Europarecht

Zum Erfordernis eines vollständigen Antrags auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung

Aktenzeichen  S 38 KA 440/16

Datum:
24.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
Ärzte-ZV Ärzte-ZV § 19 Abs. 1
GG GG Art. 12
SGB V SGB V § 19 Abs. 1 S. 2, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, § 95 Abs. 2 S. 1, § 101 Abs. 1 Nr. 1, § 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ein nicht mit den notwendigen Unterlagen versehener Antrag auf Zulassung zur vertragsäztlichen Versorgung ist unvollständig und kann grundsätzlich allein aus diesem Grund abgewiesen werden. (Rn. 17 – 18)
2. Eine erweiterete Auslegung des § 95 Abs. 2 S. 1 SGB V, die noch über die im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az: B 6 KA 2/09) vorgenommene hinausgeht, kommt nicht in Betracht, wenn materiellrechtliche Voraussetzungen fehlen. Maßgeblich ist die Schutzwürdigkeit desjenigen, der noch fristgerecht seine Zulassung beantragt hat. Der Arzt, bei dem die materiellrechtlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung fehlen, ist nicht in gleichem Umfang schutzwürdig wie der, der an sich einen Anspruch auf Eintragung gehabt hätte, für den jedoch aufgrund von Umständen, die nicht in seiner Sphäre liege, eine Nachweisführung nicht möglich war. In diesem Fall ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 12 GG, die beruflichen Chancen und Planungen nicht zu besorgen. (Rn. 19 – 21)
3. Art. 12 GG schützt nicht die Sicherung von Rechtspositionen zu einem Zeitpunkt, in dem die materiellrechtlichne Voraussetzungen noch gar nicht vorlagen. (Rn. 21)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren wird festgestellt.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Bescheid des beklagten Berufungsausschusses vom 28.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Abweisung des Antrags auf Zulassung als Strahlentherapeutin am Standort C-Stadt ist zu Recht erfolgt. Mit Beschluss des Landesausschusses vom 15.02.2013 wurde für die Fachgruppe der Strahlentherapeuten ein Versorgungsgrad von 161,6% und damit eine Überversorgung festgestellt, weshalb für den Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen nach § 103 SGB V angeordnet wurden. Nach § 95 Abs. 2 S. 9 SGB V sind Anträge auf Zulassung abzulehnen, wenn bei Antragstellung für die dort tätigen Ärzte Zulassungsbeschränkungen nach § 103 Abs. 1 S. 2 SGB V angeordnet sind.
Hier war zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin auf Zulassung noch keine Anordnung von Zulassungsbeschränkungen für Strahlentherapeuten erfolgt. Mit Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie wurde durch den Gemeinsamen Bundesausschuss die Bedarfsplanung auf neue, bisher nicht beplante Arztgruppen, darunter Strahlentherapeuten ausgedehnt. Nach § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie kann der Zulassungsausschuss über Zulassungsanträge dieser Arztgruppen, die nach dem 6. September 2012 gestellt werden, erst dann entscheiden, wenn der Landesausschuss die Feststellung nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB V getroffen hat… Anträge nach Satz 1 sind wegen Zulassungsbeschränkungen auch dann abzulehnen, wenn diese noch nicht bei Antragstellung angeordnet waren. Es handelt sich hierbei um ein so genanntes Moratorium.
Mit der Frage der Rechtmäßigkeit dieser Regelung war letztinstanzlich das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 04.05.2016, Az. B 6 KA 24/15 R) befasst. Das Bundessozialgericht hat dabei die Auffassung vertreten, die Bedarfsplanung könne auch auf kleinere Arztgruppen ausgedehnt werden. Dies gelte auch für die Fachgruppe der Strahlentherapeuten. In diesem Bereich sei festzustellen, dass die Zahl der Strahlentherapeuten stark angestiegen sei. Die Erstreckung der Bedarfsplanung auch auf diese Facharztgruppe diene der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Übrigen sei dem Gemeinsamen Bundesausschuss ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar sei. Rechtsgrundlage hierfür seien §§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, 101 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit der Bedarfsplanungs-Richtlinie. Auch das Moratorium (Entscheidungssperre) sei rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere stehe die Regelung mit höherrangigem Recht (§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 SGB V und § 19 Abs. 1 S. 2 SGB V) in Einklang. Damit werde die Sperrwirkung von Beschlüssen des Landesausschusses vorverlegt. Ziel sei es zu vermeiden, dass die angestrebte Begrenzung der Zahl der Ärzte aufgrund der hohen Zahl an Zulassungsanträgen umgangen werde. Auch ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, abgeleitet aus Art. 20 Abs. 3 GG liege nicht vor. Es handle sich um eine unechte Rückwirkung. Denn zum Zeitpunkt der Antragstellung im vor dem BSG anhängigen Verfahren habe festgestanden, dass die Zulassung nicht mehr unabhängig von der Bedarfslage erteilt werden würde. Nach Abwägung der Interessen der Allgemeinheit mit dem Vertrauen des einzelnen auf Fortgeltung der Rechtslage sei die unechte Rückwirkung zulässig. Somit ist die Rechtmäßigkeit der Regelung des § 48 Abs. 2 der Bedarfsplanungs-Richtlinie durch das Bundessozialgericht abschließend geklärt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Klägerin hat hier den Zulassungsantrag per Fax am 05.09.2012 und im Original am 06.09.2012 gestellt. Damit wäre der Zulassungsantrag so rechtzeitig gestellt, dass er nicht unter das Moratorium nach § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie fiele. Jedoch hat die Klägerin dem Zulassungsantrag keine vollständigen Unterlagen beigefügt, wie dies notwendig gewesen wäre. Damit ist sie so zu behandeln, als habe sie den Zulassungsantrag nach dem Stichtag 06.09.2012 gestellt. Gemäß § 18 Abs. 1Buchst.b und Abs. 2 Ziff. 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) sind dem Antrag u.a. ein Auszug aus dem Arztregister, aus dem Tag der Approbation, der Tag der Eintragung in das Arztregister und gegebenenfalls der Tag der Anerkennung des Rechts zum Führen einer bestimmten Facharzt-, Schwerpunkt-oder Zusatzbezeichnung hervorgehen müssen, und ein polizeiliches Führungszeugnis beizufügen. Diese Unterlagen waren dem Zulassungsantrag nicht beigefügt, weder dem Fax vom 05.09.2012, noch dem Original vom 06.09.2012. Die Eintragung in das Arztregister, für die nach § 8 Abs. 1 Ärzte-ZV der Vorstand der Beigeladenen zu 1 oder die durch Satzung bestimmte Stelle zuständig ist, konnte von der Klägerin deshalb nicht vorgelegt werden, weil der Eintragungsantrag ebenfalls am 06.09.2012 erfolgte, insbesondere aber auch deshalb, weil die Klägerin noch nicht über die Anerkennung als Fachärztin für Strahlentherapie zu diesem Zeitpunkt verfügte. Denn die Facharztprüfung, die nach §§ 11 Abs. 2, 14 Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns (WBO vom 2. Oktober 1993 in der Fassung vom 14.10.2001) verbindlich vorgeschrieben ist, fand erst am 11.09.2012 statt. Für die Eintragung in das Arztregister ist nach § 4 Abs. 2 Ärzte-ZV erforderlich, dass der entsprechende Antrag die zur Erteilung erforderlichen Angaben enthalten muss. Hierzu gehört auch der Nachweis über den erfolgreichen Abschluss einer Weiterbildung in einem anderen Fachgebiet mit der Befugnis zum Führen einer entsprechenden Gebietsbezeichnung (§ 3 Abs. 2 Buchst. b Ärzte-ZV). Die Entscheidung über die Anerkennung einer Gebietsbezeichnung trifft die Bayerische Landesärztekammer aufgrund der vorgelegten Zeugnisse und einer Prüfung vor dem Prüfungsausschuss (§ 11 Abs. 2 WBO).
Das Zulassungsverfahren ist grundsätzlich zweistufig, beginnend mit der Arztregistereintragung, der sich die eigentliche Zulassung anschließt. Diese Reihenfolge ist grundsätzlich einzuhalten. Sinn und Zweck ist es, zu verhindern, dass der Streit, „ob ein Zulassungsbewerber die in anderen Verfahren zu klärenden sachlichen Voraussetzungen erfüllt, das Zulassungsverfahren belastet“ (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az. B 6 KA 2/09). Ein nicht mit den notwendigen Unterlagen versehener Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist unvollständig und kann grundsätzlich allein aus diesem Grund abgewiesen werden.
Ausnahmsweise kann jedoch von der Reihenfolge abgewichen werden und der Arztregistereintrag nachgereicht werden. Hierzu führte das Bundessozialgericht (aaO) wie folgt aus: „… kann es geboten sein, dem Zulassungsbewerber zu gestatten, zunächst nur den Antrag auf Zulassung zu stellen und den Registereintrag später nachzureichen. Soweit einem Zulassungsbewerber die Chance genommen wird, bis zu einem bestimmten Termin wirksam die Zulassung zu beantragen, allein weil er die förmliche Registereintragung nicht nachweisen kann, könnte darin uU ein übermäßiger Eingriff in seine beruflichen Chancen und Planungen und also ein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG liegen“. Das Bundessozialgericht hat sich daher für eine erweiternde Auslegung des § 95 Abs. 2 S. 1 SGB V ausgesprochen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Zulassungsbewerber sowohl die Zulassung, als auch die Arztregistereintragung fristgerecht beantragt hat, materiell-rechtlich alle Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind, aber noch eine Zeit bis zur Beschaffung des Arztregistereintrags benötigt wird und sich der Zulassungsbewerber darum auch konsequent bemüht hat.
Im streitgegenständlichen Verfahren ist festzustellen, dass die Klägerin nicht nur die förmlichen Voraussetzungen, sondern auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung am 05.09.2012/06.09.2012 nicht erfüllt. Denn die Arztregistereintragung nach §§ 3, 4 Ärzte-ZV war zwar von der Kläger am 06.09.2012 beantragt worden, konnte aber deshalb nicht erfolgen, weil die Voraussetzungen für die Facharztanerkennung fehlten. Die Klägerin hatte zwar bereits im Juni/Juli 2012 die in der WBO festgelegte Weiterbildungszeit bei einem zur Weiterbildung befugten Arzt bzw. Weiterbildungsstätte abgeschlossen. Die Weiterbildung ist aber erst dann beendet, wenn der Arzt erfolgreich an der Prüfung nach § 11 Abs. 2 WBO teilgenommen hat. Diese Prüfung fand bei der Klägerin am 11.09.2012 statt. Die Prüfung selbst stellt keinen lediglich formellen Akt dar, sondern ist materiell-rechtlicher Art. Folglich ist die erweiternde Auslegung von § 95 Abs. 2 S. 1 SGB V, wie sie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az. B 6 KA 2/09) vorgenommen hat, auf das streitgegenständliche Verfahren nicht übertragbar.
Eine erweiternde Auslegung des § 95 Abs. 2 S. 1 SGB V, die noch über die im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az. B 6 KA 2/09) vorgenommene hinausgeht, kommt nicht in Betracht, wenn materiell-rechtliche Voraussetzungen fehlen. Maßgeblich ist die Schutzwürdigkeit desjenigen, der noch fristgerecht seine Zulassung beantragt hat. Der Arzt, bei dem die materiell-rechtlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung fehlen, ist nicht in gleichem Umfang schutzwürdig wie der, der an sich einen Anspruch auf Eintragung gehabt hätte, für den jedoch aufgrund von Umständen, die nicht in seiner Sphäre liegen, eine Nachweisführung nicht möglich war. In diesem Fall ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 12 GG, die beruflichen Chancen und Planungen nicht zu besorgen. Art. 12 GG schützt nicht die Sicherung von Rechtspositionen zu einem Zeitpunkt, in dem die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Eintragung ins Arztregister noch gar nicht vorlagen.
Selbst wenn eine solche erweiternde Auslegung grundsätzlich zu bejahen wäre, hat die Klägerin den Nachweis nicht geführt, sie habe alles getan, damit die Weiterbildung vor dem 06.09.2012 mit der Prüfung abgeschlossen werden konnte. Insbesondere wurde nicht geltend gemacht, die Klägerin sei an die Bayerische Landesärztekammer herangetreten, um einen früheren Prüfungstermin als den 11.09.2012 zu erhalten. Unzureichend ist der pauschale Hinweis, eine Nachfrage bei der Bayerischen Landesärztekammer, den Prüfungstermin vorzulegen, hätte nichts gebracht.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben