Europarecht

Vor der Bewilligung der vereinfachten Auslieferung hat die Generalstaatsanwaltschaft den Verstoß gegen das Verbot der Folter im ersuchten Mitgliedsstaat auszuschließen – Systemische Mängel in rumänischen Haftanstalten

Aktenzeichen  1 AR 188/17

Datum:
16.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IRG IRG § 15, § 16, § 17, § 25, § 29 Abs. 2, § 40 Abs. 2 Nr. 1, § 41 Abs. 1, § 73 Abs. 2, § 81 Nr. 2, § 83 Abs. 1 Nr. 3
EMRK EMRK Art. 3, Art. 15 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Erklärt sich der Verfolgte bei einer Auslieferung auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls (hier: nach Rumänien) gemäß § 41 Abs. 1 IRG mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden, so stimmt er damit einer Verfahrensvereinfachung zu und verzichtet insbesondere auch auf eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung. (Rn. 58)
2. Hierdurch willigt er aber nicht gleichsam in Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedsstaat ein, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen. (Rn. 58)
3. Falls die Generalstaatsanwaltschaft trotz des Einverständnisses des Verfolgten mit der vereinfachten Auslieferung nicht im Hinblick auf problematische Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedsstaat gem. § 29 Abs. 2 IRG eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung beantragt, ist sie die Stelle, die vor der (abschließenden) Bewilligung der Auslieferung sicherstellen muss, dass ausgeschlossen werden kann, dass der Verfolgte im ersuchenden Mitgliedsstaat Haftbedingungen, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen, ausgesetzt wird. (Rn. 35)
4. Aufgrund der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 25.04.2017 (EGMR, Beschluss vom 25.04.2017, 61467/12, 39516/13, 48231/13 und 68191/13 – Rezmives und andere/Rumänien) aufgeführten Zahlen, ist derzeit schon infolge einer gravierenden Überbelegungsproblematik weiterhin vom Vorliegen systemischer Mängel in rumänischen Haftanstalten im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 5. April 2016 im Verfahren Aranyosi und Cäldäraru – C-404/15, C-659/15 PPU) auszugehen. (Rn. 21)

Tenor

I. Gegen den rumänischen Staatsangehörigen A. L., geboren am … in …/Rumänien, wird zur Sicherung der Auslieferung an die rumänischen Behörden zur Strafvollstreckung Auslieferungshaft angeordnet.
II. Dem Auslieferungshaftbefehl wird der Europäische Haftbefehl des Judecatoria O. vom 24.03.2017, Gz.:…, zugrunde gelegt.
III. Der Auslieferungshaftbefehl wird unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:
Der Verfolgte hinterlegt seine Ausweispapiere (Reisepass und Personalausweis) bei der Generalstaatsanwaltschaft München.
Der Verfolgte meldet sich persönlich zweimal wöchentlich (dienstags und freitags) bei der Polizeiinspektion.
Der Verfolgte reist nicht aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus.
Der Verfolgte zeigt der Generalstaatsanwaltschaft München zu obigem Aktenzeichen unverzüglich und unaufgefordert jeden Wohnsitzwechsel schriftlich an.
Der Verfolgte leistet gerichtlichen, staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Ladungen in dieser Sache unverzüglich und termingerecht Folge.
Jeder Verstoß gegen eine der vorgenannten Auflagen hat die sofortige Invollzugsetzung dieses Auslieferungshaftbefehls zur Folge.
IV. Dem Verfolgten wird Rechtsanwalt … als Pflichtbeistand beigeordnet.

Gründe

I.
Die rumänischen Behörden haben um vorläufige Festnahme des rumänischen Staatsangehörigen A. L. zur Sicherung der Auslieferung zur Strafvollstreckung durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) ersucht.
Gegen den Verfolgten liegt der im Tenor unter Ziffer II. aufgeführte Europäische Haftbefehl vor.
Danach wurde der Verfolgte, möglicherweise in Abwesenheit, durch Strafurteil Nr. 11 des Amtsgerichts O. vom 26.01.2017, rechtskräftig seit 27.02.2017, wegen folgenden Sachverhalts zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, die noch vollständig zu verbüßen ist:
Am 21.04.2015 wurde der Verfolgte von der Polizei angehalten, als er zwischen R. und N. (Rumänien) ohne Fahrerlaubnis ein Fahrzeug auf öffentlichen Straßen steuerte.
Einbezogen in das Urteil vom 26.01.2017 wurde nach Aktenlage das Urteil Nr. 8 des Amtsgerichts O. vom 21.01.2013, durch das der Verfolgte wegen folgenden Sachverhalts zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt wurde, von der noch ein Rest von 4 Monaten 4 Tagen zu verbüßen ist:
Am 27.04.2012 wurde der Verfolgte von der Polizei in R. (Rumänien) von der Polizei verfolgt und angehalten, als er ein Fahrzeug im betrunkenen Zustand und ohne Fahrerlaubnis auf öffentlichen Straßen steuerte. Der Blutalkoholspiegel betrug mindestens 1,85 g/l und der Atemalkoholgehalt 0,95 mg/l.
Insgesamt ist aus den vorgenannten Freiheitsstrafen noch 1 Jahr 4 Monate 4 Tage zu verbüßen.
Der Verfolgte, der seit 2 Jahren mit seiner Familie in R. (Deutschland) wohnhaft ist, wurde am 06.05.2017 in A., Landkreis Berchtesgadener Land, zur Sicherung der Auslieferung vorläufig festgenommen und befindet sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt München.
Zu Protokoll des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts L. hat sich der Verfolgte am 07.05.2017 mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt. Auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes hat er hierbei verzichtet.
II.
Das Oberlandesgericht München ist gemäß § 13 Abs. 1 IRG sachlich und als Gericht des Ergreifungsorts bzw. des ersten ermittelten Aufenthalts auch örtlich gemäß § 14 Abs. 1 IRG zuständig.
Gegen den Verfolgten war auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München zur Sicherung und Durchführung der Auslieferung an die rumänischen Behörden zur Strafvollstreckung Auslieferungshaftbefehl zu erlassen, §§ 15, 17 IRG.
Dem Auslieferungshaftbefehl war der im Tenor unter Ziffer II. aufgeführte Europäische Haftbefehl zugrunde zu legen.
Der Verfolgte hat gegen seine Auslieferung keine Einwendungen erhoben. Gründe, die die Auslieferung von vornherein als unzulässig erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor, § 15 Abs. 2 IRG.
Das dem Verfolgten angelastete Verhalten ist auch nach deutschem Recht mit Strafe bedroht gemäß §§ 316, 53 des deutschen Strafgesetzbuchs, § 21 des deutschen Straßenverkehrsgesetzes.
Die Auslieferungsfähigkeit folgt aus § 81 Nr. 2 IRG.
Zwar handelt es sich bei dem gegen den Verfolgten ergangenen Urteil möglicher Weise um ein Abwesenheitsurteil; ein Auslieferungshindernis nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG besteht jedoch nicht aufgrund der im rumänischen Recht bestehenden Garantien auf Durchführung eines neuen Verfahrens. Entscheidend ist insoweit die Frage, ob der Verfolgte nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren hat, in welchem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird und ihm die Anwesenheit in der Verhandlung eingeräumt wird. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats durch Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung hinreichend gewährleistet.
Die Haftbedingungen in Rumänien sind jedoch bekanntermaßen äußerst problematisch. Ausweislich des CPT-Berichts vom 24.09.2015 bestand zum damaligen Zeitpunkt eine erhebliche Überbelegung in den rumänischen Haftanstalten. Hieran hat sich auch bis heute nichts Entscheidendes geändert.
Nach den vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.04.2017 (EGMR, Beschluss vom 25.04.2017, 61467/12, 39516/13, 48231/13 und 68191/13 -Rezmives und andere/Rumänien) aufgeführten Zahlen, die auf den von Rumänien im vorgenannten Verfahren mitgeteilten Zahlen basieren, die wiederum von der rumänischen nationalen Verwaltung der Haftanstalten erhoben wurden, ist von einer Überbelegung von 149,11%, bezogen auf den 09.08.2016 auszugehen. Für eine gravierende Abnahme der Überbelegung bis zum Tag der Entscheidung des Senats fehlt es an tragfähigen Anhaltspunkten.
Es erscheint daher naheliegend, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in Rumänien unmenschlichen Haftbedingungen, insbesondere infolge der fortbestehenden Überbelegungsproblematik in rumänischen Haftanstalten, ausgesetzt wäre. Dies stünde der Zulässigkeit der Auslieferung nach § 73 Abs. 2 IRG entgegen, da eine Verletzung von Art. 3 EMRK eine Verletzung des europäischen Ordre Publics darstellt.
Bei einer Auslieferung auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls hat nach Ansicht des Senats die Prüfung, ob die Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedsstaat Art. 3 EMRK genügen, anhand der vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung vom 20.10.2016 (EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 20. Oktober 2016, 7334/13 – Mursic/Kroatien) aufgestellten Kriterien zu erfolgen (vgl. die Senatsentscheidung vom 13.04.2017 – OLG München, Beschluss vom 13. April 2017 – 1 AR 126/17 -, juris).
Schon wegen der seit vielen Jahren andauernden Überbelegung in rumänischen Haftanstalten geht der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. auch Beschluss vom 20.04.2017 – 1 AR 165/17) vom Vorliegen systemischer Mängel in rumänischen Haftanstalten im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 5. April 2016 im Verfahren Aranyosi und Cäldäraru – C-404/15, C-659/15 PPU) aus.
Infolge der bekannt problematischen Haftbedingungen in Rumänien und aufgrund des Umstands, dass dem Senat zuletzt von den rumänischen Behörden in einer Vielzahl von Auslieferungsverfahren zusätzliche Informationen dahingehend erteilt wurde, dass der Verfolgte nach einer dreiwöchigen Quarantänezeit, in welcher ihm 3 qm persönliche Fläche zur Verfügung stehen, entweder in den geschlossenen Vollzug kommt (mit einer persönlichen Fläche von 3 qm) oder aber in den halboffenen oder offenen Vollzug (mit einer persönlichen Fläche von 2 qm), sieht der Senat schon aufgrund dieser Quadratmeterzahlen – jedenfalls im halboffenen oder offenen Vollzug – die naheliegende Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.
Aufgrund der im Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandards der Grundrechte und insbesondere von Art. 4 der EU-Grundrechtscharta (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Melloni vom 26.02.2013 – C-399/11) ist der Senat verpflichtet, das Vorliegen dieser Gefahr zu würdigen, denn der Vollzug des Europäischen Haftbefehls darf nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Verfolgten führen.
Objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben über die Haftbedingungen in Rumänien liegen in Form der Angaben im CPT-Bericht vom 24.09.2015 und der in der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom 25.04.2017 (EGMR, Beschluss vom 25.04.2017, 61467/12, 39516/13, 48231/13 und 68191/13 – Rezmives und andere/Rumänien) aufgeführten Zahlen vor.
Wie der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 05.04.2016 (Aranyosi und Cäldäraru – C-404/15, C-659/15 PPU) ausgeführt hat, können sich die erforderlichen Angaben aus Entscheidungen internationaler Gerichte, insbesondere den Urteilen des EGMR, aber auch aus Entscheidungen von Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats oder aus Entscheidungen, Berichten und anderen Schriftstücken von Organen des Europarats oder aus dem System der Vereinten Nationen ergeben. Bei der Kommission zur Verhinderung der Folter (CPT) handelt es sich um ein Organ des Europarats.
Schon aufgrund der insoweit bekanntgewordenen Überbelegungszahlen ist derzeit im rumänischen Strafvollzug weiterhin vom Vorliegen systemischer Mängel auszugehen.
Art. 3 EMRK legt den Behörden des ersuchten Mitgliedsstaats, in dessen Hoheitsgebiet eine Person zum Zwecke der Auslieferung inhaftiert ist, eine positive Verpflichtung auf, sich zu vergewissern, dass der Verfolgte im Falle der Auslieferung im ersuchenden Mitgliedsstaat unter Bedingungen untergebracht wird, die die Wahrung der Menschenwürde gewährleisten und dass der Verfolgte keiner Bürde oder Last ausgesetzt ist, deren Intensität über das dem Freiheitsentzug unvermeidlich innewohnende Maß des Leidens hinausgeht. Gesundheit und 1 ar 188/17 – Seite 6 Wohlergehen des Verfolgten müssen im ersuchenden Mitgliedsstaat auch in Haft in angemessener Weise sichergestellt werden (vgl. Urteil des EGMR vom 8. Januar 2013 in der Sache Torreggiani und andere/Italien – 43517/09, 46882/09, 55400/09, 57875/09, 61535/09, 35315/10 und 37818/10).
Das Bestehen einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aufgrund der allgemeinen Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedsstaat Rumänien führt im gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht zur Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls des Judecatoria O. vom 24.03.2017, Gz.: … .
Um die Beachtung von Art. 4 der EU-Grundrechtscharta im Hinblick auf die Person, gegen die sich der Europäische Haftbefehl richtet, sicherzustellen, muss nach der Rechtsprechung des EuGH nach der Feststellung von systemischen Mängeln in den Haftanstalten des ersuchenden Mitgliedsstaats in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass (auch) der Verfolgte aufgrund dieser Bedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat einer solchen Gefahr ausgesetzt sein wird.
Zu diesem Zweck muss nach Art. 15 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats um die unverzügliche Übermittlung aller notwendigen zusätzlichen Informationen in Bezug auf die Bedingungen ersucht werden, unter denen die betreffende Person in diesem Mitgliedstaat inhaftiert werden soll. Die Anfrage kann sich auch darauf erstrecken, ob es im Ausstellungsmitgliedstaat nationale oder internationale Verfahren und Mechanismen zur Überprüfung der Haftbedingungen gibt, z. B. in Verbindung mit Besuchen in den Haftanstalten, die es ermöglichen, den aktuellen Stand der dortigen Haftbedingungen zu beurteilen.
Die der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 03.01.2017 betreffend eine Auslieferung nach Rumänien (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 03. Januar 2017 – Ausl 81/16 -, juris) zugrunde liegenden Unterlagen hat der Senat ausgewertet (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 AR 68/17 -, juris). Der Senat erachtet durch diese Unterlagen – trotz des erkennbaren Bemühens der rumänischen Behörden, die Haftbedingungen zu verbessern – auch weiterhin seine Bedenken hinsichtlich der Haftbedingungen in Rumänien als nicht ausgeräumt.
Die vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg in der vorgenannten Entscheidung angestellte Gesamtbetrachtung vermag angesichts der vielfältigen und von Vollzugsanstalt zu Vollzugsanstalt durchaus verschiedenen Probleme, die das Risiko gravierender Menschenrechtsverletzungen durch die Art der Haftbedingungen in sich bergen, aus der Sicht des Senats nicht generell mit ausreichender Sicherheit auszuräumen, weswegen der Senat in den Fällen, in denen er über die Zulässigkeit einer Auslieferung nach Rumänien zu entscheiden hat, immer zusätzliche Informationen bei den rumänischen Behörden anfordert, aus denen sich ergibt, in welcher Haftanstalt der Verfolgte nach der Auslieferung inhaftiert sein wird und wie sich die Haftbedingungen dort gestalten, insbesondere im Hinblick darauf, wieviel Quadratmeter persönliche Fläche ihm zur Verfügung stehen werden.
Die Besonderheit ist vorliegend, dass sich der Verfolgte bereits mit seiner vereinfachten Auslieferung nach Rumänien einverstanden erklärt hat, sodass der Senat nicht über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden hat.
In Fällen der vereinfachten Auslieferung nach Rumänien fordert die Generalstaatsanwaltschaft München im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Senats regelmäßig entsprechende ergänzende Informationen bei den rumänischen Behörden an. Im gegenständlichen Fall ist dies bislang nicht erfolgt.
Dies wird umgehend nachzuholen sein, denn die Generalstaatsanwaltschaft muss im Rahmen ihrer Bewilligungsentscheidung prüfen, ob in Bezug auf den Verfolgten ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK durch die rumänischen Haftbedingungen ausgeschlossen ist.
In den Rumänien betreffenden Auslieferungsverfahren, in denen der Senat zuletzt über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden hatte, lauteten die Auskünfte regelmäßig dahingehend, dass der Verfolgten nach einer Quarantänezeit von ca. 3 Wochen, in welcher er über eine garantierte persönliche Fläche von 3 qm verfügt, entweder in den geschlossenen Vollzug kommt mit einer garantierten persönlichen Fläche von 3 qm oder in den halboffenen oder offenen Vollzug mit einer garantierten persönlichen Fläche von nur 2 qm. Es ist daher wahrscheinlich, dass auch im gegenständlichen Auslieferungsverfahren eine entsprechende Auskunft erteilt werden könnte.
Insoweit hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof seiner Grundsatzentscheidung vom 20.10.2016 auf der Grundlage seiner zahlreichen bisherigen Entscheidungen zu der Frage des Vorliegens noch hinnehmbarer Haftbedingen ausgeführt, dass eine starke Vermutung für eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch erniedrigende Haftbedingungen besteht, wenn einem Gefangenen in einem Gemeinschaftshaftraum weniger als 3 qm als persönliche Fläche zur Verfügung stehen (vgl. bereits EGMR, NVwZ-RR 2013, 284, 288).
Dabei, so der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, können im Ausnahmefall weitere Umstände diese starke Vermutung widerlegen, es handelt sich somit nicht um eine unwiderlegbare Vermutung. Allerdings, so der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, sei es schwer, diese Vermutung zu widerlegen, wenn die persönliche Fläche eklatant weniger als 3 qm ausmacht oder es für eine längere Zeitdauer an einer persönlichen Fläche von unter 3 qm fehlt. Für widerlegbar hält der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 20.10.2016 die starke Vermutung für eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch eine persönliche Fläche von unter 3 qm in einem Gemeinschaftshaftraum im Normalfall nur dann, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. Die Mindesthaftraumgröße wird nur kurzfristig, gelegentlich und geringfügig unterschritten („the reductions in the required minimum personal space of 3 sq. m are short, occasional and minor“).
2. Die Gefangenen haben ausreichende Bewegungsfreiheit außerhalb ihrer Hafträume und angemessene Möglichkeit zur Teilnahme an Außenaktivitäten („such reductions are accompanied by sufficient freedom of movement outside the cell and adequate out-of-cell activities“).
3. Es gibt keine anderen, den Gefangenen zusätzlich beschwerenden Haftumstände („the appli-cant is confined in what is, when viewed generally, an appropriate detention facility, and there are no other aggravating aspects of the conditions of his or her detention“).
Nur wenn es sich um eine kurzfristige, gelegentliche und geringfügige Unterschreitung der persönlichen Mindestfläche von 3 qm handeln würde, kommt es nach Ansicht des Senats noch auf die weiteren Haftbedingen an (ausreichende Bewegungsfreiheit außerhalb der Hafträume, angemessene Möglichkeit zur Teilnahme an Außenaktivitäten und keine anderen, den Gefangenen zusätzlich beschwerende Haftumstände).
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 20.10.2016 die Unterbringung eines Gefangenen in einer Gemeinschaftszelle für die Dauer von 27 Tagen, in der ihm weniger als 3 qm persönliche Fläche (nämlich 2, 62 qm) zur Verfügung standen, als eine Verletzung von Art. 3 EMRK erachtet wegen erniedrigender Behandlung.
Soweit das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 22.03.2016 (NJW 2016, 1872, 1874) Ausführungen dazu gemacht hat, dass das Recht des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) einer deutschen Justizvollzugsanstalt Grenzen bei der Belegung und Ausgestaltung der Hafträume setzt und dass die Beurteilung der Frage, ob die Art und Weise der Unterbringung eines Strafgefangenen die Menschenwürde verletzt, von einer Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umstände abhängt (wobei in erster Linie die Bodenfläche pro Gefangenem und die Situation der sanitären Anlagen, namentlich die Abtrennung und Belüftung der Toilette, einfließen und als die Haftsituation abmildernder Faktor die Verkürzung der täglichen Einschlusszeiten berücksichtigt werden kann), so beziehen sich diese Ausführungen auf die Unterbringung eines Gefangenen in Einzelhafträumen in Deutschland. Diese sind – schon weil es sich vorliegend nicht um eine Unterbringung in einer Einzelzelle handelt – nur bedingt übertragbar auf die Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle in Rumänien, würden aber vorliegend auch nicht zu einer abweichenden Sachentscheidung führen.
Sollte sich aus den von der Generalstaatsanwaltschaft anzufordernden ergänzenden Informationen ergeben, dass der Verfolgte planmäßig und dauerhaft in einen Gemeinschaftshaftraum, in dem dem einzelnen Gefangenen unter 3 qm persönliche Fläche zur Verfügung stehen, würde dies nach dem oben Ausgeführten der Bewilligung der Auslieferung entgegenstehen.
Ausweislich der jüngsten Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs vom 25.04.2017 halten die rumänischen Behörden selbst (Anordnung Nr. 433/2010) eine persönliche Fläche von mindestens 4 qm in einer Gemeinschaftszelle im geschlossenen Vollzug und im Hochsicherheitsvollzug für erforderlich, was auch für Minderjährige und die Untersuchungshäftlinge gilt. Für die Gefangenen im halboffenen oder offenen Vollzug soll nach der vorgenannten Anordnung die persönliche Freifläche sogar mindestens 6 qm betragen.
Dem stehen ausweislich der Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs vom 25.04.2017 folgende tatsächliche Zahlen gegenüber:
Am 09.08.2016 waren in Rumänien 28.062 Menschen inhaftiert bei einer Haftplatzkapazität von insgesamt 18.820 Plätzen (!). Hieraus errechnet sich eine Überbelegung von 149,11%, bezogen auf den 09.08.2016. Bei dieser Berechnung wurde eine persönliche Fläche von 4 m² (wie es die Anordnung Nr. 433/2010 vorsieht) zugrunde gelegt. Dafür, dass sich die Zahl der Inhaftierten bezogen auf den Tag der Entscheidung des Senats signifikant reduziert hätte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führt in seiner Entscheidung vom 25.04.2017 aus, dass es sich bei der Überbelegung in rumänischen Haftanstalten um ein chronisches Problem handelt. Der Gerichtshof betont, dass er in einer Vielzahl von Fällen seit 2008 immer wieder die Zustände in rumänischen Haftanstalten gerügt hat, insbesondere im Hinblick auf die Überbelegung. Seither musste er wiederholt über die Überbelegung in rumänischen Haftanstalten entscheiden. Auch mehr als 4 Jahre, nachdem das strukturelle Problem der Überbelegung in rumänischen Haftanstalten durch den Menschenrechtsgerichtshof herausgearbeitet wurde, würden die Fälle, die vor ihn gebracht werden, nicht aufhören anzusteigen. Im August 2016 seien 3200 vergleichbare Anträge beim Menschenrechtsgerichtshof eingegangen.
Der Menschenrechtsgerichtshof hat dabei betont, dass die bestehende Praxis mit der Menschenrechtskonvention unvereinbar ist und hat dringend angemahnt, die Überbelegung nunmehr effektiv zu reduzieren.
Zu diesem Zweck hat er verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, um die Anzahl der Gefangenen zu reduzieren, etwa durch die Verhängung von Strafen, die nicht mit Freiheitsentzug verbunden sind oder den Ausbau der bedingten Entlassung. Hierbei hat er den rumänischen Behörden 1 ar 188/17 – Seite 10 unter Anerkennung der bereits in die Wege geleiteten Reformen – nahegelegt, weitere strukturelle Änderungen vorzunehmen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die vorgenannte Entscheidung Bezug genommen.
Da der Menschenrechtsgerichtshof befürchtet, dass aufgrund der strukturellen Mängel ohne entscheidende Reformen auch in Zukunft eine Vielzahl von Personen Haftbedingungen ausgesetzt sein wird, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen, hat er den rumänischen Behörden eine Frist von 6 Monaten ab Rechtskraft der Entscheidung gesetzt, um einen konkreten Zeitplan vorzulegen, aus dem sich geeignete Maßnahmen zur Lösung der strukturellen Probleme ergeben.
Obwohl das CPT eine persönliche Fläche von 4 qm in Gemeinschaftshafträumen für erforderlich hält, liege – so der Menschenrechtsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.04.2017 – der persönliche Raum in rumänischen Haftanstalten sehr häufig unterhalb von 3 qm.
Der Menschenrechtsgerichtshof weist hierbei (erneut) darauf hin, dass eine persönliche Fläche von 3 qm in einer Gemeinschaftszelle die Untergrenze ist und dass bei einer persönlichen Freifläche unter 3 qm eine starke Vermutung dafür spricht, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliegt.
Der Menschenrechtsgerichtshof hat in der vorgenannten Entscheidung betont, dass die Inhaftnahme nicht dazu führt, dass dem Gefangenen die durch die Menschenrechtskonvention garantierten Rechte verloren gingen. Im Gegenteil, der Gefangene habe aufgrund seiner besonderen Stellung im Freiheitsentzug Anspruch auf einen erhöhten Schutz, da er vollkommen von der Verantwortlichkeit des Staats abhänge. Art. 3 EMRK erlege den betroffenen Staaten eine positive Verpflichtung auf, jedem Gefangenen Bedingungen zu garantieren, die im Einklang mit der Würde des Menschen stehen.
Die Beachtung von Art. 3 EMRK kann nicht abbedungen werden, auf seine Schutzwirkung kann nicht wirksam verzichtet werden.
In Art. 1 und 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie in Art. 3 EMRK sind Grundwerte der Union und ihrer Mitgliedstaaten verankert. Die EMRK sieht unter allen Umständen ein absolutes Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung vor, das unabhängig vom Verhalten des Betroffenen gilt (vgl. Urteil des EGMR, Bouyid/Belgien, Nr. 23380/09, vom 28. September 2015).
Aus diesem Grund kann zur Überzeugung des Senats auch nicht in unmenschliche Haftbedingungen gleichsam „eingewilligt“ werden, indem der Verfolgte der vereinfachten Auslieferung zustimmt.
Der Verfolgte hat sich gemäß § 41 IRG mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt. Damit hat er einer Verfahrensvereinfachung zugestimmt und dadurch insbesondere auch auf eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung verzichtet. Hierdurch hat er aber nicht zugleich in Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedsstaat, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen, eingewilligt. Dies folgt schon aus der ihm vor dieser Erklärung erteilten Belehrung, die mit keinem Wort Fragen der Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedsstaat beinhaltet.
Selbst wenn sich aber der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung und Haftbedingungen, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen, einverstanden erklärt hätte (wie nicht), wäre dies nach Ansicht des Senats unbeachtlich. Denn in eine Behandlung, die gegen Art. 3 EMRK verstößt, sei es durch Folter, sei es durch unmenschliche Behandlung infolge von unzureichenden Haftbedingungen, kann nach Ansicht des Senats nicht wirksam eingewilligt werden.
Art. 3 EMRK schützt, so führt der Menschenrechtsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.04.2017 aus, fundamentale Werte demokratischer Gesellschaften. Das Verbot der Folter und von unmenschlichen Strafen und unmenschlicher Behandlung ist ein Zivilisationswert, der eng verbunden ist mit der Würde des Menschen. Art. 3 EMRK sieht keine Begrenzungen bzw. Einschränkungen vor, auch nicht nach Art. 15 Abs. 2 EMRK, also im Notstandsfall.
Dies hat zur Folge, dass auch in Fällen der vereinfachten Auslieferung die Prüfung der Haftbedingungen im ersuchenden Staat nicht entfallen kann, in diesem Fall ist sie von die Generalstaatsanwaltschaft im Bewilligungsverfahren durchzuführen, falls sie sich nicht entscheidet, im Hinblick auf die Haftbedingungen gem. § 29 Abs. 2 IRG trotz Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung eine Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts herbeizuführen (vgl. OLG München, Beschluss vom 04. April 2017 – 1 AR 328/16 -, juris).
Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft vorliegend bislang nicht gemäß § 29 Abs. 2 IRG eine Zulässigkeitsentscheidung des Senats beantragt hat, ist sie die Stelle, die darüber wachen muss, dass ausgeschlossen werden kann (vgl. das EuGH-Urteil vom 05.04.2016 im Verfahren Aranyosi und Cäldäraru(C-404/15, C-659/15 PPU), dass der Verfolgte in Rumänien unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt wird.
Angesichts des Umstands, dass trotz des oben ausgeführten die Möglichkeit besteht, dass die rumänischen Behörden die Bedenken im Hinblick auf die Haftbedingungen ausräumen, indem sie mitteilen, dass der Verfolgte dort unter Bedingungen, die mit Art. 3 EMRK in Einklang zu bringen sind, inhaftiert werden wird und ihm mindestens 3 qm persönliche Fläche zur Verfügung stehen werden für die Dauer seiner Inhaftierung, war der beantragte Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nicht bereits nach § 15 Abs. 2 IRG abzulehnen.
Der Senat legt seiner Entscheidung die Erwartung zugrunde, dass die Generalstaatsanwaltschaft München als zuständige Bewilligungsbehörde die Auslieferung nur dann bewilligen wird, wenn aufgrund der – wie oben ausgeführt nun eilig anzufordernden -ergänzenden Informationen ausreichend sichergestellt ist, dass die Haftbedingungen, die den Verfolgten nach der Auslieferung in Rumänien erwarten, den europäischen Mindeststandards für die Unterbringung von Gefangenen entsprechen und der ihm in einer Gemeinschaftszelle zur Verfügung stehende persönliche Freiraum mindestens 3 qm beträgt – und zwar für die Dauer seiner Inhaftierung.
Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass (wie oben ausgeführt) die rumänischen Behörden selbst eine persönliche Freifläche von 4 qm (geschlossener Vollzug) bzw. 6 qm (halboffener und offener Vollzug) pro Gefangenem für erforderlich halten.
Zur Sicherung der Auslieferung ist Haft erforderlich und zulässig, §§ 15, 16 IRG. Es besteht die Gefahr, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren durch Flucht bzw. Untertauchen in der Bundesrepublik Deutschland entzieht, wenn er auf freien Fuß käme.
Da der verheiratete Verfolgte seit 2015 im Inland über einen festen Wohnsitz verfügt und hier auch soziale Bindungen hat (er lebt mit seiner Frau und seiner 17-jährigen Tochter in Rosenheim) konnte der Auslieferungshaftbefehl jedoch gem. § 25 IRG unter den im Tenor unter Ziffer III genannten Auflagen außer Vollzug gesetzt werden.
Jeder Verstoß gegen eine der Außervollzugsetzungsauflagen hat die sofortige Invollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls zur Folge.
Die Beiordnung des Pflichtbeistandes beruht auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG. Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Sache wurde der Verfolgte vor der Auswahl nicht gehört. Sollte er binnen einer Woche einen anderen Rechtsanwalt benennen, wird der Senat eine Auswechslung prüfen, §§ 40 Abs. 3 IRG, 142 Abs. 1 StPO.


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