Europarecht

Verpflichtung zur Nährwertdeklaration auch für kleine Unternehmen

Aktenzeichen  W 8 K 17.1208

Datum:
17.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28090
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LFGB § 39
BayVwVfG Art. 47

 

Leitsatz

1 Wegen der identischen Zielrichtung, strukturellen Vergleichbarkeit sowie des Gleichlaufs von Befugnisrahmen und Rechtsfolgen lässt der Austausch von § 39 Abs. 2 S. 1 LFGB gegen Art. 54 Abs. 1 und 2 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 den Regelungsgehalt (Tenor) der Grundverfügung unberührt und sind zur Begründung auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Erwägungen erforderlich. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Beschreibung von Aufbewahrungsbedingungen in Form unterschiedlicher Temperaturangaben und damit verbundenen unterschiedliche Mindesthaltbarkeitsdaten ist nicht irreführend. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Auslegung des Nr. 19 Anhang V der VO (EU) 1169/2011 dahingehend, dass bei Kleinunternehmen eine Ausnahme von der Nährwertdeklaration einschlägig ist unabhängig davon, ob das Lebensmittel an ein lokales Einzelhandelsgeschäft oder ein nicht lokales Einzelhandelsgeschäft abgegeben wird, widerspricht dem eindeutigen Wortlaut, der Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift.  (Rn. 31 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Nr. 1 des Bescheids des Landratsamts Bad K. vom 5. September 2017 wird aufgehoben, soweit es die Irreführung durch eine Mindesthaltbarkeitsdatums-Angabe betrifft.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin 4/5, der Beklagte 1/5 zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet, soweit im streitgegenständlichen Bescheid das Mindesthaltbarkeitsdatum als irreführend beanstandet wurde.
1. Rechtsgrundlage der lebensmittelrechtlichen Anordnungen ist Art. 54 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 (ABl. L 165/1) i.V.m. den Vorschriften der Verordnung (EU) 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl L 327/1). Danach trifft die zuständige Behörde, wenn sie einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt hat, die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Unternehmer Abhilfe schafft.
Als unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht hat Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 in seinem Anwendungsbereich Vorrang vor nationalem Recht. Insoweit ist daher § 39 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs – LFGB – als Eingriffsgrundlage des nationalen Rechts unanwendbar (vgl. OVG NRW, B.v. 26.11.2014 – 13 B 1250/14 – juris Rn. 10 ff; VGH BW, U.v. 16.6.2014 – 9 S 1273/13 – juris Rn. 22 ff; OVG HH, B.v. 5.9.2009 – 5 Bs 139/11 – juris; VG Berlin, U.v. 14.3.2018 – 14 K 328.16 – juris Rn. 22; Zipfel/ Rathke, Lebensmittelrecht, § 39 LFGB Rn. 10 f.). Der Umstand, dass der Beklagte die in Rede stehende Verbotsverfügung (auch) auf § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB gestützt hat, ist rechtlich gleichwohl unschädlich, denn das Auswechseln der Rechtsgrundlage ist hier zulässig (Art. 47 BayVwVfG). Wegen der identischen Zielrichtung, strukturellen Vergleichbarkeit sowie des Gleichlaufs von Befugnisrahmen und Rechtsfolgen lässt der Austausch von § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB gegen Art. 54 Abs. 1 und 2 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 den Regelungsgehalt (Tenor) der Grundverfügung unberührt und sind zur Begründung auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Erwägungen erforderlich (vgl. OVG NRW, B.v. 26.11.2014, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.).
2. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Auch wenn den Akten nicht eindeutig entnommen werden kann, ob die Klägerin konkret zum Erlass des Bescheids und nicht nur zur Stellungnahme zu ihrem Arbeitsstil aufgefordert wurde, ist eine möglicherweise fehlende Anhörung der Klägerin vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids jedenfalls spätestens im gerichtlichen Verfahren nachgeholt und damit nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt.
3. Der Bescheid vom 5. September 2017 ist zum Teil materiell rechtswidrig, soweit in Nr. 1 angeordnet wird, das Mindesthaltbarkeitsdatum aufgrund von Irreführung den gesetzlichen Vorgaben anzupassen. Im Übrigen ist der Bescheid materiell rechtmäßig.
3.1 Entgegen den Ausführungen der Klägerseite verstößt die Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Die Anordnungen in Nr. 1 des Bescheids vom 5. September 2017 sind hinreichend bestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Für eine hinreichende Bestimmtheit einer Regelung ist es nicht erforderlich, dass sich der Inhalt eines Verwaltungsaktes allein aus dem Anordnungssatz präzise ergibt. Zur Auslegung des Regelungsgehalts ist vor allem die dem Verwaltungsakt beigefügte Begründung heranzuziehen. Zulässig sind auch Bezugnahmen im Verwaltungsakt auf den Beteiligten bekannte und ihnen vorliegende oder jederzeit zugängliche Unterlagen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 37 Rn. 6 f.). Durch die zulässige Bezugnahme im Tenor der Nr. 1 des Bescheids vom 5. September 2017 hinsichtlich der Einzelheiten der getroffenen Regelungen auf das Gutachten des CVUA vom 14. Juli 2017 ist die Anordnung hinreichend bestimmt. Zum einen ist der Klägerin der Inhalt des Gutachtens bekannt gewesen, da es ihr am 3. August 2017 eröffnet und ihr eine Kopie des Gutachtens übergeben worden war, und zum anderen ist das Gutachten selbst hinreichend bestimmt. Es werden dort im Einzelnen die beanstandeten Kennzeichnungsverstöße aufgelistet, so dass die Klägerin durch den Verweis auf das Gutachten in die Lage versetzt wird, zu erkennen, welche Mängel von ihr im Zusammenhang mit der Lebensmittelkennzeichnung abzustellen sind.
3.2 Die im Gutachten des CVUA festgestellten Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Kennzeichnungsvorschriften liegen bei der streitgegenständlichen Gebäckrolle vor mit Ausnahme eines Verstoßes gegen das Irreführungsgebot durch die Angaben zum Mindesthaltbarkeitsdatum.
3.2.1 Die Klägerin hat durch die zusätzliche Angabe eines zweiten Mindesthaltbarkeitsdatums mit der Lagerungsbedingung von unter -18°C bei einem in Kühlung angebotenen Lebensmittel keine irreführenden Angaben gemacht.
Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) VO (EU) Nr. 1169/2011 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. f) VO (EU) Nr. 1169/2011 dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Haltbarkeit des Lebensmittels. Die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. f. VO (EU) 1169/2011 verpflichtende Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums ist nach Art. 24 Abs. 2 VO (EU) 1169/2011 i.V.m. Nr. 1 Anhang X der VO (EU) 1169/2011 anzugeben. Nach Nr. 1a Anhang X der VO (EU) 1169/2011 geht dem Datum die Angabe „mindestens haltbar bis …“, wenn der Tag genannt wird, oder „mindestens haltbar bis Ende …“ in den anderen Fällen voran. Nach Nr. 1b Anhang X der VO (EU) 1169/2011 wird in Verbindung mit der Angabe nach Buchstabe a entweder das Datum selbst oder ein Hinweis darauf, wo das Datum in der Kennzeichnung zu finden ist, angegeben und diese Angaben werden erforderlichenfalls durch eine Beschreibung der Aufbewahrungsbedingungen ergänzt, deren Einhaltung die angegebene Haltbarkeit gewährleistet.
Aus diesen Vorgaben geht zunächst nicht hervor, dass die Klägerin keine unterschiedlichen Mindesthaltbarkeitsdaten bei unterschiedlichen Lagerungsbedingungen angeben darf. Gerade durch die Beschreibung der Aufbewahrungsbedingungen in Form von unterschiedlichen Temperaturangaben und damit verbundenen unterschiedliche Mindesthaltbarkeitsdaten kam die Klägerin den rechtlichen Vorgaben nach. Im Gutachten wurde die Annahme der Irreführung durch die Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums darauf gestützt, dass das Erzeugnis in Kühlung angeboten wurde. Dies führt jedoch nicht zu einer Irreführung über die Mindesthaltbarkeitsdaten und Aufbewahrungsbedingungen. Denn die Angaben zum Mindesthaltbarkeitsdatum entsprechen den Haltbarkeitsbedingungen, die in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin näher erläutert wurden.
Bei der Beurteilung der Irreführung kommt es auf das Verständnis eines durchschnittlich aufmerksamen und verständigen Verbrauchers an (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 170. EL März 2018, Art. 7 Rn. 30-32). Dieser würde zunächst bei einem in Kühlung angebotenen Lebensmittel mit der Angabe, dass das Lebensmittel gefroren (Aufbewahrung unter -18°C) ein längeres Mindesthaltbarkeitsdatum hat, davon ausgehen, dass er es dann bei sich zu Hause noch mindestens bis zum Ablauf des kürzeren Mindesthaltbarkeitsdatums bei Kühlung (Aufbewahrung unter +6°C) einfrieren kann. Nicht annehmen würde ein durchschnittlicher Verbraucher dagegen, dass das zeitlich längere Mindesthaltbarkeitsdatum bei der Aufbewahrung unter -18°C auch dann noch zuträfe, wenn er die Gebäckrolle erst nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums bei einer Aufbewahrung unter +6°C einfrieren würde. Diese Angaben zum Mindesthaltbarkeitsdatum auf dem Etikett und das hierdurch veranlasste Verhalten eines durchschnittlichen Verbrauchers entsprechen auch den nachvollziehbaren Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu den einzuhaltenden Aufbewahrungsbedingungen. So führte die Klägerin aus, dass ihr Kuchen frisch gemacht werde und dann gekühlt eine Woche und tiefgefroren ein halbes Jahr halte. Dies gelte auch, wenn er erst am letzten Tag des für die Kühlung festgelegten Zeitraums eingefroren werde. Daher kann ein Verbraucher die in Kühlung angebotene Gebäckrolle entsprechend den Angaben zu den Mindesthaltbarkeitsdaten noch bis zum Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums bei Aufbewahrung unter +6° C einfrieren und wird nicht durch die Angaben auf dem Etikett irregeführt.
3.2.2 Die Klägerin hat hingegen aufgrund der fehlenden Nährwertdeklaration auf der Verpackung der Gebäckrolle gegen Art. 9 Abs. 1 Buchst. l) VO (EU) Nr. 1169/2011 verstoßen. Die Voraussetzungen der Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 VO (EU) 1169/2011 i.V.m. Nr. 19 Anhang V der VO (EU) 1169/2011 von der verpflichtenden Nährwertdeklaration sind nicht erfüllt.
Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. l) VO (EU) Nr. 1169/2011 ist vorbehaltlich der in Kapitel IV vorgesehenen Ausnahmen eine Nährwertdeklaration verpflichtend. Von der verpflichtenden Nährwertdeklaration ausgenommen sind nach Art. 16 Abs. 3 VO (EU) 1169/2011 i.V.m. Nr. 19 Anhang V der VO (EU) 1169/2011 Lebensmittel, einschließlich handwerklich hergestellter Lebensmittel, die direkt in kleinen Mengen von Erzeugnissen durch den Hersteller an den Endverbraucher oder an lokale Einzelhandelsgeschäfte abgegeben werden, die die Erzeugnisse unmittelbar an den Endverbraucher abgeben.
Das Unternehmen der Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Ausnahme von der verpflichtenden Nährwertdeklaration. Die von der Klägerin hergestellte Gebäckrolle wird weder direkt an den Endverbraucher abgegeben, noch an lokale Einzelhandelsgeschäfte, die dann die Erzeugnisse unmittelbar an den Endverbraucher abgeben.
Die Klägerin gibt die von ihr hergestellte Gebäckrolle nicht an lokale Einzelhandelsgeschäfte, die dann die Erzeugnisse unmittelbar an den Endverbraucher abgeben, ab. Denn nach den eigenen Angaben der Klägerin liefert sie die Gebäckrollen deutschlandweit und somit nicht mehr an lokale Einzelhandelsgeschäfte aus. Dabei ist vorliegend bei der Bestimmung der Voraussetzung „lokales“ Einzelhandelsgeschäft nicht entscheidend, ob die belieferten Geschäfte sich in Bezug zum Herstellungsort in einem Umkreis von nicht mehr als 50 oder nicht mehr als 100 Kilometern befinden, da die belieferten Geschäfte in einem erheblich größeren Umkreis liegen. Die Klägerin benannte in der mündlichen Verhandlung unter anderem als Auslieferungsorte Siegen und Rottweil. Siegen befindet sich circa 260 Kilometer und Rottweil circa 292 Kilometer und somit weit mehr als 100 Kilometer entfernt vom Herstellungsort in R.
Der Einwand der Klägerin, dass auch ihr Kleinunternehmen, das seine Erzeugnisse handwerklich herstelle, nach Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift von der Verpflichtung der Nährwertdeklaration auszunehmen sei, überzeugt nicht. Eine Auslegung des Nr. 19 Anhang V der VO (EU) 1169/2011 dahingehend, dass bei Kleinunternehmen eine Ausnahme von der Nährwertdeklaration einschlägig ist unabhängig davon, ob das Lebensmittel an ein lokales Einzelhandelsgeschäft oder ein nicht lokales Einzelhandelsgeschäft abgegeben wird, widerspricht dem eindeutigen Wortlaut, der Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift.
Der Wortlaut des Nr. 19 Anhang V der VO (EU) 1169/2011 ist insofern eindeutig, da ausdrücklich Voraussetzung ist, dass es sich bei den von der Klägerin belieferten Einzelhandelsgeschäften um lokale handeln muss. Hierbei ist die Bestimmung der Lokalität auch anhand der Beziehung des Herstellungsortes der Gebäckrolle zu dem Einzelhandelsgeschäft, das das Produkt an den Verbraucher verkauft, vorzunehmen. Die einzig andere Möglichkeit bestünde darin, die Voraussetzung der Lokalität in Bezug zum Verbraucher zu bestimmen. Dies würde jedoch dazu führen, dass jedes Einzelhandelsgeschäft bundesweit erfasst wäre. Einzelhandelsgeschäfte, die Produkte direkt an den Verbraucher verkaufen, befinden sich denknotwendig immer an einem bestimmten Ort und sind für den Verbraucher, der dort einkauft, zwangsläufig lokal. Die Voraussetzung der Lokalität würde in diesem Fall jegliche Bedeutung verlieren.
Auch aufgrund der Systematik der Vorschriften verbietet sich eine Ausweitung des Ausnahmetatbestandes auf alle Kleinstunternehmen. Bei Art. 16 Abs. 3 VO (EU) Nr. 1169/2011 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 VO Buchst. a) VO (EU) Nr. 1169/2011 handelt es sich um eine sogenannte Ausnahmevorschrift, die nach der juristischen Methodenlehre eng auszulegen ist.
Zudem erfordern Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift keine Auslegung dahingehend, dass Kleinstunternehmen ohne Einschränkungen von der Verpflichtung der Nährwertdeklaration auszunehmen sind. Zwar besteht der Sinn und Zweck der Vorschrift zum einen darin kleinere Unternehmen nicht unnötig zu belasten, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Denn die Ausnahmevorschrift ist das Ergebnis der Abwägung des Schutzes von Unternehmen vor unnötigen Belastungen und der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes. Dies ergibt sich aus den Erwägungsgründen der VO (EU) Nr. 1169/2011.
So ergibt sich zunächst aus Erwägungsgrund Nr. 39 der VO (EU) Nr. 1169/2011, dass bestimmte Klassen von Lebensmitteln, die unverarbeitet sind oder bei denen Informationen zum Nährwert auf die Kaufentscheidung der Verbraucher nicht ausschlaggebend sind oder deren Verpackung zu klein ist, um die Pflichtkennzeichnung aufzunehmen, von der Pflicht zur Bereitstellung einer Nährwertdeklaration ausgenommen werden, um eine unnötige Belastung der Lebensmittelunternehmer zu vermeiden. Hieraus ergibt sich zwar entsprechend des Vortrags der Klägerseite, dass Lebensmittelunternehmen durch die Verpflichtung zur Nährwertdeklaration grundsätzlich nicht unnötig belastet werden sollten.
Jedoch ergibt sich hieraus nicht, dass Kleinunternehmen allgemein ohne Schranken von der Nährwertdeklaration auszunehmen sind, da wichtigstes Ziel der VO (EU) Nr. 1169/2011 das Erreichen eines hohen Verbraucherschutzes ist und hierfür auch der Nährwertdeklaration eine bedeutende Rolle zugemessen wird.
Das Ziel eines hohen Verbraucherschutzes und der Relevanz der Nährwertdeklaration hierfür ergibt sich wiederum aus den weiteren Erwägungsgründen. In Erwägungsgrund Nr. 1 der VO (EU) Nr. 1169/ 2011 wird ausgeführt, dass durch die in der VO (EU) Nr. 1169/2011 enthaltenen Bestimmungen ein Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus geleistet werden soll. Konkreter ergibt sich aus Erwägungsgrund Nr. 3 der VO (EU) Nr. 1169/2011, dass sichergestellt werden sollte, dass Verbraucher in Bezug auf die Lebensmittel in geeigneter Weise informiert werden, um auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes der Verbraucher ein hohes Niveau zu erreichen und das Recht der Verbraucher auf Information zu gewährleisten. In Erwägungsgrund Nr. 14 der VO (EU) Nr. 1169/2011 wird darauf Bezug genommen, dass auch die Nährwertkennzeichnung eine wichtige Methode darstellt, um Verbraucher über die Zusammensetzung von Lebensmitteln zu informieren und ihnen zu helfen, eine fundierte Wahl zu treffen und eine fundierte Wahl wichtig ist, für einen wirksamen Wettbewerb und das Wohlergehen der Verbraucher.
Auch aus anderen europarechtlichen Vorschriften und nationalen Vorschriften ist zu entnehmen, dass grundsätzlich eine Begünstigung von Unternehmen im Lebensmittelrecht nur bei einem örtlichen Bezug der Abgabe von Erzeugnissen in kleinen Mengen bezweckt werden soll. So enthalten Art. 1 Abs. 2 Buchst. c VO (EG) Nr. 852/2004, Nr. 3.3 des Leitfadens für die Durchführung einzelner Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene der Europäischen Kommission vom 16. Juni 2012, § 5 LMHV und §§ 3 bis 6 Tier-LMHV Vorgaben hinsichtlich der Abgabe kleiner Mengen, die dabei immer im Zusammenhang mit einem örtlichen Bezug gesetzt werden (vgl. Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 16 Rn. 78-86).
Aufgrund dieser originären Auslegung der EU-Vorschriften verbleibt kein Raum für eine Auslegung der Nr. 4 der ALTS-Stellungnahme dahingehend, dass bei Kleinunternehmen unabhängig von der Voraussetzung der Lokalität immer eine Ausnahme von der Nährwertdeklaration besteht. Eine solche Auslegung der Nr. 4 der ALTS-Stellungnahme würde der Auslegung der EU-Vorschriften widersprechen. Die EU-Vorschriften gehen den inländischen Verwaltungsvorschriften, die überdies keine Bindung der Gerichte bewirken können, vor.
Der Befürchtung der Klägerin aufgrund der handwerklichen Herstellung keine exakte Nährwertdeklaration vornehmen zu können, ist entgegenzuhalten, dass – wie beklagtenseits in der mündlichen Verhandlung ausgeführt wurde – zum einen die Berechnung auf Durchschnittswerten basiert und zum anderen Abweichungen von 5 bis 10% toleriert werden. Die Klägerin wird daher nicht unverhältnismäßig hoch belastet.
3.2.3 Die Bezeichnung der Gebäckrolle mit „Aprikosenmarmelade Rolle“ verstößt gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 i.V.m. § 3 KonfV.
Nach Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein. Die Bezeichnung des Enderzeugnisses Gebäckrolle mit „Aprikosenmarmelade Rolle“ führt einen durchschnittlich verständigen und interessierten Verbraucher in die Irre.
Denn nach § 3 Abs. 2 KonfV i.V.m. Nr. 5 Anlage 1 KonfV darf ein aus Aprikosen hergestelltes Erzeugnis nicht mit Marmelade bezeichnet werden, da die Aprikose keine Zitrusfrucht ist. Wird entgegen dieser rechtlichen Vorgabe in die Bezeichnung des Enderzeugnisses das Wort Aprikosenmarmelade aufgenommen, würde ein Verbraucher automatisch davon ausgehen, dass das Erzeugnis auch eine Zutat enthält, die nach den rechtlichen Vorgaben als Aprikosenmarmelade bezeichnet werden dürfte, das, wie bereits dargelegt, den rechtlichen Vorgaben nicht entspricht.
Zwar ergibt sich aus § 1 Satz 2 KonfV, dass vom Anwendungsbereich der Konfitürenverordnung Erzeugnisse ausgenommen sind, die für die Herstellung von Feinen Backwaren, Konditoreiwaren oder Keksen bestimmt sind. Jedoch erlaubt diese Regelung nicht, dass ein Verbraucher im Einzelfall dadurch irregeführt wird, dass ein Endprodukt eine Bezeichnung enthält, die eine enthaltene Zutat selbst nicht führen darf. Das Irreführungsverbot bleibt vielmehr selbständig daneben bestehen.
3.2.4 Keine Bedenken bestehen bei der Rechtmäßigkeit der Anordnung, soweit im Gutachten bemängelt wurde, dass die Hervorhebung der allergenen Zutaten nicht eindeutig erkennbar ist und dass die Bezeichnung der zusammengesetzten Zutaten z.B. wie bei der Margarine nicht korrekt ist. Diesbezüglich hat die Klägerin nichts vorgetragen. Sonstige Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich.
3.3 Die Kostenentscheidung in Nr. 2 des Bescheids vom 5. September 2017 ist rechtmäßig. Die Kosten für den Verwaltungsaufwand waren der Klägerin trotz teilweiser unrichtiger Sachbehandlung aufzuerlegen. Nach Art. 16 Abs. 5 KG sind unter anderem die Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung durch die Behörde nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Vorliegend wären sowohl die Kosten, die anhand des Arbeitsaufwands berechnet wurden, als auch die Kosten für das Gutachten auch bei vollständig richtiger Sachbehandlung entstanden. Denn zur Prüfung und Erlass des Bescheides bezüglich der anderen vier Kennzeichnungsverstöße hätte die Behörde voraussichtlich den gleichen Zeitaufwand gehabt und die Kosten für das Gutachten hätten von der Klägerin unter Berücksichtigung von Billigkeit (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KG) ermessensfehlerfrei in vollem Umfang erhoben werden können, da die rechtswidrige Beanstandung bezüglich des Mindesthaltbarkeitsdatums im Vergleich zu den anderen vier Beanstandungen nicht erheblich ins Gewicht fällt. Gegenteilige Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
4. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Da die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids insgesamt fünf lebensmittelrechtliche Beanstandungen betraf, eine Beanstandung von den fünf Beanstandungen jedoch rechtswidrig war und die Klägerin insoweit obsiegt, sind die Kosten verhältnismäßig in 1/5 zu 4/5 zu teilen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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