Aktenzeichen 9 B 76/09
§ 63 Abs 2 LAnpG
§ 64 S 1 LAnpG
§ 114 VwGO
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 7. April 2009, Az: 8 K 8/07, Urteil
Gründe
1
Die Beschwerde ist unbegründet.
2
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
3
a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob § 64 Satz 1, § 63 Abs. 2 LwAnpG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG einen der gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt unterliegenden Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite der Norm enthält, ist nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig. Sie lässt sich vielmehr auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG beantworten, ohne dass dafür ein Revisionsverfahren durchgeführt werden müsste. Wie das Gericht mit Urteil vom 11. August 1983 – BVerwG 5 C 30.82 – (BVerwGE 67, 341 ) entschieden hat, handelt es sich bei § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG um eine Vorschrift, die der oberen Flurbereinigungsbehörde auf der Tatbestandsseite einen Beurteilungsspielraum einräumt. Während die Frage, ob die zur Verfahrenseinstellung Anlass gebenden Umstände nachträglich eingetreten sind, gerichtlich voll überprüfbar ist, unterliegt die gerichtliche Kontrolle der rechtlichen Voraussetzungen für die Verfahrenseinstellung im Übrigen Einschränkungen. Die der Behörde aufgegebene Zweckmäßigkeitsprüfung und die damit verknüpfte Einschätzung des Erfolgs der angeordneten Flurbereinigung verlangen ein Einschätzen und Bewerten komplexer Zusammenhänge einschließlich künftiger Entwicklungen. Diese Beurteilungen sind in erster Linie Aufgabe der Verwaltung und unterliegen gerichtlicher Nachprüfung nur dahin, ob die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte rechtlich und tatsächlich zutreffend erkannt und angemessen berücksichtigt sind (Urteil vom 11. August 1983 a.a.O.). Entscheidend für die Zuerkennung eines behördlichen Beurteilungsspielraums ist demnach nicht allein der prognostische Charakter der Beurteilung, sondern die Komplexität der – auch prognostische Elemente enthaltenden – Zweckmäßigkeitsbeurteilung. Diese Eigenart der Beurteilung erfordert und rechtfertigt auch unter Berücksichtigung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte.
4
Die vorgenannten Erwägungen, die für die Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG maßgeblich sind, treffen in gleicher Weise zu, wenn es um die sinngemäße Anwendung dieser Vorschrift gemäß § 63 Abs. 2 LwAnpG im Rahmen eines Bodenordnungsverfahrens geht. Denn die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Verfahrensfortführung erfordert für das Flurbereinigungsverfahren und das Bodenordnungsverfahren vergleichbare Einschätzungen und Bewertungen. Auch die Klägerin hat keine Umstände dargetan, die bezogen auf das Bodenordnungsverfahren für eine abweichende Sichtweise sprechen könnten.
5
b) Die von der Beschwerde sinngemäß gestellte Anschlussfrage, ob § 64 Satz 1, § 63 Abs. 2 LwAnpG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG, wenn die unter 1.a) behandelte Frage zu bejahen sein sollte, noch Raum für eine selbstständige, von der Ausfüllung des Beurteilungsspielraums zu unterscheidende Ermessensausübung lässt, bedarf gleichfalls keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 1983 (a.a.O. S. 345) ist insoweit geklärt, dass der oberen Flurbereinigungsbehörde zusätzlich zu dem für die Prüfung des Normtatbestandes eröffneten Beurteilungsspielraum ein Ermessen eingeräumt ist. Ein weitergehender Klärungsbedarf wird nicht mit der in der Beschwerdebegründung anklingenden Erwägung dargetan, unter Zugrundelegung eines exekutiven Beurteilungsspielraums bei der tatbestandlich gebotenen Zweckmäßigkeitsprüfung erscheine ein Anwendungsbereich für ein zusätzliches, ebenfalls durch Zweckmäßigkeitserwägungen auszufüllendes behördliches Ermessen auf der Rechtsfolgenseite zweifelhaft. Die Formulierung des § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG stellt klar, dass der Behörde zwar ein Ermessen eingeräumt ist (“kann”), dass diesem Ermessen aber angesichts der Fassung des Normtatbestandes enge Grenzen gezogen sind; “erscheint die Flurbereinigung … nicht zweckmäßig”, so scheidet im Regelfall eine Ermessensausübung mit dem Ergebnis, dass das Verfahren fortzuführen sei, aus. Obgleich § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nicht als Soll-Vorschrift formuliert ist, ist demnach mit der Tatbestandserfüllung typischerweise die Rechtsfolge vorbezeichnet. Dagegen bleibt Raum für Ermessenserwägungen, soweit es zum Beispiel um die Frage geht, ob besondere Umstände eine bloße Teileinstellung oder eine Einstellung unter Nebenbestimmungen als zweckmäßig erscheinen lassen (vgl. Wingerter, in: Seehusen/Schwede, FlurbG, 8. Aufl. 2008 § 9 Rn. 4).
6
2. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greift ebenfalls nicht durch. Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das Flurbereinigungsgericht es versäumt habe, die Ermessenausübung durch die obere Flurbereinigungsbehörde gemäß § 114 VwGO zu überprüfen. Mit diesem Einwand ist ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nicht dargetan. Verfahrensfehler sind nur Verstöße gegen solche Vorschriften, die den äußeren Verfahrensablauf regeln oder Sachurteilsvoraussetzungen aufstellen, nicht hingegen Verstöße gegen Regelungen, die den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung bezogen auf die Sachentscheidung betreffen (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18). § 114 VwGO regelt die inhaltliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen. Er macht damit Vorgaben für den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung in der Sache. Verstöße gegen diese Vorschrift betreffen mithin nicht das Verfahren und sind folglich nicht geeignet, den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auszufüllen. Im Übrigen sind besondere Sachverhaltsumstände, die dem Flurbereinigungsgericht hätten Anlass geben müssen, sich trotz Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG mit der von der oberen Flurbereinigungsbehörde angeordneten Rechtsfolge der Verfahrenseinstellung nach Maßgabe von § 114 VwGO auseinanderzusetzen, weder von der Beschwerde dargetan worden noch sonst hervorgetreten.