Europarecht

Zur Frage der Möglichkeit des Widerrufs einer Klagerücknahme

Aktenzeichen  S 9 VK 1/17

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 147557
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 102, § 179 Abs. 1
ZPO § 580

 

Leitsatz

1 Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unwiderruflichkeit und Nichtanfechtbarkeit von Prozesshandlungen wie einer Klagerücknahme könnte nur dann angenommen werden, wenn gleichzeitig mit der Klagerücknahme deren Widerruf bei Gericht eingegangen wäre. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Klagerücknahme kann allenfalls dann entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahme des Verfahrens widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs. 1 SGG iVm § 580 ZPO) gegeben wäre (ebenso BSG BeckRS 1980, 03336). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klage in dem Verfahren S 9 VK 2/16 durch Klagerücknahme vom 28.11.2016 beendet worden ist.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Der vorliegende Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.
Streitgegenstand ist allein die Frage, ob das Klageverfahren S 9 VK 2/16 durch Klagerückname vom 28.11.2016 beendet worden ist. Dies ist zur vollen Überzeugung des Gerichts der Fall.
Die von dem Kläger mit dem beim Gericht am 28.11.2016 eingegangenen Schriftsatz abgegebene Klagerücknahmeerklärung ist insoweit eindeutig; sie erfolgte ohne Hinzufügung einer Bedingung. Die Klagerücknahme ist eine Prozesshandlung, die als solche weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB – Bürgerliches Gesetzbuch) angefochten werden kann (BSG SozR Nr.3 zu § 119 BGB; BSG in SozR 1500 § 102 Nr.2 m.w.N.; BSG, 17.05.1966, 7 RAR 7/66). Auch eine Nichtigkeit der Erklärungen könnte selbst dann nicht angenommen werden, wenn – wie nicht – diese Erklärungen aufgrund einer „Überrumpelung“ durch das Gericht oder infolge einer unrichtigen Belehrung über die Prozessaussicht abgegeben worden wären (BSG 24.04.1980, 9 RV 16/79 m.w.N.; BSG in Breithaupt 1960, 744).
Dies ergibt sich aus der Rechtsnatur von Prozesshandlungen, zu denen auch die Klagerücknahme zählt. Diese kann zwar durch eine spätere Prozesshandlung widerrufen, ergänzt, geändert oder berichtigt werden; grundsätzlich gilt dies jedoch nur, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Nicht frei widerruflich bzw. nicht frei abänderungsfähig sind Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder aufgrund deren er seine Rechtsstellung eingerichtet hat (z.B. auch Rücknahme; vgl hierzu Putzo in: Thomas-Putzo, ZPO (Zivilprozessordnung), 34. Auflage, Einleitung III Anm.21 ff. m.w.N.). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz könnte nur dann angenommen werden, wenn gleichzeitig mit der Klagerücknahme deren Widerruf bei Gericht eingegangen wäre, was nicht der Fall war.
Allenfalls kann eine Klagerücknahme entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahme des Verfahrens widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 580 ZPO) gegeben wäre (BSG, 24.04.1980, 9 RV 16/79 m.w.N.). Einen solchen Tatbestand (insbesondere: falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, Urteilserschleichung, Amtspflichtverletzung eines Richters, Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde) hat der Kläger nicht vorgetragen; auch ergeben sich diesbezüglich keine Hinweise aus den Akten.
Der Kläger hat zwar vorgetragen, er wäre jetzt wieder gesund. Damit liegt aber kein Restitutionsgrund vor.
Ob ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 ZPO ebenfalls einen Widerruf rechtfertigt, kann dahingestellt bleiben. Denn die in § 579 Abs. 1 ZPO aufgeführten Nichtigkeitsgründe (unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts; Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen oder wegen Befangenheit abgelehnten Richters, den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechende Vertretung einer Partei) liegen nicht vor.
Die Klage bleibt daher ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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