Europarecht

Verlängerung der Überstellungsfrist nach Kroatien

Aktenzeichen  B 6 K 17.50305

Datum:
2.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 50798
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 61 Abs. 1d
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 29 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.03.2017 ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht aufzuheben, weil er rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
1.1 Die Ablehnung des Asylantrages (§ 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AsylG) als unzulässig ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG rechtmäßig, weil nach Maßgabe der Dublin-III-VO ein anderer Staat, nämlich Kroatien, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
1.1.1 Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist Kroatien für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, weil der Kläger aus einem Drittstaat, nämlich Serbien, kommend die Landgrenze Kroatiens illegal überschritten hat. Ob der Kläger, obwohl er in Zagreb einen Asylantrag gestellt hat (Eurodac-Treffer: HR…01), durch Kroatien nur durchreisen wollte, ist nicht entscheidungserheblich. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Einreise von den Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation geduldet wird, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat, dessen grundsätzlich geforderte Einreisevoraussetzungen sie nicht erfüllen, durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO „illegal überschritten“ hat (EuGH, Urteil vom 26.07.2017 – C-490/16, juris Rn. 42). Dementsprechend hat Kroatien dem Wiederaufnahmegesuch der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabsatz 1, Art. 25 Dublin-III-VO stattgegeben und ist gemäß Art. 18 Abs. 1 b) Dublin-III-VO verpflichtet, den Kläger wieder aufzunehmen.
1.1.2 Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO auf Deutschland übergegangen, weil die Überstellung des Klägers nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO) durchgeführt wurde. Denn diese Frist wurde gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 in der konsolidierten Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014 (DVO) auf achtzehn Monate – bis zum 12.10.2018 – verlängert, weil der Kläger flüchtig war (vgl. Beschlüsse vom 16.01.2018 und 27.02.2018). Die entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont der Republik Kroatien orientierte Auslegung der Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 ergibt zweifelsfrei, dass es sich hierbei um eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 DVO handelt. Um diese Feststellung zu treffen, bedarf es keiner Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die vom Kläger gestellten Fragen. Daher besteht keine Veranlassung, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 267 Abs. 1 AEUV herbeizuführen und das Verfahren gemäß § 94 VwGO auszusetzen, nachdem das Verwaltungsgericht, dessen Urteil mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung angefochten werden kann, gemäß Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV keiner Vorlagepflicht unterliegt.
1.1.3 Deutschland ist auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 3 Dublin-III-VO der zuständige Mitgliedstaat geworden. Denn den Kläger an Kroatien zu überstellen, erweist sich nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO als unmöglich, weil es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Kroatien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCharta mit sich bringen.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem und insbesondere die Dublin-III-VO beruhen auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens darauf, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK finden. Daher gilt die – widerlegbare – Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-GRCharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – C-411/10, juris Rn. 78 ff). Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 – 10 B 6/14, juris Rn. 9).
Gemessen daran bestehen keinerlei Bedenken, den Kläger an Kroatien zu überstellen. Das erkennende Gericht verweist insoweit auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides und des Beschlusses vom 12.04.2017 sowie auf die – systemische Mängel ausnahmslos verneinende – Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 16.02.2017 – C-578/16 PPU, juris Rn. 70 f; VG Cottbus, Urteil vom 23.02.2017 – 5 K 1560/16.A, juris Rn. 32 ff; VG Minden, Beschluss vom 27.03.2017 – 1 L 543/17.A, juris Rn. 12 ff; VG Leipzig, Urteil vom 19.06.2017 – 6 K 2589/16.A, juris Rn. 27 f; VG München, Urteil vom 26.06.2017 – M 9 K 16.51031, juris Rn. 28 ff; VG Magdeburg, Beschluss vom 13.11.2017 – 8 B 455/17, juris Rn. 2; ausführlich VG Greifswald, Beschluss vom 08.12.2017 – 4 B 2231/17 As HGW, juris Rn. 13 ff; VG Aachen, Beschluss vom 09.03.2018 – 6 L 1943/17.A, juris Rn. 27 ff).
Die ergänzende Klagebegründung vom 10.04.2018 und die darin zitierten Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International vermögen die Vermutung, dass dem Kläger als Asylbewerber in Kroatien keine auf systemischen Mängeln beruhende unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, nicht zu widerlegen. Das Vorbringen, sowohl die kroatischen Behörden als auch der Kläger seien davon ausgegangen, dass in Kroatien kein Asylverfahren stattfinden werde, erweist sich als unzutreffend, weil auf Grund der Eurodac-Treffermeldung feststeht, dass der Kläger in Zagreb einen Asylantrag gestellt hat. Vor diesem Hintergrund ist auch die Befürchtung nicht nachvollziehbar, der Kläger werde in Kroatien Gefahr laufen, ohne inhaltliche Prüfung seiner Asylgründe nach Serbien zurückgeschoben zu werden (siehe dazu auch VG Greifswald, a.a.O. Rn. 17). Soweit der Kläger geltend macht, er sei von der Gesetzesänderung vom Juni 2017 betroffen, weil sein Aufenthalt in Kroatien als illegal angesehen werde, verkennt er, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO die illegale Grenzüberschreitung – nicht ein illegaler Aufenthalt – die Zuständigkeit Kroatiens begründet. Während der Dauer des Asylverfahrens, das durch die Antragstellung eingeleitet wurde, hält sich der Antragsteller nicht illegal in Kroatien auf.
1.1.4 Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, aus denen die Bundesrepublik Deutschland gehalten wäre, gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO ihren Selbsteintritt zu beschließen und dadurch gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 2 Satz 1 Dublin-III-VO ihre Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zu begründen, liegen nicht vor. Weder der Wunsch des Klägers, in Deutschland zu studieren, noch der Umstand, dass seine Cousine in Deutschland lebt, reichen hierfür aus, zumal der Kläger einen näheren Verwandten – seinen Bruder – in Kroatien hat.
1.2 Die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, ist ebenfalls rechtmäßig. Insbesondere droht dem Kläger, wie dargelegt, in Kroatien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG). Auch eine dort bestehende erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ist nicht ersichtlich (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG).
1.3 Rechtmäßig ist schließlich auch die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, weil der Kläger in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es gemäß § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG nicht.
1.4 Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes beruht auf § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 AufenthG) von Amts wegen zu befristen, wobei gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG über die Länger der Frist nach Ermessen entschieden wird. Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung auf (nur) sechs Monate rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO), sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Nach alledem wird die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Kläger als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgewiesen. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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