Europarecht

Vorlage von Urkunden wegen behaupteter Patentverletzung

Aktenzeichen  7 O 17955/17

Datum:
17.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2018, 1259
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG § 9, § 13, § 140c, § 143 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der Anspruch auf Vorlage von Urkunden kann auf die behauptete Verletzung eines Verfahrenspatents gestützt werden; eine Vorlage der Zulassungsunterlagen ist auch erforderlich, weil es der Klagepartei sonst nicht oder nur schwer möglich wäre, in einem nachgelagerten Verletzungsverfahren den Herstellungsvorgang zu belegen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Inhaber mehrere Patente kann sich in einem Verfahren darauf stützen, dass er zwar nicht feststellen kann, welches seiner Patente verletzt wird, auf alle Fälle aber die Verletzung eines Patents wahrscheinlich ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ist die Klagepartei der vollständigen Darlegungs- und Glaubhaftmachungspflicht für das Vorliegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung nicht nachgekommen, hat die Beklagtenpartei keine Verpflichtung darzulegen, welche Verfahrensschritte sie verwendet; auf spekulativen Vortrag ist ein bloßes Bestreiten ausreichend. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ein Gutachten belegt keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung, wenn es nicht die tatsächlichen Grundlagen schildert, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass eine wirtschaftliche Herstellung industrieller Mengen einer pharmazeutischen Lösung nur mit dem geschützten Verfahren hergestellt werden kann und die gegebenenfalls glaubhaft gemacht werden könnten. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
II. Die Klagepartei hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zur Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber als unbegründet zurückzuweisen.
I. Zulässigkeit
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I folgt aus § 143 Abs. 1 PatG, weil eine Patentstreitsache vorliegt. Da noch keine Klage in der Hauptsache anhängig ist, ist die Klage an das Gericht zu richten, das nach dem Vortrag des Antragsstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen ist. Die örtliche Zuständigkeit folgt mithin aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung.
II. Verfügungsanspruch
Die Klagepartei begehrt die Vorlage einer Urkunde nach § 140 c PatG. Wer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entgegen den §§ 9 bis 13 PatG eine patentierte Erfindung benutzt, kann vom Rechteinhaber auf Vorlage von Urkunden in Anspruch genommen werden.
Der Anspruch auf Vorlage von Urkunden kann auch – wie im vorliegenden Fall – auf die behauptete Verletzung eines Verfahrenspatents gestützt werden. Insbesondere ist in einem solchen Fall auch das unmittelbare Verfahrenserzeugnis umfasst. Die Klagepartei wäre als Patentinhaberin auch berechtigt, einen solchen Anspruch geltend zu machen. Eine Vorlage der beantragten Zulassungsunterlagen wäre auch erforderlich, weil es der Klagepartei ansonsten nicht möglich oder nur deutlich erschwert möglich wäre, in einem nachgelagerten Verletzungsverfahren den Herstellungsvorgang zu belegen. Vorliegend fehlt es aber an der Glaubhaftmachung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung. Insofern ist nicht darauf einzugehen, ob der geltend gemachte Vorlageantrag unter Berücksichtigung der Geheimhaltungsinteressen der Beklagtenpartei verhältnismäßig gewesen wäre.
