Europarecht

VII ZR 243/20

Aktenzeichen  VII ZR 243/20

Datum:
25.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:251121UVIIZR243.20.0
Normen:
§ 31 BGB
§ 166 BGB
§ 826 BGB
Spruchkörper:
7. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 30. November 2020, Az: 21 U 972/19vorgehend LG Ingolstadt, 17. Januar 2019, Az: 44 O 379/18

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. November 2020 – Az. 21 U 972/19 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 1. März 2014 von einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Audi A3 1.6 TDI als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 112.650 zum Kaufpreis von 12.000 €. Das Fahrzeug war mit einem von der Volkswagen AG produzierten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchlief, und in diesem Fall eine höhere Abgasrückführungsrate und einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Abgasmessungen auf dem Prüfstand waren Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
3
Die Beklagte hatte in den Jahren 2005/2006 durch ihr Produkt-Strategie-Komitee, dem mindestens ein Vorstandsmitglied angehörte, beschlossen, den Motor EA 189 ab 2007 serienmäßig in eigenen Fahrzeugen zu verwenden. Dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurde die vorgenannte, von der Beklagten als “Umschaltlogik” bezeichnete Software im Typgenehmigungsverfahren, das im Auftrag der Beklagten von der Volkswagen AG durchgeführt wurde, nicht offengelegt. Nach dem Bekanntwerden der Software verpflichtete das KBA die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten “Umschaltlogik” und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches am 21. Juli 2017 auf das Fahrzeug der Klägerin aufgespielt wurde. Mit vorgerichtlichem Anwaltsschreiben vom 13. Dezember 2017 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz auf.
4
Die Klägerin hat die Beklagte in den Vorinstanzen zuletzt auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 9.235,23 € nebst Prozesszinsen seit dem 17. März 2018 Zug um Zug gegen “Rückgabe” und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen und die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € freizustellen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung aus den Vorinstanzen weiter.

Entscheidungsgründe

5
Die Revision ist unbegründet.
I.
6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner in BeckRS 2020, 34148 veröffentlichten Entscheidung (Aktenzeichen: 21 U 972/19), soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
7
Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB. Die Beklagte hafte nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern im Kern aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dies beruhe auf dem von der Beklagten zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung. Der Klägerin sei durch die Täuschung ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit liege und durch das später durchgeführte Software-Update nicht entfallen sei.
8
Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen, auch wenn sie den Motor EA 189 nicht mitentwickelt haben sollte. Sie habe auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die Typgenehmigungsbehörde und die Kunden arglistig getäuscht. Als Fahrzeugherstellerin sei die Beklagte für alle Belange des Typgenehmigungsverfahrens verantwortlich und verpflichtet gewesen, den Motor eigenständig auf Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Sie habe gegenüber der Genehmigungsbehörde zumindest konkludent erklärt, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhalte und insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge. Im Übrigen sei die vollständige Übertragung des Typgenehmigungsverfahrens auf die Volkswagen AG unzulässig und begründe ein Organisationsverschulden der Beklagten. Diese müsse sich das Wissen der Volkswagen AG von der unzulässigen Abschalteinrichtung, von dem auszugehen sei, entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen, da die Volkswagen AG in ihrem Auftrag im Typgenehmigungsverfahren tätig geworden sei.
9
Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass ihr eine Prüfung der Emissionen im realen Fahrbetrieb nicht möglich gewesen sei, da sie jedenfalls bei der Volkswagen AG hätte nachfragen können und müssen, wie die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten würden. Sie trage nicht vor, dass die Volkswagen AG die Herausgabe von Unterlagen verweigert oder geschönte Unterlagen übergeben hätte.
10
Hinzu komme, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des Motors allgemein bekannt gewesen sei und durch das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen noch an Bedeutung gewonnen habe. Die Beklagte stelle selbst Dieselmotoren nebst Steuerungstechnik her. Es sei nicht plausibel, dass sich keiner ihrer Verantwortlichen dafür interessiert habe, ob und wie die Volkswagen AG den Zielkonflikt beim Motor EA 189 gelöst haben könnte. Ebenfalls unplausibel sei eine fehlende Kenntnis des Produkt-Strategie-Komitees von den Details des Motors. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der unstreitig an der Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz des Motors beteiligte Vorstand sich nicht darüber informiert habe, wie es gelinge, die Stickoxidwerte einzuhalten. Die Beklagte trage nicht vor, welches Vorstandsmitglied dem Komitee angehört habe, ob dieses zu seinem damaligen Kenntnisstand befragt worden sei und was gegebenenfalls die Antwort gewesen sei. Die Beklagte habe insoweit ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt.
11
Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB seien ebenfalls erfüllt. Soweit die Beklagte behaupte, dass weder Organe noch Repräsentanten noch Werksmitarbeiter Kenntnis von der fraglichen Software gehabt hätten, sei dies, wie bereits ausgeführt, nicht plausibel. Bei dem Motor handele es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende Strategieentscheidung mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen. Da die Beklagte selbst Dieselmotoren entwickle und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden könnten, unter Kraftfahrzeugherstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema gewesen sei, sei nicht nachzuvollziehen, dass die Beklagte kein Interesse daran gehabt habe zu wissen, wie die Volkswagen AG die strengen Grenzwerte eingehalten habe. Es scheine ausgeschlossen, dass die Beklagte den Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale “blind” in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut habe. Es liege vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt gewesen sei. Dies folge aus der Tragweite der Entscheidung, aber auch aus den Umständen.
12
Es sei auch von einem Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auszugehen. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in eigener oder zurechenbarer Kenntnis von der Abschalteinrichtung deren Einsatz in Motoren anordneten oder nicht unterbänden, seien sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
13
Die Klägerin könne Kaufpreiserstattung Zug um Zug gegen “Rückgabe” und Übereignung des Fahrzeugs verlangen. Sie müsse sich jedoch nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.764,77 € anrechnen lassen, da sie das Fahrzeug, dessen geschätzte Gesamtlaufleistungserwartung 300.000 km betrage, über eine Fahrstrecke von 43.165 km genutzt habe.
II.
14
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
15
1. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte in der zuerkannten Höhe zu.
16
a) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem sie Fahrzeuge mit dem von der Volkswagen AG gelieferten Motor EA 189, darunter das streitgegenständliche Fahrzeug, in den Verkehr brachte, obwohl nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wenigstens eine verantwortlich für sie handelnde Person wusste, dass der Motor mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 21, NJW 2021, 1669).
17
aa) Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr., etwa BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 20, WM 2021, 2056; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 17 f., NJW 2021, 1669; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 14 f. m.w.N., BGHZ 225, 316).
18
bb) Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 21, WM 2021, 2056; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 19, NJW 2021, 1669; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 16 ff., BGHZ 225, 316).
19
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 22, WM 2021, 2056; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 Rn. 28, VersR 2021, 661; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 21, NJW 2021, 1669; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 Rn. 19, VersR 2021, 388).
20
cc) Ein derartiges Vorstellungsbild hat das Berufungsgericht im Hinblick auf wenigstens eine Person, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt.
21
(1) Von Rechtsfehlern beeinflusst sind allerdings die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es der Beklagten ein im Hause der Volkswagen AG – der Konzernmutter der Beklagten – vorhandenes Wissen zugerechnet hat.
22
(a) Im Ansatz fehlerhaft ist die Auffassung des Berufungsgerichts, das sittenwidrige Verhalten eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten könne mittels einer Zurechnung fremden Wissens entsprechend § 166 BGB begründet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB voraus, dass einer ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB persönlich verwirklicht hat. Über eine Wissenszusammenrechnung führt kein Weg zu dem für das Merkmal der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erforderlichen moralischen Unwerturteil. So wie sich die die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung nicht dadurch konstruieren lässt, dass die im Hause der juristischen Person vorhandenen kognitiven Elemente “mosaikartig” zusammengesetzt werden, weil eine solche Konstruktion dem personalen Charakter der Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB nicht gerecht würde, so lässt sie sich erst recht nicht mit einer Wissenszurechnung über die Grenzen rechtlich selbständiger (Konzern-)Gesellschaften hinaus begründen (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 23, NJW 2021, 1669; Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 Rn. 13, 22 f., 27 m.w.N., NJW 2017, 250).
23
(b) Eine Verhaltens- und Wissenszurechnung ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht unter dem Aspekt einer unzulässigen Organisation des Typgenehmigungsverfahrens zu bejahen.
24
Nach der Lehre vom körperschaftlichen Organisationsmangel und der sogenannten “Fiktionshaftung” ist eine juristische Person verpflichtet, ihre Tätigkeit so zu organisieren, dass für die Wahrnehmung bestimmter wichtiger Aufgaben ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Entspricht die Organisation nicht diesen Anforderungen, muss sie sich – ohne Entlastungsmöglichkeit – so behandeln lassen, als wäre die tatsächlich mit der Aufgabe betraute Person ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 1996 – VI ZR 408/94, BB 1996, 926, juris Rn. 10; Urteil vom 8. Juli 1980 – VI ZR 158/78, NJW 1980, 2810, juris Rn. 63; BeckOGK/Offenloch, BGB, Stand: 1. Juli 2021, § 31 Rn. 121 ff.; BeckOK BGB/Schöpflin, Stand: 1. August 2021, § 31 Rn. 14; jeweils m.w.N.; ablehnend MünchKommBGB/Leuschner, 9. Aufl., § 31 Rn. 33 m.w.N.).
25
Soweit das Berufungsgericht der Beklagten vorwirft, die Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens unzulässigerweise auf die Volkswagen AG übertragen zu haben, begründet dies keine “Fiktionshaftung” der Beklagten. Es ist bereits nicht erkennbar, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten das Typgenehmigungsverfahren aus haftungsrechtlichen Gründen persönlich hätte durchführen müssen, wie die Revision zu Recht beanstandet. Insbesondere ist keine besondere Schadensträchtigkeit der Tätigkeit ersichtlich (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Juli 1980 – VI ZR 158/78, NJW 1980, 2810, juris Rn. 63). Zudem begründete der vom Berufungsgericht angenommene körperschaftliche Organisationsmangel schon deswegen keine Grundlage für eine Zurechnung des Wissens der mit der Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens von der Volkswagen AG betrauten Personen, weil eine Kenntnis speziell dieser Personen von der “Umschaltlogik” nicht festgestellt ist.
26
Eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB scheitert im hier fraglichen Zusammenhang schon daran, dass weder die Volkswagen AG noch die dort konkret mit der Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens befassten Personen als Verrichtungsgehilfen der Beklagten anzusehen sind. Es fehlt insoweit ersichtlich an der notwendigen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit (vgl. nur BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 34 m.w.N., NJW 2021, 1669).
27
(2) Rechtlich nicht tragfähig ist auch die Erwägung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei verpflichtet und in der Lage gewesen, den Motor EA 189 eigenständig auf Gesetzesverstöße zu überprüfen und zu diesem Zweck Auskünfte der Volkswagen AG einzuholen. Etwaige Versäumnisse der Beklagten in dieser Hinsicht könnten, wie die Revision zu Recht rügt, grundsätzlich nicht den für eine Haftung aus § 826 BGB erforderlichen Vorsatz, sondern lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.
28
(3) Das Berufungsgericht hat jedoch unabhängig von den genannten Erwägungen und selbständig tragend die freie tatrichterliche Überzeugung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnen, dass wenigstens ein an der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA 189 in Fahrzeugen der Beklagten beteiligter Repräsentant der Beklagten im Sinne des § 31 BGB von der – evident unzulässigen (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 Rn. 17, VersR 2021, 388) – “Umschaltlogik” gewusst habe. An diese Feststellung ist das Revisionsgericht in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden.
29
(a) Das Berufungsgericht hat aus verschiedenen Umständen – der besonderen Bedeutung des Motors als “Kernstück des Fahrzeugs”, der Haftungsrelevanz des serienmäßigen Einsatzes des Motors EA 189, der eigenen Befassung der Beklagten mit der Entwicklung und Herstellung von Dieselmotoren nebst Steuerungstechnik sowie der Schwierigkeit und besonderen Bedeutung der Einhaltung der Emissionsgrenzwerte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen – den Schluss gezogen, dass “mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt” gewesen sei.
30
(b) Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist es grundsätzlich Sache des Tatrichters, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 – I ZR 206/17 Rn. 46, GRUR 2019, 1071; Urteil vom 30. September 2014 – VI ZR 443/13 Rn. 11, NJW 2015, 74; Urteil vom 14. Mai 2014 – VII ZR 334/12 Rn. 16, ZIP 2014, 1287; jeweils m.w.N.).
31
(c) Einen Rechtsfehler in diesem Sinne zeigt die Revision nicht auf.
32
(aa) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass die oben zitierte Feststellung des Berufungsgerichts, ein Repräsentant der Beklagten sei “an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt” gewesen, unverständlich sei, da das Berufungsgericht selbst angenommen habe, dass die Entwicklung des Motors EA 189 nebst Software ohne Beteiligung eines Mitarbeiters der Beklagten erfolgt sei. Der vermeintliche Widerspruch besteht nicht, da sich die Feststellung des Berufungsgerichts – wie die Revision letztlich selbst erkennt – nicht auf die ursprüngliche Entwicklung der “Umschaltlogik” bezieht, sondern auf deren Einsatz in Fahrzeugen der Beklagten. Dieser Feststellungsgehalt folgt eindeutig aus den übrigen Ausführungen des Berufungsgerichts, etwa der Erwägung, ein Einbau des Motors EA 189 durch die Beklagte ohne eigene Kenntnis seiner wesentlichen Merkmale erscheine ausgeschlossen.
33
(bb) Mit ihrem weiteren Einwand, bei der Entscheidung der Beklagten über den Einsatz des Motors seien zwar dessen “Eigenschaften und (Leistungs-)Merkmale” von Bedeutung gewesen, nicht aber die Frage, mit welchen technischen Maßnahmen die Emissionsgrenzwerte eingehalten wurden, setzt die Revision lediglich ihre eigene Würdigung an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung durch das Berufungsgericht. Gleiches gilt für den Einwand, das Berufungsgericht habe haltlose Spekulationen darüber angestellt, für welche technischen Fragen sich die in einem Automobilkonzern über die Verwendung eines Motors entscheidenden Personen interessierten. Insoweit bestehen entgegen der Auffassung der Revision insbesondere keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt einer zu Unrecht angemaßten Sachkunde (vgl. etwa BGH, Urteil vom 29. Januar 2019 – VI ZR 113/17 Rn. 32 m.w.N., BGHZ 221, 43). Denn das Berufungsgericht hat lediglich allgemeine Überlegungen angestellt, die kein besonderes Fachwissen voraussetzen.
34
(cc) Der Einwand der Revision, es könne nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Volkswagen AG die “Umschaltlogik” auf Nachfrage der Beklagten offengelegt hätte, ist unerheblich. Denn das Berufungsgericht hat, wie dargelegt, die Überzeugung gewonnen, dass mindestens ein Repräsentant der Beklagten tatsächlich Kenntnis besaß.
35
(dd) Der Verweis der Revision auf die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Haftung der Volkswagen AG im “Abgasskandal”, aus der folgen soll, dass ein Vorsatz von Organmitgliedern bezüglich der “Umschaltlogik” allenfalls aufgrund einer nicht erfüllten sekundären Darlegungslast festgestellt werden könne, verfängt ebenfalls nicht. Die revisionsgerichtliche Bestätigung einer sekundären Darlegungslast (vgl. etwa BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 Rn. 13 ff. m.w.N., NJW 2020, 2806) besagt keineswegs, dass eine freie tatrichterliche Überzeugungsbildung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO – noch dazu in einem anderen Verfahren – rechtsfehlerhaft wäre.
36
(4) Ob die vom Berufungsgericht festgestellten Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Beklagten von der “Umschaltlogik” im Streitfall eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten begründen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 24 ff., WM 2021, 2056; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 28 ff., NJW 2021, 1669) und ob die Beklagte dieser Darlegungslast gegebenenfalls genügt hat, kann dahinstehen. Denn das Berufungsgericht hat sich, wie dargelegt, nicht allein wegen der Annahme eines unzureichenden Bestreitens der Beklagten (§ 138 Abs. 3 ZPO), sondern unabhängig davon aufgrund einer freien, das Revisionsgericht bindenden Überzeugungsbildung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO die tatrichterliche Überzeugung von der Kenntnis der Beklagten verschafft.
37
b) Rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet ist das Berufungsgericht weiter zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein – vom späteren Software-Update unberührt gebliebener – Schaden in Gestalt einer ungewollten Verbindlichkeit entstanden sei, da das Fahrzeug aufgrund der “Umschaltlogik” von einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bedroht gewesen sei und die Klägerin das Fahrzeug in Kenntnis der Sachlage nicht erworben hätte (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 Rn. 16, NJW 2020, 2806; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 44 ff., BGHZ 225, 316).
38
c) Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht einen Schädigungsvorsatz des oder der verantwortlich handelnden, von der “Umschaltlogik” wissenden Repräsentanten der Beklagten festgestellt. Die Annahme eines auf den ungewollten Vertragsschluss bezogenen Schädigungsvorsatzes entspricht der Lebenserfahrung (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 Rn. 18, NJW 2020, 2806; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 60 ff., BGHZ 225, 316).
39
d) Hinsichtlich der Höhe des Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erfüllenden Schadensersatzanspruchs der Klägerin rügt die Revision keine Rechtsfehler, solche sind auch nicht ersichtlich.
40
2. Der vom Berufungsgericht zuerkannte Zinsanspruch der Klägerin in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 9.235,23 € seit dem 17. März 2018 folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
41
3. Der Anspruch der Klägerin auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der zuerkannten Höhe ergibt sich aus §§ 826, 31, 249 Abs. 1 BGB.
Pamp     
      
Kartzke     
      
Sacher
      
Brenneisen     
      
C. Fischer     
      


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