Europarecht

Verbots des Inverkehrbringens und der Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel in Form von Gummibärchen

Aktenzeichen  1 HK O 17003/20

Datum:
11.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 47453
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3a
VO (EG) Nr. 178/2002 Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a
VO (EU) Nr. 1169/2011 Art. 7 Abs. 1 lit. a

 

Leitsatz

1. Ein Nahrungsergänzungsmittel in Form von Gummibären mit der Bezeichnung „HEY SUNSHINE SUN VITAMINS“, von dem nur ein Bärchen pro Tag verzehrt werden soll, ist irreführend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. a VO (EU) Nr. 1169/2011. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird für ein solches Produkt mit allgemein anpreisenden Werbeaussagen wie „Naschen für Schönheit und Wohlbefinden“ liegt darin ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines
vom Gericht für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an einem der Geschäftsführer
verboten,
I. im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu Wettbewerbszwecken das
Nahrungsergänzungsmittel
„HEY SUNSHINE SUN VITAMINS – VITAMIN D”
1. in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen und/oder zu bewerben und/oder bewerben zu lassen,
wenn dies geschieht wie in Anlage B/2 abgebildet
und/oder
2. mit nachfolgenden Angaben zu bewerben und/oder bewerben zu lassen:
a) „Naschen für Schönheit und Wohlbefinden: mit den Happy Sunshine Sun Vitamins von BEARS WITH BENEFITS!“,
wenn dies geschieht wie in Anlage C
und/oder
b) „Der verführerischfruchtige Geschmack macht die kleinen Bärchen zum Genuss. Naschen für die Schönheit – besser geht’s kaum!“
wenn dies geschieht wie in Anlage D
und/oder
c) „Mein täglicher Begleiter Vitamin D & dank @bearswith benefits so einfach und lecker zu sich zu nehmen Ich liebe die „Hey Sunshine Sun Vitamins“
wenn dies geschieht wie in Anlage D
und/oder
3. mit einer Menge von 50µg Cholecalciferol bzw. Vitamin D pro empfohlener Tagesverzehrmenge in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen,
wenn dies geschieht wie in Anlage B/1
II. Im übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Antragssteller 1/10, die Antragsgegnerin 9/10.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I vorläufig vollstreckbar. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffe II gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war fast in vollem Umfang begründet (Ziffern 1 – 3 des Verfügungsantrags). Lediglich hinsichtlich der beanstandeten Füllmenge des Produkts (Verfügungsantrag 4) war der Verfügungsantrag mit den konkreten Produkten unbegründet. Die Unterlassungsansprüche beruhen auf § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 a UWG i.V.m. Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 a der VO(EG) Nr. 178/2002 (Basis-VO), Art. 7 Abs. 1 a LMIV. Es handelt sich bei dem streitgegenständlichen Produkt aufgrund der Gefahr der Überdosierung um ein unsicheres Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 1, 2 a Basis-VO. Die Verpackung und der Gesamteindruck des streitgegenständlichen NEM sind irreführend hinsichtlich Art, Identität, Eigenschaften und Zusammensetzung des Lebensmittels gemäß Art. 7 Abs. 1 a LMIV, so dass das NEM in der konkreten Verpackung und Aufmachung nicht verkehrsfähig ist. Es erweckt den Eindruck, dass es sich um einen konventionellen angereicherten Fruchtgummi handelt, nicht jedoch um ein hochdosiertes NEM. Der Aufruf zum „Naschen“ in den werblichen Hinweisen stellt eine Irreführung dahingehend dar, da einerseits die tatsächliche Verzehrmenge von 1 Gummibärchen pro Tag nicht überschritten werden darf, andererseits aber zum Naschen aufgerufen werde, was den Verzehr von mehreren Gummibärchen beinhaltet.
Antrag 1: Fehlende Verkehrsfähigkeit
Der Antragsteller beanstandet hier sowohl die Verpackung des Nahrungsergänzungsmittels als auch den Fruchtgummi in Bärchenform. Gemäß Art. 7 Abs. 1 a VO (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften und Zusammensetzung sein. Maßgeblicher Beurteilungsmaßstab für die Frage, ob eine solche Irreführung vorliegt, sind die angesprochenen Verkehrskreise, nämlich Endverbraucher, die dieses Produkt entweder im Laden oder über einen Online-Shop sehen und erwerben. Der Antragsteller rügt sowohl die Verpackung an sich, nämlich die Aufkleber mit den Comicartigen Bären, die Sprechblasen, das Herz auf dem Deckel sowie die unzureichende Kennzeichnung als Nahrungsergänzungsmittel, ferner das Produkt selbst, nämlich ein Fruchtgummi in Bärchenform.
Im vorliegenden Fall kann der angesprochene Endverbraucher, zu denen auch die Mitglieder der erkennenden Kammer für Handelssachen gehören, nicht erkennen, dass es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt, auch wenn es mit der Zugabe von Vitamin D beworben wird. Die Verpackung und die Form der Fruchtgummis sind daher irreführend im Sinne des Art. 7 Abs. 1 a LMIV. Die Comicartige Gestaltung mit winkendem Bären, fliegenden Herzchen, die Bezeichnung als „HEY SUNSHINE SUN VITAMINS“ sowie die Gestaltung als Fruchtgummi, wie sie als Gummibärchen seit Jahrzehnten allgemein in der Bevölkerung bekannt sind, lässt zunächst die Vermutung aufkommen, dass es sich um ein Fruchtgummi handelt, das eben mit Vitamin D angereichert ist, nicht jedoch um ein Nahrungsergänzungsmittel, von dem nur 1 Bärchen pro Tag verzehrt werden soll. Auch lässt die Aufmachung nicht erkennen, dass es sich um ein Produkt handelt, bei dem bereits der Verzehr von 1 Bärchen die doppelte Menge der gemäß DGE empfohlenen Tagesdosis von 20 µg enthält. Mit dem Aufdruck „NRV: 1000%“, der inhaltlich der Pflichtkennzeichnung entspricht, kann der normale Verbraucher überhaupt nichts anfangen. Insbesondere kann er nicht erkennen, dass die Tagesdosis von 50 µg (1 Stück am Tag) bereits eine hohe Dosierung weit über der empfohlenen Nährstoffmenge darstellt.
Der Pflichthinweis, dass es sich um ein „Nahrungsergänzungsmittel“ handelt, befindet sich zum einen in kleiner Schrift in der 5. Zeile des Fließtextes zu einem Sternchen-Hinweis, ferner senkrecht am Rande des Aufklebers wiederum im Fließtext „60 Stück = 150 g – Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin D“. Die konkrete Position dieses Pflichthinweises ist an so unauffälliger Stelle, dass sie leicht überlesen wird. Im Zutatenverzeichnis finden sich die Nährstoffe Malz, Sirup, Zucker, Glucose, Geliermittel, Säuerungsmittel etc., nicht jedoch Vitamin D, so dass auch hier der Eindruck einer Süßigkeit verstärkt wird. Den Mitgliedern der erkennenden Kammer für Handelssachen sind Fruchtgummis, gerade auch in Form von Gummibärchen, seit Jahrzehnten bekannt und zwar als klebrige, fruchtige Süßigkeit, die aufgrund der Form, des Geschmacks und der Sensorik dazu verleitet, mehr als nur ein einziges Gummibärchen zu essen. Nahrungsergänzungsmittel dagegen sind den Mitgliedern der erkennenden Kammer für Handelssachen fast ausschließlich in Formen und Zubereitungen bekannt, die eher an Arzneimittel erinnern als an ein Genussprodukt, nämlich Tabletten, Dragees, Pulver zum Auflösen oder ähnliches.
Die von der Antragsgegnerin schriftsätzlich vorgetragenen und abgebildeten Fruchtgummis, die auch Nahrungsergänzungsmittel darstellen sollen, sind nicht geeignet glaubhaft zu machen, dass der Verkehr an eine solche Darreichungsform von Nahrungsergänzungsmitteln gewöhnt ist, da jegliche Angaben zur Verbreitung dieser Produkte fehlen. Einzelne Produkte können noch keine Verkehrsgewöhnung begründen. Auch der Vertrieb über Drogerieketten wie dm oder Rossmann legt nicht nahe, dass es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt, da in diesen Drogerieketten gerichtsbekannt in erheblichem Umfang auch Süßigkeiten wie Schokolade, Kekse etc. vertrieben werden. Lediglich der Preis – 25 EUR je Packung – könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich um etwas „Wertvolleres“ als um Gummibärchen zum Naschen handeln könnte.
Naschereien als Lebensmittel mit Vitaminanreicherung dagegen sind bekannt. Allerdings erreichen diese nach den von der Antragstellerin vorgetragenen Vorschriften der VO (EG) Nr. 1925/2006 eine geringe Anreicherung mit Vitaminen bei bestimmungsgemäßem Verzehr, nämlich 15% des Tagesreferenzwertes, der bei Vitamin D bei 5 µg pro 100 g liegt. Dies bedeutet, dass angereicherte Gummibärchen lediglich 0,75 µg pro 100 g – einer Menge, bei der der Magen bereits zuklebt – enthalten könnten. Eine Anreicherung von Süßigkeiten mit Vitamin D bedarf darüber hinaus einer Genehmigung, die nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Antragstellers hinsichtlich Vitamin D bisher nicht vorliegt. Auch die von der Antragsgegnerin vorgelegten Beispiele zeigen bis auf ein Produkt („Vitabay“) keine Vitamin DFruchtgummis.
Der Antragsgegnerin ist damit nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass die angesprochenen Verkehrskreise an Fruchtgummis mit hochdosiertem Vitamin D als Nahrungsergänzungsmittel als eine von mehreren Darreichungsformen gewöhnt wären. Die konkrete Gestaltung ist daher irreführend im Sinne des Art. 7 Abs. 1 a LMIV.
Antrag 2: Werbeaussagen „Naschen für Schönheit und Wohlbefinden“ u.a.
Die beanstandeten Werbeaussagen auf der Homepage verstoßen gegen das Irreführungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 1 a, Abs. 4 LMIV. Es handelt sich nicht nur um eine allgemeine unspezifische Werbeanpreisung „für die Schönheit und das Wohlbefinden“, sondern um die Beschreibung der Art des Verzehrs, nämlich ein „Naschen“, „einfach und lecker“, was sich nach Ansicht der Mitglieder der erkennenden Kammer für Handelssachen kaum mit der Verzehrempfehlung von einem Stück pro Tag in Einklang bringen lässt. Kein Werbetexter würde eine Vitamintablette in Drageeform mit einem Aufruf zum „Naschen“ versehen, sondern allenfalls die tollen Wirkungen dieses Produkts ausloben. Das Wort „Naschen“ kann nicht losgelöst vom Produkt gesehen werden.
Nach Ansicht der Mitglieder der erkennenden Kammer für Handelssachen bezieht sich das Wort „Naschen“ bei winzigen Fruchtgummis wie Gummibärchen üblicherweise nicht auf 1 Stück, sondern auf das mehrfache genießerische Zugreifen auf mehrere Bärchen nach und nach. Bei der Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln stehen dagegen die einzelnen Bestandteile im Vordergrund und die ausgelobten Wirkungen. Allenfalls findet sich ein Verzehrhinweis, der sich auf eine einfache Einnahme zum Beispiel durch das Auflösen in Wasser oder durch einen angenehmen Geschmack bezieht. Der Begriff „Naschen“ wird mit Genuss assoziiert und damit zum Beispiel mit Süßigkeiten, nicht jedoch mit Nahrungsergänzungsmitteln, bei denen die positive Wirkung auf Schönheit oder Gesundheit im Vordergrund steht.
Antrag 3: Unsicheres NEM durch überhöhten Vitamin D-Gehalt von 50 µg pro Tag Verzehrempfehlung
Das Produkt der Antragsgegnerin enthält 60 Bären und ist damit entsprechend der Verzehrempfehlung für die Einnahme von 50 µg pro Tag über einen Zeitraum von 2 Monaten hinweg gedacht. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die tägliche Zufuhr von 50 µg über einen längeren Zeitraum hinweg ein erhöhtes gesundheitliches Risiko birgt, nämlich insbesondere für einen Anstieg von Herz-Kreislauf-Problemen und für ein Pankreaskarzinom. Um den täglichen Vitamin D-Bedarf zu decken, ist eine Zufuhr von 20 µg pro Tag unbedenklich und ausreichend (DACH-Referenzwert, Anl. Ast 13). Der amerikanische RDA-Wert des Institut of Medicine (IOM) liegt für Erwachsene bei 15 µg bei minimaler Sonnenexposition (Ast 12). Übliche Arzneimittel zur Vitamin D-Ergänzung beginnen bei einem Wert von 25 µg zur Therapie zum Beispiel von Osteoporose. Nach der EFSA liegt der sogenannte UL-Wert, d.h. der Wert, der nach dem Stand der Wissenschaft nicht zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt, bei 100 µg pro Tag, und zwar aus allen Quellen, also auch der normalen Ernährung, der körpereigenen Bildung von Vitamin D und der Zufuhr von Nahrungsergänzungsmitteln. Es ist dem Antragsteller gelungen glaubhaft zu machen, dass von einer täglichen längerfristigen Zufuhr von Vitamin D-Präparaten zwischen 50 und 100 µg nach der aktuellen Studienlage ein erhöhtes Gesundheitsrisiko ausgeht. Die Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 31. Juli 2020 (Ast 14) führt aus, dass bei gelegentlichem Verzehr gesundheitliche Beeinträchtigungen derzeit als unwahrscheinlich angesehen werden, nicht jedoch bei langfristigem und täglichem Verzehr. Grundsätzlich könne bei ausreichendem Aufenthalt im Freien und entsprechender Sonnenbestrahlung sowie einer ausgewogenen Ernährung eine gute Vitamin D-Versorgung auch ohne die Einnahme von Vitamin DPräparaten erreicht werden. 20 µg Vitamin D pro Tag reichten aus, um den physiologischen Bedarf zur Erhaltung der Knochengesundheit von 97,5% der Population zu decken. Die Stellungnahme beschäftigt sich mit der UL von 100 µg, wie sie die EFSA als auch die amerikanische FNB angesehen hätten, nämlich für Erwachsene und Kinder ab 11 bzw. 9 Jahren. Die UL sei anhand des klinischen Endpunktes Hyperkalzämie abgeleitet worden. Nach den Pharmakovigilanz-Daten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BFARM) seien für die Einnahme von ab 25 µg pro Tag (bei Kindern bis zu 4 Jahren ab 12,5 µg pro Tag) zahlreiche Nebenwirkungen, am häufigsten gastrointestinaler Art gelistet. In einem systematischen Rückblick zur Effektivität von Vitamin D zur Verhinderung von Knochenfrakturen bei älteren Personen sei ebenfalls ein kleiner, jedoch signifikanter Anstieg gastrointestinaler Symptome sowie von Nierenerkrankungen nachgewiesen. Das BfR kommt in der Risikobewertung zu dem Ergebnis, dass hochdosierte Vitamin D-Präparate (in der Studie 75 bis 100 µg pro Tag über 6 Monate verteilt) das Potential hätten, gesundheitlich bedenkliche Gesamtaufnahmemengen an Vitamin D zu verursachen, und zwar in Bereichen, die auch mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko bei Herz-Kreislauf-Problemen einhergehen. Eine Aufnahme von 100 µg pro Tag solle ärztlich überwacht werden, um das Mortalitätsrisiko zu senken. Ergänzend kommt das BfR zum Ergebnis, dass eine Zufuhr von mehr als 20 µg am Tag über Lebensmittel, zu denen auch die NEM gehören, ernährungswissenschaftlich nicht zu begründen sei.
Die von der Antragsgegnerin vorgelegte wissenschaftliche Stellungnahme der EFSA von 2012 (AG 2, in der Übersetzung AG 3) ist nicht geeignet, die Einstufung des streitgegenständlichen Produkts als unsicher im Sinne des Art. 14 Basis-VO zu erschüttern bzw. zu widerlegen. Die EFSA bestimmt die obere tolerierbare Aufnahmemenge (UL) mit 100 µg pro Tag bei Erwachsenen, 50 µg für Kinder und Jugendliche von 10 bis 17 Jahre. Für Kinder von 1 bis 10 Jahre würde eine UL von 50 µg vorgeschlagen, 25 µg für Säuglinge im Alter von 0 bis 12 Monaten. Die EFSA führt aus, dass die Hyperkalzämie als Indikator für die Toxizität ausgewählt worden sei, wenn sich hierauf der Wert von 100 µg pro Tag für Erwachsene beziehe. Die weiteren Studien, die von einer erhöhten Gesamtmortalität oder Krebserkrankung berichteten, seien inkonsistent. Die 25 (OH) D-Konzentration im Serum, die nach Einnahme hoher Vitamin D-Dosen steige, sei nicht geeignet zur Verwendung zur Charakterisierung des Risikos für ungünstige langfristige Gesundheitsfolgen. Diese wissenschaftliche Stellungnahme der EFSA ist von 2012, ist wesentlich älter als die Stellungnahme des BfR vom Juli 2020. Die Stellungnahme der EFSA stellt den Wissensstand von 2012 dar, insbesondere hinsichtlich der Gefahr der Steigerung der Mortalität, die damals aufgrund bestimmter Parameter nicht gesehen werden könne.
Die wissenschaftliche Stellungnahme der EFSA ist nicht zwingend für die Auslegung des Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 a Basis-VO, da es sich nur um eine Stellungnahme handelt, nicht um eine Festlegung von Kriterien, für die die Kommission zuständig wäre.
Die Stellungnahme der Lebensmittelchemikerin Dr. S2. vom 16.02.2021 (AG 5) beschäftigt sich neben allgemeinen Feststellungen zur Aufnahme von Vitamin D vor allem mit dem Risiko der Hyperkalzämie. Die Feststellungen des BfR zur erhöhten HerzkreislaufMortalität und zum Pankreaskarzinom werden lediglich mit dem fehlenden Beleg dieser Zusammenhänge (evidenzbasiert) abgelehnt, nicht jedoch mit den dort ausführlich erwähnten Kohortenstudien. Das Risiko einer überhöhten Einnahme durch Kinder oder auch „naschenden“ Erwachsenen über 1-2 Stück pro Tag hinaus wird nicht bewertet.
Nach Art. 14 Abs. 2 a, Abs. 3 a Basis-VO ist für die Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel „sicher“ ist oder nicht zu berücksichtigen:
„Die normalen Bedingungen seiner Verwendung durch den Verbraucher und auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen sowie die dem Verbraucher vermittelten Informationen einschließlich der Angaben auf dem Etikett oder sonstige ihm normalerweise zugängliche Informationen über die Vermeidung bestimmter die Gesundheit beeinträchtigender Wirkungen eines bestimmten Lebensmittels oder einer bestimmten Lebensmittelkategorie“.
Bei dem vorliegenden Produkt ist dabei auch zu berücksichtigen, dass es sich um ein ansprechend gestaltetes Produkt handelt, bei dem bereits der Verzehr eines einzigen Gummibärchens die empfohlene Verzehrmenge von Vitamin D von 15 bis 20 µg pro Tag überschreitet, sich aber noch unterhalb der unbedenklichen Verzehrmenge von 100 µg pro Tag befindet. Bei dem konkreten Produkt ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass es zunächst nur eine „Verzehrempfehlung“ beinhaltet, nicht jedoch eine Warnung. Der Text „das Produkt außerhalb der Reichweite von kleinen Kindern lagern. Die empfohlene Verzehrmenge darf nicht überschritten werden“ befindet sich an unauffälliger Stelle in winziger Schrift in einem Fließtext, so dass er keine unmittelbar wahrnehmbare Warnung enthält. Das ansprechend gestaltete Produkt in Form eines Gummibärchens, damit einer Süßigkeit, die üblicherweise in größeren Mengen als einem Stück verzehrt wird, ist daher geeignet, einen Verbraucher zu verführen, mehr als ein Stück zu sich zu nehmen. Bereits bei 100 µg, das heißt 2 Stück pro Tag, empfiehlt das BfR eine ärztliche Überwachung, wenn dies über einen längeren Zeitraum eingenommen wird. Insgesamt ist daher das Produkt in seiner konkreten Gestaltung und einer Anreicherung von 50 µg pro Stück entsprechend der Stellungnahme des BfR vom Juli 2020 (Ast 14) ohne ausreichende Warnhinweise aufgrund des möglicherweise erhöhten Mortalitätsrisikos und Risikos für das Pankreaskarzinom ohne ärztliche Überwachung als unsicher zu bewerten.
Antrag 4: Füllhöhe und Füllmenge
Hinsichtlich dieses Anspruchs war der Verfügungsantrag als unbegründet zurückzuweisen. Es ist der Antragstellerin nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass das Schraubgefäß, in das die streitgegenständlichen Bärchen gefüllt sind, lediglich bis etwa knapp über die Hälfte gefüllt ist.
Das von dem Antragsteller vorgelegte Original-Produkt, Anlage A, das noch ungeöffnet war, wurde im Termin vom 02.03.2021 in Augenschein genommen und geöffnet. Ebenso wurden zwei weitere Produkte, die die Antragstellervertreterin und der Antragsgegnervertreter mitgebracht hatten, in Augenschein genommen. Bei allen 3 Produkten wurde festgestellt, dass sie bis etwa 1 bis 2 cm unter den unteren Rand des Schraubverschlusses gefüllt waren. Das Schraubgefäß hat gemäß der Anlage E eine Höhe von 9 cm. Nach Ansicht der Mitglieder der erkennenden Kammer für Handelssachen wird die Erwartung des Verbrauchers über die Befüllung des Gefäßes beim Öffnen des fast undurchsichtigen Produkts nicht enttäuscht. Gerade weil die Gummibärchen aufgrund der zahlreichen Ausbuchtungen sich ineinander verhaken, schwankt die Füllhöhe je nach Schüttelzustand. Eine Pflicht, solche Kleinprodukte auf ein Minivolumen maschinell zusammenzurütteln und dann in einer möglichst kleinen Verpackung unterzubringen, in der sie sich nicht mehr aufstellen können, besteht nicht. Eine Verbrauchererwartung dahingehend, dass in einem solchen Schraubgefäß ein Produkt wie Gummibärchen bis oben an den Rand gefüllt ist, besteht nach Ansicht der Mitglieder der erkennenden Handelskammer nicht. Der Unterlassungsanspruch aufgrund § 43 Abs. 2 MessEG besteht daher nicht.
Kosten: § 91, 92 ZPO
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 2. Hinsichtlich der Unterlassungsansprüche ist die einstweilige Verfügung ohne weiteres vorläufig vollstreckbar.


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