Europarecht

Zulässigkeit der Auslieferung in die USA trotz rechtskräftiger Verurteilung in derselben Sache in einem EU-Mitgliedsstaat

Aktenzeichen  1 AR 355/19

Datum:
17.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6725
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IRG § 26 Abs. 1
SDÜ Art. 54
EuGRCh Art. 50

 

Leitsatz

In einem Fall, in dem der Verfolgte wegen des dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Sachverhalts in einem EU-Mirtgliedsstaat (hier: Slowenien) bereits rechtskräftig verurteilt und die Strafe vollstreckt worden ist, hindern weder Art. 8 AuslV D-USA noch Art. 54 SDÜ und Art. 50 EuGRCh  die Auslieferung des Verfolgten an die US-amerikanischen Behörden zur Strafverfolgung. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Gegen den slowenischen Staatsangehörigen S… M…, geboren am … in M./Slowenien, wird zur Sicherung der Auslieferung an die US-amerikanischen Behörden zur Strafverfolgung die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.
2. Dem Auslieferungshaftbefehl wird weiterhin der Haftbefehl des Bundesbezirksgerichts des District of Columbia vom 04.12.2018, Gz.: 1:18-cr-359, zugrunde gelegt.
3. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung wird weiterhin zurückgestellt.

Gründe

I.
Hinsichtlich des bisherigen Verfahrensganges wird Bezug genommen auf die Senatsentscheidungen vom 08.10.2019, vom 30.10.2019, vom 20.11.2019, vom 10.01.2020 und vom 31.01.2020. Mit diesen hat der Senat gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet, dem Auslieferungshaftbefehl den Haftbefehl des Bundesbezirksgerichts des District of Columbia vom 04.12.2018, Gz.: 1:18-cr-359, zugrunde gelegt und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgestellt.
Der Verfolgte hat sich weder mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt noch auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet, vielmehr Einwendungen gegen die Auslieferung erhoben, insbesondere vorgebracht, dass er wegen desselben Sachverhalts bereits in Slowenien rechtskräftig verurteilt wurde und dort deswegen drei Jahre Haft verbüßt hat. Sein Rechtsbeistand hat insoweit das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichts Maribor vom 23.12.2013, Gz.: II K 34177/2012 und das zweitinstanzliche Urteil des Maribor Higher Court vom 13.03.2015 jeweils in englischer Sprache vorgelegt. Die US-Behörden wurden ersucht, eine verbindliche Erklärung abzugeben, ob bei der dem Verfolgten in den USA drohenden Strafe die in Slowenien bereits erlittenen Strafe angerechnet oder berücksichtigt wird, um im Rahmen einer eigenständigen Gefahrenprognose abschätzen zu können, ob im Fall der Auslieferung die äußersten Grenzen der Unerträglichkeit und absoluten Unangemessenheit nicht überschritten werden.
Der Rechtsbeistand des Verfolgten beantragte mit Schriftsatz vom 03.12.2019, die Auslieferung des Verfolgten für unzulässig zu erklären und die Entlassung des Verfolgten anzuordnen, da das Verbot der Doppelbestrafung ein Auslieferungshindernis begründe. Hilfsweise beantragte er, dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV i.V.m. Art. 107 ff. der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs folgende Frage im Eilvorabentscheidungsverfahren vorzulegen:
„Ist Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 GRCh dahingehend auszulegen, dass nach einer Verurteilung durch ein Gericht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Schengen-Übereinkommens und nach der Vollstreckung der durch dieses Urteil verhängten Strafe,
a) die Durchführung eines Auslieferungsverfahrens wegen derselben Tat in allen Vertragsstaaten des Schengen-Übereinkommens und der EU untersagt ist und
b) freiheitsentziehende Maßnahmen aufgrund des Auslieferungsersuchens in allen Vertragsstaaten des Schengen-Übereinkommens und der EU untersagt sind, wenn dieselbe Tat Gegenstand eines Auslieferungsersuchens eines Staates ist, der nicht Vertragsstaat des Schengen-Übereinkommens oder der Europäischen Union ist?“
Am 12.12.2019 ging bei der Generalstaatsanwaltschaft München die Verbalnote Nr. 490 der US-amerikanischen Botschaft Berlin vom 20.11.2019 ein, mit der die bislang erteilten Auskünfte ergänzt und teilweise berichtigt wurden.
Mit Verfügung vom 30.12.2019 übermittelte die Generalstaatsanwaltschaft München dem Senat die Antwort des US-Justizministeriums vom 16.12.2019 zur Frage der Zusicherung einer Anrechnung bzw. Berücksichtigung der vom Verfolgten in Slowenien verbüßten Strafhaft. Darin teilt das US-Justizministerium mit, dass die US-Behörden davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft in den Vereinigten Staaten den Richter ersuchen wird, das in den Vereinigten Staaten verhängte Strafmaß so anzupassen, dass die Haftdauer, die der Verfolgte bereits in Slowenien verbüßt hat, berücksichtigt wird. Jedoch sei der Richter nicht verpflichtet, der Strafmaßempfehlung der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten. Das U.S.S.G.-Handbuch (U.S. Sentencing Guidelines Manual) ziehe bei der Berechnung der Vorstrafenkomponente des letztlich berechneten Richtlinienrahmens keine im Ausland verhängten Strafen in Betracht.
Der Rechtsbeistand des Verfolgten beantragte mit Schriftsatz vom 18.01.2020, die Auslieferung des Verfolgten für unzulässig zu erklären, die Entlassung des Verfolgten anzuordnen sowie hilfsweise das Verfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV i.V.m. Art. 107 ff. der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs zur Beantwortung der am 03.12.2019 formulierten Frage vorzulegen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Verfügung vom 21.01.2020, gegen den Verfolgten die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen und die Auslieferung an die US-amerikanischen Behörden zur Strafverfolgung für zulässig zu erklären, hilfsweise die Frage zur Auslegung von Art. 54 SDÜ i.V.m. 50 GRCh, Art. 18, 21 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung vorzulegen.
Der Senat beschloss am 31.01.2020 die Fortdauer der Auslieferungshaft und stellte die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung weiterhin zurück. Zugleich ersuchte der Senat die Generalstaatsanwaltschaft München, bei den US-amerikanischen Behörden eine völkerrechtlich verbindliche Erklärung zu erholen, mit welcher Strafe der Verfolgte im Falle einer Verurteilung insgesamt zu rechnen hätte, von welchen Umständen die Bestimmung des Strafmaßes abhängig wäre, ob der Verfolgte die gegen ihn insgesamt zu verhängende Strafe voll und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen zu verbüßen hätte oder ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine vorzeitige Entlassung oder Begnadigung möglich wäre.
Der Beschluss des Senats vom 31.01.2020 wurde dem Verfolgten am 20.02.2020 von der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts München eröffnet.
Mit E-Mail der Generalstaatsanwaltschaft München vom 03.02.2020 wurde das Bayerische Staatsministerium der Justiz gebeten, die US-amerikanischen Behörden um die im Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 31.01.2020 genannte völkerrechtlich verbindliche Erklärung zu ersuchen. Mit Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2020 wurden die US-amerikanischen Behörden auf dem offiziellen Geschäftsweg um die im Beschluss genannte völkerrechtlich verbindliche Erklärung ersucht. Diese steht aktuell noch aus.
Durch Schriftsatz vom 11.03.2020 trägt der Rechtsbeistand des Verfolgten vor, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebiete, den US-Behörden eine Frist zur Abgabe der vom Oberlandesgericht angeforderten Erklärung bis zum 20.03.2020 zu setzen. Andernfalls sei die Auslieferungshaft zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit, gegebenenfalls unter Auflagen, außer Vollzug zu setzen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München legte dem Senat mit Verfügung vom 11.03.2020 die Akten vor unter Äußerung, dass eine Fristsetzung an die US-amerikanischen Behörden nicht erforderlich sei.
II.
Gemäß § 26 Abs. 1 IRG war die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen. Diesbezüglich haben sich keine Veränderungen zu Gunsten des Verfolgten ergeben. Hinsichtlich des Haftgrundes haben sich seit der Senatsentscheidung vom 08.10.2019 keine Änderungen ergeben. Auch ist die seit 23.09.2019 vollzogene Auslieferungshaft in Anbetracht der dem Verfolgten in den USA drohenden Freiheitsentziehung verhältnismäßig.
Für eine Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls fehlt es weiterhin an der erforderlichen Vertrauensgrundlage.
Der Senat vertritt weiterhin die im Beschluss vom 08.10.2019 begründete Rechtsansicht, wonach weder Art. 8 AuslV D-USA noch Art. 54 SDÜ und Art. 50 EuGRCh im vorliegenden Fall die Auslieferung des Verfolgten an die US-amerikanischen Behörden zur Strafverfolgung hindern.
Es ist davon auszugehen, dass die US-amerikanischen Behörden innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes auf die Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2020 antworten werden. Die Setzung einer Frist ist daher derzeit nicht erforderlich.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben