Europarecht

Versagung der Ausstellung eines Sozialtickets

Aktenzeichen  Au 3 K 15.1794

Datum:
22.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
BV BV Art. 3 Abs. 1, Art. 118 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Grundlage der Gewährung eines Sozialtickets sind (nur) die vom Stadtrat der Beklagten beschlossenen „Richtlinien“ zur Einführung eines Sozialtickets, welche keine anspruchsbegründenden Rechtsnormen darstellen. Allerdings entfalten diese in Form der Selbstbindung Außenwirkung über den Gleichheitssatz (ebenso BVerwGE 104, 220 = NVwZ 1998, 273). (redaktioneller Leitsatz)
2 Hinsichtlich dieser Richtlinien besteht ein gerichtlich nur dahingehend überprüfbarer Gestaltungsspielraum, ob das Handeln der Behörde willkürfrei ist und sich im Rahmen der Zweckbestimmung der jeweiligen Förderung bewegt (ebenso BVerwGE 112, 63 = NVwZ 2001, 210). Es bestehen keine rechtlichen Bedenken, wenn die Ausstellung des Tickets vom Nachweis des Bezugs von SGB II-Leistungen durch Vorlage einer Kopie des vollständigen „ALG II-Bescheids“ abhängig gemacht wird. (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird von Leistungsempfängern anderer Sozialleistungen, für deren Bewilligung die Beklagte selbst zuständig ist, die Vorlage des Leistungsbescheides nicht verlangt, so liegt hierin keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. Denn die Beklagte kann auf die relevanten Daten selbst zugreifen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die als Versagungsgegenklage statthaft und auch sonst zulässige Klage ist unbegründet, weil der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Gewährung eines Sozialtickets gegen die Beklagte hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Eine unmittelbare gesetzliche Anspruchsgrundlage für die Ausstellung von Berechtigungsscheinen zum Erwerb verbilligter Monatskarten, wie sie der Kläger begehrt, gibt es nicht. Grundlage der Gewährung eines Sozialtickets sind daher (nur) die vom Stadtrat der Antragsgegnerin beschlossenen „Richtlinien“ zur Einführung eines Sozialtickets, wie sie auf der Internetseite der Beklagten veröffentlicht sind.
Die Beklagte ist grundsätzlich darin frei, in Richtlinien Regelungen über Zuwendungsempfänger, Zuwendungsobjekte, Zuwendungsverfahren und Zuwendungsumfang zu treffen. Dabei handelt es sich um keine nach außen wirkenden und anspruchsbegründenden Rechtsnormen, sondern um verwaltungsinterne Weisungen oder Verwaltungsvorschriften. Allerdings entfalten diese in Form der Selbstbindung Außenwirkung über den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz [GG], Art. 118 Abs.1 Verfassung des Freistaats Bayern [BV]; vgl. z. B. BVerwG, U. v. 8.4.1997 – 3 C 6/95 – BVerwGE 104, 220; zum Sozialticket der Beklagten VG Augsburg, U. v. 7.10.2014 – Au 3 K 14.1030 u. a. – juris). Der Zuwendungsbewerber hat so Anspruch darauf, nach einem aufgestellten Verteilungsprogramm behandelt zu werden. Den Gerichten ist es dabei verwehrt, durch Auslegung der Richtlinien die Bewilligungspraxis selbst zu bestimmen. Vielmehr haben sie die Richtlinien als Willenserklärung der Beklagten unter Berücksichtigung der von dieser gepflogenen Handhabung zu beachten. Die gerichtliche Prüfung hat sich somit darauf zu beschränken, ob das Handeln der Behörde willkürfrei ist und sich im Rahmen der Zweckbestimmung der jeweiligen Förderung bewegt (vgl. BVerwG, U. v. 19.9.2000 – 1 C 19/99 – BVerwGE 112, 63).
Von vorstehenden Erwägungen ausgehend kann die Versagung der Ausstellung eines Sozialtickets nicht beanstandet werden, denn der Kläger erfüllt – jedenfalls bislang – nicht die Anforderungen, die nach den Zuwendungsrichtlinien der Beklagten und der von dieser gepflogenen Verwaltungspraxis vorliegen müssen. Wie sich aus
– den auch im Internet veröffentlichten und für jedermann abrufbaren Hinweisen (siehe u. a. www…de/umwelt-soziales/soziales/sozialticket-oepnv/),
– der verwaltungsinternen „Richtlinie zur administrativen Umsetzung des Sozialtickets (Stand: 22.05.2015)“ (siehe dort § 2 „Anspruchsvoraussetzungen“ und § Abs. 1 „Verfahren“),
– der ebenfalls verwaltungsinternen „Erläuterung der Richtlinie zur administrativen Umsetzung des Sozialtickets (Stand: 22.05.2015)“ (siehe dort: Punkt 2. „Zu § 2 Anspruchsvoraussetzungen“ und Punkt 5. „Zu § 5 Verfahren“ [hier: Unterpunkte 5.1, 5.2 und 5.3] und
– den sich auf der Rückseite des von der Beklagten allgemein verwendeten Formblatts „Antrag auf Erhalt eines Sozialtickets der Stadt …“ befindenden „Hinweise(n) zum Ausfüllen des Antrags“
ergibt, ist Leistungsvoraussetzung, dass der Bewerber um die Ausstellung eines Sozialtickets im Gebiet der Beklagten seinen Wohnsitz und einen entsprechenden Antrag gestellt hat, Leistungen der in § 2 der Richtlinie zur administrativen Umsetzung des Sozialtickets (Stand: 22.05.2015) – u. a. von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) – zum Zeitpunkt der Antragstellung bezieht und die Anspruchsvoraussetzungen nachweist, wobei der Nachweis des Bezugs von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II durch Vorlage einer Kopie des vollständigen „ALG II-Bescheids“ zu erfolgen hat. Hiergegen bestehen unter dem Blickwinkel der oben dargelegten Erwägungen keine rechtlichen Bedenken.
Dass Empfänger von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II – anders als Empfänger von Leistungen der Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) und Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) – den Nachweis der Leistungsberechtigung durch Vorlage einer Kopie des vollständigen „ALG II-Bescheids“ nachzuweisen haben, stellt keine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar und verstößt damit auch nicht gegen das Willkürverbot. Diese Verfahrensweise findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Beklagte selbst für die Erbringung der genannten Leistungen nach dem SGB XII und dem AsylbLG zuständig ist (§ 97 Abs. 1 SGB XII, Art. 80 Abs. 1 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze [AGSG]; § 10 AsylbLG, § 13 Abs. 1 Satz 2, § 17 Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes [Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl]), somit auch Zugriff auf die entsprechenden Daten hat, während für die genannten Leistungen nach dem SGB II das Jobcenter … (§§ 6d, 44b SGB II) zuständig ist, auf dessen Daten die Beklagte nicht, zumindest nicht unmittelbar zugreifen kann. Diese Differenzierung in Bezug auf die Erbringung eines Nachweises ist sachgerecht.
Der Kläger hat unstreitig einen Bescheid des Jobcenters über den Bezug von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II nicht vorgelegt und bezieht, ebenfalls unstreitig, keine Leistungen nach dem SGB XII oder dem AsylbLG. Die Versagung der Ausstellung eines Sozialtickets kann daher nicht beanstandet werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommene Drucksache der Beklagten Nr. 04/00153 (Beschluss des Sozialhilfeausschusses vom 21.4.2004).
Der Kläger kann auch nicht mit dem Einwand durchdringen, dass er vom Jobcenter zur Überbrückung Essensgutscheine erhalten habe und deshalb – aufgrund des Gleichheitssatzes – auch im Hinblick auf das Sozialticket eine „Zwischenbewilligung“ möglich sein müsse. Der Kläger verkennt insoweit, dass es bei den Leistungen nach dem SGB II, über die das Jobcenter zu entscheiden hat, um normativ festgelegte Hilfen geht, auf die grundsätzlich ein Rechtsanspruch besteht. Beim Sozialticket handelt es sich demgegenüber um eine freiwillige (im Übrigen auch unter Haushaltsvorbehalt stehende) Leistung der Beklagten, deren Voraussetzungen ausschließlich von der Beklagten festgelegt werden können. Wie bereits dargelegt, steht der Beklagten insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zu; dieser ist nur durch den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV und das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 BV begrenzt. Die Beklagte hat in ihren o.g. Richtlinien zum Sozialticket eine „Zwischenbewilligung“ – wie vom Antragsteller begehrt – nicht vorgesehen. Dies ist nicht zu beanstanden. Es ist auch nicht dargetan oder sonst erkennbar, dass die Beklagte im praktischen Vollzug anderen potentiell Berechtigten ohne Prüfung der Leistungsvoraussetzungen vorab ein Sozialticket ausgestellt oder Vorschussleistungen in irgendeiner Form erteilt hätte. Die Beklagte behandelt vielmehr insoweit alle Bewerber für ein Sozialticket gleich.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, weil das Verfahren nach der Rechtsprechung der Kammer gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei ist (vgl. VG Augsburg, U. v. 7.10.2014 – Au 3 K 14.1030 u.a – juris).


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