Europarecht

Verwaltungsakt, Fahrzeug, Berufung, Genehmigungsverfahren, Auslegung, Genehmigung, Sittenwidrigkeit, Schadensersatzanspruch, Darlegungslast, Anspruch, Umfang, Vertragsschluss, Betrieb, Berufungsverfahren, Einholung eines Gutachtens, bei Betrieb, unrichtige Angaben

Aktenzeichen  5 U 3310/20

Datum:
26.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31800
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

10 O 738/20 2020-09-08 LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.09.2020, Az. 10 O 738/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO erfüllt sind.

Gründe

I.
Die Klägerin hat mit Vertrag vom 21.10.2014 von der Beklagten ein gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes Benz C 220 T CDI zum Preis von 29.022,00 € erworben. Die Beklagte ist auch die Herstellerin des Fahrzeuges. Dieses ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und nach der Schadstoffklasse Euro 5 zugelassen. Es ist nicht Gegenstand eines Rückrufes des Kraftfahrtbundesamtes. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises – abzüglich einer Nutzungsentschädigung – in Anspruch, weil das Fahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sei, und zwar in Form eines sog. thermischen Fensters der zur Verringerung der Stickoxid-Emission vorhandenen Abgasrückführung. Die Wirksamkeit dieser Einrichtung werde – dies sei das Unzulässige hieran – in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur verringert, und zwar schon bei einstelligen Temperaturen (an anderer Stelle: schon unterhalb von 14°C), wodurch der Stickoxid-Ausstoß ansteige. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a) der VO (EG) 715/2007 ausnahmsweise zulässig wäre, seien bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht erfüllt. Insbesondere sei die Reduzierung der Abgasrückführung nicht erforderlich, um den Motor vor einer Beschädigung zu schützen. Zwar bestehe für das Fahrzeug eine wirksame EG-Typgenehmigung, doch hätte diese nicht erteilt werden dürfen. Dem Kraftfahrtbundesamt sei die Abschalteinrichtung bei der Genehmigung verschwiegen worden. Das Fahrzeug sei deshalb mangelhaft, auch wenn das Kraftfahrtbundesamt bislang (noch) keine Maßnahmen ergriffen habe. Die Beklagte habe insoweit vorsätzlich gehandelt, weshalb sie der Klägerin wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung hafte. Das von ihr angebotene „Software-Update“ sei nicht geeignet, den Mangel zu beseitigen, da dessen Installation in verschiedener Hinsicht zu anderen Mängeln führen würde, insbesondere zu einem erhöhten Verschleiß der Abgasrückführungseinrichtung, einer stärkeren Beanspruchung des Dieselpartikelfilters sowie zu einer geringeren Dauerhaltbarkeit des Fahrzeuges. Der klägerische Anspruch werde auch auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sowie auf §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB gestützt.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat geltend gemacht, für das streitgegenständliche Fahrzeug bestehe eine wirksame EG-Typgenehmigung mit Tatbestandswirkung; das Fahrzeug halte die geltenden NOx-Emissionsgrenzwerte ein, es verfüge auch nicht über eine Funktion, durch die der Prüfstand erkannt und der Stickoxid-Ausstoß manipulativ lediglich für die Zwecke des Typgenehmigungsverfahrens gezielt reduziert werde. Die parameterabhängige Steuerung der Abgasrückführung sei nicht unzulässig, zumindest habe die Beklagte bei der Auslegung dieser Einrichtung auf der Grundlage eines wenigstens vertretbaren Normverständnisses gehandelt. Die Klägerin habe eine unzulässige Abschalteinrichtung schon nicht substantiiert vorgetragen. Etwaige Ansprüche seien zudem verjährt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe weder substantiiert dargelegt noch bewiesen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut sei. Somit habe sie auch nicht über das Vorhandensein einer solchen Einrichtung getäuscht werden können. An die Entscheidung des Kraftfahrtbundesamtes, die Typgenehmigung zu erteilen, seien die Zivilgerichte gebunden. Im Ergebnis könne dahinstehen, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden sei. Ein vorsätzliches Handeln sei von der Klägerin nicht ausreichend dargelegt. Nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Beklagte im Vertrauen auf die rechtliche Zulässigkeit des sog. Thermofensters gehandelt habe.
Mit der Berufung macht die Klägerin, die ihre ursprünglichen Anträge weiter verfolgt, insbesondere geltend, das in dem Fahrzeug vorhandene sog. Thermofenster sei exakt auf die Prüfbedingungen im „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) abgestimmt, insbesondere auf die für diesen vorgeschriebene Temperatur zwischen 20° und 30° Celsius. Deshalb sei von einem planmäßigen Vorgehen der Beklagten, gerichtet auf Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes und der Endverbraucher, auszugehen. Bezüglich des Motors OM 651 seien bereits zahlreiche Bescheide des Kraftfahrtbundesamtes ergangen, die den Rückruf wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung angeordnet hätten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe die Klägerin das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Bezug auf die Abgasrückführung hinreichend dargelegt. Deshalb hätte die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast exakt vortragen müssen, bei welchen Temperaturen in welchem Umfang die Abgasrückführungsrate reduziert werde und weshalb dies zum Motorschutz und zur Gewährleistung eines sicheren Betriebes erforderlich sei. Dass die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle und dass die Beklagte insoweit vorsätzlich gehandelt habe, ergebe sich auch aus den Entscheidungsgründen eines Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 09.05.2018 (23 U 220/18); diese Entscheidungsgründe werden in der Berufungsbegründung umfangreich wörtlich zitiert.
Die Beklagte hält die Berufung bereits für unzulässig, weil nicht hinreichend fallbezogen begründet; jedenfalls sei das Rechtsmittel unbegründet. Dass die Installation eines sog. Thermofensters keine vorsätzliche Schädigung der Fahrzeugkäufer bedeute, hätten inzwischen zahlreiche Obergerichte entschieden. Die Behauptung, das Thermofenster sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug exakt auf die NEFZ-Prüfbedingungen zugeschnitten, sei neuer zweitinstanzlicher Sachvortrag, der streitig sei und bezüglich dessen Zulassungsgründe nicht vorgetragen seien. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Verteidigungsvorbringen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat jedoch in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Die Klägerin stützt ihren Anspruch ausschließlich auf die Behauptung, die Beklagte habe in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorsätzlich eine europarechtlich nicht zulässige sog. Abschalteinrichtung in Gestalt einer temperaturabhängigen Abgasrückführung (im Folgenden: AGR) eingebaut, was sie im Genehmigungsverfahren dem Kraftfahrtbundesamt nicht offenbart habe, weshalb ihr zu Unrecht eine EG-Typgenehmigung erteilt worden sei, auf die sie sich zum Beweis der Vorschriftsmäßigkeit ihres Fahrzeuges somit nicht stützen könne.
Auch der in zweiter Instanz erweiterte und vertiefte Vortrag der Klägerin zur Beschaffenheit dieser Abschalteinrichtung kann jedoch einen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung oder aus einer der weiteren von der Klägerin angeführten Anspruchsgrundlagen nicht rechtfertigen.
1) Der Senat legt dabei zugrunde, dass der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeuges – ein Dieselmotor der Baureihe OM 651 – mit einer zur Verringerung der Stickoxid-Emissionen dienenden Abgasrückführung ausgestattet ist, deren Steuerung – neben weiteren Parametern – die Temperatur der für den Verbrennungsvorgang angesaugten Außenluft berücksichtigt, so dass die AGR mit unterschiedlichen Wirkungsgraden (AGR-Raten) arbeitet und es bei dem Betrieb des Fahrzeuges in Abhängigkeit von den jeweiligen Bedingungen auch zu Überschreitungen des hier (Euro 5) maßgeblichen Grenzwertes für den Stickoxid-Ausstoß von 180 mg/Kilometer kommen kann (was die Klägerin nicht einmal ausdrücklich behauptet hatte). Dieser Sachverhalt wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt, vielmehr ausführlich erläutert und in technischer Hinsicht begründet. Er rechtfertigt jedoch nicht den Schluss auf das Vorhandensein einer nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne der Definition in Art. 3 Nr.10 dieser Verordnung. Vielmehr hätte der Senat vom Gegenteil auszugehen und wäre an der Einholung eines Gutachtens zur Klärung der genauen Funktionsweise der AGR-Steuerung – wie von der Klägerin beantragt – rechtlich gehindert.
a) Zu Recht und von der Klagepartei nicht angegriffen weist die Beklagte nämlich darauf hin, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug eine bestandskräftige Genehmigung des Kraftfahrtbundesamtes (im Folgenden: KBA) vorliegt, die weder widerrufen noch zurückgenommen oder durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkt worden ist. Die EG-Typgenehmigung ist die für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Anwendung der RL 2007/46/EG, der RL 2002/24/EG sowie der RL 2003/37/EG erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeuges die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt (so die Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 4 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung). Mit der Erteilung dieser Typgenehmigung hat folglich das KBA dem Hersteller, hier also der Beklagten, bescheinigt, dass der zur Prüfung vorgestellte streitgegenständliche Fahrzeugtyp die Anforderungen der „einschlägigen Vorschriften“ erfüllt, zu denen auch Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 gerechnet werden muss, unbeschadet des Umstandes, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der hier maßgeblichen Typgenehmigung – anders als heute – dem Hersteller eine ins Einzelne gehende Beschreibung der Funktion des Emissionskontrollsystems nicht vorgeschrieben war; eine dahingehende Vorschrift bestand damals nur für Nutzfahrzeuge. Jedoch musste bereits damals die gerade für den Streitfall wesentliche Arbeitsweise der AGR gemäß Art. 3 Nr. 9 der VO (EG) Nr. 692/2008 bei Beantragung der Typgenehmigung erläutert werden, woraus zu schließen ist, dass diese Arbeitsweise bei der Erteilung der Genehmigung zu berücksichtigen war und deshalb die Erteilung der Genehmigung auch insoweit die Feststellung der Vorschriftsmäßigkeit beinhaltet.
Die Typgenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gegenüber dem Hersteller dar, der diesem ermöglicht, die dem Typ entsprechenden Fahrzeuge unter Beifügung einer vom Hersteller auszustellenden Übereinstimmungsbescheinigung (§ 22 EG-FGV) in den Verkehr zu bringen. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das betreffende Fahrzeugmodell (der „Typ“) den Anforderungen entspricht, insbesondere also den für die Schadstoffemission geltenden, so sind die Zivilgerichte aufgrund der sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes gehindert, etwas anderes anzunehmen. Die Tatbestandswirkung besagt, dass dann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaubt, etwa durch eine Genehmigung, die Zulässigkeit dieses Verhaltens der Nachprüfung durch die Zivilgerichte so lange entzogen ist, als der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist (BGHZ 73, 114; BGH, NJW 1998, 3055; BGHZ 158, 19; BGH NVwZ-RR 2008, 154; BGH, NVwZ-RR 2010, 272; BGHZ 205, 195).
Mit der Tatbestandswirkung der bestandskräftig erteilten und auch nicht nachträglich eingeschränkten, also unverändert wirksamen Typgenehmigung wäre aber nicht vereinbar, wenn der Senat annähme, die Beklagte habe (auch) der Klägerin gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten deshalb verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung, die der Erteilung der Genehmigung entgegen gestanden hätte, versehen sei (so auch OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 07.08.2019, 7 U 626/19; OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 27.01.2020, 5 U 395/19; KG, Urteil vom 18.02.2020, 14 U 74/19). Denn dies hätte implizit zur Voraussetzung, dass der Fahrzeugtyp entgegen der vom KBA ausdrücklich getroffenen Feststellung eben nicht den „einschlägigen Vorschriften“ entspräche, nämlich den für die Emissionskontrolle geltenden. Eine Beweiserhebung, die darauf gerichtet ist, eine dem Senat aus Rechtsgründen nicht mögliche Feststellung zu treffen, scheidet aus.
b) Auf die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung könnte sich die Beklagte allerdings nicht berufen, wenn sie diese Genehmigung durch eine arglistige Täuschung des KBA, der Genehmigungsbehörde, erschlichen hätte, wie das der Bundesgerichtshof im Falle des Motors EA 189 des VW-Konzerns in seinem Urteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) angenommen hat. Eine solche Täuschung der Genehmigungsbehörde ist von der Klägerin aber nicht hinreichend dargelegt worden. Insbesondere kann eine solche Täuschung nicht darin erblickt werden, dass die Beklagte – wie die Klägerin durch die ausführliche Wiedergabe der Entscheidungsgründe eines Urteils des LG Stuttgart ersichtlich geltend machen will – im Typgenehmigungsverfahren nicht im Einzelnen dargelegt habe, wie sich die AGR-Rate temperatur- und betriebsabhängig verändere und wie sich dies auf die NOx-Emissionen auswirke. Für den Streitfall ist nämlich davon auszugehen, dass die Beklagte im Genehmigungsverfahren jedenfalls offengelegt hat, dass die AGR-Rate u.a. durch den Parameter „Lufttemperatur“ beeinflusst werde. Hiervon ist auch das Landgericht Stuttgart – dem ein für das Typgenehmigungsverfahren bestimmter Beschreibungsbogen betreffend die AGR vorgelegen hatte – in der von der Klägerin ausgiebig zitierten Entscheidung ausgegangen; die Klägerin, die sich ersichtlich die Argumentation des Landgerichts Stuttgart zu eigen macht, behauptet nicht, dass die Beklagte in Bezug auf die hier in Rede stehende Typgenehmigung nicht einmal diese Angabe im Genehmigungsverfahren gemacht habe. Folglich kann das KBA im Genehmigungsverfahren nicht darüber getäuscht worden sein, dass keine konstante, sondern eine variable und insbesondere von der Außentemperatur abhängige AGR-Rate zur Anwendung gelange. Hätte das KBA die Angaben der Beklagten zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems nach Art. 3 Nr. 9 der VO (EG) Nr. 692/2008 für ungenügend gehalten, etwa weil die Beklagte – wovon allerdings mangels gegenteiliger Behauptung der Beklagten auszugehen ist – nicht dargelegt hatte, wie dieses System bei niedrigen Temperaturen funktioniere, und weil die Auswirkungen auf die Emissionen nicht beschrieben wurden, hätte es die Typgenehmigung nicht oder jedenfalls nicht allein aufgrund der ungenügenden Angaben erteilt. Somit beruht die Erteilung der Typgenehmigung nicht auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde. Vielmehr haben die Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren dem KBA offensichtlich genügt, wie von der Beklagten geltend gemacht, die vorgetragen hat, sie habe im Typgenehmigungsverfahren „die vom KBA erwarteten Angaben“ gemacht. Unter dem Gesichtspunkt einer mittels Täuschung erschlichenen Typgenehmigung bedarf es deshalb im Streitfall keiner näheren Untersuchung der Ausgestaltung des sog. thermischen Fensters, auch nicht im Hinblick auf eine von der Klägerin erstmals im Berufungsverfahren behauptete und von der Beklagten nicht substantiiert bestrittenen Nähe der für die sog. Abrampung der AGR maßgeblichen Schaltpunkte zu dem für den NEFZ-Prüfzyklus vorgeschriebenen Temperaturbereich von 20° bis 30° Celsius.
2) Im Übrigen, also unabhängig von dem rechtlichen Gesichtspunkt der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, scheitert ein Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB, also wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, auch daran, dass für die sittliche Bewertung des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeuges auf den Zeitpunkt eben dieses Inverkehrbringens – und damit auf den Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung – abzustellen ist, die Beurteilung eines etwaigen Vorsatzes der Beklagten im Hinblick auf die Unerlaubtheit einer Abschalteinrichtung sich also an dem damaligen Kenntnis- und Meinungsstand zu orientieren hat und die Auffassung eines heute entscheidenden Zivilgerichts zur Einordnung einer bestimmten Funktion als „Abschalteinrichtung“ und ggf. zu deren Zulässigkeit unerheblich ist (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, 8 U 1449/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19; NJW-RR 2019, 1489). Auch die Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 (C-693/18), wonach – soweit der Senat dies der ihm in deutscher Sprache allein vorliegenden Pressemitteilung des EuGH zu entnehmen vermag – die sog. Motorschutzausnahme vom generellen Verbot von Abschalteinrichtungen deutlich enger zu interpretieren sein dürfte als bislang von den Genehmigungsbehörden angenommen, kann aus diesem Grund für die Beurteilung eines etwaigen Vorsatzes der Beklagten nicht herangezogen werden. Unbestritten trägt aber die Beklagte vor, dass eine insbesondere temperaturabhängige Steuerung der AGR zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung als Stand der Technik angesehen wurde, den Genehmigungsbehörden folglich bekannt war, von ihnen aber nicht als unzulässig beanstandet wurde. Weshalb sich der Beklagten gleichwohl zum damaligen Zeitpunkt die Unzulässigkeit der in dem streitgegenständlichen Fahrzeugmodell verwendeten AGR-Steuerung in einem solchen Maße aufdrängen musste, dass zumindest bedingter Vorsatz zu unterstellen ist, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Bei der Beurteilung der etwaigen Sittenwidrigkeit ist zudem von besonderem Gewicht, dass die hier in Rede stehende Abschalteinrichtung – anders als im Fall des VW-Motors EA 189 – nicht zu einem unterschiedlichen Verhalten des Emissionskontrollsystems je nachdem führt, ob das Fahrzeug im Straßenverkehr bewegt wird oder ob es sich zur Emissionsmessung auf einem Rollenprüfstand befindet. Verhält es sich also in beiden Fällen grundsätzlich gleich, wird der Genehmigungsbehörde kein – vorschriftsmäßiges – Emissionsverhalten vorgetäuscht, das im wirklichen Betrieb – auch unter vergleichbaren Bedingungen – nicht stattfindet. Die Verwendung eines sog. Thermofensters wird deshalb in der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig ohne Rücksicht auf seine europarechtliche Zulässigkeit als nicht per se sittenwidrig angesehen. Dieser Auffassung hat sich nunmehr der Bundesgerichtshof angeschlossen (Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, im Wortlaut noch nicht veröffentlicht, siehe Presseerklärung vom 26.1.2021). Anders kann es liegen, wenn die Funktion des Thermofensters – dessen Unzulässigkeit vorausgesetzt – im Typgenehmigungsverfahren durch unrichtige Angaben gezielt verschleiert worden ist, denn dies kann auf einen Vorsatz der Beklagten schließen lassen (BGH aaO).
Unrichtige Angaben der Beklagten betreffend die AGR im Genehmigungsverfahren sind hier jedoch nicht hinreichend vorgetragen oder sonst ersichtlich, wie bereits ausgeführt.
Sonstige Indizien für einen wenigstens bedingten Vorsatz der Beklagten sind ebensowenig zu erkennen.
Dabei ist zum einen zu bedenken, dass die einschlägigen Vorschriften der VO (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder auch sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als schlechthin unzulässig darstellen müsste. Die Reichweite der sog. Motorschutzausnahme kann dem Verordnungstext nicht entnommen werden. Dem Senat sind technische Abhandlungen bekannt, wonach eine in Anbetracht der Außentemperatur zu hohe Abgasrückführungsrate zu erheblichen Funktionsstörungen des Abgasrückführungssystems durch Ablagerungen führen kann, aus denen sich wiederum – für den Fahrer nicht vorhersehbar und auch durch regelmäßige Wartung nicht sicher vermeidbar – plötzliche und schwerwiegende Funktionsstörungen des Motors selbst ergeben können, die neben dem Schaden am Motor selbst wegen der Plötzlichkeit ihres Eintretens auch die Sicherheit des Fahrzeugbetriebes beeinträchtigen können. Auch der 5. Untersuchungsausschuss nach Art. 44 des Grundgesetzes des Deutschen Bundestages (Drucksache 18/12900) ist zu der Auffassung gelangt, die in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 aufgeführten Ausnahmen vom Verbot von Abschalteinrichtungen seien nicht eindeutig definiert; das europäische Recht ermögliche der Typgenehmigungsbehörde nicht in jedem Fall, zweifelsfrei festzustellen, ob eine genutzte Abschalteinrichtung zulässig sei oder nicht; die Formulierung der Ausnahmen sei teilweise so weit, dass den Automobilherstellern ein weiter Einsatzspielraum verbleibe. Insbesondere die Ausnahme des Motorenschutzes ermögliche den Herstellern die Definition weitreichender sog. Thermofenster (Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Ausschusses, S. 536 ff. der zitierten Drucksache).
Zum anderen konnte die Beklagte daraus, dass sich das KBA im Typgenehmigungsverfahren – wie bereits ausgeführt – mit dem bloßen Hinweis auf die Temperaturabhängigkeit der AGR-Steuerung begnügt hatte, durchaus den Schluss ziehen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung – jedenfalls bezüglich der offen gelegten Temperaturabhängigkeit – dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei, weil sie ansonsten eben beanstandet worden wäre oder wenigstens detailliertere Angaben gefordert worden wären.
Aus alledem ist abzuleiten, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen und der Praxis der Genehmigungsbehörden nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschienen wäre und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt oder wenigstens billigend in Kauf genommen, also die Typgenehmigungsbehörde – und auch die Käufer – täuschen wollen.
Dass das KBA auch heute noch die Verwendung sog. Thermofenster bei der AGR-Steuerung für zulässig hält, geht schließlich aus dem Umstand hervor, dass das KBA, das inzwischen in einer Vielzahl von Dieselfahrzeugen der Beklagten – insbesondere solchen, die mit dem Motor OM 651 ausgestattet sind – unerlaubte Abschalteinrichtungen festgestellt hat oder zumindest festgestellt zu haben meint, in keinem Fall die Verwendung eines sog. Thermofensters beanstandet hat.
3) Die Klägerin kann einen Anspruch auf Schadensersatz auch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6, 27 EG-FGV stützen. Die zitierten Bestimmungen der EG-FGV sind keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Diese schon bislang weit überwiegend in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung (s. nur OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17) ist vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20) bestätigt worden.
4) Ein Anspruch aus §§ 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB, mit dem sich das LG nicht befasst hat, kommt nicht in Betracht. Die Beklagte ist selbst Partei des Kaufvertrages. Einem Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens (des Verkäufers) bei Vertragsschluss stünde der Vorrang des Sachmängelrechts entgegen; ein arglistiges Verhalten der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Verkäuferin in Bezug auf einen etwaigen Sachmangel, das diesen Vorrang beseitigen könnte (BGH, NJW-RR 2011, 462), hat, wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht vorgelegen.
Die Berufung der Klägerin hat somit keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat regt an, das Rechtsmittel zur Kostenersparnis zurückzunehmen.
Zu diesem Hinweis kann die Klägerin innerhalb 3 Wochen nach Zustellung schriftsätzlich Stellung nehmen.


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