Ein Vorlage- oder Besichtigungsanspruch besteht nur insoweit, als die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine patentierte Erfindung entgegen den §§ 9 bis 13 benutzt wird. Es genügt die Wahrscheinlichkeit eines etwaig bestehenden Unterlassungsanspruchs gemäß § 139 Abs. 1 PatG. Hinreichende Wahrscheinlichkeit ist weder ausreichende Sicherheit noch eine Ausgangslage, bei der lediglich letzte Zweifel auszuräumen sind (vgl. zuvor, jedoch überholt, BGH GRUR 1985, 512 – Druckbalken), sondern das Bestehen von ausreichenden (konkreten) Anhaltspunkten für den Tatbestand einer Patentbenutzung. Der Gesetzgeber ist bei der Einführung des § 140 c PatG ausdrücklich von den Grundsätzen der Entscheidung BGH GRUR 2002, 1046 – Faxkarte – ausgegangen (vgl. amtl. Begr. in PMZ 2008, 274, 301, 302). Sowohl für die Vorlage von Urkunden als auch für die Besichtigung einer Sache genügt mithin, „dass für die Verletzung bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht“ (BGH aaO., Leitsatz 2) bzw. dass für die Annahme einer Verletzung „bereits ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegt“ (BGH GRUR 2002, 1046, 1048 re.Sp. – Faxkarte; 2013, 316, Rdn. 22 – Rohrmuffe; ähnlich (zu § 142 ZPO) BGHZ 169, 30, Rdnrn. 36 ff. = GRUR 2006, 962 – Restschadstoffentfernung). Ist der Gläubiger auf die Besichtigung angewiesen, um eine unterstellte Verletzung nachweisen zu können und stehen besondere Geheimhaltungsinteressen der Besichtigung nicht entgegen (weil sie zB. entweder generell fehlen oder durch Einschaltung eines Dritten bzw. gemäß § 140c Abs. 3 Satz 2 zu treffende erforderliche Maßnahmen berücksichtigt werden können), ist nicht generell ein erheblicher Grad der Wahrscheinlichkeit zu fordern (BGH GRUR 2002, 1046, 1049 li.Sp. – Faxkarte).
Zulässig ist es, wenn sich der Inhaber mehrere Patente in einem Verfahren darauf stützt, dass er zwar nicht festgestellt werden kann, welches der vorhandenen Patente verletzt wird, auf alle Fälle aber die Verletzung eines der Patente wahrscheinlich ist. Je nach Antragsstellung kann dies ggf. Auswirkungen auf die Kostenverteilung des Vorlageverfahrens haben.
Im vorliegenden Fall fehlt es aber bereits an einen Tatsachenvortrag, der eine Verletzung eines der beiden Verfügungspatente als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lässt. Es ist insbesondere zu sehen, dass die Klagepartei die vollständige Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für das Vorliegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung hat. Solange die Klagepartei dem nicht nachkommt, hat die Beklagtenpartei keine Verpflichtung darzulegen, welche Verfahrensschritte sie verwendet. Auf spekulativen Vortrag ist ein bloßes Bestreiten ausreichend. Es besteht insbesondere keine Verpflichtung der Beklagtenpartei darzulegen, bei welchem genauen pH-Wert sie Messungen vornimmt.
Eine Verletzung eines der beiden Patente ist nicht wahrscheinlich. Hinsichtlich des EP 2 799 089 B9 ergibt sich dies bereits aus der Tatsache, dass die Klagepartei dem Vortrag der Beklagtenpartei, dass sie Formulierungen, die nach der Lehre dieses Patents im Ausland hergestellt worden sind, nicht nach Deutschland einführt, nicht entgegengetreten ist. Hinsichtlich des EP 515 ist insbesondere nicht von einer Messung bei einem pH-Wert von 7 auszugehen:
1. EP 2 242 515 B9
a. Das EP 1 210 085 B1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von pharmazeutischen Formulierungen von Kontrastmitteln, insbesondere Formulierungen, die einen Komplex aus einem Chelat mit paramagnetischen Metallionen umfassen und die in der Magnetresonanztomographie (MRT bzw. MRI – Magnetic Resonance Imaging) Verwendung finden.
b. Die Kammer definiert den Fachmann als Team aus einem Chemiker, einem Pharmazeuten und einem Arzt. Die Beteiligung eines Arztes erscheint erforderlich, weil für die erfindungsgemäße Lösung insbesondere auch die Verträglichkeit beim Patienten, mithin die klinische Erfahrung eines Arztes von Bedeutung ist.
c. Im Stand der Technik waren Kontrastmittel auf der Basis von Komplexen aus Chelat mit Lanthaniden (paramagnetisches Metall), insbesondere mit Gadolinium, bekannt. Sie werden beispielsweise in der Schrift US 4,647,447 beschrieben.
Im Organismus befinden sich die Komplexe aus Chelat mit einem Lanthanid im chemischen Gleichgewicht. D.h. einzelne Komplexe werden fortlaufend aufgebrochen (so dass das Chelat und das Lanthanid nicht mehr im Komplex vorliegen), in gleichem Maße finden sich aber nicht im Komplex vorliegende (freie) Chelate und nicht im Komplex vorliegende (freie) Lanthanide und bilden ihrerseits wieder einen Komplex. Die Anzahl der verloren gegangenen und die Anzahl der sich neu ausformende Komplexe heben sich gegeneinander auf. Insoweit hat sich ein chemisches Gleichgewicht eingestellt. Es kommt somit immer auch zu einer gewissen Freisetzung von Lanthanid, insbesondere von Gadolinium. Freies Lanthanid ist toxisch, es kann beispielsweise zu einer nephrogenen systemischen Fibrose führen. Dabei handelt es sich um eine krankhaft vermehrte Bildung des Bindegewebes von Haut, Muskulatur und in inneren Organen. Die Freisetzung von Lanthanid soll deswegen weitestgehend minimiert und kontrolliert werden. Das Problem ist umso gravierender, als die Verabreichung von Kontrastmitteln bei Diagnoseuntersuchungen und/oder für die Steuerung und den Verlauf der Wirksamkeit einer therapeutischen Behandlung häufig wiederholt wird (vergleiche hierzu auch Verfügungspatent A, Absatz [0003]).
Um eine bessere physiologische Verträglichkeit von Komplexen aus Chelaten mit Gadolinium herbeizuführen, wurde im Stand der Technik (der US-Schrift US5,876,695) die Verwendung von Formulierungen vorgeschlagen, die vorsehen, dass dem das Lanthanid komplexierenden Chelat eine Menge an freiem, das heißt nicht komplexiertem, Chelat zugesetzt wird, also ein Überschuss an Chelat erzeugt wird. Der Überschuss an Chelat soll dazu dienen, die unerwünschte Freisetzung von Lanthanid, die es zu vermeiden gilt, zu kompensieren, weil der Überschuss an Chelat das freigesetzte Lanthanid (Metallion Gd3+) komplexiert. Die Schrift US 5,876,695 beschreibt einen Überschuss an freiem linearen Chelat, insbesondere DTPA. Weiter (EP 0 450 078, US 5,876,695 sowie US 2004/0170566) wird die Verwendung von Salzen dieser Chelate (insbesondere von Calcium, Natrium, Zink, Magnesium) beschrieben (vergleiche Verfügungspatent A, Absatz [0005]).
Eine andere Vorgehensweise ist in der Schrift WO 2007/106544 beschrieben. Hier ist vorgesehen, dass chemische Gruppen auf die Chelate aufgepfropft werden, die dazu bestimmt sind, die Affinität des Chelats zu dem Metall zu erhöhen. Auf diese Weise sollen die Komplexe „stärker“ gemacht werden und eine Freisetzung von Lanthanid verringert werden (vergleiche Verfügungspatent A, Absatz [0009]).
d. Eine besondere Verträglichkeit sei bei einer Zusammensetzung vorhanden, bei der makrocyclischen Chelaten, insbesondere DOTA, ein Überschussanteil von freiem Chelat in einer Größenordnung zwischen 0,002 und 0,4%, insbesondere zwischen 0,025% und 0,25%, habe. Diesen „optimalen“ Überschuss an freiem makrocyclischen Chelat herbeizuführen stellt in Anbetracht der geringen Menge und des schmalen Zielbereichs eine technische Herausforderung dar. Dies gilt umso mehr, als ein Herstellungsverfahren im industriellen Maßstab durchgeführt werden muss.
In Anbetracht der Nachteile des Standes der Technik löst das Verfügungspatent A die Aufgabe, ein sicheres, zuverlässiges und reproduzierbares Verfahren zur Verfügung zu stellen, das es möglich macht, eine flüssige pharmazeutische Formulierung, die einen Komplex von makrocyclischem Chelat mit einem Lanthanid sowie freies makrocyclisches Chelat enthält, zur Verfügung zu stellen, wobei eine Zielkonzentration des freien makrocyclischen Chelats in dem Bereich zwischen 0,002 mol/mol % und 0,4 mol/mol % erhalten wird.
e. Diese Aufgabe löst das EP 515 mit dem hier geltend gemachten Patentanspruch 1, der sich wie nachfolgend gezeigt gliedern lässt:
1. Process for preparing a liquid pharmaceutical formulation
1.1 containing a complex of macrocyclic chelate with a lanthanide and
1.2 a mol/mol amount of free macrocyclic chelate of between 0.002% and 0.4%,
1.3 said macrocyclic chelate being DOTA and said lanthanide being gadolinium said process comprising the following successive steps:
1b.1 b) preparation of a liquid pharmaceutical composition containing the complex of macrocyclic chelate with a lanthanide, and free macrocyclic chelate that is not under the form of an excipient X[X’,L] in which L is the macrocyclic chelate and X and X’ are a metal ion, in particular chosen independently from calcium, sodium, zinc and magnesium, and free lanthanide,
1b.2 by mixing a solution of free DOTA as the free macrocyclic chelate, and of gadolinium as the free lanthanide, so as to obtain complexation of the lanthanide by the macrocyclic chelate, the amounts of free macrocyclic chelate and of free lanthanide being such that not all the lanthanide is complexed;
1c c) measurement at pH 7 in the pharmaceutical formulation obtained in step b) of the concentration of free lanthanide Clan l; the concentration of free macrocyclic chelate Cch l being equal to 0;
1d.1 d) adjustment of Cch l and of Clan l by adding to the formulation obtained in step b) the amount of free macrocyclic chelate necessary, firstly, to complete the complexation of the free lanthanide so as to obtain Clan l = 0, and, secondly, to obtain Cch l = Ct ch l, wherein Ct ch l is the target concentration of the free macrocyclic chelate in the final liquid pharmaceutical formulation and is selected in the range of between 0.002% and 0.4% mol/mol,
1d.2 wherein the amount of free macrocyclic chelate in the final liquid pharmaceutical formulation corresponds to the proportion of free macrocyclic chelate relative to the amount of complexed macrocyclic chelate DOTA-Gd in the final liquid pharmaceutical formulation in mol/mol.
Deutsche Übersetzung:
1. Verfahren zum Herstellen einer flüssigen pharmazeutischen Formulierung
1.1 die einen Komplex von makrocyclischem Chelat mit einem Lanthanid und
1.2 einer mol/mol-Menge an freiem makrocyclischen Chelat zwischen 0,002% und 0,4% enthält,
1.3 wobei das besagte Chelat DOTA und das Lanthanid Gadolinium ist und das Verfahren folgende aufeinanderfolgende Schritte umfasst b.1 b) Herstellen einer flüssigen pharmazeutischen Zusammensetzung, die den Komplex von makrocyclischem Chelat mit einem Lanthanid und freies makrocyclisches Chelat, das nicht in der Form eines Hilfsstoffs X[X’,L] vorliegt, wobei L das makrocyclische Chelat ist und X und X’ ein Metallion sind, insbesondere unabhängig ausgewählt aus Calcium, Natrium, Zink und Magnesium und freies Lanthanid enthält,
1b.2 durch Mischen einer Lösung von freiem DOTA als freies makrocyclisches Chelat und freies Gadolinium als freies Lanthanid, um so Komplexierung des Lanthanids durch das makrocyclische Chelat zur erhalten, wobei die Mengen an freiem makrocyclischen Chelat und an freiem Lanthanid so sind, dass nicht das gesamte Lanthanid komplexiert wird;
1c. c) Messen bei pH 7 der Konzentration an freiem Lanthanid Clan l in der in Schritt b) erhaltenen pharmazeutischen Formulierung, wobei die Konzentration des freien makrocyclischen Chelats Cch l gleich 0 ist;
1d.1 Einstellen von CCh l und von Clan l durch Zugeben, zu der in Schritt b) erhaltenen Formulierung, der Menge an freiem makrocyclischen Chelat, die notwendig ist, um erstens die Komplexierung des freien lanthanids abzuschließen, um Clan l = 0 zu erhalten, und zweitens, um Cch l = Ct ch l zu erhalten, wobei Ct ch l die Zielkonzentration des freien makrocyclischen Chelats in der fertigen flüssigen pharmazeutischen Formulierung ist und in dem Bereich zwischen 0,002 mol/mol-% und 0,4 mol/mol-% gewählt ist,
1.d.2 wobei die Menge an freiem makrocyclischen Chelat in der fertigen flüssigen pharmazeutischen Formulierung dem Anteil an freiem makrocyclischen Chelat bezogen auf die Menge an komplexiertem makrocyclischen Chelat DOTA-Gd in der fertigen flüssigen pharmazeutischen Formulierung in mol/mol entspricht.
2.Auslegung des Patents
a. Der Schutzbereich eines Europäischen Patents wird nach Art. 69 EPÜ durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung heranzuziehen. Hierbei ist funktionsorientiert und aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns auszulegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Patentschrift ihr eigenes Lexikon bilden kann. Durch in den Patentanspruch aufgenommene Zahlen- und Maßangaben wird der Schutzgegenstand des Patents mitbestimmt und damit auch begrenzt. Wie jeder Bestandteil eines Patents sind Zahlen- und Maßangaben jedoch grundsätzlich der Auslegung fähig (BGH, Urteil vom 12.03.2002, X ZR 168/00 – Schneidmesser).
b. Unter Anwendung dieser Grundsätze wird der Fachmann das Patent so verstehen, dass sich Anspruch 1 mit der Herstellung der in den Merkmalen 1 bis 1.3 beschriebenen flüssigen pharmazeutischen Formulierung befasst. Dabei wird das Verfahren zur Herstellung in aufeinanderfolgenden Schritten beschrieben. Wobei in einem ersten Schritt – 1b.1 und 1b.2 – eine flüssige Zusammensetzung hergestellt wird, die zumindest auch aus einem Komplex von makrocyclischem Chelat mit einem Lanthanid und freiem makrocyclischem Chelat besteht. Dabei sind die Mengenverhältnisse so zu wählen, dass ein Überschuss an Lanthanid vorhanden ist. Nach Merkmal 1c wird die pharmazeutische Formulierung bei dem pH-Wert 7 gemessen, wobei die Konzentration des makrocyclischen Chelats gleich 0 ist. In der Folge – Merkmal 1d.1 – erfolgt eine Anpassung durch die Zugabe von makrocyclischen Chelat.
3. Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung
Die Ausführungen der Klagepartei legen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dar, dass die Beklagtenpartei von der Lehre des EP 515 Gebrauch macht. Die Klagepartei stützt Ihren Vortrag auf das Gutachten des Professors P. C., PhD (Anlage 11, 11a). Dieser führte aus:
„For production in the industrial scale, I therefore think that a manufacturer would be best advised to start the production process with such proportions that not all the lanthanide is complexed by the chelate (so that there is an excess of lanthanide and/or deficit of chelate relative to the stoichiometry). The only substitution for that process would be to follow the method of EP 2 799 089 A2 and start with such proportions that all the lanthanide is complexed and that there is an excess of macrocyclic chelate so that the concentration of chelate exceeds its target concentration (i.e. 0,002 to 0,4% mol/mol).“
Deutsche Übersetzung:
„Daher glaube ich, dass bei Herstellung in industriellem Maßstab der Hersteller das Produktionsverfahren am besten mit solchen Anteilen startet, dass nicht das gesamte Lanthanid durch das Chelat komplexiert wird (so dass ein Überschuss an Lanthanid und/oder Defizit von Chelat bezüglich der Stöchiometrie vorliegt). Die einzige Alternative für dieses Verfahren wäre die Durchführung des Verfahrens gemäß EP 2 799 089 A2 und Beginnen mit solchen Anteilen, dass das gesamte Lanthanid komplexiert wird und dass ein Überschuss von makrocyclischem Chelat vorliegt, so dass die Konzentration von Chelat die Zielkonzentration (d.h. 0,002 bis 0,4% mol/mol) übersteigt.“
Unabhängig von der Tatsache, dass dieses Privatgutachten noch zu der nicht auf eine Messung bei pH-7 eingeschränkten Fassung des EP 515 verfasst wurde, wäre die Aussage dieses Gutachtens nicht geeignet, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zu belegen. Das Privatgutachten kann zwar als Stellungnahme einer Partei bewertet werden. Dies führt aber vorliegend nicht zum Erfolg. Denn in dem Gutachten werden nicht die tatsächlichen Grundlagen geschildert, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass eine wirtschaftliche Herstellung industrieller Mengen der streitgegenständlichen pharmazeutischen Lösung nur mit dem ursprünglich geschützten Verfahren hergestellt werden kann. Das Gutachten stellt vielmehr allein eine nicht überprüfbare Einschätzung des Verfassers dar., also ein Werturteil. Dies wird auch durch die Wortwahl („…I therefore think that a manufacturer would be best advised…; HL 11, Seite 8, vorletzter Absatz) bestätigt. Eine solche Wertung ist nicht ausreichend, um die beanspruchte Urkundenvorlage zu gewähren. Erforderlich wäre ein Tatsachenvortrag, der ggf. glaubhaft zu machen wäre. Hieran fehlt es vollständig.
Die Klagepartei versucht, das in dem Privatgutachten von C. .nicht behandelte Merkmal „Messen bei pH 7“ durch die eidesstattliche Versicherung ihrer Mitarbeiterin Dr. R. zu belegen (Anlage HL 12, 12a). Dort lautet es:
„Dieser pH7 liegt nahe dem physiologischen pH und somit dem pH der fertigen pharmazeutischen Formulierung. Der Fachmann weiß, das das Gleichgewicht zwischen freier Spezies (freies DOTA und freies Gadolinium) und der komplexierten Form DOTA-Gd vom pH abhängt. Die Messung in Schritt c) des Gehalts an freiem Gadolinium in der Lösung, um in Schritt d) die Formulierung mit freiem DOTA einzustellen, erstens zur Vervollständigung der Komplexierung und zweitens zum Erhalten des gewünschten freien DOTA im Bereich von 0,002% – 0,4% in der fertigen pharmazeutischen Formulierung bei pH7 wird logischerweise bei demselben pH, also bei pH7 durchgeführt. Darüber hinaus ist eines der am weitesten verbreiteten Verfahren zum Messen von freiem Gadolinium das kolorimetrische Verfahren mit Arsen-Azo. Der Durchschnittsfachmann würde dieses Verfahren kenn. Dieses Verfahren ist bei pH7 durchführbar.“
Auch aus diesen Ausführungen ergibt sich kein tatsächlicher Anhaltspunkt, der eine Durchführung des Verfahrens mit einer Messung bei einem Wert von pH 7 hinreichend wahrscheinlich erscheinen lässt. Dass allein die Möglichkeit besteht, dass man bei pH 7 messen kann, bedeutet nicht, dass die Beklagten dies auch tatsächlich so umsetzt.
Zumal sich aus Absatz 23 des EP 515 ergibt, dass eine Messung auch bei einem ph-Wert von 5 möglich ist. Aus diesem Absatz und aus Absatz 49 des EP 515 ergibt sich, dass eine Messung bei 7 gerade nicht zwangsläufig ist. In Absatz 49 wird ausgeführt, dass im Fall einer Messung bei einem pH 7 eine geringere Konzentration an Chelat vorhanden ist und die Anpassung dann mit der für das Zielergebnis erforderlichen Menge an Chelat erfolgen müsse. In den zuvor beschriebenen Beispielen erfolgte die Messung bei niedrigeren pH-Werten. Dies führt auch die Klagepartei auf Seiten 4 und 5 des Schriftsatzes vom 16.01.2018 (Bl. 56 f. der Akten) aus. Insbesondere wird in der Anlage HL 19 gezeigt, dass ein Messen in einem pH-Bereich von 4,0 bis 7,0 möglich ist. Gerade auch deshalb ist nicht ersichtlich, weshalb eine Messung genau bei pH 7 zwangsläufig sein soll.
Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des EP 515 ausgegangen werden.
4. EP 2 799 089 B9
Das zweite Streitpatent EP 089 unterscheidet sich von dem ersten Streitpatent EP 515 vorrangig darin, dass die vorzunehmende Anpassung ausgehend von einem Überschuss an Lanthanid erfolgen soll. Ansonsten sind die Ausführungen des EP 515 entsprechend heranzuziehen.
a. Auslegung
Hinsichtlich der Auslegung wird auf die obigen Ausführungen zu dem Patent EP 515 Bezug genommen. Das Patent möchte die Aufgabe durch den Anspruch 1 lösen, der sich wie folgt gliedern lässt:
1. Process for preparing a liquid pharmaceutical formulation
1.1 containing a complex of macrocyclic chelate with a lanthanide and
1.2 a mol/mol amount of free macrocyclic chelate of between 0.002% and 0.4%, said process comprising the following successive steps:
1b.1 b) preparation of a liquid pharmaceutical composition containing the complex of macrocyclic chelate with a lanthanide, free macrocyclic chelate that is not under the form of an excipient X[X’,L] in which L is the macrocyclic chelate and X and X’ are a metal ion, in particular chosen independently from calcium, sodium, zinc and magnesium, and/or free lanthanide,
1b.2′ by mixing a solution of free DOTA as the free macrocyclic chelate and of free gadolinium as the free lanthanide, so as to obtain complexation of the lanthanide by the macrocyclic chelate, the amounts of free macrocyclic chelate and of free lanthanide being such that all the lanthanide is complexed and that >, with representing the concentration of free macrocyclic chelate and representing the target concentration of the free macrocyclic chelate in the final liquid pharmaceutical formulation, being selected in the range of between 0.002% and 0.4% mol/mol;
1c’ c) measurement in the pharmaceutical formulation obtained in step b) of,, the concentration of free lanthanide being equal to 0;
1d.1′ d) adjustment of and of by eliminating free macrocyclic chelate from and/or by adding free lanthanide to and/or by modifying the pH of the formulation obtained in step b) so as to obtain = and = 0, wherein is the target concentration of the free macrocyclic chelate in the final liquid pharmaceutical formulation and is selected in the range of between 0.002% and 0.4% mol/mol,
1d.2 wherein the amount of free macrocyclic chelate in the final liquid pharmaceutical formulation corresponds to the proportion of free macrocyclic chelate relative to the amount of complexed macrocyclic chelate DOTA-Gd in the final liquid pharmaceutical formulation in mol/mol,
1.3 wherein the macrocyclic chelate is DOTA and the lanthanide is gadolinium.
Deutsche Übersetzung:
1. Verfahren zum Herstellen einer flüssigen pharmazeutischen Formulierung,
1.1 die einen Komplex von makrocyclischem Chelat mit einem Lanthanid und
1.2 einer mol/mol-Menge an freiem makrocyclischen Chelat zwischen 0,002% und 0,4% enthält, wobei das Verfahren folgende aufeinander folgende Schritte umfasst:
1b.1 b) Herstellen einer flüssigen pharmazeutischen Zusammensetzung, die den Komplex von makrocyclischem Chelat mit einem Lanthanid, freies makrocyclisches Chelat, das nicht in der Form eines Hilfsstoffs X[X’,L] vorliegt, wobei L das makrocyclische Chelat ist und X und X’ ein Metallion sind, insbesondere unabhängig ausgewählt aus Calcium, Natrium, Zink und Magnesium, und/oder freies Lanthanid enthält,
1b.2′ durch Mischen einer Lösung von freiem DOTA als dem makrocyclischen Chelat und freiem Gadolinium als dem freien Lanthanid, um so Komplexierung des Lanthanids durch das makrocyclische Chelat zu erhalten, wobei die Mengen an freiem makrocyclischen Chelat und an freiem Lanthanid so sind, dass das gesamte Lanthanid komplexiert wird und dass >, wobei die Konzentration an freiem makrocyclischen Chelat ist und die Zielkonzentration des freien makrocyclischen Chelats in der fertigen flüssigen pharmazeutischen Formulierung ist, wobei in dem Bereich zwischen 0,002 mol/mol-% und 0,4 mol/mol-% gewählt ist;
1c’ c) Messen von in der in Schritt b) erhaltenen pharmazeutischen Formulierung, wobei die Konzentration an freiem Lanthanid gleich 0 ist;
1d.1′ d) Einstellen von und von durch Eliminieren von freiem makrocyclischen Chelat aus und/oder durch Zugeben von freiem Lanthanid zu und/oder durch Modifizieren des pH-Werts der in Schritt b) erhaltenen Formulierung, um = und = 0 zu erhalten, wobei die Zielkonzentration des freien makrocyclischen Chelats in der fertigen flüssigen pharmazeutischen Formulierung ist und in dem Bereich zwischen 0,002 mol/mol-% und 0,4 mol/mol-% gewählt ist,
1d.2 wobei die Menge an freiem makrocyclischen Chelat in der fertigen flüssigen pharmazeutischen Formulierung dem Anteil an freiem makrocyclischen Chelat bezogen auf die Menge an komplexiertem makrocyclischen Chelat DOTA-Gd in der fertigen flüssigen pharmazeutischen Formulierung in mol/mol entspricht,
1.3 wobei das makrocyclische Chelat DOTA ist und das Lanthanid Gadolinium ist.
b. Verletzung
Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagtenpartei werden keine Produkte die mit einem Verfahren gemäß dem Verfügungspatent EP 089 im Ausland hergestellt worden sind, in die Bundesrepublik Deutschland geliefert. Auf Grund der Parteimaxime im Zivilverfahren ist das Gericht an diesen Vortrag gebunden, obwohl die Beklagtenpartei nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Anweisung, keine nach dem Verfahren EP 089 hergestellten Medikamente nach Deutschland zu liefern, auch befolgt wurde.
III. Verfügungsgrund
Für den geltend gemachten Anspruch auf Urkundenvorlage nach § 140c PatG folgt aus Absatz 3 Satz 1, dass der Weg der einstweiligen Verfügung eröffnet ist. Nach der herrschenden Meinung (vgl. Mes, PatG, 4. Aufl. 2015, § 140c, Rn. 35) kann auf den zeitlichen Moment der Dringlichkeit verzichtet werden, weil dem Rechteinhaber ansonsten effektiver Rechtsschutz faktisch versagt werden würde.
IV. Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben