOK.ZPO, Std.: 1.7.2021, § 256 Rn. 43).
Vorliegend war die Hauptklage unabhängig davon abzuweisen, ob das Klagegebrauchsmuster in der zuletzt geltend gemachten Anspruchsfassung bestandskräftig oder löschungsreif ist. Denn es fehlt, wie sich aus den Ausführungen unter A IV ergibt, bereits an einer Verletzung des Klagegebrauchsmusters.
Die Zwischenfeststellungsklage war mithin mangels Vorgreiflichkeit des Rechtsverhältnisses im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO als unzulässig abzuweisen. Folglich hat die landgerichtliche Entscheidung in diesem Punkt im Ergebnis Bestand und die Berufung war insoweit zurückzuweisen.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Da für die Zwischenfeststellungswiderklage wegen der bestehenden Anspruchsidentität kein eigener Streitwert nach § 5 ZPO hinzuzurechnen ist (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 256 ZPO Rn. 30), wirkt sich deren Abweisung auf die Kostenverteilung nicht aus.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter Abschnitt II zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.
4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben