Europarecht

Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit wegen Nähe zur Reichsbürgerbewegung

Aktenzeichen  M 7 K 17.2544

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 11941
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
SprengG § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 8a Abs. 1 Nr. 2, § 27, § 34 Abs. 2 S. 1
BJagdG § 17 Abs. 1, § 18 S. 1

 

Leitsatz

1 Personen, die der “Reichsbürgerbewegung” zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit iSd § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (ebenso BayVGH, BeckRS 2019, 1677). Diese Grundsätze gelten auch für den Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen (ebenso BayVGH, BeckRS 2017, 137087). (Rn. 25 und 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Erforderlich für die Zuordnung einer Person zur “Reichsbürgerbewegung” und die hierauf gestützte Annahme einer Unzuverlässigkeit iSd § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist eine Gesamtwürdigung der Umstände im konkreten Einzelfall unter Würdigung der Persönlichkeit. Äußert sich eine Person in reichsbürgertypischer Weise, kommt es darauf an, ob das Gericht die Überzeugung gewinnt, dass diese Äußerungen Ausfluss einer inneren Haltung sind oder nachvollziehbar aus anderen Motiven erfolgen. (Rn. 29 und 32 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts … vom 29. Mai 2017 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 7. August 2017 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Bescheid vom 29. Mai 2017 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 7. August 2017 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, vorliegend des Bescheidserlasses (vgl. zum Fall des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 24.06 – juris Rn. 35).
Sowohl der Widerruf der Waffenbesitzkarte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (Nr. 1.1 des Bescheids) als auch der Widerruf der Erlaubnis nach § 27 SprengG gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 8a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und c SprengG – auch wenn dieser in eine Rücknahme nach § 34 Abs. 1 SprengG umgedeutet werden könnte (vgl. zur Umdeutung bei § 45 WaffG: BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 21 CS 18.701 – juris Rn. 24) – (Nr. 1.2 des Bescheids) und die Einziehung und Ungültigerklärung des Jagdscheins gemäß § 18 Satz 1 BJagdG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (Nr. 2 des Bescheids) sind rechtswidrig.
Eine waffenrechtliche Erlaubnis – vorliegend die Waffenbesitzkarte nach § 10 Abs. 1 WaffG – ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt. Nach § 18 Satz 1 BJagdG ist die zuständige Behörde in Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG verpflichtet, den Jagdschein für ungültig zu erklären, wenn Tatsachen, welche die Versagung des Jagdscheins begründen, erst nach Erteilung des Jagdscheins eintreten oder der Behörde, die den Jagdschein erteilt hat, bekannt werden. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG darf nur ein Jagdschein nach § 15 Abs. 7 BJagdG (Falknerjagdschein) erteilt werden, wenn die Zuverlässigkeit oder die persönliche Eignung im Sinne der §§ 5 und 6 des Waffengesetzes fehlen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden (Buchst. a) oder mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlasen werden die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c). Eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis – vorliegend die Erlaubnis nach § 27 SprengG – ist gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 SprengG ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SprengG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Nach § 8a Abs. 1 Nr. 2 SprengG besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie explosionsgefährliche Stoffe im Sinne des Sprengstoffgesetzes missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Buchst. a), mit explosionsgefährlichen Stoffen nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese nicht sorgfältig aufbewahren werden (Buchst. b) oder explosionsgefährliche Stoffe Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese nicht berechtigt sind (Buchst. c).
Maßgeblich für die Beurteilung, ob die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht gegeben ist, ist eine auf Tatsachen gestützte Prognose eines spezifisch waffenrechtlich bedenklichen Verhaltens, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiert (vgl. BT-Drs 14/7758, S. 54). Diese Prognose ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellen. Dabei ist der allgemeine Zweck des Gesetzes nach) § 1 Abs. 1 WaffG, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren, zu berücksichtigen. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdienen, mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umzugehen. In Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, ist für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Vielmehr genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14). Unter Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes ist die Prognose der Unzuverlässigkeit nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen werde (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17).
Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2017 – 21 CS 17.1300; B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332; B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339; B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519; B.v. 12.3.2018 – 21 CS 17.1678; B.v. 16.1.2019 – 21 C 18.578 – alle juris). Diese Grundsätze gelten ebenfalls für den Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen im Sinne des Sprengstoffgesetzes (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332 – juris Rn. 13).
Der Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundes (S. 90) beschreibt die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als organisatorisch und ideologisch äußerst heterogen, zersplittert und vielschichtig. Sie besteht überwiegend aus Einzelpersonen ohne strukturelle Anbindung, aber auch aus Kleinst- und Kleingruppen, virtuellen Netzwerken und überregional agierenden Personenzusammenschlüssen. Verbindendes Element der Szeneangehörigen ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2017 (S. 170 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die Reichsbürgerbewegung wird als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2017, S. 171 ff.). Es besteht die Besorgnis, dass die Betroffenen – mitunter massive – Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundes, S. 93).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird, muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 21 CS 17.1964 – juris Rn. 15 m.w.N.). Keine andere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn sich jemand (glaubhaft) selbst nicht als diesem Spektrum zugehörig betrachtet oder in einzelnen – auch wesentlichen – Bereichen von dort anzutreffenden Thesen nachvollziehbar und glaubhaft distanziert. Auch jenseits der Nähe zum eigentlichen „Reichsbürger“-Spektrum rechtfertigt eine Einstellung, die die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet, die Annahme der waffenrechtlichen absoluten Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. OVG RhPf, B.v. 3.12.2018 – 7 B 11152/18 – juris Rn. 23).
Im konkreten Fall rechtfertigen die Tatsachen, die dem Gericht vorliegen, nicht die Annahme, dass der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat. Eine Prognose, dass der Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein in § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG bzw. § 8a Abs. 1 Nr. 2 SprengG beschriebenes Verhalten zeigen wird und somit nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit im waffen- und sprengstoffrechtlichen Sinn verfügt, ist mithin nicht gerechtfertigt.
Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände im konkreten Einzelfall unter Würdigung der Persönlichkeit des Klägers, wie sie in seinen Verhaltensweisen und Einlassungen zum Ausdruck kommt (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 21 CS 18.701 – juris Rn. 22 f.; B.v. 4.10.2018 – 21 CS 18.264 – juris Rn. 12). In die Gesamtwürdigung sind dabei sowohl die im Verwaltungsverfahren als auch insbesondere die in der mündlichen Verhandlung gemachten Äußerungen des Klägers einzustellen.
Es liegen nach Aktenlage zwar unzweifelhaft mehrere tatsächliche Indizien dafür vor, dass der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat.
So hat der Kläger in dem Schreiben vom 29. August 2016 ausgeführt, dass die Verkehrsüberwachung der Stadt Neuburg rechtlich nicht für Verwarngelder zuständig sei, da das Ordnungswidrigkeitengesetz infolge der Aufhebung des Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz aufgehoben worden sei, womit für sämtliche Ordnungswidrigkeiten kein rechtliche Grundlage mehr existiere. Zudem sei am 25. April 2006 § 5 zu OWiG, ZPO, StPO und GVG aufgehoben worden, der die räumliche Zuordnung der Gesetze geregelt habe und infolgedessen mangels territorialer Zuordnung kein Gesetz gelte. Der Kläger hat hiermit für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Verhaltens- und Ausdrucksweisen eindeutig zu erkennen gegeben. Denn „Reichsbürger“ überziehen regelmäßig Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und der Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Zum Teil verfolgen sie damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z.B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeld- oder Verwaltungsverfahren zu entziehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2017, S. 176). Zudem führte der Kläger aus, dass sich die Stadt mit ihrer Forderung an die „BRD-GmbH“ mit eingetragener D-U-N-S® Nummer: … oder an die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur Gesellschaft mit beschränkter Haftung D-U-N-S® Nummer: … wenden solle. Der Kläger hat damit eine weitere für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Argumentationslinie zum Ausdruck gebracht. Denn „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und bezeichnen diese z.T. als „Firma BRD“ (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2017, S. 175). In diesem Kontext ist auch die Passage am Ende des Schreiben („Natürliche Person mit Familiennamen und Vornamen nach BGB, Buch 1, (1) §§ 1,2 ff und im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten, kein Mitglied oder Anhänger irgendeiner verlogenen PARTEI, RELIGION, SEKTE usw. oder Verfechter ideologischer, demagogischer oder sonstiger … Ideen. Nicht links, nicht rechts oder antisemitisch, nur der WAHRHEIT, dem RECHT, der AUFKLÄRUNG und der RECHTSCHAFFENHEIT verpflichtet. PS.: Beachten sie bei weiteren Entscheidungen auch, dass Sie wegen aufgehobener Staatshaftung wie als Privatperson handeln.“) zu sehen. Auch hierin kommt die Ablehnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat zum Ausdruck. Ebenfalls zeigt sich darin die in Kreisen der „Reichsbürger“ bzw. „Selbstverwalter“ vorzufindende Verhaltensweise, Bediensteten staatlicher Stellen in Schreiben mit haltlosen Schadensersatzforderungen zu drohen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundes, S. 92; Verfassungsschutzbericht Bayern 2017, S. 176). Der Kläger hat seine, in den dargelegten Äußerungen und Verhaltensweisen zum Ausdruck kommende, innere Einstellung auch nach außen hin zu erkennen gegeben. Denn wer gegenüber einer Behörde dem Gedankengut der sog. „Reichsbürger“ entlehnte Äußerungen in der „reichsbürgertypischen Weise“ trifft und entsprechende Verhaltensweisen zeigt geht davon aus und beabsichtigt gerade, seine ablehnende Haltung gegenüber der Rechtsordnung sozusagen amtlich und ernsthaft einer Behörde gegenüber kund zu tun (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519 – juris Rn. 19).
Insbesondere aufgrund der Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie des persönlichen Eindrucks, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hat, sieht das Gericht die in dem Schreiben vom 29. August 2016 getätigten Äußerungen im konkreten Einzelfall jedoch nicht als Ausfluss einer inneren Haltung des Klägers an, die der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzurechnen ist.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung insbesondere umfassend und nachvollziehbar die Beweggründe für das Schreiben und dessen Inhalt geschildert. So hat der Kläger glaubhaft dargelegt, dass er das Schreiben vom 29. August 2016 lediglich verfasst und an die Verkehrsbehörde der Stadt Neuburg gesandt hat, um das Verwarngeld nicht bezahlen zu müssen. Die Ausführungen, dass er Ende April/Anfang Mai 2016 auf einem Volksfest gehört habe, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz abgeschafft worden sei sowie, dass er dann anlässlich des Strafzettels der Verkehrsüberwachung der Stadt Neuburg diesbezüglich im Internet recherchiert und ein Schreiben hierzu gefunden, er zudem zeitgleich ein vergleichbares Schreiben von einem Bekannten (J. S.) gesehen und daraufhin das Schreiben aus dem Internet auf ihn angepasst habe, waren stringent und in sich schlüssig, so dass das Gericht keinen Anlass hat, an deren Richtigkeit zu zweifeln.
Des Weiteren vermochte der Kläger zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft darzutun, dass er mit dem Schreiben vom 29. August 2016 keine weitergehenden (reichsbürgertypischen) Zwecke verfolgt hat. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass er mit dem Schreiben versucht habe, sich das Verwarngeld zu sparen, dieser Versuch jedoch „in die Hose gegangen“ sei, da er von der Stadt Neuburg eine Mahnung erhalten habe, woraufhin er die Gebühren bezahlt habe. Dies wird bestätigt durch die im Rahmen der Anhörung vorgelegte Kopie eines Kontoauszugs des Klägers, aus der hervorgeht, dass der Kläger das Verwarngeld i.H.v. 10,- EUR bereits am 21. September 2016 an die Stadt Neuburg überwiesen hat.
Soweit in dem Schreiben vom 29. August 2016 Elemente enthalten sind, die sich als reichsbürgertypisch darstellen, konnte der Kläger somit in der mündlichen Verhandlung nach Überzeugung des Gerichts glaubhaft darlegen, dass diesen eine andere Motivation zugrunde lag, so dass auch die damit verbundene Indizwirkung als widerlegt anzusehen ist.
Soweit daneben in dem Aktenvermerk der Kriminalpolizeiinspektion I. vom 27. März 2017 (richtig wohl: 27. Januar 2017) angeführt wird, dass der Kläger sich im Rahmen seiner Anhörung am 25. Januar 2017 nicht von den Inhalten des Schreibens vom 29. August 2016 distanziert, sondern vielmehr in eindeutiger „Reichsbürgerargumentation“ unterstrichen habe, dass es keine gesetzliche Grundlage für sämtliche Ordnungswidrigkeiten gebe, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass es sich hierbei um ein Missverständnis gehandelt haben könnte. Er habe in dem Gespräch erklärt, wie es zu dem Schreiben gekommen sei. Er habe dabei gesagt, dass er kein Reichsbürger sei und diesen auch nicht nahgestanden habe. Er habe jedoch den Polizisten gefragt, ob das Ordnungswidrigkeitengesetz abgeschafft worden sei, da er dies habe wissen wollen und der Meinung gewesen sei, dass der Polizist dies wissen müsse.
Schließlich erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, dass er das Schreiben vom 29. August 2016 aus voller Naivität abgesandt habe, er mittlerweile jedoch wisse, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz nicht aufgehoben sei.
Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls, insbesondere unter Würdigung der Persönlichkeit des Klägers, ist nach Auffassung der Kammer aufgrund der vorliegenden Tatsachen noch nicht die Annahme der waffen- und sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG bzw. § 8a Abs. 1 Nr. 2 SprengG gerechtfertigt.
Hinsichtlich des Widerrufs der Erlaubnis nach § 27 SprengG wären demzufolge auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine – hier einschlägig gewesene – Rücknahme nach § 34 Abs. 1 SprengG nicht gegeben gewesen, so dass sich auch eine Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme (vgl. Art. 47 Abs. 1 BayVwVfG) erübrigt.
Soweit damit der Widerruf der Waffenbesitzkarte und der Erlaubnis nach § 27 SprengG sowie die Einziehung und Ungültigerklärung des Jagdscheins rechtswidrig sind, folgt hieraus zugleich, dass auch die weiteren Anordnungen des streitgegenständlichen Bescheids keinen Bestand haben können, da es sich bei diesen um Folgeentscheidungen hierzu handelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollsteckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben